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Veröffentlicht am 03.11.2024

Grusel nach klassischem Vorbild

Was die Toten bewegt (Eine packende und atmosphärische Nacherzählung von Edgar Allan Poes Klassiker "Der Untergang des Hauses Usher")
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Madeline Usher und ihr Bruder Roderick leben zurückgezogen auf dem geerbten Familienanwesen. Als Madeline krank wird sucht ihr Bruder Hilfe bei einem alten Freund aus Armeezeiten und Alex Easton zögert ...

Madeline Usher und ihr Bruder Roderick leben zurückgezogen auf dem geerbten Familienanwesen. Als Madeline krank wird sucht ihr Bruder Hilfe bei einem alten Freund aus Armeezeiten und Alex Easton zögert nicht lange und macht sich auf den Weg zu den Beiden. Bei seiner Ankunft findet er das Anwesen in einem desaströsen Zustand, seinen Freund zu tiefst bedrückt und dessen Schwester dem Tode näher als dem Leben. Easton versucht sein Bestes den Beiden das Leben etwas erträglicher zu machen, aber schon bald ergreift die merkwürdige Stimmung, die auf dem Anwesen liegt auch ihn und es geschehen mehr und mehr merkwürdige Dinge.

Der Untergang des Hauses Usher, der berühmte Klassiker von Edgar Allen Poe, dient der Autorin hier als Inspiration. Das Setting, rund um den unheilvollen See und das verfallene Anwesen, wird von ihr ebenso übernommen, wie die handelnden Figuren, wobei Alex Easton in ihrer Version die Aufgabe des Ich-Erzählers übernimmt. Im Original bleibt diese Figur namenlos, hier bekommt sie von der Autorin sogar noch eine interessante Hintergrundgeschichte spendiert, wohl auch um Seiten zu füllen und so aus der ursprünglichen Kurzgeschichte einen Roman zu machen. Im Nachwort erklärt die Autorin ihre Faszination für den Klassiker von Poe und wie sie immer eine Erklärung für die mysteriöse Nervenerkrankung der Schwester zu finden, etwas, das der Grund für ihre Verhaltensänderung und ihren rapiden körperlichen Verfall sein könnte. In ihrer Version nun konzentriert sie sich auf diesen möglichen Grund und hat eine sehr interessante Idee dazu entwickelt.Der Roman geht damit natürlich über die Ursprungsversion hinaus, in der die Hintergründe ganz der Fantasie des Lesers überlassen werden und auch das Ende der Geschichte weicht in der Interpretation der Autorin vom Original ab.

Das Buch bietet viele klassische Elemente eines Gruselromans, wie die bleiche Frauengestalt die Nachts durchs Haus wandert, oder auch das Kratzen an der Tür der verschlossenen Gruft. Neu sind die merkwürdigen Hasen, die die Autorin in großer Zahl rund um das Anwesen der Ushers auftauchen lässt und die sich nicht wie normale Hasen verhalten. Einen von ihnen erkennt der aufmerksame Leser auf dem Cover des Buches wieder, umgeben von Pilzen, die für die Geschichte eine wichtige Rolle spielen und letztlich auch die Erklärung für den Titel des Buches liefern. Den Gestaltern des Covers an dieser Stelle ein großes Lob, es ist optisch ein Hingucker und passt perfekt zum Inhalt des Buches, etwas, dass man heutzutage leider nicht immer so findet.

Die Autorin schafft eine schöne Verbindung von klassisch, schaurigen Gruselmomenten und Wissenschaft, wobei sie sich hier etwas über die bekannten Fakten hinaus ins Fiktive bewegt und ihrer Fantasie freien Lauf lässt. Ihre Erklärung für die mysteriösen Ereignisse sind durchaus vorstellbar und kamen in ähnlicher Form auch schon in anderen Werken des Genres zum Einsatz. Der Stil der Autorin gefällt mir, ist mir aber an manchen Stellen etwas einfach. Ihre Neuinterpretation eines klassischen Stoffs ist gut gelungen und passte super zu Halloween. Auf jeden Fall macht das Buch Lust auch das Original nochmal zu Lesen.

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Veröffentlicht am 27.10.2024

Märchenhafte Dystopie

Im Morgenlicht
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Sil ist mit ihrer Mutter auf der Flucht und kommt durch ein Wiederansiedlungsprogramm nach Island City, wo sie bei ihrer Tante Ena unterkommen. Ena ist Hausmeisterin im altehrwürdigen Hochhauskomplex Morgenlicht ...

