Elze - mutig und tapfer
Am Fluss der ZeitenZum ersten mal lese ich einen Roman von Ulrike Renk und ich bin restlos begeistert. Auf mehr als 500 Seiten entfaltet sich eine hervorragende und auch spannende Zeitreise in die Jahre 1551 bis 1553. Geschildert ...
Zum ersten mal lese ich einen Roman von Ulrike Renk und ich bin restlos begeistert. Auf mehr als 500 Seiten entfaltet sich eine hervorragende und auch spannende Zeitreise in die Jahre 1551 bis 1553. Geschildert wird das Leben, Arbeiten und der Alltag auf einem Bauernhof in der Nähe von Münster. Im Mittelpunkt des Romangeschehens steht Elze, die älteste Tochter, die gemeinsam mit ihren Eltern, den drei älteren Brüdern, ihrer jüngeren Schwester, einer Schwester ihres Vaters sowie der Ehefrau einer ihrer Brüder nicht nur die Arbeit im Haushalt verrichtet, sondern auch zu landwirtschaftlichen Arbeiten ihren Beitrag leistet. Ein warmherziges und harmonisches Familienleben zeichnet die Bewohner des Kalmule-Hofes auf, wobei der Tante gegenüber, die während der Zeit der Wiedertäufer in Münster arbeiten musste und noch immer unter den damaligen Erlebnissen leidet, sehr viel Verständnis auf Grund ihres teilweise merkwürdigen Verhaltens entgegengebracht wird.
Mit sehr großem Verständnis für den damaligen Alltag versteht es die Autorin bis in Kleinigkeiten ein stimmiges und auch intensives Bild der damaligen Zeit, der Arbeits- und Lebensbedingungen, vor allem aber auch das tiefe Abhängigkeitsverhältnis als s.g. Eigenbehörigen gegenüber den jeweiligen Grundherren. So war z.B. eine Heirat nur bei Zugehörigkeit zum gleichen Grundherrn möglich oder man konnte jederzeit zu einem mindestens einjährigen Gesindedienst herangezogen werden. Und genau dieses Schicksal ereilt Elze, die zu einem solchen Dienst in Münster verpflichtet wird. Dass dies gerade im Hinblick auf den gleichen Dienst ihrer Tante vor vielen Jahren ebenfalls in Münster bei allen Familienmitgliedern große Sorgen hervorruft, ist offensichtlich. Doch es besteht keine Möglichkeit, sich diesem Dienst zu entziehen. Dass diese Dienstpflicht ungeahnte Entwicklungen nach sich ziehen würden, wird im weiteren Verlauf teilweise sehr drastisch und doch auch sehr einfühlsam beschrieben.
Die Romanhandlung beginnt zwar einige Jahre nach Beendigung des s.g. Täuferreichs, doch findet diese Zeit mit all ihren Strömungen und Entwicklungen eine gut integrierte Berücksichtigung. Verschiedene Charaktere klären letztendlich Elze über das auf, was sich ereignet hat, was sie erlebt haben, sodass sich ein sehr gut recherchiertes, vor allem aber hervorragend dargestelltes Gesamtbild ergibt, wozu auch ein sehr verständlicher Schreibstil einen nicht unwesentlichen Beitrag leistet.
Für mich ein wunderbarer Roman, der in eine Welt entführt, in dem gerade die Thematik der Eigenbehörigkeit mit all ihren Konsequenzen im alltäglichen Leben lebensnah geschildert wird. Und was mir auch sehr gut gefallen hat, waren die leichten kritischen Anmerkungen vor allem von Elze und ihrem Bruder Claes, die in einigen Gesprächen die persönliche Lebenssituation bzw. die mangelnden Freiheiten sehr anschaulich darstellten.
Abschließend sei noch erwähnt, dass es sich um ein sehr wertiges Buch handelt. Mit Schutzumschlag in einer ansprechenden Haptik und zudem mit einem Lesebändchen versehen. Zudem ist ein Personenregister vorhanden und einige persönliche Anmerkungen zum Entstehen des Romans, vor allem aber auch sehr interessanten weiteren Hinweisen zum Täuferreich.
Ein gelungener Auftakt einer Trilogie, auf deren Fortsetzung ich schon sehr gespannt bin und die ich mir auf keinen Fall entgehen lassen werde.