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Veröffentlicht am 27.11.2024

Erstaunliche Fakten der Nachkriegszeit

Ritchie Girl
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Die Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg: Deutschland liegt in Trümmern. Die US-Amerikaner bereiten die Nürnberger Prozesse vor.

Paula Bloom, ausgebildet in Camp Ritchie (Ausbildungslager der US ...

Die Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg: Deutschland liegt in Trümmern. Die US-Amerikaner bereiten die Nürnberger Prozesse vor.

Paula Bloom, ausgebildet in Camp Ritchie (Ausbildungslager der US Army in Maryland), hatte ihre Jugend in Berlin verbracht. Im Frühjahr 1945 landet sie mit einem Militärschiff in Genua und wird nach Frankfurt entsandt. Dort haben die Amerikaner "Sieben" inhaftiert, den Mann, der als größter Spion der Deutschen galt und seine Informationen angeblich direkt aus dem Kreml erhalten hatte. Paula soll herausfinden, ob Johann Kupfer wirklich "Sieben" ist. Ansonsten droht ihm die Auslieferung an die Russen. Paula verfolgt aber auch eigene Ziele und nutzt ihre Kontakte, um nach ihrer großen Liebe, Georg Melzer, zu suchen. Hilfreich ist Sam, ihr alter Freund aus Camp Ritchie.

Vor diesem privaten Schicksal fächert Andreas Pflüger die Zeit bis Oktober 1946 auf, als die Urteile von Nürnberg vollstreckt werden. In unglaublicher Detailfülle werden die Verstrickungen vor, während und nach dem Krieg aufgezeigt: Private und staatliche Interessen mit Blick auf wirtschaftliche und militärische Vorteile, von denen man meint, sie gehörten dem fiktiven Teil in diesem Roman an - weit gefehlt! Neben diesen Fakten ist die Einbindung von - zu diesen Zeitpunkt häufig noch unbekannten - Personen großartig gelungen, die nur kurz erwähnt werden oder in der Handlung auftauchen, von denen wir aber wissen, was einmal aus ihnen werden wird. Hier ein paar Namen: Graham Green, Stan Lee, Richard von Weizsäcker, Richard Nixon, Zuckmayer, Hans Moser, Willy Brandt, Peter Ustinov, Martha Gellhorn, Oskar Schindler. An anderer Stelle wird der Titel "Invasion der Körperfresser" geboren. Es ist schon doll, was da alles zusammenkommt. Darüberhinaus ist die Sprache teils sehr sarkastische und ironisch, auch das ist sehr gelungen. Allerdings sind die politischen bzw. militärischen Beziehungen manchmal doch unübersichtlich und die Spannung bleibt etwas auf der Strecke, daher habe ich für das Buch auch recht lange gebraucht. Empfehlen kann ich es dennoch auf jeden Fall. Die Kapitel sind zudem recht kurz und mit (häufig peppig) passenden Überschriften versehen. Ein Stück Geschichte, das einen oft einfach nur mit dem Kopf schütteln lässt, angesichts der Dinge, die nach 1945 passiert sind.

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Veröffentlicht am 29.10.2024

Festtafel der Fantasie

Ein Engel an meiner Tafel
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Als 1990 die Verfilmung von Janet Frames (1924-2004) Autobiografie in die Kinos kam, ist kaum jemand daran vorbeigekommen und die neuseeländische Autorin wurde schlagartig weltweit bekannt. Jane Campions ...

Als 1990 die Verfilmung von Janet Frames (1924-2004) Autobiografie in die Kinos kam, ist kaum jemand daran vorbeigekommen und die neuseeländische Autorin wurde schlagartig weltweit bekannt. Jane Campions wunderschöne Verfilmung bezieht sich aber nicht nur auf diesen mittleren Teil der dreibändigen Autobiografie, sondern deckt das ganze Leben Frames ab.