Sil ist mit ihrer Mutter auf der Flucht und kommt durch ein Wiederansiedlungsprogramm nach Island City, wo sie bei ihrer Tante Ena unterkommen. Ena ist Hausmeisterin im altehrwürdigen Hochhauskomplex Morgenlicht und die erste Verwandte ihrer Mutter, die Sil in ihrem jungen Leben kennenlernt. Ena ist so ganz anders als Sils Mutter, die nie viel über die Familie, die Vergangenheit, oder auch die Flucht erzählt hat. Während Sils Mutter eher still und ängstlich darauf bedacht ist unter dem Radar zu bleiben und bloß nicht aufzufallen, ist Ena laut, bunt und teilt gern ihre Erinnerungen an die alte Heimat mit Sil, darunter auch die märchenhafte Geschichte der Vila und ihrer drei Söhne.

Die Welt in der Sil und ihre Mutter leben liegt in einer, zeitlich nicht näher benannten, dystopisch anmutenden Zukunft. Durch den Anstieg des Meeresspiegels sind viele Landstriche unbewohnbar, es herrscht Lebensmittelknappheit, in der Vergangenheit gab es kriegerische Auseinandersetzungen, durch die viele Menschen gezwungen waren zu fliehen. Island City wird als eine Art Sehnsuchtsort beschrieben, obwohl auch hier die Gebäude und Straßen schon im Meer versinken. Es gibt ein hochgelobtes Programm zur Wiederansiedlung, bei dem über Spendengelder Häuser, Schulen, Spielplätze gebaut werden um Flüchtlingen als neue Heimat zu dienen, mit dem sich auch die elitären Bewohner im Morgenlicht ein gutes Gewissen verschaffen.

Der Klappentext des Buches verspricht die Geschichte einer Mutter-Tochter Beziehung, allerdings bleibt diese doch eher im Hintergrund. Ja, da ist die Tochter Sil und da ist auch ihre Mutter, aber von Beziehung kann man bei den Beiden nur bedingt sprechen. Sils Mutter bleibt lange Zeit sehr im Hintergrund, wie es eben ihrem Wesen entspricht, sie ist mehr damit beschäftigt zu arbeiten, ist dadurch fast immer abwesend und Sil somit auf sich allein gestellt. Der Leser begleitet sie durch ihren Alltag im Morgenlicht und erlebt mit, wie sie sich immer mehr in einer mythologischen Welt Halt sucht, wie sie eine Legende wiederbelebt, die sie aus einer Erzählung ihrer Tante kennt. Bezugspunkt wird hierbei die im Penthouse lebende mysteriöse Malerin und Unterstützung bekommt sie durch ein anderes Mädchen, das kurz nach ihr mit ihrer Familie im Morgenlicht einzieht. Die Familie der neuen Freundin kommt ebenfalls aus der alten Heimat, Sil entdeckt viele Gemeinsamkeiten und vergisst die Ermahnungen ihrer Mutter, niemandem etwas über ihre Vergangenheit zu erzählen. Erst hier tritt Sils Mutter dann mehr in den Vordergrund und das Buch bekommt Bezüge zu realen Ereignissen.

Bei diesen realen Ereignissen handelt es sich wohl um den Konflikt auf dem Balkan, im ehemaligen Jugoslawien. Verschiedene Elemente des Buches weisen hierzu Parallelen auf, so haben viele Namen Bezüge zu dieser Region und auch die mythologische Erzählung über die Vila passt in diese Gegend. Der Krieg, die Vertreibung und Flucht tausender Menschen, die hier stattgefunden hat, wird ebenso thematisiert, wie begangene Kriegsverbrechen und leider auch, das viele der damaligen Täter ihrer gerechten Strafe entkommen sind und später unerkannt ein ganz normales Leben führten. An diesem Punkt wird das Buch sehr emotional, wird hier doch endlich einiges am Verhalten von Sils Mutter klarer. Leider wird hier aber auch der Schrecken des Krieges und all seine Gräueltaten deutlich, stellvertretend für so viele Kriege, für so viele namenlose Tote in unentdeckten Massengräbern, für so viele zerstörte Familien, für so viel Leid und Kummer.

