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Veröffentlicht am 08.11.2024

Spannung pur und starke Figuren im historischen Frankfurt

Frevel
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„Frevel“, ein historischer Thriller, erschienen 2024 bei dtv und geschrieben von Nora Kain, laut Verlag ein Pseudonym für eine deutsche Bestsellerautorin, wartet auf jeden Fall mit Bestsellerqualitäten ...

„Frevel“, ein historischer Thriller, erschienen 2024 bei dtv und geschrieben von Nora Kain, laut Verlag ein Pseudonym für eine deutsche Bestsellerautorin, wartet auf jeden Fall mit Bestsellerqualitäten auf und ist ein hervorragender – ich würde eher sagen Historienkrimi, der mit Atmosphäre, großartig gestalteten Figuren, einer spannenden Story mit so einigen Plottwists und genau der richtigen Dosis Zeitkolorit besticht und bestens unterhält.

Situiert in Frankfurt am Main im Jahr 1800 geschehen in kurzer Abfolge mehrere bestialische Morde und die Spur von Zeitungsredakteur Johann und, eine tolle feministische Figur, Rechtsmedizinertochter Manon führt immer mehr in eine Richtung, die nach allen Gesetzen der Logik einfach nicht sein kann. Und bei ihren Nachforschungen geraten die beiden immer mehr selbst in Gefahr.

Kain schreibt flüssig und schwungvoll, mit einem guten Maß an Humor und einer immer guten Spannungskurve, die einen beim Lesen nie loslässt. Ich liebe den Eröffnungssatz des Buches: „Ich darf mich nicht übergeben, dachte Johann verzweifelt.“ Der setzt schon gut den Ton und zeigt etwas, was den Thriller sehr ausmacht: Die Hauptfiguren haben charmante Schwächen. Johann hat seinen Magen einfach nicht im Griff und Manon ihre Zunge genauso wenig. Das führt immer wieder zu herrlichen Situationen inmitten des aufregenden Geschehens um die Morde. Souverän bindet die Autorin in dieses auch Themen aus der Zeit ein, den Judenhass, den großen Aberglauben, der herrschte und absurde Blüten trieb, die Rolle der Frau, die Grausamkeit in Gefängnissen, um nur einiges zu nennen. Das geschieht ganz selbstverständlich, ohne dass Kain ihren Handlungspfad dafür verlassen muss. Und auch Frankfurt wird wunderbar beschrieben und mit kleinen historischen Informationen und Anekdoten lebendig gemacht.

Besonders gut aber hat mir gefallen, dass es immer wieder für mich unvorhersehbare Wendungen gab, die aber plausibel waren und wirklich herzuleiten aus dem Geschehen. Das macht für mich einen guten Thriller aus. Dieser war für mich deshalb eher ein Krimi, weil es doch sehr klar um den Kriminalfall geht und auch wenn das Tempo hoch war, ist es doch nicht atemlos, die Spannung ist wirklich gut gearbeitet, lässt einem aber immer Zeit zum Denken und Fühlen. Darum stimmt das Genre für mich nicht ganz – was aber nichts an einer Top-Bewertung und absoluten Leseempfehlung ändert. Ein auf allen Ebenen gelungenes Buch! Ganz großer Pluspunkt noch, dass die Autorin am Ende nicht auf der Erfüllung einer sich anbahnenden Romanze besteht, sondern die starke Manon, die ein so großartiger Charakter ist, in die Freiheit führt und ihr somit ihre Stärke wirklich lässt. Das habe ich so lange nicht gelesen und das hat mich wirklich begeistert. Also schnell einen Tee kochen und das Buch dann an kalten Abenden ganz wunderbar in einem Rutsch verknuspern.

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Veröffentlicht am 03.11.2024

Ein Buch mit Flügeln

Nach uns der Himmel
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„Nach uns der Himmel“, der neue Roman von Simone Buchholz, erschienen 2024 bei Suhrkamp Nova, übertrifft alle eh schon hoch gesteckten Erwartungen.

Zunächst mal ein Lob für das großartige Buchdesign des ...

