Ein feministisches Gerichtsdrama
"Hab dich lieb. In Textnachrichten ist es immer einfach, das zu sagen. Persönlich ist das unmöglich." (Seite 99)
Tessa Ensler hat alles erreicht. Sie ist eine angesehene, junge Strafverteidigerin, die ...
"Hab dich lieb. In Textnachrichten ist es immer einfach, das zu sagen. Persönlich ist das unmöglich." (Seite 99)
Tessa Ensler hat alles erreicht. Sie ist eine angesehene, junge Strafverteidigerin, die für ihre Erfolge vor Gericht bekannt ist.
Sie bewegt sich in London in einem illustren Kreis. Die meisten ihrer Kolleg:innen stammen aus altehrwürdigen Familien, denen die Juristerei sozusagen im Blut liegt. Geld spielt oft keine Rolle. Niemand erahnt dort, aus welchen Verhältnissen Tessa kommt. Welche Vergangenheit sie hinter sich gelassen hat.
Suzie Miller zeichnet das Bild einer ehrgeizigen, jungen Frau, ohne dass sie unsympathisch oder unnahbar wirkt. In Rückblenden entblättert sich Tessas verletzlich Seite. Ein Leben mit einen gewalttätigen Vater, einem Bruder, der mit einem Bein im Gefängnis steht, einer Mutter, die am Existenzminimum lebt. Trotz dieser harten Fakten, beschreibt Miller dies nüchtern und dennoch mit einer großen Zuneigung für ihre Protagonistin und deren engster Vertrauten.
In dem Buch gibt es, wie schon angedeutet, mehrere Zeitebenen, ein Damals, ein Davor, ein Jetzt. Tessa hat sich den knallharten Ruf erarbeitet, in Fällen von sexueller Gewalt, kein Pardon mit den weiblichen Zeuginnen zu haben und für ihre männlichen Mandanten einen Freispruch zu erwirken. Das sorgt größtenteils für Bewunderung, aber seitens einer Kollegin auch für unterschwellige Kritik. Als Leser:in ahnt man, welchen Wendepunkt die Geschichte nehmen wird. Umso gespannter war ich, wie Tessa diese Erfahrung beeinflussen wird.
Die Geschichte einer Aufsteigerin entwickelt sich zu einem Justizdrama. Die junge Frau, die sich aus ihrem sozialen Milieu befreien konnte, muss sich nun entscheiden, auf welcher Seite sie steht und für was sie steht.
Ein gelungener Roman, der mich zunehmend fesseln konnte, dessen Ende mich als Feministin vielleicht nicht ganz beglückt, aber der in seiner Fiktion nah an der Realität steht.