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Veröffentlicht am 06.01.2018

Trampen im 20. Jahrhundert

100.000 Kilometer auf 4 Kontinenten
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Barbara Noske, niederländische Anthropologin und Philosophin, ist ein radikales Buch über ihre bevorzugte Fortbewegungs- und Reiseart gelungen - dem Trampen. Noske schreibt nicht nur radikal, sondern lebt ...

Barbara Noske, niederländische Anthropologin und Philosophin, ist ein radikales Buch über ihre bevorzugte Fortbewegungs- und Reiseart gelungen - dem Trampen. Noske schreibt nicht nur radikal, sondern lebt auch so - ohne Führerschein, Auto und PC. Dabei lässt sie sich, die die Freiheit sucht, leider immer wieder zu Intoleranz und Vorurteilen gegenüber Autofahrern oder Andersreisenden hinreißen. Vermutlich gibt es weltweit nur eine Handvoll Frauen, die so reisen wie es die Autorin tut. Sie schläft in Straßengräben, schlägt ihr Zelt auf den Inseln eines riesigen Autobahnkreuzes auf, ernährt sich von Vitaminen und Eiweiß, trampt auf LKWs durch die Sahara, um nur einige Beispiele zu nennen. Dabei erscheint sie nie blauäugig, kann Menschen durch ihre jahrelange Erfahrung und feines Gespür extrem gut einschätzen und in kritischen Situationen so reagieren, dass es immer gut für sie ausgeht - bis auf das eine Mal...

Das Buch ist kein herkömmlicher Reisebericht und schon gar kein Reiseführer. Es erzählt die Erlebnisse einer Frau, die trampend durch vier Kontinente gereist ist und heute noch reist. Ihre Eindrücke werden durch Noskes anthropologisches Wissen bereichert, so dass ich viel Neues v.a. über Algerien und Australien erfahren habe.  Ich habe ihr jede einzelne Zeile abgenommen, war begeistert und bewundere sie, da ich nie so trampen würde und könnte. 

Leider ist die Übersetzung teilweise sehr unglücklich, dadurch  stolpert man immer wieder über Stellen, die sich nicht flüssig lesen lassen. Das Buch ist zwar in sieben Kapitel gegliedert, die aber lediglich wie folgt betitelt sind: Wege, Know how, Truck, Leib, Fremd, Oz und Leben. Diese sind für den Leser nicht aussagekräftig und innerhalb der einzelnen Kapitel findet wiederum keine echte Gliederung statt. Ebenso wenig sind die Kapitel aufeinander aufgebaut. Das hat zwar den Vorteil, das man sie unabhängig voneinander lesen kann, mir hätte jedoch ein chronologischer Aufbau oder auf Basis der einzelnen Länder besser gefallen.

Alles in allem ein sehr interessantes und lesenswertes Buch, dass mich auf jeder Seite begeisterte.

Veröffentlicht am 22.11.2017

12 Monate Sex und dann sterben

Das Jahr der Frauen
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Frank Stremmer, ein frustrierter, sexistischer und so gar nicht empathischer NGO-Mitarbeiter aus Genf geht mit seinem Psychotherapeuten Dr. Yves Niederegger passend zum Jahresanfang eine skurrile Wette ...

Frank Stremmer, ein frustrierter, sexistischer und so gar nicht empathischer NGO-Mitarbeiter aus Genf geht mit seinem Psychotherapeuten Dr. Yves Niederegger passend zum Jahresanfang eine skurrile Wette ein, sozusagen als guter Vorsatz: Er schläft jeden Monat, ein Jahr lang mit einer Frau und danach bringt er sich um. Soviel zum Auslöser der Geschichte, dabei ist Stremmer frauenfeindlich, nimmt Drogen, säuft, reist durch die Welt, von Schweden über Japan Mallorca bis nach Zentralafrika. Schnell wir der Protagonist extrem unsympathisch und der Leser muss aufpassen, dieses Gefühl nicht auf die Handlung an sich zu projizieren. Genau darin liegt die Schwierigkeit. Erschwerend kommen Stremmers Gedankensprünge hinzu, denen man konzentriert folgt, um dann mit einem "und so weiter und so fort" vor den Kopf gestoßen zu werden. Emails inkl. der Emailadressen und Betreffzeilen werden im Telegrammstil heruntergerattert. Sitzungen zwischen Stremmer und Niederegger werden eingestreut sowie immer detailliert beschriebene Bettgeschichten - das Ganze nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch und Französisch.

