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Veröffentlicht am 31.10.2024

Ihr seid Millionäre. Wir sind Millionen.

Parts Per Million
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„Parts Per Million“, der neue Roman von Theresa Hannig, erschienen 2024 bei TOR/S. Fischer, beschäftigt sich mit einem brennenden Thema, der (notwendigen?) Radikalisierung der Klimabewegung, die seit Jahren ...

„Parts Per Million“, der neue Roman von Theresa Hannig, erschienen 2024 bei TOR/S. Fischer, beschäftigt sich mit einem brennenden Thema, der (notwendigen?) Radikalisierung der Klimabewegung, die seit Jahren auf der Stelle tritt, weil Lobby und Politik ihrer Stimme nicht zuhören.

Im Zentrum des Romans steht Johanna, eine Autorin auf der Suche nach einem neuen Stoff, die auf die Klimabewegung aufmerksam wird und im Rahmen ihrer Recherche von der Beobachterin zur Mitstreiterin wird, die am Ende entscheidend für die Radikalisierung der Bewegung ist und miterleben muss, wie sie selbst sich immer weiter verändert – und die Bewegung mit ihr bis zur Eskalation.

Hannig hat eine enorme Recherchearbeit geleistet und bereitet die gefundenen Informationen meist sinnvoll auf – gerade im ersten Teil noch etwas trocken, später besser in die Handlung integriert. Ihre Nahe-Zukunft-Prognose ist erschreckend realistisch und brutal – hier muss sich niemand vormachen, dass es sich um Fiktion handelt. Über jedem Kapitel finden sich reale Klimameldungen unserer Zeit und auch die politische Entwicklung in Deutschland ist leider nur konsequent gedacht. Und auch die Protestbewegung stellt Hannig wirklich gut dar. Hier könnte also ein Knallerroman entstanden sein – wäre da nicht die Hauptfigur Johanna und ihre Entwicklung, die ich leider von vorn bis hinten unglaubwürdig fand. Innerhalb von kürzester Zeit durchläuft sich eine Blitzentwicklung von der das Klimathema weitestgehend ignorierenden Person zum Kopf der Aktivist:innenszene, die sich radikalisiert und zur Klimaterroristin wird. Dabei verhält sie sich immer wieder maximal pubertär und entwickelt am Ende auch noch einen Kink auf Gewalt – ich persönlich konnte diese Figur leider zu keinem Zeitpunkt ernst nehmen, ebenso wie ich auch mit so einigen Zufällen in dem Roman oder wirklich aberwitzigen Konstruktionen (klauen wir doch mal eben drei scharfe Fliegerbomben aus dem Rhein) überhaupt nicht mitgehen konnte. Schade auf, dass viele anentwickelte Themen sich im Nichts verlieren, die Familie von Johanna verschwindet ab der Mitte des Romans letztlich und auch ein Mensch, zu dem sie sich am Anfang des Romans extrem hingezogen fühlt, ist auf einmal doch nicht mehr relevant. Und auch das Ende hat mich eher verstimmt, da ich auch hier das Handeln einer Figur nicht glaubhaft finden, denn es ist nach der ganzen Geschichte nicht vorstellbar, dass diese wirklich denkt, mit ihrem Tun ihr Ziel zu erreichen. Ihr seid Millionäre. Wir sind Millionen. So sehen es die Parts Per Million und so wichtig und wahr ist dieser Satz. Ich befürchte nur, mit diesem Buch wird er nicht dazu führen, dass Menschen ihn Realität werden lassen.

Und so kann ich leider nicht mehr als 2 Sterne vergeben, was ich wirklich schade finde, aber Johanna blieb für mich durchweg ein Konstrukt. Für die dargestellten Informationen würde ich gerne 5 geben, aber die Handlung und vor allem die Figuren hat mich zu keinem Zeitpunkt gecatched. Vielleicht klappt das besser bei Menschen, die nicht feministisch und nicht vorgebildet im Bereich Klima sind. Für die Fakten ist es allemal ein lesenswertes Buch.

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Veröffentlicht am 04.05.2024

Insgesamt leider nicht überzeugend

Was der See birgt
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„Was der See birgt“, der Auftakt einer neuen Krimireihe aus der schon bewährten Feder von Lenz Koppelstätter, erschienen bei Kiepenheuer und Witsch, besticht zunächst durch seine tolle Gestaltung: Auf ...

