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Veröffentlicht am 16.12.2024

Zuflucht in den Bergen

Über allen Bergen
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Paris im Januar 1943: Für jüdische Familien ist es auch in Frankreich immer gefährlicher geworden. Nachdem der Vater bereits untergetaucht ist, schickt man den 12jährigen asthmakranken Sohn mit den Papieren ...

Paris im Januar 1943: Für jüdische Familien ist es auch in Frankreich immer gefährlicher geworden. Nachdem der Vater bereits untergetaucht ist, schickt man den 12jährigen asthmakranken Sohn mit den Papieren eines gleichaltrigen Nachbarjungen in ein abgelegenes Bergdorf in den französischen Alpen. Aus dem russisch-jüdischen Jungen Vadim Pavlevitch wird von nun an Vincent Dorselles, der dort ein warmes, liebevolles Zuhause findet. Zunächst ist er überwältigt von der Natur, dem Schnee und den hohen Bergen, doch rasch fügt er sich ein und wird wie ein Einheimischer. Es gibt so vieles zu entdecken und zu erlernen. Die Jahreszeiten wechseln, schon ist es Herbst geworden, bald fällt der erste Schnee – und die ersten deutschen Soldaten sind bereits im Tal. Für Vadim/Vincent wird es wieder gefährlich …

Valentine Goby, geb. 1974 in Grasse, ist eine französische Schriftstellerin, die ihren ersten Roman 2002 veröffentlichte. Seither schrieb sie mehrere Bücher, die großen Anklang fanden und teils auch ins Deutsche übersetzt wurden. Die Autorin lebt in der Nähe von Paris.

Star des Buches ist für mich zweifellos die Natur, das abgeschiedene Tal mit seinen umgebenden Bergen und in der Ferne der alles überragende Mont Blanc - von der Autorin wunderschön beschrieben. Dazu passt ausgezeichnet das Cover, das die Landschaft detailgetreu wiedergibt. Wir erleben mit Vincent den Wandel der Jahreszeiten und staunen über die Wunder der Natur, die diese zu bieten hat. Durch die Erzählform aus Sicht Vincents erhalten wir einen tiefen Einblick in seine Seele und erleben seine Ängste und Sehnsüchte hautnah. Wir erfahren von Liebe und Freundschaft, von Dankbarkeit und großem Vertrauen, das ihm in der neuen Heimat widerfährt, und von guten Menschen, die ihm vertrauensvoll ein Zuhause bieten.

Fazit: Ein wunderschönes Buch, das mich voll überzeugt hat und das ich gerne weiter empfehle!

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Veröffentlicht am 02.12.2024

Das große Lauschen und das Warten auf Antworten …

Die unheimliche Stille
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Harald Lesch, geb. 1960, Professor für Astrophysik, ist einer breiten Öffentlichkeit durch seine populärwissenschaftlichen Sendungen im TV und einigen erfolgreichen Büchern zum Thema Astronomie bekannt. ...

Harald Lesch, geb. 1960, Professor für Astrophysik, ist einer breiten Öffentlichkeit durch seine populärwissenschaftlichen Sendungen im TV und einigen erfolgreichen Büchern zum Thema Astronomie bekannt.
Harald Zaun, geb. 1962, Dr. phil., ist ein erfolgreicher Autor naturwissenschaftlicher Artikel und Bücher.

Die beiden Autoren beschreiben zunächst die verschiedenen Versuche, die seit den 1930er Jahren gemacht werden, Botschaften ins All zu senden oder Signale aus dem Weltraum zu empfangen. Die vielen Fehlschläge werden sehr lebendig geschildert und die Schwierigkeiten, mit außerirdischen Zivilisationen (wenn es sie gibt) in Kontakt zu kommen, sind anschaulich beschrieben.

