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Veröffentlicht am 29.10.2024

Lärm im Kopf und quälende Gedanken

Wilderer
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Seit er den Hof übernommen hat kämpft der junge Bauer Jakob um dessen Überleben. Es geht ihm nicht aus dem Kopf, dass sein Vater einen großen Teil des Landbesitzes vergeudet hat und er jetzt ums Überleben ...

Seit er den Hof übernommen hat kämpft der junge Bauer Jakob um dessen Überleben. Es geht ihm nicht aus dem Kopf, dass sein Vater einen großen Teil des Landbesitzes vergeudet hat und er jetzt ums Überleben des Hofes kämpfen muss. Eigentlich ist er verbittert über alles, besonders über seine Geschwister Alexander und Luisa, sind schon lange weg sind und jetzt in der Stadt leben. Er ist geblieben, musste bleiben, und arbeitet nun schweigend und übellaunig vor sich hin. Seine Wünsche und geheimen Sehsüchte hat er bereits als Zwanzigjähriger aufgegeben. Überhaupt bringt ihn vieles aus der Fassung, sein Jähzorn nimmt besonders überhand, wenn der Hund wildern geht. Doch dann, ganz unverhofft, kommt das Glück auch zu ihm. Katja, eine junge Künstlerin, möchte für ein paar Wochen auf dem Hof als Praktikantin arbeiten. Sie erweist sich als unerwartet geschickt und hat Spaß an der Arbeit. Es wird mehr daraus, eine Beziehung entsteht. Dann stirbt Jakobs Großmutter, und plötzlich ist Geld vorhanden. Mit Katjas tatkräftiger Hilfe bringen sie den Hof bald wieder zur alten Größe. Sie heiraten und werden Eltern eines Sohnes. Doch in Jakob gärt immer noch sein unstetes Wesen. Sein Hass auf seine Schwester, sein gelegentlicher, nur schwer zu kontrollierender, Jähzorn und sein Misstrauen gegenüber Katja sind die schleichenden Anzeichen einer bevorstehenden Tragödie …

Reinhard Kaiser-Mühlecker, geb. 1982 in Kirchdorf a. d. Krems, ist ein österreichischer Schriftsteller. Er wuchs auf einem Bauernhof in Oberösterreich auf. Von 2003 bis 2007 studierte er Landwirtschaft, Geschichte und Internationale Entwicklung in Wien. Es folgten längere Auslandsaufenthalte in Argentinien, Bolivien, Deutschland und Schweden. Bisher schrieb er einige Romane, für die er mehrere Auszeichnungen erhielt. Für seinen 2022 erschienenen Roman „Wilderer“ wurde ihm im selben Jahr der Bayerische Buchpreis verliehen. Er führt heute noch die Landwirtschaft seinen Vorfahren.

Dass der Autor sich in der bäuerlichen Welt gut auskennt merkt man, wenn man seine Bücher liest. „Wilderer“, der vorliegende Roman, hebt sich dabei wohltuend vom Klischee üblicher Heimat- und Bauernromane ab. Realistische Schilderung der täglichen Arbeit in einem landwirtschaftlichen Betrieb, die anschauliche Darstellung der Personen und die nüchterne Beschreibung von Jakobs Psyche, sein unstetes Wesen, sein Jähzorn und seine Neigung zur Gewalt, machen diesen Roman so besonders. Es geschieht nicht sehr viel, das Geschehen plätschert eher so vor sich hin, doch das unterschwellige Gefühl einer Bedrohung, eines aufkommenden Unheils, das während des Lesens die ganze Zeit über zu spüren ist, zeugt vom Können des Autors. Das Beklemmende ohne es wirklich zu beschreiben fühlbar zu machen, das ist große Literatur.

Fazit: Die Geschichte eines jungen Bauern, der durch den der Druck der Verhältnisse und seiner angeborenen unruhigen Natur seinem Glück selbst im Wege steht. Sehr lesenswert!

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Veröffentlicht am 25.10.2024

Traumatisches Erleben

Das Ereignis
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Annie Ernaux, geb. 1940 in Lillebonne/Seine-Maritime, ist eine französische Schriftstellerin. Ihr literarisches Werk ist im Wesentlichen autobiografisch geprägt mit starkem soziologischem Bezug. 2022 wurde ...

