Letzten Frühling ist mir dieses Buch immer wieder über den Weg gelaufen. In zahlreichen Rezensionen habe ich es gesehen und doch kam es nicht auf meine Leseliste, war mir die Gamingwelt doch zu fremd. ...
Letzten Frühling ist mir dieses Buch immer wieder über den Weg gelaufen. In zahlreichen Rezensionen habe ich es gesehen und doch kam es nicht auf meine Leseliste, war mir die Gamingwelt doch zu fremd. Und dann fiel es mir durch Zufall doch in die Hände durch eine Bekannte, die es mir in die Hände drückte.
Ich bin im Nachhinein wahnsinnig froh, dass ich es gelesen habe. Ja, Videospiele sind das Thema des Buches und des Lebens von Sam, Sadie und Marx, die als Studierende anfangen Videospiele zu entwickeln eine Gaming-Firma gründen und damit berühmt werden. Videospiele sind Thema in der Sprache des Buches und dem Titel (warum, muss man sich selbst erlesen ;)). Es ist aber auch die Geschichte von drei jungen Erwachsenen, die eine gemeinsame Zukunft beginnen, deren Leben sich emotional auseinanderentwickeln und mit voller Wucht wieder aufeinanderprallen.
Für mich eine absolute Überraschungsentdeckung, und auch wenn es in meinem eigenen Leben nicht nachhallt, erinnere ich mich doch gerne an diese wunderbare, warmherzige Geschichte über so viel mehr als Videospielen. Eine absolute Leseempfehlung für Gamerinnen und Nicht-Gamerinnen.
Wanda und Antonia sind Schwestern und doch könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Wanda ist schön, schlank, sportlich, selbstbewusst und in der Schule eine Überfliegerin. ...
Triggerwarnung: Essstörung
Wanda und Antonia sind Schwestern und doch könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Wanda ist schön, schlank, sportlich, selbstbewusst und in der Schule eine Überfliegerin. Antonia zu kurvig, schüchtern und in nichts wirklich begabt. Zumindest ist das die Perspektive von Regina auf ihre beiden Töchter. Kritisch misst sie die beiden an ihren persönlichen unerfüllten Wünschen, ihren eigenen und den gesellschaftlichen Maßstäben - und das durchgängig durch das Buch, das sich mit Zeitsprüngen über eine Zeitspanne von etwa 20 Jahren erstreckt.
Gekonnt verwebt Anne Brüggemann durch die drei Perspektiven von Regina, Wanda und Antonia Innen- und Außenschau und die Brüche dazwischen. Es ist ein gelungenes Psychogramm einer Mutter-Tochter Beziehung, das erschreckend deutlich aufzeigt, wie nachhaltig die Erwartungshaltung unserer Eltern uns in unserer Selbstwahrnehmung prägen.
Zuweilen waren mir Anne Brüggemanns Worte fast zu deutlich, zu wenig subtil die Auseinandersetzung der Charaktere mit ihren Gefühlen. Gerade in jungen Jahren, in denen die Erwartungshaltung der Mutter die eine in die Magersucht stürzt und die andere ihre Schultern immer mehr hochziehen, sich zunehmend verstecken lässt, wirkten Wanda und Antonia für mich auf unglaubwürdige Weise reflektiert.
Dennoch ein Buch, das in seiner, wenn auch wenig unterschwellig formulierten, Message nachhallt.
Maria reist nach Rumänien, um ein enteignetes Gemälde zurückzuerhalten. Es ist eine schmerzliche Reise - die erste, nachdem ihr Vater vor zwei Jahren in Rumänien tot in einer Waldhütte gefunden wurde. ...
Maria reist nach Rumänien, um ein enteignetes Gemälde zurückzuerhalten. Es ist eine schmerzliche Reise - die erste, nachdem ihr Vater vor zwei Jahren in Rumänien tot in einer Waldhütte gefunden wurde. Es war eine von vielen realen und gedanklichen Reisen ihres Vater in das Land, das ihn verstoße hat, das ihn aufgrund seiner oppositioneller Aktivitäten gezwungen hat seine Familie hinter sich zu lassen und sich ins Exil nach Deutschland zu begeben, und das ihn trotzdem nicht loslässt, seine ganze Identität auf dem Schicksal dieses Landes aufbauend.