„Nach uns der Himmel“, der neue Roman von Simone Buchholz, erschienen 2024 bei Suhrkamp Nova, übertrifft alle eh schon hoch gesteckten Erwartungen.

Zunächst mal ein Lob für das großartige Buchdesign des Designbüro Lübbeke Nauman Thoben: Modern, klar, von außen bis innen komplett durchdacht und einfach richtig schön – ein graphischer Hingucker, dem ich gern einen Preis verleihen würde, so geht Cover- und Innencoverdesign 2024. Top!

Viel kann über den Inhalt nicht verraten werden, ohne zu spoilern – was immer ein gutes Zeichen ist. Acht Menschen, Claudius, Elisabeth, Benedikt, Annike, Marc, Sara, Vincent und Heidi, landen nach einem turbulenten Flug auf einer griechischen Insel und beginnen ihren Urlaub. Doch die Insel verhält sich merkwürdig, am Himmel erscheint ein schwarzes Loch und das große Vergessen greift immer weiter um sich. Parallel sitzen in einem Büro in Los Angeles die Inspektorin und der Mitarbeiter und verhandeln seinen Case. Als sie das Bürogebäude zum ersten Mal seit langem verlassen, ist klar, dass hier ein Fall von großer Tragweite entstanden ist. Die Dinge müssen korrigiert werden, wenn das System nicht crashen soll.

Als großer Fan der Chastity Riley-Serie hatte ich High Hopes auf diesen neuen Roman und ich wurde nicht enttäuscht, sondern über die Maße begeistert. Buchholz schreibt hier ein unglaubliches Meisterstück, das lange Rätsel aufgibt, dabei aber viele Spuren legt, bis sich der Plot zunehmend entschlüsselt. Dabei ist die Sprache durchweg gewitzt und voller Herrlichkeit, die Charaktere sind genial gezeichnet, das ganze Setting wunderbar beschrieben, die mythologischen Bezüge clever und erheiternd für Kenner:innen, der ganze Roman eine brillante Gesellschaftskritik unserer Zeit, der „Dreifaltigkeit des Bösen: Religion, Patriarchat, Kapitalismus.“ Wofür leben wir? Was ist der Daseins-Sinn? Warum verlieren wir uns so in Alltag und falschen Zielen? Buchholz lässt einen beim Lesen das Leben einatmen und aufsaugen, sie zeichnet ein klares Bild unserer Endlichkeit und lässt humorvoll im Geist ganz viele Fragen entstehen. Am Ende geht man mit neuem Blick auf den Horizont aus diesem Buch hervor – und mit einem sanften Lächeln und weniger Angst.

Ich konnte das Buch keine Sekunde aus den Händen legen, ich musste es in einem Rutsch durchlesen (was auch gut gelingt, denn es ist extrem kurzweilig). Dieses Buch trägt Flügel an seinen Seiten – und ein bisschen etwas davon kann die lesende Person mitnehmen in den Alltag. Es ist wie ein Blick auf das Meer, das auf ihm abgebildet ist, glitzernd, ruhig, aber doch immer in Bewegung, voller Verheißung, ein warmer Sommertag, keine Pflichten, nur Atmen.

Ein großartiger Wurf, vielleicht das Beste, was ich von Simone Buchholz gelesen habe. Unbedingt kaufen, lesen, darin versinken und sich ein paar Flügel abholen.

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Veröffentlicht am 26.10.2024

Packend und eiskalt

Blutbuße
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„Blutbuße“, der neue Polarkreis-Krimi von Viveca Sten, erschienen 2024 bei dtv, ist ein packender Krimi in gewohnter Sten-Qualität, der keine Wünsche offenlässt.

Die Ermittler:innen Hannah Ahlander und ...


„Blutbuße“, der neue Polarkreis-Krimi von Viveca Sten, erschienen 2024 bei dtv, ist ein packender Krimi in gewohnter Sten-Qualität, der keine Wünsche offenlässt.