Janet wächst in sehr bescheidenen Verhältnissen auf und ihre Kindheit ist geprägt vom Tod zweier Schwestern und dem kranken Bruder. Janet selbst ist extrem, ja nahezu krankhaft schüchtern und zurückhaltend. Selbst ein Essen in der Mensa der Uni ist für sie eine Herausforderung. Sie flüchtet sich in die Literatur, will Lehrerin werden, kann aber die Prüfung nicht ablegen. Durch Gelegenheitsjobs versucht sie sich über Wasser zu halten und nebenbei zu schreiben. Ihre ungewöhnliche Persönlichkeit und Andersartigkeit lassen sie schließlich über Jahre immer wieder in der Psychiatrie verschwinden. Kurz vor einer geplanten wesensverändernden Lobotomie gewinnt sie einen Literaturpreis, der sie vor diesem Eingriff rettet. In der Gartenhütte des Schriftstellers Frank Sargeson kommt sie schließlich zur Ruhe und schreibt ihren ersten Roman.

In diesem Teil ihrer Autobiografie werden die Jahre 1945 bis 1956 nachgezeichnet. Frame schreibt sehr poetisch und bildlich. Es gibt Absätze und Zeilensprünge im Fließtext, die einzelne Abschnitt ganz nahe an Lyrik heranbringen. Sie gewährt uns Einblicke in ihre verwickelte und besorgte Gedankenwelt, die sie in einer ganz eigenen Sprache zur Papier bringt. Sicherlich kein Text, den man so runterlesen kann, sondern man entdeckt immer wieder Sätze und Aussagen, die uns zum Nachdenken innehalten lassen. Ein faszinierender Text und eine sehr traurige Lebensgeschichte, die am Ende voller Hoffnung ist und mit dem Aufbruch zu einer Reise nach Europa endet.

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Veröffentlicht am 29.10.2024

The Hate U give

The Hate U Give
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Eine komplizierte Welt, in der die sechzehnjährige Starr zuhause ist. Mit ihrer Familie lebt sie in einer überwiegend Schwarzen Hood, in der die Gangs das Sagen haben. Ihr Vater, früher selbst ein wichtiges ...

Eine komplizierte Welt, in der die sechzehnjährige Starr zuhause ist. Mit ihrer Familie lebt sie in einer überwiegend Schwarzen Hood, in der die Gangs das Sagen haben. Ihr Vater, früher selbst ein wichtiges Gangmitglied, betreibt nach einem Gefängnisaufenthalt einen kleinen Lebensmittelladen. Starrs Mutter ist Krankenschwester. Wegen der besseren Schulbildung besuchen Starr und ihr Bruder eine entfernte Schule in einem "sicheren" weißen Viertel. In der Schule weiß kaum jemand, wie es im Wohnviertel von Starr aussieht und zugeht. Die Welten beginnen erst von einander Kenntnis zu nehmen, als Starr mit einem Freund in eine Polizeikontrolle gerät. Bereits mit zwölf Jahren wurde Starr eingetrichtert, was in so einem Fall zu tun ist: Mach alles was sie sagen. Halte die Hände so, dass man sie sieht, mach keine plötzlichen Bewegungen und rede nur, wenn du gefragt wirst. (S. 29) Während der Kontrolle wird Starrs Schwarzer Jugendfreund von einem weißen Polizisten erschossen. Der Junge hat mit Drogen gedealt und wird von der weißen Öffentlichkeit sofort in eine Schublade gesteckt. Starr kennt ihn jedoch seit ihrer frühestens Kindheit und weiß, dass er trotz allem ein guter Mensch war. Aber sie schweigt.

Der Roman beschreibt sehr eindringlich die Zerrissenheit von Starr, die in ihrer Schule Teile von sich verleugnen muss. Gleichzeitig aber auch, was in ihrem Viertel schief läuft und warum. Weshalb gibt es so viel Kriminalität? Warum dealen junge Leute mit Drogen? Der Todesfall zwingt sie, laut zu werden und sich nicht länger zu verstecken. Es kommt zu Konflikten unter Freunden, in der Familie und schließlich gibt es gewalttätige Unruhen im Viertel. Mittendrin Starr, die sich gegen Rassismus im kleinen und großen zur Wehr setzt. Man erfährt, was Thug Life bedeutet, ein gegen Schwarze gerichtetes System, das sich auch im Titel widerspiegelt. Über allem schweben zeitgleich die Ermittlungen. Wird es zu einem Verfahren gegen den Polizisten kommen?

Verdient mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2018 ausgezeichnet.

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Veröffentlicht am 29.10.2024

Die alte Müllgrube

Wenn Eulen schrein
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Als die neuseeländische Autorin Janet Frame ihren ersten Roman (1955/56) schrieb, war sie gerade aus einer Nervenheilanstalt entlassen worden. Sie kam in der spartanischen Gartenhütten von Frank Sargeson, ...