Im Morgenlicht ist ein sehr spezielles Buch mit einer teils etwas gewöhnungsbedürftigen, aber so fesselnden Geschichte. Die Geschichte wird von der erwachsenen Sil als Rückblende erzählt. Die Autorin schafft mit ihrem bildhaften, melodiösen Stil eine ungewöhnliche Stimmung. Die Figuren erzeugen Nähe, bleiben dem Leser aber immer auch ein klein wenig fremd, oder eher distanziert. Die realen Hintergründe des Buches offenbaren sich eher subtil und nur dem Leser, der damit vertraut ist. Gerade jüngeren Lesern könnten sich diese Zusammenhänge nicht erschließen, was sehr schade währe. Hier hätte ein erklärendes Vor-, oder Nachwort dem Buch gutgetan. Das Ende des Buches weckt etwas Hoffnung, lässt aber auch viele Fragen offen.

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Veröffentlicht am 27.10.2024

Hintergründige Spannung

Der lange Schatten
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Imogen ist seit kurzem Witwe und muss sich nach dem Unfalltod ihres Mannes Ivor erst noch mit der neuen Situation zurechtfinden. Vermeintliche Hilfe bekommt sie dabei von ihrer Nachbarin, die ihr Witwenleben ...

Imogen ist seit kurzem Witwe und muss sich nach dem Unfalltod ihres Mannes Ivor erst noch mit der neuen Situation zurechtfinden. Vermeintliche Hilfe bekommt sie dabei von ihrer Nachbarin, die ihr Witwenleben seit vielen Jahren zelebriert und alles über das korrekte Verhalten als solche weiß. Auch Ivors Kinder fühlen sich verpflichtet Imogen beizustehen und die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage bieten hierfür den besten Grund. So kommt es dann auch, das sich ungefragt Ivors Tochter inklusive Ehemann und zwei Kindern bei Imogen einnistet, sein Sohn die Gelegenheit nutz um direkt auf unbestimmte Zeit einzuziehen, eine mysteriöse Freundin im Schlepptau und sogar Ivors Exfrau plötzlich vor der Tür steht um Imogen in ihrer Trauer um den Mann beizustehen, den sie schließlich Beide geliebt haben.

Der oben beschriebene Personenkreis bildet nun den Rahmen für dieses kriminalistische Kammerspiel, das mit seiner sehr tiefgründigen Spannung besticht. Es gibt kein offenkundiges Verbrechen, aber die Andeutung davon, befeuert durch Imogens ungewöhnliches Verhalten nachdem sie die Nachricht vom Unfall ihres Mannes bekommen hat. Da die Geschichte aus ihrer Sicht erzählt wird kann sich selbst der Leser ncht sicher sein, ob an den unterschwelligen Verdächtigungen etwas dran ist. Ich habe mehrmals während der Lektüre meine Meinung dazu geändert, obwohl ich letztlich mit meiner Vermutung im Groben recht hatte.

Die Figuren im Buch sind alle sehr spezielle Charaktere, gut gezeichnet, aber schwer zu durchschauen, was es nicht leichter macht hinter die Fassade zu blicken. Durch die Bank sind sie manipulativ, unsensibel und nur auf den eigenen Vorteil bedacht, Empathie ist für sie ein Fremdwort, sie sind allesamt unsympathisch. Selbst Imogen, die trauernde Witwe sammelt wenig Sympathiepunkte beim Leser. Klar gibt es kein Handbuch für das Verhalten im Trauerfall, anders als die gute Nachbarin suggeriert, aber Imogens Verhalten ist teilweise so wenig nachvollziehbar, dass es nervt. Wenn sie zb so gar keinen Protest erhebt, als die Verwandschaft ihr Haus entert und wie selbstverständlich alles an sich reißt, da will man sie einfach nur schütteln.

Die Story wird sehr subtil erzählt, hat sogar einige Gruselmomente, wenn etwa aus dem Nichts plötzlich ein Whiskeyglas an Ivors Lieblingssessel steht, oder seine Bücher aufgeschlagen auf dem Tisch liegen. Durch diese Elemente wirkt das Buch leicht wie ein Psychothriller, was die eigentliche Spannung in die sonst eher ruhige Geschichte bringt. Ich mochte dieses Hintergründige sehr gern, es hat für mich eine ganz besondere Athmosphäre erzeugt. Leider hadere ich etwas mit der Auflösung des Ganzen, sie kommt nicht total aus dem Nichts, ergibt rückblickend natürlich Sinn, ist aber vielleicht doch etwas kreativ.

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Veröffentlicht am 27.10.2024

Cold Case

Das Dickicht
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Die junge Charlotte wird entführt und der LKA Ermittler Juha Korhonen wird bei den Details direkt an einen Fall erinnert, an dem er vor zwanzig Jahren mitgearbeitet hat und der leider tragisch endete. ...