Im zweiten Teil des Buches befassen sich die Autoren mit der Frage, ob ein Kontakt mit außerirdischen intelligenten Lebewesen überhaupt wünschenswert oder besser zu vermeiden sei. Da es hierzu keine wissenschaftlichen Fakten gibt, mischen sie verschiedene Beiträge anderer Wissenschaftler mit ihren eigenen philosophischen Überlegungen. Haben Außerirdische uns schon entdeckt und beobachten uns? Was könnte passieren, wenn es zu einem Kontakt mit ihnen käme? Wären sie friedlich oder kriegerisch wie die Menschheit? Herrscht im Kosmos wirklich Stille, oder können wir mit unseren Instrumenten nur nichts hören? Sicher ist, wir wissen es nicht.

Ein interessantes Buch, das auch für Leser ohne Vorkenntnisse der Materie spannend und unterhaltsam ist. Es enthält sowohl reichlich wissenschaftlich belegte Fakten, als auch philosophische Spekulationen, liefert Antworten und regt zu eigenem Denken an. Einige Schwarzweißbilder, ein Literatur- und Quellenverzeichnis sowie ein Personenregister im Anhang sind sinnvolle Ergänzungen.

Fazit: Wissenschaftlich fundierte Spekulationen darüber, warum wir noch keinen Kontakt mit außerirdischen Intelligenzen haben. Meine Empfehlung!

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Veröffentlicht am 29.10.2024

Lärm im Kopf und quälende Gedanken

Wilderer
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Seit er den Hof übernommen hat kämpft der junge Bauer Jakob um dessen Überleben. Es geht ihm nicht aus dem Kopf, dass sein Vater einen großen Teil des Landbesitzes vergeudet hat und er jetzt ums Überleben ...

Seit er den Hof übernommen hat kämpft der junge Bauer Jakob um dessen Überleben. Es geht ihm nicht aus dem Kopf, dass sein Vater einen großen Teil des Landbesitzes vergeudet hat und er jetzt ums Überleben des Hofes kämpfen muss. Eigentlich ist er verbittert über alles, besonders über seine Geschwister Alexander und Luisa, sind schon lange weg sind und jetzt in der Stadt leben. Er ist geblieben, musste bleiben, und arbeitet nun schweigend und übellaunig vor sich hin. Seine Wünsche und geheimen Sehsüchte hat er bereits als Zwanzigjähriger aufgegeben. Überhaupt bringt ihn vieles aus der Fassung, sein Jähzorn nimmt besonders überhand, wenn der Hund wildern geht. Doch dann, ganz unverhofft, kommt das Glück auch zu ihm. Katja, eine junge Künstlerin, möchte für ein paar Wochen auf dem Hof als Praktikantin arbeiten. Sie erweist sich als unerwartet geschickt und hat Spaß an der Arbeit. Es wird mehr daraus, eine Beziehung entsteht. Dann stirbt Jakobs Großmutter, und plötzlich ist Geld vorhanden. Mit Katjas tatkräftiger Hilfe bringen sie den Hof bald wieder zur alten Größe. Sie heiraten und werden Eltern eines Sohnes. Doch in Jakob gärt immer noch sein unstetes Wesen. Sein Hass auf seine Schwester, sein gelegentlicher, nur schwer zu kontrollierender, Jähzorn und sein Misstrauen gegenüber Katja sind die schleichenden Anzeichen einer bevorstehenden Tragödie …

Reinhard Kaiser-Mühlecker, geb. 1982 in Kirchdorf a. d. Krems, ist ein österreichischer Schriftsteller. Er wuchs auf einem Bauernhof in Oberösterreich auf. Von 2003 bis 2007 studierte er Landwirtschaft, Geschichte und Internationale Entwicklung in Wien. Es folgten längere Auslandsaufenthalte in Argentinien, Bolivien, Deutschland und Schweden. Bisher schrieb er einige Romane, für die er mehrere Auszeichnungen erhielt. Für seinen 2022 erschienenen Roman „Wilderer“ wurde ihm im selben Jahr der Bayerische Buchpreis verliehen. Er führt heute noch die Landwirtschaft seinen Vorfahren.