Als die neuseeländische Autorin Janet Frame ihren ersten Roman (1955/56) schrieb, war sie gerade aus einer Nervenheilanstalt entlassen worden. Sie kam in der spartanischen Gartenhütten von Frank Sargeson, einem befreundeten Schriftsteller, zur Ruhe und ließ viele Aspekte ihres bisherigen Lebens in den Roman einfließen. Sie erzählt die Geschichte der Familie Withers und ihrer vier Kinder. Die älteste Tochter stirbt, der Sohn leidet an Epilepsie, die jüngere Schwester gründet im Norden eine Familie, Daphne, das mittlere Mädchen, kommt in eine Heilanstalt.

Geschickt verwebt die Autorin Fakten, ohne dass sie einen autobiographischen Anspruch erhebt. Die Überschneidungen sind jedoch unverkennbar. Der erste Teil des Romans beschreibt die Kindheit, als alle Withers noch beisammen sind und das erklärte Ziel der Geschwister die nahegelegene Müllhalde ist, bis es dort zu einem folgenschweren Unfall kommt. Der zweite Teil spielt 20 Jahre später und wird in drei Abschnitten jeweils aus der Sicht eines der Kinder erzählt. So kann die Autorin jede Figur von Innen heraus beschreiben, das macht sie jedesmal auf ganz individuelle Weise. Insgesamt ist - wie auch schon in ihrer Autobiografie - der Sprachstil geprägt von poetischen und bildhaften Elementen. Eine sehr ausdrucksstarke und kraftvoller Sprache.

Der Roman hat mir gut gefallen, liest sich aber nicht so nebenbei. Ich denke, wenn man die Autobiografie kennt, kann man vieles besser einordnen und nachvollziehen. Mir hat es sehr geholfen und das Leseerlebnis sicherlich bereichert.

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Veröffentlicht am 27.09.2024

Augenblicke des Lebens

Ein ganzes Leben
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Andreas Egger ist etwa vier Jahre alt, als er zu seinem strengen Onkel in ein Alpental kommt. Seine Kindheit ist geprägt von Prügelstrafe und harter Arbeit. Aber Andreas ist irgendwann zu groß und zu kräftig ...

Andreas Egger ist etwa vier Jahre alt, als er zu seinem strengen Onkel in ein Alpental kommt. Seine Kindheit ist geprägt von Prügelstrafe und harter Arbeit. Aber Andreas ist irgendwann zu groß und zu kräftig für die Rute, der er ein lebenslanges Hinken verdankt. Er verdingt sich als Knecht und pachtet ein kleines Stückchen Land auf dem Berg mit einer winzigen Hütte darauf. Als eine Firma beginnt, die erste Seilbahn im Tal zu bauen, findet er dort eine bessere Arbeit und er lernt Marie kennen, die ihn von Anfang an verzaubert. Aber das Glück verbleibt immer nur für einen Augenblick bei Andreas.

Parallel zur Geschichte von Andreas werden der geschichtliche Hintergrund und der technische Fortschritt aufgezeigt. Krieg, Tourismus und seine Folgen spielen eine nicht unwesentliche Rolle.

Ich habe das Buch gerne gelesen, weil ich die Sprache von Robert Seethaler sehr mag. Die Geschichte ist schön erzählt, man ist ganz dicht bei Andreas, auch wenn sich sein ganzes Leben auf weniger als 200 Seiten abspielt. An manchen Stellen hätte ich mir ein dichteres Erzählen gewünscht, um noch mehr zu erfahren. Andererseits passt es auch wieder, denn das Leben ist letztlich ebenso schnell vorbei, wie das Buch. Als Andreas auf sein Leben zurückblickt, ist er zufrieden: "Doch auf die Zeit dazwischen, auf sein Leben, konnte er ohne Bedauern zurückblicken, mit einem abgerissenen Lachen und einem einzigen, großen Staunen." (S. 176)

Die Geschichte hat für mich eine Sogwirkung gehabt, allerdings finde ich sie durchweg traurig. Sie berührt sehr, aber ich habe mich gefragt, was am Ende bleibt ... Als Seelenwärmer etc. habe ich das Buch nicht empfunden. Und doch zeigt Andreas, dass man trotz aller Schicksalsschläge ein zufriedenes Leben führen kann.

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