Die Ermittler:innen Hannah Ahlander und Daniel Lindskog werden in einen komplexen Fall geworfen: Die von der örtlichen Bevölkerung kritisch betrachtete Charlotte Wretlind kommt durch einen brutalen Mord ums Leben, kurz bevor der Kick-Off zu einem großen Hotelprojekt vonstatten gehen kann. Wurde sie deshalb aus dem Verkehr gezogen?

Die Handlung spielt in Åre, einem beliebten Skiort im Norden Schwedens, nahe der Grenze zu Norwegen. Während die Ermittlungen voranschreiten, erfahren wir Lesenden viel über die private Situation der Ermittelnden und tauchen immer tiefer auch in ihr Leben ab. Sten legt viele verschiedene Spuren und hält die Spannung so bis zum überraschenden Schluss hoch. Die Figuren sind gut gezeichnet und auch wenn sich unter ihnen Stereotype finden, so überwiegen Charaktere, die in die Tiefe gehen. Es gibt viele Wendungen und schnell finden sich auch Spuren, die in die Vergangenheit führen, so dass der Fall immer vertrackter wird. Die Vergangenheit findet sich auch als weitere Zeitebene im Buch wieder, was formal gut konstruiert ist.

Sten schreibt flüssig und klar, sie scheut nicht vor Brutalität zurück, ohne jedoch zu sehr ins Detail gehen zu müssen, sie bettet Lokalkolorit in einem guten Maß ein, vor allem auch die Schilderung der Hotelatmosphäre gelingt grandios. Spannend insbesondere auch, wie sehr die Ermittler:innen selbst mit Druck und psychischen Problemen zu kämpfen haben, was natürlich Folgen für den Fall hat. Und auch wenn dieser Krimi vielleicht ein paar Seiten kürzer hätte sein können, bin ich doch gerne durch die Handlung gefolgt und wurde von der Auflösung überrascht. Also auf jeden Fall eine Leseempfehlung – und Vorfreude auf Band 4 der Reihe.

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Veröffentlicht am 30.09.2024

Lass uns zusammen verwildern – ein Plädoyer für das Nicht-Funktionieren

9 Grad
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„9 Grad“, der Debut-Roman von Elli Kolb, erschienen 2024 bei Bastei Lübbe kommt in einem wunderschönen Schutzumschlag mit einem Bild, wie ich es lange nicht mehr so treffend für den Inhalt gesehen habe. ...

„9 Grad“, der Debut-Roman von Elli Kolb, erschienen 2024 bei Bastei Lübbe kommt in einem wunderschönen Schutzumschlag mit einem Bild, wie ich es lange nicht mehr so treffend für den Inhalt gesehen habe.

Elli Kolbs Erstling ist einfach in jeder Zeile großartig. Ich habe lange kein so durchgehendes warmes Gefühl beim Lesen gehabt und mich den Figuren so nahe gefühlt. Es ist für mich irgendwie auch ein Rettungsbuch für eine ganze Generation, die indirekt darin so treffend beschrieben ist und mit so viel Liebe. Dieses Rudern nach Halt, dieser verzweifelte Versuch einer Ich-Bestimmung und dieses ewige Gefühl, funktionieren zu sollen, es ist so sehr in den Figuren verwurzelt. Wir begleiten die drei Freunde Rena, Anton und Josies durch ihr vertracktes Leben. Die Freundschaft, die die drei miteinander teilen, ist die, die wir alle uns immer wünschen würden, sie berührt mich wirklich sehr, die enge Verbindung zwischen den zwei Frauen, die so unterschiedlich sind und manchmal dann plötzlich so gleich und die zumindest voreinander sein dürfen, wie sie eben sind. Anton, der scheinbar schlaue Typ, der im Emotionalen so zart wird und so viel Rat braucht. Die Familien drumherum, in denen einfach nichts geklärt ist, alles ist schwierig und gleichzeitig liegt über allem eben doch Liebe. Und dann kommt noch Lee hinzu als etwas merkwürdiger Solitär, der in diesen Kosmos hereintaumelt.

