Ungeschönt, zynisch, ehrlich und verletzlich - ein etwas anderer Beziehungsroman
LiebewesenMeine Erwartungen an „Liebewesen“ wurden nicht enttäuscht, im Gegenteil. Dieser Roman hat mich von Seite 1 an gefesselt, obwohl es ein eher leiser Roman ist, der viel mit Beobachtungen arbeitet. Doch das ...
Meine Erwartungen an „Liebewesen“ wurden nicht enttäuscht, im Gegenteil. Dieser Roman hat mich von Seite 1 an gefesselt, obwohl es ein eher leiser Roman ist, der viel mit Beobachtungen arbeitet. Doch das macht ihn überraschenderweise nicht weniger mitreißend.
Irgendwie ist das hier ein Liebesroman, ohne ein solcher zu sein. Er setzt eine romantische Beziehung zwar in den Mittelpunkt der Handlung, doch klassische Romantik sucht mensch beim Lesen vergeblich. Die Beziehung von Lio und Max ist besonders. Sie ist nicht laut, sondern leise, von Zärtlichkeit geprägt und trotzdem von Verletzungen begleitet. Beide bringen ihre eigenen Traumata mit in die Beziehung ein und versuchen, sich von ihnen zu lösen.
Ganz besonders steht Lio als Erzählerin im Fokus. Ihre Vergangenheit offenbart sich den Lesenden im Laufe der Handlung und ist schlicht herzzerreißend. Beginnend mit einer gewaltvollen und emotional abwesenden Mutter sowie einem sanften und doch überforderten Vater, endend mit einer Vergew@ltigung - all das trägt Lio in sich. Als sie von Max schwanger wird, folgen wir ihr im Gleichtakt der Schwangerschaftswochen - bis zur Entscheidung in SSW 12.
Ich finde diesen Roman wirklich absolut rund. Er geht unter die Haut, thematisiert unbegreiflich schlimme Dinge und wird immer wieder gesellschaftskritisch, ohne dabei zu schwer zu sein. Er legt mit seinem leichten Zynismus und Lios trockenen Beobachtungen den Finger in die Wunde - oft habe ich zustimmend genickt. Außerdem weigert sich Caroline Schmitt, ihre Figuren klar einzuordnen. Max ist sanft und trotzdem manchmal mindestens unsensibel, Lio ist offen und verschlossen gleichermaßen. Ich wollte sowohl Max als auch Lio an mehreren Stellen gerne schütteln und konnte sie dann doch wieder verstehen.
Die beiden zusammen funktionieren auf eine schwer zu beschreibende Weise, eine klassische Romance bekommen wir hier aber trotzdem keinesfalls. Und dann ist das auch nicht das einzige Duo des Romans, denn die Freundinnenschaft zu Mariam bildet ein ausgleichendes und so wichtiges Element in einer von romantischer Liebe geprägten Welt.
Ein schonungslos ehrliches Buch mit unglaublich viel Tiefgang, das mich emotional sehr berührt hat. Es zeugt von großer Authentizität in Bezug auf Beziehungen, den eigenen Körper und die Auswirkungen von Traumata. Und am Ende ist es eine Geschichte über Befreiung in einem sehr greifbaren, menschlichen Sinne.
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TW: Gewalt gegen Kinder, Vergew@ltigung, Abtreibung, Tod, Komplikationen nach einer OP