Ein interessanter Ausgangspunkt, aber definitiv keine Nebenbei-Lektüre
Lieben[Disclaimer: Ich distanziere mich ausdrücklich von den antisemitischen Positionen, welche die Autorin seit dem 7. Oktober 2023 in der Öffentlichkeit recht präsent einnimmt. In diesem Essay bekommen sie ...
[Disclaimer: Ich distanziere mich ausdrücklich von den antisemitischen Positionen, welche die Autorin seit dem 7. Oktober 2023 in der Öffentlichkeit recht präsent einnimmt. In diesem Essay bekommen sie keinen Raum, deshalb beeinflussen sie meine Rezension nicht. Ich glaube aber, dass zu "Lieben" auch dazugehört, Handlungen von Menschen (hier konkret Regierungen) zu kritisieren, ohne in eine einseitige Dämonisierung abzugleiten.]
Ich habe bereits Emilia Roigs Buch "Das Ende der Ehe" gelesen und gemocht, weshalb mir einige der Gedankengänge dieses Essays bereits bekannt waren. Gerade mit einer gewissen antikapitalistischen/antirassistischen/feministischen Vorprägung sind viele Ausführungen nichts Neues und bilden so vielmehr einen Ausgangspunkt für eine tiefergehende Beschäftigung mit einzelnen Themenbereichen.
Der Essay ist zwar an vielen Stellen anekdotisch, blieb für mich aber emotional doch eher an der Oberfläche und wurde vor allem zu Beginn von recht vielen Referenzen begleitet - da hätten es für mich ein paar weniger sein dürfen. Die Gedanken der Autorin rund um die Hierarchisierung verschiedener Beziehungsformen und damit verschiedener Arten zu lieben waren mir größtenteils bekannt, aber trotzdem interessant. Vor allem das recht umfängliche Kapitel zu Freund*innenschaften hat mir sehr gut gefallen, da es hier auch konkrete Beispiele freundschaftlicher Verbindung gab, die auf mich immer sehr heilsam wirken. Romantische Liebe bekommt weniger Raum, was für mich aber angesichts des Übermaßes an Literatur in diesem Feld völlig gerechtfertigt war.
Die zweite Buchhälfte widmet sich einem viel größeren Thema, nämlich der Positionierung des Menschen innerhalb der Natur und des Kosmos. Die Gedanken zu Speziesismus fand ich sehr gut und unbedingt notwendig in einem Buch über das Lieben. Denn ich glaube fest daran, dass wir einen großen liebenden Teil in uns wegsperren, wenn wir nicht-menschliche Tiere und die Natur beherrschen und ausbeuten wollen. Manche Schilderungen, wie etwa ihre Reiterfahrung, passen in eine antispeziesistische Betrachtung der Welt allerdings nur bedingt. Das letzte Kapitel ist ziemlich spirituell, womit ich persönlich nicht viel anfangen kann. Doch die Autorin hat hier einen Ton getroffen, der mich den Abschnitt hat wertfrei lesen lassen - es ist ein Teil ihrer Lebenserfahrung und auch nicht mehr als das. Ich muss es nicht nachvollziehen können, um es zu respektieren.
Die Verbindungen zum übergeordneten Thema "Lieben" fiel schon manchmal recht abstrakt aus. Ich habe es nicht so extrem mit einer Erwartung gelesen, kann eine gewisse Enttäuschung an der Stelle aber nachvollziehen. Für mich war nicht viel neu, einiges trotzdem heilsam und manches zu fern, als dass ich dazu großartige Empfindungen hätte haben können. Eventuell ist das Thema für ein 120 Seiten langes Essay schlicht ein wenig zu komplex und die Autorin schien einen hohen Anspruch an die Vielfalt der angesprochenen Bereiche gehabt zu haben, was das Buch auch nicht unbedingt zu einer leichten Lektüre macht.
Ich empfehle es eher als anspruchsvollen Anstoß für Menschen, die sich in den Bereichen Antikapitalismus, Antikolonialismus und Feminismus trotzdem schon etwas auskennen. Für mich nicht überragend, aber auch nicht schlecht.