„Was der See birgt“, der Auftakt einer neuen Krimireihe aus der schon bewährten Feder von Lenz Koppelstätter, erschienen bei Kiepenheuer und Witsch, besticht zunächst durch seine tolle Gestaltung: Auf dem Cover natürlich der Gardasee, sich über Vorder- und Rückseite sowie Buchrücken erstreckend, an dessen Rand Gebirge drohend aufragen und dunkle Wolken ein Himmelsspektakel formen, im Faltumschlag innen dann eine Landkarte des Sees und der relevanten Orte, richtig schön gemacht!
Handlungsort ist Riva am Nordufer des Gardasees (wirklich toll, die Landkarte!), dort hat die ambitionierte Polizeireporterin Gianna Pitti, Vasco Rossi Fan und gerne mal ein auf der Seite des Dolce Vita unterwegs, es mit gleich zwei Stürmen zu tun: Der eine tobt nach einer durchgemachten Nacht in ihrem Kopf, der andere zieht ganz real über dem Gardasee auf. Und wie bei Shakespeare so auch hier: Sturm in der Natur bedeutet immer auch Sturm im System. Eine Leiche im Hafenwasser – eigentlich ja ein Geschenk für eine umtriebige Polizeireporterin, wäre es nicht dummerweise, wie sie durch eine nicht ganz legale Aktion herausfindet, ein Bekannter, ein naher Bekannter, vielleicht sogar ein sehr naher Bekannter – und schon nimmt das Chaos seinen Lauf.
Gianna Pitti ist sofort sympathisch, eben weil sie all das nicht ist, was die klassische weibliche Protagonistin in einem Krimi ausmacht: Tough, gefühlskalt, strukturiert, erfolgreich... Sie ermittelt eher auf ihre sehr eigene Art und findet dabei Hilfe bei ihrer Chefin Elvira und ihrem Onkel, dem „Marchese“ Francesco. Auch diese beiden sind toll gezeichnete Charaktere, die einem ans Herz wachsen. Eine gute Ausgangsbasis also für eine neue Krimireihe, zumal Koppelstätter wirklich viel Lokalkolorit sehr elegant einbringt?
Leider enden hier auch schon die positiven Faktoren, denn der Krimi krankt sehr an einer schlechten dramaturgischen Aufteilung. In der ersten Hälfte wird unglaublich ausgedehnt erzählt, so dass kaum Spannung aufkommt, der Fall immer mehr aus dem Fokus rückt und die lesende Person sich streckenweise in einem Heimatroman wähnt. In der zweiten Hälfte zieht das Erzähltempo dann sprunghaft an, es steigern sich aber auch die Unwahrscheinlichkeiten und da der Klappentext wichtige Handlungselemente spoilert – was ist das los, lieber Verlag? Warum tut man sowas einem Autor an? – kommt immernoch nicht wirklich viel Überraschung auf, trotz jeder Menge konstruierter Wendungen. In einem enorm langen Showdown wird dann auf den letzten Seiten so viel Information und Auflösung geballert, dass der Überblick teilweise verloren geht. Ein Ende im Hauruckverfahren, das versucht, einen Cliffhanger zum nächsten Band zu konstruieren – doch auch der ist relativ offensichtlich gebaut. Ich hatte mir ehrlich gesagt ein bisschen mehr erwartet. Die Schilderungen vom Gardasee und der Lokalkolorit sind gut gelungen, aber die Story ist leider schwach und zeigt einige Lücken. Von einem erfahrenen Krimiautor ist das eine nicht überzeugende Leistung.
Hab jetzt Lust auf Urlaub am Gardasee – aber nehme mir dann wahrscheinlich andere Bücher mit.

Ein großes Dankeschön an lovelybooks.de sowie Kiepenheuer & Witsch für das Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 08.07.2024

Kein Stern am Buchhimmel

Die Farbe der Sterne
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„Die Farbe der Sterne“, in Co-Autorenschaft geschrieben von Curtis Briggs und Stefan Lukschy, erschienen im Langen Müller Verlag, erkämpft sich leider einen der Spitzenplätze auf meiner Fail-Liste 2024. ...

„Die Farbe der Sterne“, in Co-Autorenschaft geschrieben von Curtis Briggs und Stefan Lukschy, erschienen im Langen Müller Verlag, erkämpft sich leider einen der Spitzenplätze auf meiner Fail-Liste 2024. Vom Verlag angepriesen als „turbulente, romantische Krimi-Komödie“ habe ich in diesem Buch weder Krimi noch Komödie finden können, stattdessen nur wirklich himmelschreiend schlecht gemachten Klamauk und das bittere Gefühl, dass sich hier zwei weiße alte Männer beim Plotting zu viel Rotwein reingedengelt haben... Warum nicht zumindest der durchaus renommierte LM Verlag beim Querlesen dann ernüchtert die Reißleine gezogen hat, bleibt mir ein Rätsel.