Dass der Autor sich in der bäuerlichen Welt gut auskennt merkt man, wenn man seine Bücher liest. „Wilderer“, der vorliegende Roman, hebt sich dabei wohltuend vom Klischee üblicher Heimat- und Bauernromane ab. Realistische Schilderung der täglichen Arbeit in einem landwirtschaftlichen Betrieb, die anschauliche Darstellung der Personen und die nüchterne Beschreibung von Jakobs Psyche, sein unstetes Wesen, sein Jähzorn und seine Neigung zur Gewalt, machen diesen Roman so besonders. Es geschieht nicht sehr viel, das Geschehen plätschert eher so vor sich hin, doch das unterschwellige Gefühl einer Bedrohung, eines aufkommenden Unheils, das während des Lesens die ganze Zeit über zu spüren ist, zeugt vom Können des Autors. Das Beklemmende ohne es wirklich zu beschreiben fühlbar zu machen, das ist große Literatur.

Fazit: Die Geschichte eines jungen Bauern, der durch den der Druck der Verhältnisse und seiner angeborenen unruhigen Natur seinem Glück selbst im Wege steht. Sehr lesenswert!

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Veröffentlicht am 25.10.2024

Traumatisches Erleben

Das Ereignis
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Annie Ernaux, geb. 1940 in Lillebonne/Seine-Maritime, ist eine französische Schriftstellerin. Ihr literarisches Werk ist im Wesentlichen autobiografisch geprägt mit starkem soziologischem Bezug. 2022 wurde ...

Annie Ernaux, geb. 1940 in Lillebonne/Seine-Maritime, ist eine französische Schriftstellerin. Ihr literarisches Werk ist im Wesentlichen autobiografisch geprägt mit starkem soziologischem Bezug. 2022 wurde ihr der Nobelpreis für Literatur verliehen. (aus Wikipedia)

In ihrem Buch „Événement“ aus dem Jahre 2000 beschreibt Annie Ernaux ihre wohl größte seelische Erschütterung, die ungewollte Schwangerschaft und die illegale Abtreibung im Alter von 23 Jahren, während ihres Studiums 1963 in Rouen. 2021 wurde der autobiografische Roman verfilmt und errang im selben Jahr bei den 78. Internationalen Festspielen von Venedig den Hauptpreis des Festivals, den „Goldenen Löwen“. Nun, 2022, erscheint „Das Ereignis“ im Suhrkamp-Verlag endlich auch auf Deutsch.

Es sind diese traumatischen Erlebnisse, die die Autorin in beinahe jedem ihrer Werke anspricht – bis sie sich ihnen, im Jahr 2000, im Alter von 60 Jahren stellt. Auf Grundlage damaliger Tagebucheinträge und mit Hilfe ihres alten Kalenders erinnert sich die Autorin an jene Zeit und dringt tief in ihrem Bewusstsein zurück. In äußerst nüchternem Schreibstil, anders wäre es auch kaum erträglich, beschreibt sie die Demütigungen und Erniedrigungen die sie nach ihrem Entschluss, das Kind auf keinen Fall zu bekommen, erleiden musste. Sie nennt es in ihren Aufzeichnungen nur ‚das Ding‘ oder ‚es‘, das Wort ‚Schwangerschaft‘ vermeidet sie. Ein französisches Gesetz von 1920 verbietet sowohl den Abbruch, als auch den Verkauf empfängnisverhütender Mittel und ahndet Zuwiderhandlungen mit Geld- oder Gefängnisstrafe. Nach einem erfolglosen Versuch, ihre Schwangerschaft durch Einführen einer langen Stricknadel zu beenden, landet Annie bei einer ‚Engelmacherin‘. Zwei schmerzhafte ‚Behandlungen‘ sind nötig, bis der Abbruch gelingt. Sie verblutet beinahe und kommt in die Notaufnahme, wo sie mehr Demütigung als Hilfe erhält. Die bildhafte und bis ins kleinste Detail gehende Beschreibung erfordert starke Nerven vom Leser.