Hätte Maria ihm mehr zuhören sollen? Hätte sie ihn nicht damals auf seine letzte Reise nach Rumänien begleiten sollen und dadurch seinen Tod verhindern können?
Marias Reise in das Heimatland ihres Vaters wirkt wie der Versuch die vielen Ungerechtigkeiten, die ihrem Vater widerfahren sind, wiedergutzumachen, und ist doch für Maria mit so vielen schmerzlichen Erinnerungen an ihn verknüpft, plötzlich auftauchende bildhafte Erinnerungen an die Zeit in ihrer Kindheit, die sie in Rumänien bei der Familie ihres Vaters verbracht hat. Vergangenheit und Gegenwart greifen hier ineinander, scheinen teilweise miteinander zu verschmelzen, was es bisweilen schwierig gemacht hat für mich die verschiedenen Zeitebenen voneinander zu unterscheiden.
Zudem wirkten manche Konversationen für mich seltsam hölzern manche Charaktere auf bestimmte Charaktereigenschaften hin überzeichnet, sodass ich mich teilweise nur schwer auf die Handlung einlassen konnte, wenig in die Charaktere hinein fühlen konnte.
Dann wieder Szenen, die mich mit ihrer besonderen Stimmung, mit Maria Bidians ganz eigener Sprache komplett einnahmen, lange in mir resonierten.
Und so halte ich das Buch unschlüssig in der Hand. “Vielleicht war es nicht der richtige Zeitpunkt”, möchte ich sagen. “Vielleicht haben äußere Faktoren zu viel meiner Aufmerksamkeit eingefordert und ich konnte mich deshalb nicht richtig auf die Geschichte einlassen.” Und so stelle ich das Buch zurück ins Bücherregal und hoffe, dass irgendwann der Tag kommt, an dem ich mich nochmal und dann voll und ganz auf Maria Bidians Debütroman einlassen kann.
Sie liegen da vor dem Krankenhaus. Viele Frauen. Wie Blumen, denen das letzte Wasser entzogen, die letzten Nährstoffe genommen wurden, eingeknickt ohne einen Laut. Sie rufen nichts, sie erklären sich nicht. ...
Sie liegen da vor dem Krankenhaus. Viele Frauen. Wie Blumen, denen das letzte Wasser entzogen, die letzten Nährstoffe genommen wurden, eingeknickt ohne einen Laut. Sie rufen nichts, sie erklären sich nicht. Denn was gibt es denn da noch zu erklären, wo alles schon so viele Male gesagt wurde?
Ein stiller Protest, eine solidarische Aktion vieler Frauen, die wie ein Lauffeuer um sich greift. Sie legen die Arbeit nieder und innerhalb weniger Tage beginnt das System zu wanken, denn baut es nicht auf der unter- und unbezahlten Arbeit so vieler Frauen? Voller Wut und gleichzeitig Hoffnung verfolgt Mareike Fallwickl dieses Gedankenexperiment.
Es ist ein erstaunliches, schockierendes Buch. Ein Buch, das mich auf wenigen Seiten so viel gelehrt hat, so viele Perspektiven vereint und denen eine Stimme gibt, die insbesondere durch Mehrfachmarginalsierung oft keine haben. Es ist ein wichtiges Buch und so gerne würde ich es uneingeschränkt empfehlen.
Aber leider konnte mich Mareike Fallwickl weder von der Sprache noch mit ihren Charakteren ganz abholen. Viele Konversationen kamen mir unnatürlich vor, viele der Szenen zu konstruiert. Vielleicht ist es Absicht? Vielleicht soll das Buch wie eine Traumsequenz wirken, denke ich, als ich es zuklappe. Doch für mich hat es eher bewirkt, dass eine Distanz zwischen mir und den Hauptcharakteren blieb, die es schwerer machte mit ihnen zu fühlen.
Und so schwingt in all den Momenten, in denen ich in den darauffolgenden Tagen an das Buch zurückdenken muss - denn losgelassen hat es mich bisher nicht und wird es auch so schnell nicht - immer auch ein leichtes Gefühl der Enttäuschung mit.