Die Geschichte, um die es geht, ist schnell umrissen:
Leo Sailer erbt das marode, bankrotte Grand Hotel Seeblick am Kochelsee und stößt dort auf die von seinem Vater beauftragte Generalbevollmächtigte Julia Dehne, diese will den Kasten verkaufen (und ihre Provision einheimsen), er möchte den Laden renovieren und behalten. Sie ist Großstadtmensch und Bergretterin (warum auch immer), er Klaustrophobiker mit Höhenangst, der Konflikt ist vorprogrammiert. Damit ein Kunstkrimi draus werden kann, wird ein verschollener Kandinsky entdeckt, und damit es verwirrend werden kann, gibt es eine gute Kopie davon. On Top jede Menge strunzdumme Gangster und Knallchargen-Nebenfiguren, ein menschlich denkender Marder, der ohne jeden Sinn durch die Handlung rennt, jede Menge wirklich plumpe Erotikanbahnung, Vollzug inklusive, und extraviele Wendungen, die alle demselben Prinzip folgen und so vorhersehbar sind wie die Tagesschau. Auf dem Höhepunkt müssen die Autoren sich auch noch selbst als Autoren einschalten, erneut, wir ahnen es, völlig sinnfrei, aber bestimmt haben die Herren sich furchtbar modern dabei gefühlt und wechseln deshalb auch noch kurz in eine Drehbuchszene, einfach weil MANN es kann – und es muss ja auch noch gezeigt werden, dass MANN auch als Drehbuchschreiber unterwegs ist.
Das alles ist so himmelsschreiend furchtbar, dass ich sehr viel Disziplin aufwenden musste, um mich durch das Buch zu quälen.
Zwei kleine Lichtblicke:
1. Das Cover, eine sehr gemäldeartige Darstellung des Hotels am See mit dem Himmel darüber, auch gut, dass hier nicht versucht wurde, Kandinskys Stil zu kopieren. Die schön leuchtenden Farben schaffen eine harmonische Atmosphäre. Und das Hotel selbst erstrahlt wie ein kleines Juwel. Darunter ein zugegeben eher nichtssagendes Hardtop in Blau, da stört mich irgendwie dann auch der Kasten um den Schriftzug, wirkt so sachbuchartig. Die Papierqualität ist gut, liegt angenehm in der Hand. Der Klappentext ist gut gemacht, er verrät nicht zu viel.
2. Immer wieder gibt es im Buch historische Rückblicke, diese sind wirklich alle sehr ansprechend geschrieben. Wäre das ganze Buch so, ich hätte deutlich mehr Leselust!

Von den vielbeschriebenen Sternen am Himmel über dem Kochelsee kann ich also leider nur einen Anerkennungsstern für die zwei Lichtblicke vergeben. Aber so bleiben ja mehr für das Kandinskybild. Am Kochelsee gibt es übrigens mit dem Franz Marc Museum ein sehr schönes kleines Museum zum Blauen Reiter. Investiert das Geld in einen Besuch dort, das lohnt sich eher.

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Veröffentlicht am 19.06.2024

Leider kein Kassenschlager

Tod auf der Unterbühne
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Auf „Tod auf der Unterbühne“, ein Sommertheater-Krimi von Konstanze Breitebner, erschienen 2024 im Servus Verlag, hatte ich mich als selbst Theaterschaffende wirklich sehr gefreut. Konstanze Breitebner ...

Auf „Tod auf der Unterbühne“, ein Sommertheater-Krimi von Konstanze Breitebner, erschienen 2024 im Servus Verlag, hatte ich mich als selbst Theaterschaffende wirklich sehr gefreut. Konstanze Breitebner ist Schauspielerin und Drehbuchautorin - und somit natürlich absolut vom Fach. Nun schreibt sie ihr Krimidebut. Wie oft hatte sie wohl schon Gelüste, einen Regisseur umzubringen? (Und aus der Branche raus betrachtet: Das wäre sehr verständlich!)