Annie Ernaux, geb. 1940 in Lillebonne/Seine-Maritime, ist eine französische Schriftstellerin. Ihr literarisches Werk ist im Wesentlichen autobiografisch geprägt mit starkem soziologischem Bezug. 2022 wurde ihr der Nobelpreis für Literatur verliehen. (aus Wikipedia)

In ihrem Buch „Événement“ aus dem Jahre 2000 beschreibt Annie Ernaux ihre wohl größte seelische Erschütterung, die ungewollte Schwangerschaft und die illegale Abtreibung im Alter von 23 Jahren, während ihres Studiums 1963 in Rouen. 2021 wurde der autobiografische Roman verfilmt und errang im selben Jahr bei den 78. Internationalen Festspielen von Venedig den Hauptpreis des Festivals, den „Goldenen Löwen“. Nun, 2022, erscheint „Das Ereignis“ im Suhrkamp-Verlag endlich auch auf Deutsch.

Es sind diese traumatischen Erlebnisse, die die Autorin in beinahe jedem ihrer Werke anspricht – bis sie sich ihnen, im Jahr 2000, im Alter von 60 Jahren stellt. Auf Grundlage damaliger Tagebucheinträge und mit Hilfe ihres alten Kalenders erinnert sich die Autorin an jene Zeit und dringt tief in ihrem Bewusstsein zurück. In äußerst nüchternem Schreibstil, anders wäre es auch kaum erträglich, beschreibt sie die Demütigungen und Erniedrigungen die sie nach ihrem Entschluss, das Kind auf keinen Fall zu bekommen, erleiden musste. Sie nennt es in ihren Aufzeichnungen nur ‚das Ding‘ oder ‚es‘, das Wort ‚Schwangerschaft‘ vermeidet sie. Ein französisches Gesetz von 1920 verbietet sowohl den Abbruch, als auch den Verkauf empfängnisverhütender Mittel und ahndet Zuwiderhandlungen mit Geld- oder Gefängnisstrafe. Nach einem erfolglosen Versuch, ihre Schwangerschaft durch Einführen einer langen Stricknadel zu beenden, landet Annie bei einer ‚Engelmacherin‘. Zwei schmerzhafte ‚Behandlungen‘ sind nötig, bis der Abbruch gelingt. Sie verblutet beinahe und kommt in die Notaufnahme, wo sie mehr Demütigung als Hilfe erhält. Die bildhafte und bis ins kleinste Detail gehende Beschreibung erfordert starke Nerven vom Leser.

Fazit: Ein Buch das aufrüttelt und immer noch, zwanzig Jahre nach Erscheinen in Frankreich, aktuell ist. Ein Blick nach Polen oder nach Texas zeigt, dass immer noch versucht wird, den weiblichen Körper durch von Männern gemachte Paragraphen zu beherrschen.

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Veröffentlicht am 24.10.2024

Einer für alle, alle für einen

Wohnverwandtschaften
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Nachdem sich die 30jährige Zahnärztin Constanze von ihrem Lebensgefährten getrennt hat, sucht sie eine kleine bezahlbare Wohnung. Doch das ist in Hamburg nicht einfach. So zieht sie, nur vorübergehend ...

Nachdem sich die 30jährige Zahnärztin Constanze von ihrem Lebensgefährten getrennt hat, sucht sie eine kleine bezahlbare Wohnung. Doch das ist in Hamburg nicht einfach. So zieht sie, nur vorübergehend wie sie denkt, in ein freies Zimmer in einer WG. Die Wohnung gehört Jörg, dem sie nach dem Tod seiner Frau zu groß geworden ist. Er ist mit seinen 68 Jahren noch rüstig und plant mit seinem alten VW-Bulli eine Reise nach Georgen, die er mit den Mieteinnahmen bestreiten will. Ein Zimmer bewohnt Anke, eine in die Jahre gekommene Schauspielerin, bei der die Angebote ausbleiben und die deshalb finanzielle Probleme hat. Ein weiteres Zimmer bewohnt Murat, ein IT-Spezialist um die 50, ein fröhlicher Mensch und leidenschaftlicher Koch, der die Gemeinschaft gerne mit kulinarischen Mahlzeiten mit dem Gemüse aus seinem Kleingarten verwöhnt. Schnell fühlt sich Constanze wohl in der Gruppe und schließt Freundschaft mit ihren Mitbewohnern. Doch dann, nach einer harmlosen OP ist Jörg nicht mehr der Alte, er ist plötzlich vergesslich. Wird schon wieder, denken alle, doch sein Zustand wird schlimmer …