In diese Konstellation hinein brechen schwere Themen wie Nahtoderfahrung und Depression, doch Kolb findet immer wieder so passende Bilder und menschliche Situationen, um diese Themen zu vermitteln, dass ich das Buch zu jedem Zeitpunkt als leicht emfunden habe. Sowieso gibt es so viele tolle Formulierungen und Momente, die wir alle kennen, dieses Gefühl z.B., dass man sich zusammenreißen muss, dass man durchmuss, und dabei verpasst man das eigentliche Leben. So viele kluge Beobachtungen.
Wann sind wir in unserem Leben angekommen? Das ist für mich die große Frage, die über allem schwebt. Und wie viel Zeit können wir uns damit lassen?

Und natürlich geht es auch um das Eisbaden. Wer das mal gemacht hat, weiß, wie irre sich danach der Körper anfühlt und wie man wirklich kurz in eine neue Dimension gerät. Total nachvollziehbar, dass Menschen diese Grenze suchen, wo sie selbst aus verschiedenen Gründen sich immer wieder auflösen, nicht wissen, wo sie anfangen, wo sie aufhören. Ein Gefühl, dass glaube ich alle Menschen kennen, die ihr Ich und die Abgrenzung zu einem Du auf der Suche nach einem Wir noch finden müssen. Was für eine kluge Konstruktion also in diesem Buch: Die einen, die leben könnten, aber des Lebens so überdrüssig sind und natürlich nicht willentlich und darum sehr leidvoll (Lee), die anderen, die so sehr lebenshungrig sind, aber blockiert werden in diesem Lebenswillen durch eine Krankheit (Rena), dazwischen die Taumelnden, die pendeln zwischen Haltsuche und Freiheitsdrang, die eigentlich ihr Ich noch gar nicht definiert haben, aber schon ständig mit einem Wir konfrontiert sind (Josie) und die, die es einfach ganz langsam und vorsichtig angehen und damit vielleicht am Weitesten kommen, aber unter Umständen auch etwas verpassen, weil das große Auf und Ab zwar anstrengend ist, oft aber auch wunderschön (Anton). Es hat mich so sehr an meine Studienzeit erinnert und gibt mir sehr gemischte Vibes zwischen Sehnsucht nach diesem einmaligen intensiven Lebensgefühl und froh sein, dass das vorbei ist. Also wie Eisbaden. Eigentlich. Weshalb auch dieses Motiv eben so stark gewählt ist. Die Auswegslosigkeit der Depression ist für mich sehr gut geschildert, auch die Reaktionen des Umfeldes. Perfekte Beschreibung der Depression: „Ich bin einfach an einem Nicht-Ort, und du hast einen Ort im echten Leben verdient.“ Noch nie so gut gehört.

Mein Lieblingssatz: „Lass uns zusammen verwildern“ – das wäre auch ein schönes Tattoo. Ein Plädoyer für das Nicht-Funktionieren – und das ist für mich auch dieses Buch in seiner Gesamtheit. Nicht mehr funktionieren. Leben. Mit all seinen Farben.

Wie kann ein Mensch ein so gutes Debüt schreiben? 300 Sterne für Elli Kolb!

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Veröffentlicht am 01.09.2024

Jahreshighlight 2024 gefunden

Am Himmel die Flüsse
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„Am Himmel die Flüsse“, der neue Roman von Elif Shahak, erschienen 2024 im Carl Hanser Verlag, ist ein Buch, das die Messbereiche des Bewertbaren sprengt, ein Meisterstück, das mich noch viele Monate lang ...

„Am Himmel die Flüsse“, der neue Roman von Elif Shahak, erschienen 2024 im Carl Hanser Verlag, ist ein Buch, das die Messbereiche des Bewertbaren sprengt, ein Meisterstück, das mich noch viele Monate lang bewegen wird, und schon jetzt eine Vielzahl von weiteren Buchbestellungen bei mir ausgelöst hat. Es ist schwer, diesen Roman zu rezensieren, ohne dabei selbst einen Roman zu schreiben, denn zu groß ist die Fülle von positiv anzumerkenden Faktoren und meine Begeisterung. Eine Anmerkung vorweg: Dieser Roman erfordert ein langsames Lesetempo, alles andere wäre Verschwendung an den vielen einzigartig schönen Details die Shafaks Prosa und Geschichte schmücken. Es erfordert ein bisschen Einlassen – doch dieses Einlassen wird unendlich reich belohnt.

