Spannend geschrieben, aber mit passiven weiblichen Opferrollen
Wir Töchter von Sparta𝕎𝕚𝕣 𝕋𝕠𝕖𝕔𝕙𝕥𝕖𝕣 𝕧𝕠𝕟 𝕊𝕡𝕒𝕣𝕥𝕒 von Claire Heywood
[Für all diejenigen, die sich halbwegs in griechischer Mythologie und Historie auskennen, erhält die Rezension keine Spoiler, da der Ablauf der Geschichte der ...
𝕎𝕚𝕣 𝕋𝕠𝕖𝕔𝕙𝕥𝕖𝕣 𝕧𝕠𝕟 𝕊𝕡𝕒𝕣𝕥𝕒 von Claire Heywood
[Für all diejenigen, die sich halbwegs in griechischer Mythologie und Historie auskennen, erhält die Rezension keine Spoiler, da der Ablauf der Geschichte der Helena und Klytämnestra ja bekannt ist]
Ich liebe griechische Mythologie und finde es super, dass es hierzu mittlerweile immer mal wieder etwas in Romanform gibt.
Troja kenne ich nur als Film und aus Homers Illias. Deshalb finde ich es toll, dass wir hier einmal nicht nur vom Krieg lesen, sondern aus der Perspektive von Helena, der Auslöserin des trojanischen Krieges, und ihrer Schwester Klytämnestra. Die Mädchen wurden mit kaum 15 an die mehr als doppelt so alten Brüder Agamemnon und Menelaos verheiratet. Diese wiederum ziehen dann im namen Griechenlands in den 10jährigen trojanischen Krieg, um Helena zurückzuholen und sich zu rächen.
Die Kapitel werden abwechselnd aus der Perspektive der Mädchen geschrieben, vom Kleinkindalter bis ins Alter von etwa 30, der Roman umfasst also etwa 20 Jahre.
Das war richtig interessant, auch in der historischen Einordnung und den familiären Zusammenhängen. Ich fand es toll, dass die Autorin diese beiden Perspektiven gewählt hat, die Frauen der beiden griechischen Kriegshelden im Kampf um Troja.
Leider waren sie letztlich nur das: Die Frauen ihrer Männer.
Ich hätte mir von einer Nacherzählung mehr Emanzipation und Selbstbewusstsein gewünscht. Natürlich steht der Verlauf der Handlung fest, aber das Innenleben der Frauen historisch gesehen sicher nicht. Deshalb hätte ich es gut gefunden, wären Helena und Klytämnestra mehr für sich selbst eingestanden, hätten eine eigene Meinung gehabt und wären nicht nur als passive Objekte dargestellt worden. Das verstehe ich ehrlich gesagt nicht seitens einer jungen modernen Autorin.
Sie arbeitet mit Aussagen wie "Welche Freude wird Helena in ihrem Leben haben, wenn sie nicht heiratet? Wenn sie keine Kinder hat?"
Mit kaum 15 Jahren muss Helena den 20 Jahre älteren Agamemnon heiraten und ihre Heimat verlassen. Sie darf nicht sprechen, wenn er sie nicht dazu auffordert, muss ihr Gesicht verschleiert halten, darf nicht reisen oder ihre Familie besuchen, nicht in die Sonne, muss sich stets gerade halten. Das alles und noch viel mehr zeichnet "eine gute Frau von Sparta" aus. Die Mädchen glauben das und bemühen sich, in den Augen der Gesellschaft und ihrer Familie perfekt zu sein. "Frausein war merkwürdig und schmerzhaft und entwürdigend."
Agamemnon übt Kontrolle über Nestra aus, indem er sie sozial komplett isoliert, ihr keine Informationen über ihre Familie zukommen lässt, ihr seine Gesellschaft gibt und entzieht wie es ihm in den Kram passt und sie dadurch voll und ganz psychisch wie physisch von sich abhängig macht. Keine der beiden Frauen widerspricht oder widersetzt sich oder denkt auch nur innerlich, dass diese dauerhafte Demütigung nicht rechtens ist.
Klytämnestra wird unselbstständig hoch 10, als sie ihre eigene Tochter zum Opferalter führt und sich einredet, ihr Mann, der die Jungfrauenopferung erst initiert hat, würde diese beenden. Sie versucht ihre Tochter keinen Moment lang zu retten. Ich weiß, dass sie das nicht konnte, nach historischer Überlieferung, aber man hätte sie dennoch nicht derart passiv darstellen müssen, während sie schweigend dabei zusieht, wie man ihr Kind tötet. Fast am Ende des Buches sagt Klytämnestra noch
"Ohne Mann war eine Frau nichts". Und leider scheint das die Message des Buches zu sein, was ich schade finde, weil es einfach wahnsinnig gut recherchiert wurde von der Historikerin und mir auch der Schreibstil sehr gut gefallen hat. Selbst wenn die Frauen bei der nun einmal vorgegebenen Handlung gegen das Patriarchat scheitern, hätten sie zumindest innerlich aufbegehren oder das alles hinterfragen können. Wenn man Mythologie oder historische Ereignisse neu in Romanform schreibt, hätte man genau diese Chance, es so zu schreiben, wie ich es mir als Frau und Leserin gewünscht hätte.
Helena fand ich hier etwas stärker, weil sie sich gegen Kinder entschied und Griechenland verließ, letztlich aber nur für einen Mann, der sie kaum als wertvoller erachtete als der erste. Dass sie dann auch noch ihre einzige Freundin gefesselt und missbraucht sitzen ließ...puh. Irgendwie wurde das Ende des Krieges dann auch mit einem plötzlich leicht zu behebenden Kommunikationsproblem zwischen Helena und Menelaos abgetan. Hinter ihnen brennt eine riesige Stadt, tausende Menschen sind tot und die beiden blicken besonnen in den Sonnenuntergang, obwohl sie so unbedingt von ihm weg wollte, dass es zu einem 10jährigen Krieg kam? Ich weiß nicht 🙈
Für Schreibstil, Spannung, Wordbuilding, Authentizität in der Wiedergabe eines historischen Ereignisses und die top Recherchearbeit dahingehend würde ich 5 Sterne geben. Dahingehend hat mich das Buch von der ersten bis zur letzten Seite wahnsinnig gefesselt - vor allem zum Showdown in Troja hin war es soooo spannend, obwohl das Ende ja klar ist, aber das war wirklich richtig gut gemacht und dargestellt! Aber dieses sehr drastische Wiederbeleben weiblicher Objektivierung und der passiven Opferrolle der Frau, und deren stummes Tolerieren von psychischer und physischer Gewalt, Missbrauch, Demütigung und Kindsmorden macht mir das wirklich nicht möglich :/ Das hätte man einfach komplett anders lösen können.