Christoph Höhtker analysiert so genau, erschafft Charaktere, die so skurril, dass sie schon wieder realistisch sind. Er ist gesellschaftskritisch und lässt die Handlung in einem furiosen und sehr überraschenden Ende gipfeln.

Erich Wittenberg liest grandios und erleichtert das recht anstrengende Zuhören.

Für mich handelt es sich bei "Das Jahr der Frauen" um einen Roman, der verwirrt und schockiert. Den man verstehen muss, damit er gefällt.

Veröffentlicht am 28.10.2017

Totenstille in Ostwestfalen-Lippe

Atemlose Stille
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Meike Messal ist mit Atemlose Stille ein spannender zweiter Band mit dem Ermittlerduo Marlene Borchert und Benno Erdmann zwischen Bielefeld und Minden gelungen.

Man muss den ersten Band Nachtfahrt ins ...

Meike Messal ist mit Atemlose Stille ein spannender zweiter Band mit dem Ermittlerduo Marlene Borchert und Benno Erdmann zwischen Bielefeld und Minden gelungen.

Man muss den ersten Band Nachtfahrt ins Grauen nicht gelesen haben, um den neuen Krimi zu verstehen.

Zur Handlung: Ralf Diekmann treibt tot in der Weser. Der Bankvorstand hat sich zwar ein paar Seitensprünge erlaubt, führte sonst aber ein ganz bürgerliches Leben. Jedoch ist er nicht in der Weser ertrunken, sondern in Salzwasser. Außerdem sucht Ron aus Australien mit dem Tagebuch seines Vaters unter dem Arm seine Schwester, die nach Deutschland floh und ihm das Leben rettete. Die Ermittler Marlene aus Minden und Benno aus Bielefeld kommen sich in diesem Band noch näher und es scheint, dass sich eine ernsthafte Beziehung zwischen den beiden entwickelt. Als dritter Handlungsstrang ermittelt Marlene in eigener Sache. Sie wuchs bei Pflegeeltern auf, da ihre Eltern bei einem Brand ums Leben kamen. Zufällig hat sie entdeckt, dass es sich bei diesem Brand um Brandstiftung handeln könnte und nicht wie seither angenommen, ein defektes Kabel dir Brandursache war. Der Krimi gipfelt in einem fulminanten Ende, was mir zwar etwas konstruiert erscheint, aber kein bisschen weniger spannend ist. Benno und Marlene begeben sich in Lebensgefahr, die Handlungsstränge finden zusammen und der Leser freut sich schon auf den Folgeband.
Messal schafft es, den Spannungsbogen von der ersten bis zur letzten Seite zu steigern und den Leser zu fesseln. Für Ortskundige hat der Krimi sicherlich noch einen besonderen Reiz, da dieser eine Straße oder Landstrich erkennt. Obwohl ich nichts ortskundig bin, hat mich Atemlose Stille gut unterhalten, ich habe das Buch nur ungern aus den Händen gelegt und das Ende hat mich sehr überrascht. Ich werde auch den dritten Band lesen.

Veröffentlicht am 17.10.2017

Szenen einer Ehe

Aux Champs-Élysées
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Mara Ferrs Thriller spielt im winterlichen Paris und wie der Titel schon verrät, in der Nähe der Champs-Elysées.

Claire lebt mit ihrem Mann Philippe in einer alten Pariser Wohngegend bei der Champs-Elysées. ...

Mara Ferrs Thriller spielt im winterlichen Paris und wie der Titel schon verrät, in der Nähe der Champs-Elysées.