Fazit: Ein Buch das aufrüttelt und immer noch, zwanzig Jahre nach Erscheinen in Frankreich, aktuell ist. Ein Blick nach Polen oder nach Texas zeigt, dass immer noch versucht wird, den weiblichen Körper durch von Männern gemachte Paragraphen zu beherrschen.

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Veröffentlicht am 24.10.2024

Einer für alle, alle für einen

Wohnverwandtschaften
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Nachdem sich die 30jährige Zahnärztin Constanze von ihrem Lebensgefährten getrennt hat, sucht sie eine kleine bezahlbare Wohnung. Doch das ist in Hamburg nicht einfach. So zieht sie, nur vorübergehend ...

Nachdem sich die 30jährige Zahnärztin Constanze von ihrem Lebensgefährten getrennt hat, sucht sie eine kleine bezahlbare Wohnung. Doch das ist in Hamburg nicht einfach. So zieht sie, nur vorübergehend wie sie denkt, in ein freies Zimmer in einer WG. Die Wohnung gehört Jörg, dem sie nach dem Tod seiner Frau zu groß geworden ist. Er ist mit seinen 68 Jahren noch rüstig und plant mit seinem alten VW-Bulli eine Reise nach Georgen, die er mit den Mieteinnahmen bestreiten will. Ein Zimmer bewohnt Anke, eine in die Jahre gekommene Schauspielerin, bei der die Angebote ausbleiben und die deshalb finanzielle Probleme hat. Ein weiteres Zimmer bewohnt Murat, ein IT-Spezialist um die 50, ein fröhlicher Mensch und leidenschaftlicher Koch, der die Gemeinschaft gerne mit kulinarischen Mahlzeiten mit dem Gemüse aus seinem Kleingarten verwöhnt. Schnell fühlt sich Constanze wohl in der Gruppe und schließt Freundschaft mit ihren Mitbewohnern. Doch dann, nach einer harmlosen OP ist Jörg nicht mehr der Alte, er ist plötzlich vergesslich. Wird schon wieder, denken alle, doch sein Zustand wird schlimmer …

Isabel Bogdan, geb. 1968 in Köln, ist eine deutsche Schriftstellerin, Literaturübersetzerin und Bloggerin, die in Heidelberg und Tokio Anglistik und Japanologie studierte. Ihr erster Roman, „Der Pfau“, erschien 2016 und stand monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste, 2019 kam ihr zweiter Roman „Laufen“ auf den Markt – „Wohnverwandtschaften“ (2024) ist ihr dritter Roman. Die Autorin lebt heute in Hamburg-Borgfelde.

Der Schreibstil ist, wie immer bei Isabel Bogdan, etwas außergewöhnlich, jedoch sehr angenehm zu lesen. Passagen mit Dialogen, die an ein Kammerspiel erinnern, wechseln mit kurzen Abschnitten, in denen die WG-Mitglieder über ihre eigenen Gefühle und Empfindungen berichten. Dadurch lernt man als Leser die unterschiedlichen Charaktere sehr gut kennen und fühlt sich ihnen verbunden. Man kann sich mit ihnen freuen und lachen, bis sich die Stimmung allmählich ändert. Plötzlich leidet man mit Jörg, möchte ihm helfen, wenn es denn möglich wäre. Man fühlt selbstverständlich auch mit den drei Mitbewohnern, erlebt ihre Sorge um Jörg und empfindet ihre Angst vor der Zukunft. Die anfangs so heiter-fröhliche Geschichte entwickelt eine Tragik, in der wir erleben müssen, wie ein Mensch nach und nach das verliert, was sein Menschsein ausmacht …

Fazit: Ein faszinierendes Buch über vier liebenswerte Menschen, mit denen man sofort Freundschaft geschlossen hat und die man gerne noch eine Zeitlang weiter begleiten würde. Absolute Leseempfehlung!

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