Um mit den positiven Faktoren anzufangen: Das Buch kommt in einer Knaller-Optik, auf dem Cover ein eher „klassisches“ Theaterbühnenbild in Schwarzweiß hinschraffiert, dazu dann schreiend rote Krimifarbe in Schrift, Innencover und leuchtendem Farbschnitt. Nicht zu vergessen die putzige kleine Ratte unten links, die für aufmerksame Leser:innen einen kleinen Spoilerfaktor beinhaltet. Es hätte alles so schön sein können.

Der Basisplot ist schnell umrissen: Bei der Generalprobe des Sommernachtstraums einer Sommertheaterinszenierung im schönen Österreich nahe Wien liegt der Regisseur plötzlich tot auf der Unterbühne. Das gesamte Team steht im Verdacht, Hand angelegt zu haben, und die junge und ehrgeizige Kriminalpolizistin Antonia Ranik macht sich auf Spurensuche. Das verbunden mit viel Theaterflair hätte für mich ein Kassenschlager werden können, wenn nicht... Ja, wenn nicht die Autorin eigentlich vor allem ihr Theaterwissen unter die Leser:innen bringen wollte, und das in wirklich endlosen Erklärungen jedes Theaterberufes, jedes Fachbegriffes, ja sogar Peter Brooks „Der leere Raum“ kann sie nicht auslassen – und lässt dabei den Plot vollkommen vor sich hindümpeln. Die Sprache ist hölzern und, es tut mir leid, wirklich langweilig und unelegant. Kein Klischee wird ausgelassen. Und selbst die an den Haaren herbei gezogene Romance lässt Breitebner im Jahr 2024 in ein Dornröschen-Phänomen münden – das macht mich dann doch sehr fassungslos, insbesondere, da sexuelle Nötigung und Übergriffe in Theaterbetrieben seit Jahren Thema sind. Schön, dass metoo erwähnt wird, verstanden ist es nicht: Breitebner meint diesen Moment in ihrem Buch ernsthaft romantisch und problematisiert gar nicht. Schlimm.

Das Drehbuchschreiben merkt man ihr an, die dialogischen Passagen sind durchaus geglückt, vor allem, wenn sie sich in die Mundart begibt. Doch das, was ein Roman dringend noch dazu braucht, nämlich gute, im Krimibereich spannungsgeladene Prosa, das fehlt komplett. Nachdem die Handlung über fast 300 Seiten hingedümpelt ist, gönnt Breitebner uns on top noch ein retardierendes Moment – so gehört es sich für die klassische Tragödie, nur liegt die in diesem Fall leider nicht in der Qualität des Dramas, sondern nur im Schreibakt selbst. Die Figuren sind eindimensional, das Ende ist vorhersehbar. Aber immerhin sind nun alle Fachbegriffe des Theaters erläutert, wenn auch nicht sehr unterhaltsam. Vielleicht bleibt Drehbuchschreiben doch die bessere Option.

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Veröffentlicht am 02.06.2024

Aufregen des Jahres

Die kurze Stunde der Frauen
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Das Buch „Die kurze Stunde der Frauen“ von Miriam Gebhardt hat schon jetzt, im Juni 2024, große Chancen bei mir, den Pokal „Aufreger des Jahres“ konkurrenzlos abzuräumen. Als historische Analyse getarnt, ...