Claire lebt mit ihrem Mann Philippe in einer alten Pariser Wohngegend bei der Champs-Elysées. Sie haben zwei Töchter groß gezogen, die mittlerweile an der Sorbonne studieren. Zur älteren Nachbarsdame Emilie pflegen sie ein familiäres Verhältnis, sie ersetzt den Kindern die Großmutter. Claire hat 25 Jahre die Affären ihres Mannes hingenommen, da nun aber aus einer Liebelei eine ernsthafte Beziehung zu entstehen scheint, Philippe sogar nochmal Vater wird und sein Auszug droht, schmiedet Claire einen perfiden Plan. Claires Rache scheint von langer Zeit geplant und durchdacht, im Laufe des Buches erkennt man allerdings die vielen Lücken und Eventualitäten, an die sie nicht gedacht hat. Zu viel möchte ich jedoch nicht verraten.


Ich habe den Thriller innerhalb kürzester Zeit gelesen und jede Seite hat mir große Freude gemacht. Sicherlich sollte der Leser nicht das komplette Geschehen auf die Goldwaage legen. Ferr hat den Thriller natürlich so konzipiert, dass er einen Sinn macht und dass es zu ihrem Konzept passt. Für mich geht das Konzept auf, der Spannungsbogen bleibt bis zum Schluss und auf den letzten Seiten wartet noch eine Überraschung auf den Leser.


Mir war das Ende etwas zu abrupt, dennoch, wer unblutige, flüssig geschrieben Thriller mag, der sollte Mara Ferrs Aux Champs Elysées lesen.

Veröffentlicht am 19.09.2017

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Die andere Hälfte der Hoffnung
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Der Roman spielt zwischen Tschernobyl und Düsseldorf, wird ganz leise aus verschiedenen Aspekten erzählt, handelt von harten Schicksalen und erst mit der Zeit erkennt der Leser die gesamte Katastrophe.

Walentyna, ...

Der Roman spielt zwischen Tschernobyl und Düsseldorf, wird ganz leise aus verschiedenen Aspekten erzählt, handelt von harten Schicksalen und erst mit der Zeit erkennt der Leser die gesamte Katastrophe.

Walentyna, die Mann und Sohn in Folge des Tschernobyl Unfalls verloren hat, schreibt Tagebuch und erzählt die Familiengeschichte von der Zwangsarbeit der Mutter im Dritten Reich, dem Mann, der viel zu früh verstarb, über den zweiten Mann, der zuviel trank und sie schlug. Sie schreibt dies alles für ihre Tochter Kateryna auf, die spurlos verschwunden zu sein scheint. Kateryna wurde mit ihrer Freundin Olena als Austauschstudentin nach Deutschland gelockt. Die Mädchen fielen allerdings auf Menschenhändler herein und wurden zur Prostitution gezwungen. Kateryna flüchtet, Olena bleibt, wird drogenabhängig und irgendwann von den Zuhältern grausam entsorgt. Kateryna landet nach ihrer Flucht, bei Lessmann, der seit dem Tod seiner Frau alleine auf seinem Hof lebt. Die junge Russin stellt seinen Alltagstrott auf den Kopf und ihn vor neue Aufgaben, u.a. soll er nach Katharinas Freundin suchen, die in einem Bordell in den Niederlanden anschaffen soll. Lessmann findet sie auch, informiert Katharina aber nicht darüber. Nicht nur er sucht nach den Mädchen, sondern auch Leonid, ein suspendierter Kriminalbeamter, versucht die Mädchen zu finden und geht davon aus, dass ein Mädchenhändlerring dahintersteckt, der bis in hohe Kreise Unterstützung findet.

Diese Handlungsstränge (Walentyna, Kateryna und Lessmann sowie Leonid) verdichten sich zu einem Gesamtbild, das div. aktuelle Themen anspricht. Nicht nur das, Borrmann verknüpft sehr geschickt die Vergangenheit mit der Gegenwart. Alle Handlungen der Protagonisten kann ich nicht nachvollziehen, muss ich aber auch nicht. Die Geschicht ist komplex, nicht immer einfach, auch nicht schön, dafür aber berührend, ganz ehrlich und sie wirkt nach dem Lesen nach.