Isabel Bogdan, geb. 1968 in Köln, ist eine deutsche Schriftstellerin, Literaturübersetzerin und Bloggerin, die in Heidelberg und Tokio Anglistik und Japanologie studierte. Ihr erster Roman, „Der Pfau“, erschien 2016 und stand monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste, 2019 kam ihr zweiter Roman „Laufen“ auf den Markt – „Wohnverwandtschaften“ (2024) ist ihr dritter Roman. Die Autorin lebt heute in Hamburg-Borgfelde.

Der Schreibstil ist, wie immer bei Isabel Bogdan, etwas außergewöhnlich, jedoch sehr angenehm zu lesen. Passagen mit Dialogen, die an ein Kammerspiel erinnern, wechseln mit kurzen Abschnitten, in denen die WG-Mitglieder über ihre eigenen Gefühle und Empfindungen berichten. Dadurch lernt man als Leser die unterschiedlichen Charaktere sehr gut kennen und fühlt sich ihnen verbunden. Man kann sich mit ihnen freuen und lachen, bis sich die Stimmung allmählich ändert. Plötzlich leidet man mit Jörg, möchte ihm helfen, wenn es denn möglich wäre. Man fühlt selbstverständlich auch mit den drei Mitbewohnern, erlebt ihre Sorge um Jörg und empfindet ihre Angst vor der Zukunft. Die anfangs so heiter-fröhliche Geschichte entwickelt eine Tragik, in der wir erleben müssen, wie ein Mensch nach und nach das verliert, was sein Menschsein ausmacht …

Fazit: Ein faszinierendes Buch über vier liebenswerte Menschen, mit denen man sofort Freundschaft geschlossen hat und die man gerne noch eine Zeitlang weiter begleiten würde. Absolute Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 13.10.2024

Flüchtlingsschicksal

Im Meer schwimmen Krokodile
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Es ist die beinahe unglaubliche Fluchtgeschichte des anfangs 9jährigen afghanischen Jungen Enaiat, der nach einer acht Jahre dauernden dramatischen Irrfahrt nun endlich in Italien eine neue Heimat gefunden ...

Es ist die beinahe unglaubliche Fluchtgeschichte des anfangs 9jährigen afghanischen Jungen Enaiat, der nach einer acht Jahre dauernden dramatischen Irrfahrt nun endlich in Italien eine neue Heimat gefunden hat. Es war die Hoffnung auf ein besseres Leben, auf eine Zukunft ohne Krieg, die seine Mutter veranlasste, ihn heimlich von Afghanistan nach Pakistan zu schmuggeln. Auf seinen weiteren Weg gab sie ihm drei Gebote mit: nie Drogen zu nehmen, nie Waffen zu benutzen und nicht zu stehlen. Vollkommen auf sich allein gestellt, sucht sich der Junge zunächst eine Unterkunft und Arbeit, um seine weitere Flucht in den Iran finanzieren zu können. Es gelingt ihm in den Iran zu kommen, von dort in die Türkei und über Griechenland dann nach Italien. Dass ihm dies letztendlich gelang ist außer großem Glück auch seinem Fleiß und seiner Zähigkeit zu verdanken. Zwischen den einzelnen Stationen liegen oft mehrere Jahre, in denen er arbeitete, Schmuggler bezahlte, über schneebedeckte Berge wanderte, eingepfercht im Lastwagen weiterfuhr und im Schlauchboot übers Meer ruderte. Er erlebte Brutalität und Rücksichtslosigkeit, war dem Tod oft näher als dem Leben – erfuhr aber auch Hilfsbereitschaft, menschliche Wärme und Freundschaft.