Wer ist Selah? Das habe ich mich oft gefragt während ich Luca Mael Milschs Debütroman “Sieben Sekunden Luft” gelesen habe. Wer ist Selah? Das scheint sich auch Selah selbst zu fragen:
In der Kindheit, ...
Wer ist Selah? Das habe ich mich oft gefragt während ich Luca Mael Milschs Debütroman “Sieben Sekunden Luft” gelesen habe. Wer ist Selah? Das scheint sich auch Selah selbst zu fragen:
In der Kindheit, in der Selah versucht der Mutter gerecht zu werden. Ihren Stimmungsschwankungen, die das Kind versucht abzuschätzen sobald die Mutter durch die Tür kommt, ihrer Idee wer Selah wirklich ist, ihren Erwartungen.
In der Studierendenzeit, in der Selah sich zunehmend abkapselt von der Mutter, den Einfluss dieser auf das eigene Leben versucht zu minimieren und doch jedes Treffen mit der Mutter zu einem Rückschlag, einem Gefühl des Versagens wird, denn plötzlich hat die Mutter wieder so viel Macht, beherrscht Gedanken und Gefühle.
Als Erwachsene - überarbeitet und weiterhin verzweifelt auf der Suche nach sich selbst bis zur fast vollständigen Selbstauflösung führen.
Es ist immer Selah und doch wirkt es durch Luca Mael Milschs kunstvoll komponierten Aufbau des Buches fast wie drei unterschiedliche Personen. So wenig wie Selah sich selbst kennt, kann man auch als Leserin greifen, wer Selah ist. Man spürt förmlich Selahs Verzweiflung über den immer wieder scheiternden Versuch sich von der Mutter zu lösen, die Deutungshoheit über die eigene Identität zu erringen und sich dann vor die Mutter zu stellen und zu sagen “Schau Mama! Das bin ich.”
Doch da ist das langjährige Schweigen über Dinge, die unsagbar schienen und ungesagt geblieben sind, über Dinge die damals noch nicht in Worte zu fassen waren, keine Worte hatten, für die es keine Worte gab. Worte die Selah erst langsam findet.
“Ich will dir davon erzählen, was passiert ist, worüber ich nie sprechen konnte und wer ich heute bin. Fertig. Doch jedes Mal blicke ich in die Augen einer Mutter, die das nicht aushalten kann. Jedes Mal schaue ich in ein Gesicht, in dessen Spiegel sich das Bild von mir nicht erneuern lässt, höre Erinnerungen, die ich nur aus deinen Erzählungen kenne, die dir alles bedeuten, die ich dir glauben müsste.” (S. 191)
Es ist ein Buch über Mutter-Kind-Beziehung, über Identitätssuche. Es ist ein queeres Buch, aber nicht vordergründig, nicht nur. Vielmehr zeichnet es das komplexe Bild einer ganzen Person, das durch vielmehr bestimmt wird als ihre Queerness. Gerade das hat mir so gut gefallen. Dass Queer-sein ein Teil von einer Person ist und als solches im Buch behandelt wird, vielmehr als ein alleinstellendes Merkmal.
Ich wurde hineingezogen in das Buch, konnte so viele der Gedanken Selahs nachvollziehen, wurde emotional mitgenommen, getragen über viele Seiten, auf denen ich ganz bei Selah war. Und dann plötzlich fallen gelassen, in einen unendlich langen Gedankenstrom Selahs angesichts der plötzlich todkranken Mutter. Ein Gedankenstrom, der sich zu wiederholen schien, kein Ventil fand, sich über fast 100 Seiten erstreckte, künstlerisch beeindruckend und doch ließ bei mir an dieser Stelle die Aufmerksamkeit nach. Die einzelnen Gedanken schienen weniger wichtig zu sein, denn sie würden sich ja zwangsläufig wiederholen. Und so habe ich am Ende das Buch mit gemischten Gefühlen zugeklappt, irgendwie unbefriedigt weil mir gerade das Ende nicht greifbar wurde.
Dennoch war es ein unglaublich intensives Leseerlebnis, das mich während des Lesens sehr berührt hat.