Perspektive der Opfer
Bright Young WomenDer Roman zeigt eindrucksvoll und empathisch, wie der berühmte „zweite Anschlag“ funktioniert, also der Anschlag auf die Überlebenden, der nach dem tatsächlichen Verbrechen durch das Verhalten der Öffentlichkeit, ...
Der Roman zeigt eindrucksvoll und empathisch, wie der berühmte „zweite Anschlag“ funktioniert, also der Anschlag auf die Überlebenden, der nach dem tatsächlichen Verbrechen durch das Verhalten der Öffentlichkeit, der Polizei und der Gerichte verübt wird: dadurch, dass den Überlebenden nicht geglaubt wird, sie nicht in Sicherheit gebracht werden und den Opfern die Schuld in die Schuhe geschoben wird.
All dies passiert auch Pamela und ihren Verbindungsschwestern, nachdem zwei ihrer Mitglieder im Verbindungshaus brutal von einem Serienmörder ermordet wurden. Ich bin kein großer Fan von True Crime oder Thrillern, weil hier meistens die Perspektive des Täters untersucht wird. Aber obwohl die Geschichte, die im Roman erzählt wird, von Serienmörder Ted Bundy inspiriert ist, kommt sein Name im gesamten Roman nicht vor: Die Geschichten und Perspektiven der überlebenden Opfer und die Empathie mit den Opfern stehen im Mittelpunkt, was den Roman in meinen Augen besonders aktuell und relevant macht.
Und auch wenn die geschilderten Geschehnisse teilweise so furchtbar sind, dass ich zwischendurch eine Lesepause brauchte, sind sie immer so feinfühlig und nicht zu drastisch beschrieben, dass die Würde der Opfer gewahrt wird. Deshalb und sicher auch wegen der großartigen Übersetzerin Jasmin Humburg liest sich der Roman sehr flüssig. Dadurch, dass die Kapitel Einblicke in die Perspektive unterschiedlicher Opfer zu unterschiedlichen Zeiten geben, liest sich der Roman zusätzlich sehr abwechslungsreich und die Spannung bleibt bis zum Schluss hoch, obwohl ich persönlich eigentlich schon vor Lesen des Romans wusste, wie die Geschichte ausgehen würde.
Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, war die unglaubliche Widerstandskraft und Resilienz der überlebenden Opfer. Der Roman zeigt, wie sie Schmerz und Trauma in positive Handlungen umwandeln. Das macht trotz des vielen Frusts darüber, dass auch heute noch Frauen und anderen marginalisierten Opfern nicht geglaubt wird und Männer für ihre Mittelmäßigkeit bewundert werden, ein bisschen Hoffnung! Ich habe den Roman insgesamt sehr gerne gelesen und er hat mich sehr beschäftigt. Das kommt definitiv nicht bei jedem Buch, das ich lese, vor. Eine kleine Kritik spreche ich jedoch aus: Der Roman ist sehr amerikanisch, weil die Todesstrafe gegen den Täter nicht infrage gestellt wird, das fand ich teilweise unangenehm. Jasmin Humbug hat wie immer großartig übersetzt.