Das Buch ist mehr als die reine Erzählung eines Flüchtlingsschicksals, es zeigt einfühlsam, warum Menschen solche Strapazen auf sich nehmen. Es ist auch eine versteckte Anklage gegen korrupte Polizei und Ordnungshüter und prangert die Tätigkeit der Schmuggler an, die aus dem Elend der Menschen ein Geschäft machen und Unternehmer, die ihre Großbaustellen mit billigen „Illegalen“ betreiben. Es sind abenteuerliche Begegnungen und oft sehr gefährliche Erlebnisse die dem Jungen bis zu seinem Happy End in Italien widerfahren sind. Dass das nicht allen Flüchtlingen gelingt, viele werden inhaftiert, kommen in Lager oder sterben, auch davon erzählt dieses Buch.

Fazit: Ein einfühlsam geschriebenes Buch über die abenteuerliche Flucht eines jungen Afghanen nach Italien. Es rüttelt auf und stimmt nachdenklich, denn es ist heute aktueller denn je.

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Veröffentlicht am 02.10.2024

Das Meer, Quell des Lebens

Das große Spiel
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Makatea, eine winzige Koralleninsel in den Weiten des Pazifik, wurde schon früher von den Menschen ausgebeutet und dann vergessen. Ausgerechnet hier plant der Playground-Konzern den ersten Abschnitt von ...

Makatea, eine winzige Koralleninsel in den Weiten des Pazifik, wurde schon früher von den Menschen ausgebeutet und dann vergessen. Ausgerechnet hier plant der Playground-Konzern den ersten Abschnitt von Seasteading, einer neu entwickelten Wohn- und Lebensform, zu errichten. Vier Menschen treffen nun dort zusammen, deren Leben eng mit der Zukunft unseres Planeten verbunden ist: Evelyne Beaulieu, eine Ozeanologin die taucht und von den Riesenmantas fasziniert ist, Ina Ariota, eine Künstlerin, die aus am Strand angeschwemmtem Plastikmüll ihre Skulpturen entwirft, Rafi Young, der vernarrt ist in Bücher und schon früh von seinem schwarzen Vater auf Ehrgeiz programmiert wurde und sein ehemaliger Schulfreund Todd Keane, der mit einem Computer-Programm das große Geld gemacht hat …

Richard Powers, geb. 1957 in Evanston/Illinois, ist einer der bedeutendsten US-amerikanischen Schriftsteller der Gegenwart. Er ist bekannt dafür, in seinen Werken komplexe naturwissenschaftliche und philosophische Themen zu verarbeiten. Seit 1985 schrieb er zahlreiche Romane, für die er u. A. den ‚National Book Award for Fiction‘ und den ‚Pulitzer Prize for Fiction‘ erhielt. Heute lebt Powers in den Great Smoky Mountains der Appalachen.

Es sind, wie in all seinen Büchern, die großen aktuellen Themen unserer Zeit die der Autor in diesem bemerkenswerten Buch behandelt. Neben der Verschmutzung der Weltmeere sind es der Klimawandel, Social Media und die Künstliche Intelligenz, die uns Powers in seinem unnachahmlichen, präzisen und schnörkellosen Schreibstil nahebringt. Er ist in der Lage, dem Leser auch die kompliziertesten ökologischen Themen und technischen Abläufe verständlich zu beschreiben. Wir erleben das Geschehen aus unterschiedlichen Perspektiven und in verschiedenen Zeiten. Einen großen Teil der Geschichte lässt er Todd Keane, einen der Hauptakteure, in Form eines Lebensberichtes selbst erzählen, so dass wir unmittelbar dabei sind und in seine Gefühlswelt eintauchen können. Die Handlung ist äußerst komplex und vielschichtig – gegen Ende des Buches verwischen sich gar die Grenzen zwischen Realität und Fiktion.

Fazit: Ein Buch das aufrüttelt, mahnt und zum Nachdenken anregt. Unbedingt lesen !!!

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