Die junge Charlotte wird entführt und der LKA Ermittler Juha Korhonen wird bei den Details direkt an einen Fall erinnert, an dem er vor zwanzig Jahren mitgearbeitet hat und der leider tragisch endete. Ein Fall, der besonders bei Juhas damaligem Kollegen Spuren hinterlassen hat und den Juha nun wieder aufrollen möchte. Der Täter wurde damals zwar durch Zufall ermittelt, aber trotzdem hat Juhas Kollege bis zu seinem Tod daran gearbeitet. Warum?

Das Dickicht bezeichnet hier nicht nur den Wald als Tatort, sondern beschreibt auch gut die undurchdringlichen Hintergründe, durch die die Ermittler sich in diesem, Jahre zurückliegenden Fall, kämpfen müssen. Ihre Arbeit besteht hauptsächlich in der Befragung der Zeugen, der Angehörigen und in der Überprüfung von unzähligen alten Hinweisen. Diese, eher ruhige und ziemlich dröge Arbeit und die daraus resultierende Stimmung wird gut beschrieben. Ermittler und Leser bekommen von Befragung zu Befragung immer wieder neue Varianten ein und derselben Geschichte zu hören und die Frustration, wenn wieder einmal eine Spur in einer vermeintlichen Sackgasse endet, ist deutlich spürbar. Unterbrochen wird das Geschehen durch Einblicke in das Privatleben der beiden Ermittler, das auch nicht unbedingt frei von Konfliktpotential ist. Während Juha gerade mit der Beziehung zu seiner Partnerin hadert und den Feierabend lieber in der Kneipe verbringt, sucht Kollege Lux beim abendlichen Joggen die Konfrontation mit Schlägertypen, um sich hier abzureagieren.

Die Figuren, die das Autoren - Duo hier einführt sind sehr speziell und nicht ganz das, was man im deutschen Krimi vielleicht gewöhnt ist. Ich mochte Beide, bin ich doch eh Fan von etwas spezielleren Typen und spätestens nach seinem filmreifen Stunt bei der Verfolgung eines Verdächtigen. hat Lux bei mir einen Stein im Brett. Ich weiß allerdings, dass das nicht alle Leser mögen. Leider bleiben die Figuren etwas flach und es wird nur bedingt klar, warum sie sind, wie sie sind. Sollte das Duo als Reihe angelegt sein, hoffe ich da auf mehr Informationen.

Die Story verläuft eher ruhig, ich würde sie stellenweise fast als stoisch bezeichnen, was dem Wesen einer der Hauptpersonen sehr entspricht. Unter der Oberfläche liegt aber eine permanente Spannung, bei dieser speziellen Person, ebenso wie bei der Geschichte. Die Auflösung habe ich, zugegebenermaßen, schon erahnt, allerdings im Detail etwas anders. Sie kam mir dann, wie leider sehr oft, etwas sehr mit dem Holzhammer, aber letztlich stimmig. Der Krimi hat mich gut unterhalten, er ist eher was für diejenigen, die es ruhiger, ohne viel Blutvergießen mögen und die an unaufgeregter Recherchearbeit Spaß haben.

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Veröffentlicht am 13.10.2024

Tatsachenroman

Kaltblütig
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Als Nancy Clutter an einem schönen Novembertag 1959 einem jungen Mädchen aus dem Ort zeigt, wie man einen Kirschkuchen backt, ahnt sie nicht, dass dies der letzte Tag in ihrem und im Leben ihrer Eltern ...

Als Nancy Clutter an einem schönen Novembertag 1959 einem jungen Mädchen aus dem Ort zeigt, wie man einen Kirschkuchen backt, ahnt sie nicht, dass dies der letzte Tag in ihrem und im Leben ihrer Eltern und ihres Bruders sein wird. Am nächsten Morgen ist die vierköpfige Familie tot, brutal und kaltblütig ermordet.

Mit diesem Buch hat Truman Capote einen Tatsachenroman geschaffen, der analytisch, klar, emotionslos und präzise einen der wohl berühmtesten Kriminalfälle in den USA aufarbeitet. Hierfür hat der Autor sich mit den Ermittlungsakten und Vernehmungsprotokollen beschäftigt und in unzähligen persönlichen Gesprächen mit den ermittelnden Beamten, Angehörigen, Nachbarn, aber auch den Tätern und deren Familien die Chronologie der Tat und das Wesen der Täter ergründet.

