Sehr erhellend
Fern Brady erzählt ihr Leben als Autistin. Sie hat sich schon früh anders gefühlt als die Menschen um sie herum. In der Schule brachte sie gute Leistungen blieb aber außen vor. Mit den blonden dünnen Mädchen ...
Fern Brady erzählt ihr Leben als Autistin. Sie hat sich schon früh anders gefühlt als die Menschen um sie herum. In der Schule brachte sie gute Leistungen blieb aber außen vor. Mit den blonden dünnen Mädchen konnte sie nichts anfangen, Smalltalk gewann sie nichts ab. Das grelle Licht des Klassenraums, die Geräusche ihrer Mitschüler, die Pausenglocke und erst die Geräuschkulisse in der Mensa empfand sie als Bombardement. Zuhause war Ärger unausweichlich. Sie verzog sich auf ihr Zimmer, weil sie den Lärm ihrer Familie nicht ertrug. Ihre Mutter wusch ihr am Abend die Haare und föhnte sie, für Fern eine Tortur, die ihr Körper mit starkem Juckreiz quittierte. Ihre Unfähigkeit sich anzupassen führte zu Geschrei, Demütigung und Ausgrenzung.
Auf die alltäglichen Überforderungen reagierte sie mit Weinkrämpfen oder schlug um sich. Die Eltern ignorierten oder bestraften Ferns augenscheinliches Fehlverhalten. Mehrere Aufenthalte in der Psychiatrie folgten. Die Autorin spricht über ihre Versuche sich anzupassen (maskieren) indem sie Mitschülerinnen nachahmte, aber die Zeichen der nonverbalen Kommunikation blieben ihr rätselhaft. Sie konzentrierte sich mit einer Intensität auf ihre Interessen, die andere befremdlich fanden und so lernte sie mehrere Sprachen, obwohl sie nie den Gedanken hegte zu verreisen, das hätte ihre Routinen durchbrochen und zu einem Zusammenbruch geführt. Als sie zu studieren begann, war sie erleichtert, dass sie von zu Hause wegkam. Ihre Eltern konnten sie finanziell nicht unterstützen, also jobbte sie nebenbei. Sie fand sich an der Universität nicht zurecht, schämte sich aber um Hilfe zu bitten und so brach sie immer wieder ab.
Fazit: Fern Brady ist ein gut verständliches Buch gelungen. Während sie von sich erzählt lässt sie alles einfließen, was es über die autistische Neurodiversität zu wissen gibt. Im Laufe ihres Lebens hat sie die Erfahrung gesammelt, dass Therapeuten, Psychiater und Klinikpersonal kaum etwas über den Autismus des Aspergersyndroms wissen. Wie empfindlich das Nervensystem von Autistinnen reagiert und wie schnell deren Organismus überdosiert werden kann. Die Inzidenz an Herz-Kreislaufproblemen zu erkranken, Drogenabhängigkeit oder erfolgreiche Suizide sind vielfach höher, als bei neurotypischen Menschen. Die Autorin zeigt die gesellschaftliche Überforderung im Umgang mit der autistischen unverblümten Ehrlichkeit, der Reizüberflutung, die das System jederzeit zusammenbrechen lassen kann. (Shutdown/Meltdown). Autismus ist in verschiedenen Gesellschaften immer noch ein Stigma, ähnlich wie psychische Erkrankungen, dabei könnten wir mit ein wenig Unterstützung gut koexistieren. Allerdings zeigt sich auch immer wieder, dass Menschen, die in einer Leistungsgesellschaft nicht einwandfrei funktionieren, schnell ausgemustert werden. Besonders interessant fand ich, wie Fern Brady über die autistische Offenheit gesprochen hat. Wir freunden uns gleich über die Maße an, wenn jemand nett zu uns ist. Die Unfähigkeit die Zeichen des sozialen Umgangs zu entschlüsseln führt oft zu übergriffigem Verhalten anderer gegen den autistischen Menschen. Daher ist es nicht selten, dass Autistinnen schon früh gemobbt werden oder sich in toxischen Beziehungen wiederfinden. Ich finde Fern Bradys Geschichte sehr erhellend und danke ihr, dass sie ihre Erfahrungen so offen geteilt hat. Als selbstbetroffene von mir ein klares Mustread, sowohl für neurodivergente Menschen als auch Außenstehende.