Startend in Ninive, der nicht unbekannten mesopotamischen Stadt im heutigen Irak, zu Zeiten der Herrschaft von König Assurbanipal, einem sehr despotischen Herrscher, der zugleich aber eine für die Geschichte sehr wichtige Bibliothek aufbaute (wir befinden uns ca. 650 v. Chr.), folgen wir der Geschichte des Wassers, genauer eines kleinen Wassertropfens, der im ewigen Wasserkreislauf bis ins Jahr 2018 und weiter reist, einer Lapislazuli-Tafel, die eine andere Version des Gilgamesch-Epos beschreibt, als die bekannte, einem weiteren Lapislazuli, der Jahrhunderte verbinden wird, diversen Lamassus, deren Schutz die Menschen leider nicht vor allem behüten können, vielen anderen Motiven, die Shafak in vielen Details durch die Handlung webt – und den Lebensgeschichten von Arthur, dem König der Abwasserkanäle und Elendsquartiere, von Narin und ihrer Großmutter und Leila, die der Glaubensgemeinschaft der Eziden angehören, sowie von Zaalekhah, die sich als Hydrologin unter anderem mit dem Gedächtnis des Wassers beschäftigt.

Über knapp 600 Seiten entspinnt Shafak ein Panorama an Leben und Geschichte, das erst ganz am Ende zu einem wirklich erschütternden Ganzen zusammengefügt wird und mich in immer poetischer Sprache und wundervoller Emotionalität und teils auch verstörender Härte so viel Neues gelehrt hat, ohne mich dabei zu belehren. Es ist so dicht konstruiert, die Sprache ist wunderschön, die Charaktere toll gezeichnet und so interessant, das Motiv des Wassers wird so vielfältig durchgeführt, so viele Legenden und Geschichten sind eingearbeitet in die Haupthandlung, so viel Traurigkeit liegt unter all der Schönheit, während sich die einzelnen Geschichtenstränge erst ganz leise miteinander verweben, bis das Tempo zum großen Finale immer mehr anzieht und sich in einen wahren Wasserfall eskaliert. Wie gehen wir Menschen miteinander, wie gehen wir mit unserer Kultur, unserer Menschheitsgeschichte um, warum grenzen wir immer wieder aus und maßen uns an, über andere zu urteilen, diesen großen Fragen widmet sich Shafak. Und erzählt uns dabei viel über die Jahrtausende währende Ausgrenzung und Diskriminierung der Eziden, die 2014 in einen Genozid führte (und nicht umsonst aktuell auch ein großes Schlaglicht nach Israel und Palästina wirft in der Betrachtung), über die Vorurteile, die ganz generell immer wieder unsere Betrachtung anderer Menschen prägen, über Kolonialismus und Sklaverei, die bis heute andauert, über Beuteraub, über Krieg, über Macht und ja auch über Patriarchat. Das immer präsente Wasser saugt all diese Geschichten auf und wird sie noch Jahrhunderte weitertragen. Wir können uns nicht hinter Stein verstecken.

So könnte ich jetzt endlos weiterschreiben über dieses einzigartige Meisterwerk, das trägt bis zur letzten Zeile der Danksagung und für das ich 6 Sterne brauche oder besser 11 – aber das nimmt euch Zeit, Zeit, die ihr braucht, um jetzt ganz schnell in die Buchhandlung zu rennen und dieses Buch zu kaufen und mit dem Lesen zu beginnen. Denn vielleicht, ganz vielleicht können wir ja doch noch etwas ändern an diesem Zitat: „Die Sagen des Zweistromlandes wissen, dass Wasser die Urkraft des Lebens ist. Die Bäume sind >wurzelndes Wasser<, die Vögel >fliegendes Wasser<, die Berge >aufragendes Wasser<, und die Menschen sind heute und alle Zeit >kriegführendes Wasser<; sie leben nie in Frieden.“ Der kleine Wassertropfen wird weiterreisen. Welche Geschichte möchten wir ins sein Gedächtnis prägen?

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