Das Buch ist in vier Teile gegliedert. Im Ersten wird der letzte Tag im Leben der Familie Clutter minutiös nacherzählt. Eine ungewöhnliche Herangehensweise, aber angesichts des Wissens des Lesers um das Schicksal der Familie unglaublich berührend. Im zweiten Teil spürt der Autor dann den Tätern nach, die der Leser ja bereits kennt, die sich der Strafverfolgung aber noch entziehen können. Man erfährt mehr über ihr bisheriges Leben und, wie sie die Zeit nach der Tat verbringen. Hier bekommt man als Leser bereits ein ziemlich gutes Bild der Beiden und die Frustration. Im dritten Teil dann werden die Ereignisse beschrieben, die zur Verhaftung führten und wie im Anschluss daran die ersten Verhöre durchgeführt wurden, während der vierte und letzte Teil sich dann mit der Verurteilung und der Zeit der Haft bis zur Hinrichtung beschäftigt.

Was das Buch beschreibt würde man heutzutage als True Crime bezeichnen, ein wahres Verbrechen und die tatsächlichen Ermittlungen zum Fall, inklusive realer Ermittler. Der Autor schafft es sehr gut die Stimmung wiederzugeben, die nach der Tat in der Bevölkerung herrscht, die Angst und auch das Mißtrauen. Die Frustration über die schleppenden Ermittlungen und deren Auswirkungen auf die Beamten und deren Familie wird genauso deutlich beschrieben, wie auch die Trauer der Hinterbliebenen, wobei man als Leser über manche Gepflogenheiten, die damals dem Zeitgeist entsprochen hat, heute nur den Kopf schütteln kann. So etwa, wenn eine andere Tochter der Familie nur wenige Tage nach dem Begräbnis heiratet, eben weil grad alle Familienmitglieder vor Ort sind, oder wenn das Inventar der Farm der Opfer genau einen Tag vor Beginn des Prozesses versteigert wird. Dinge, die uns heute unverständlich, damals aber vollkommen normal waren und so ein sehr authentisches Bild vermitteln. Und es sind eben auch die Tatsachen, genau so ist es eben gewesen. Capote verschweigt nichts, Beschnitt nichts und wertet nicht. Seine einzige Intention ist es eine chronologische Analyse dieses furchtbaren Verbrechens zu liefern. Man könnte dabei den Titel des Buches "Kaltblütig" auch ebenso auf ihn und nicht nur auf Tat und Täter anwenden, denn letztlich ist auch seine Herangehensweise nur mit kaltblütig zu beschreiben.

Truman Capote ist zweifellos ein Meister der Worte und natürlich kommt das hier auf jeder Seite zum Ausdruck, er schreibt allerdings sehr emotionslos, was aber nicht heißt, dass das Buch keine Emotionen weckt. Diese beim Leser zu erzeugen versteht der Autor auf unbeschreibliche und vielfältige Weise. Auch wenn man ja von der ersten Seite an weiß, was passiert, sind einem die Täter manchmal fast sympathisch, ständig fragt man sich was wohl anders gelaufen wäre, wenn der kleine Perry eben nicht so eine schwere Kindheit gehabt hätte, oder ob die Wesensänderung bei Dick tatsächlich auf seinen Unfall zurückzuführen ist, oder ob die Beiden eben einfach nur schon böse auf die Welt gekommen sind und keine elterliche Liebe und Fürsorge konnte daran etwas ändern. Auch die Tatsache, dass man den Fall als eine lange Reihe von unglücklichen Zufällen bezeichnen kann, täuscht letztlich nicht darüber hinweg, dass die Täter aus purer Geldgier brutal gemordet haben.

"Kaltblütig" ist zurecht ein Klassiker der Kriminalliteratur und sicher Vorbild für viele spätere Tatsachenromane. Capote hat damit sein schriftstellerisches Können eindrucksvoll unter Beweis gestellt, obwohl das Buch durchaus in Kontrast zu seinen anderen Werken steht. Im letzten Teil hat der Autor sich kurzzeitig etwas verloren. Wenn er tiefer auf das amerikanische Rechtssystem blickt fand ich das zwar interessant, aber für die Story an sich eher unerheblich. Was ich hieraus aber mitnehme ist die Aktualität zum Thema Todesstrafe als solche, gerade auch im Bezug auf die Opfer und in wie weit der Tod der Täter ihnen tatsächlich Seelenfrieden bringt und einen Abschluss bedeutet.

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