Ein wichtiger Blick auf vergangenes Leid – heute bedeutender denn je.
„In drei Tagen werde ich dreiundzwanzig. Doch das werde ich nicht mehr erleben. Mich lassen die sich nicht entgehen. (...) Für mich gibt es kein Mitleid. Mitleid existiert gar nicht. Nur Rache. (...) Ich ...
„In drei Tagen werde ich dreiundzwanzig. Doch das werde ich nicht mehr erleben. Mich lassen die sich nicht entgehen. (...) Für mich gibt es kein Mitleid. Mitleid existiert gar nicht. Nur Rache. (...) Ich kann keine Milde erwarten. Die Nazihure wird abgeknallt.“
Am 16. August 1944 schoss der Fotograf Robert Capa das Bild einer kahlgeschorenen Mutter, die von einer Schar wütender Bürger durch die Straßen von Chartres getrieben wird. Dieser entwürdigenden Parade zum Trotz hat die Frau nur Augen für ihr Baby, das sie voller Stolz durch die Menschenmenge trägt. Von diesem Foto inspiriert, erzählt Julie Heracles in dem Roman „Ihr kennt mich nicht“ das Leben der jungen Simone Touseau, die sich in einen deutschen Wehrmachtssoldaten verliebt. Eine tragische Liebe, die ihr während der „Wilden Säuberung“ zum Verhängnis wird.
Meine persönliche Lesermeinung:
Das war eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Allein das erste Kapitel raubt einem die Luft zum Atmen und hinterlässt eine dicke Gänsehaut. Simones Geschichte schockiert, berührt und führt einem vor Augen, dass der Mensch und das wilde Tier in ihrem Verhalten oft gar nicht so weit voneinander entfernt sind.
Die Protagonistin ist eine beeindruckende Person, die, im von der deutschen Wehrmacht besetzten Frankreich, ihren Platz sucht. Hierbei sind für mich nicht alle ihre Entscheidungen nachvollziehbar oder moralisch vertretbar. Aber wer bin ich, mir ein Urteil zu bilden? „Man hat immer eine Wahl“ – das sagt sich so leicht. Doch welchen Preis ist man bereit für sein Leben zu zahlen? Hat Simone einfach kein Rückgrat oder handelt sie wirklich aus Überzeugung? Ist sie schwach oder in Wahrheit besonders stark? Will sie zu den Siegern gehören oder einfach nur überleben? Egal, aus welchem Motiv sie handelt, letztendlich kann ich Simone nichts vorwerfen. Erst recht nicht ihre Liebe zu Otto. Denn dass in dieser furchtbaren Zeit die Liebe nicht gänzlich ausgerottet wird, dass es sogar möglich ist, den Feind zu lieben, lässt einen den Glauben an die Menschheit wiederfinden.
Kurz: Ein bewegender Roman, der aufwühlt, berührt und nachdenklich macht. Ein wichtiger Blick auf vergangenes Leid – heute bedeutender denn je.
„Ich habe geliebt. Und ich wurde geliebt. Also, raus mit euren schönsten Flüchen, kotzt euch die Seele aus dem Leib. (...) Ihr tut mir leid, dass ihr mich hasst, ohne zu wissen. Denn ihr kennt mich nicht.“