Das Buch „Die kurze Stunde der Frauen“ von Miriam Gebhardt hat schon jetzt, im Juni 2024, große Chancen bei mir, den Pokal „Aufreger des Jahres“ konkurrenzlos abzuräumen. Als historische Analyse getarnt, schreibt Gebhardt uns hier einen extrem tendenziösen, thematisch willkürlich angelegten Langstreckenessay, der bei der lesenden Person die Wut mit jeder Seite mehr steigen ließ. Gebhardt begeht dabei den Grundlagenfehler, weiblich gelesene Personen, denen sie zu Recht abspricht, emanzipiert zu sein oder überhaupt im Zeitalter der Emanzipation aktivistisch gewesen zu sein, unter der Lupe der emanzipierten und privilegierten Frau zu betrachten und mit diesen Maßstäben zu bewerten. Kurz und knapp gesagt: Merkste selber, oder? Dieses Unterfangen kann ja nur schief gehen. Ihre Grundprämisse, mit der sie den Mythos der „Trümmerfrau“ hinterfragen und aufheben möchte, ist dabei, dass eben diese Frauen ihre Aufgaben in der Nachkriegszeit ja nicht freiwillig, bewusst und aktiv absichtlich übernommen hätten, sondern vielmehr vollkommen erschöpft und traumatisiert aus der Notwendigkeit handelnd tätig wurden. So weit so partiell einleuchtend – nur schmälert das die Leistung dieser Generation ja nicht. Gebhardt hebt hervor, dass die Frauen dann auch zunehmend schnell wieder in die zweite Reihe zurückgetreten seien, sich also gar nichts geändert hätte. Nun, das ist natürlich sehr verwunderlich, dass sich eine seit Jahrhunderten patriarchal geprägte Gesellschaft nicht innerhalb von drei Jahren komplett neu strukturiert hat und ihre Wert- und Moralvorstellungen komplett neu entwickelt hat, wo das doch obendrein in allen Staaten drumherum – ach ja, genauso nicht passiert ist.
Grundsätzlich ist der Ansatz, mehr Realität zeigen zu wollen, ein ehrenwerter. Nur warum muss zeitgleich eine ganze Generation von Frauen nicht entmystifiziert, sondern herabgewertet werden? Gebhardt schaut durchgehend durch den Filter einer These, die sie unbedingt beweisen möchte und wählt ihre Argumente zielgenau nur danach aus. Vieles andere lässt sie dann einfach weg. So geht Wissenschaft – nicht. Einer meiner Favoriten hier die Behauptung, dass es im Zuge von Kapitulation und Nachkriegszeit zu so viel sexualisierter Gewalt kam „wie sie sich bis heute und auch anderswo nicht wiederholt hat“. Die Datenbasis hier: Ein Schätzwert von Frau Gebhardt. Quelle: Eines ihrer anderen Bücher, der genaue Abschnitt wird inhaltlich nicht mitgeliefert. Chapeau! Und auch hier gilt: Niemand will kleinreden, dass diese Zeit für Frauen eine höchstgefährliche und traumatisierende war. Aber wenn wir in die vielen Kriege der Neuzeit schauen, mit beispielsweise Massenvergewaltigungslagern im Bosnienkrieg, wenn wir in Europa bleiben wollen, so ist diese These doch sehr fraglich. Sowieso wird sie nur herangezogen, damit Gebhardt zeigen kann, dass die Frau der Nachkriegszeit eben keine Heldin war, sondern eine traumatisierte Person, die nur ihre Überlebenskräfte angezapft hat. Das Kapitel über Gewalt zeigt dabei wunderbar die manipulative Struktur des Buches auf: Gebhardt schreibt darin erst einmal vier Seiten lang fröhlich los über diese Gewalt, um dann mitzuteilen, dass dieses Buch nicht der Ort sei, um über Massenvergewaltigungen zu schreiben – und danach zwölf weitere Seiten bei dem Thema zu bleiben. Die Informationen als solche sind nicht verkehrt, die Zusammenstellung ist jedoch in ihrer Auswahl extrem tendenziös, die Schlussfolgerungen reine Meinung.
Gerne teilt Gebhardt auch Offensichtliches mit. Es gab aufrechte Nazis auch unter Frauen. Es gab Frauen mit Machthunger. Es gab Frauen, die sich am Nationalsozialismus bereichert haben. Wow!!! Das sind brandneue, bahnbrechende Erkenntnisse, gut, dass es endlich mal jemensch schreibt. Worüber sie gar nichts schreibt, nicht ein Wort in dem entsprechenden Kapitel: Wie viele Frauen im Widerstand tätig waren. Muss hier noch mehr gesagt werden?
Im weiteren Verlauf des Buches häufen sich Ungenauigkeiten, falsche Zahlen, Ungereimtheiten, Widersprüche (in Biographien), die Quellenarbeit bleibt durchgehend schlampig, wir wandern immer weiter Richtung Neuzeit und auch die Themenwahl der einzelnen Kapitel geht immer mehr am Hauptthema vorbei, on top ist Vieles lähmend redundant. Vielleicht hätte die Autorin besser ein Buch geschrieben „Frauen vom Kriegsende bis heute“ – oder eine kleinere Seitenzahl aushandeln sollen. Als habilitierte (!) Historikerin ist ihre Methodik einfach erschreckend, nichts gegen Populärwissenschaft, aber sauber arbeiten und schreiben: Darf mensch schon.
Positiv hervorzuheben ist hier das gut gewählte Bildmaterial, welches einen gelungenen Einblick in die damalige Zeit gibt und sinnvoll eingebettet ist.
Fazit: Idee gut, Ausführung: Ein einziges Ärgernis. Schade um das Papier und die Zeit.

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