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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.11.2024

Harte Themen, aber empowering

Das Comeback
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Grace Turner, gefeierter Teenie-Star und mittlerweile Anfang 20, verschwindet von heute auf morgen von der Bildfläche. Sie zieht sich in ihr Elternhaus zurück und kehrt Hollywood und ihrem Ehemann den ...

Grace Turner, gefeierter Teenie-Star und mittlerweile Anfang 20, verschwindet von heute auf morgen von der Bildfläche. Sie zieht sich in ihr Elternhaus zurück und kehrt Hollywood und ihrem Ehemann den Rücken, bis sie nach einem Jahr beschließt wieder in ihr voriges Leben zurück zu kehren um sich dem Alptraum ihrer Vergangenheit zu stellen.

Ohne zu viel zu verraten: (Macht-)m1ssbrauch in Hollywood ist seit #metoo nichts Neues mehr. Allerdings lernen wir Grace kennen, wie sie sich darüber klar wird, wie fremdbestimmt sie all die Jahre war und wie ihr systematisch von ihrem Vergew@ltiger eingeredet wurde, dass sie ihn braucht, sie diejenige ist, die diese m1ssbräuchliche Beziehung sucht und er der Mentor und Schutzengel ist, der über sie wacht. Sich ohne fremde Hilfe (weil machen wir uns nichts vor: die Eltern und sog. Freunde haben die ganze Zeit davor die Augen verschlossen, konnten oder wollten nicht bemerken, dass Grace nicht nur körperlich sondern auch psychisch m1ssbraucht wurde) aus diesen toxischen Verhältnissen zu lösen bedarf einer ungemeinen Resilienzfähigkeit und Selbstwirksamkeit, was für einen erwachsenen Menschen schon schwer genug ist, für jemanden, der defacto seiner Jugend beraubt wurde, scheint es mir nahezu unmöglich. Doch genau dies tut Grace und umso intensiver ist es für mich gewesen sie auf ihrem Weg (und im Übrigen auch auf dem ihrer Schwester, der nicht weniger tragisch ist) zu begleiten.

Eigentlich benötigt das Buch eine ganze Seite an Triggerwarnungen, es werden nicht nur die bereits genannten Themen bearbeitet, und dennoch lässt es uns nicht völlig derangiert und hilflos zurück. Es versucht, mit wiederkehrender Betonung darauf sich selbst zu vertrauen und seine Stimme gegen Ungerechtigkeit (eigentlich viel zu harmloses Wort dafür…) zu erheben, Leserinnen darin zu bestärken für sich selbst einzustehen.

Veröffentlicht am 05.11.2024

Zum Wohlfühlen!

Love Me Like It's Yesterday
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Juno hat nach einem traumatischen Vorfall in der digitalen Welt dieser den Rücken gekehrt. Nicht nur Social Media hat sie an den Nagel gehängt, sie besitzt auch kein Handy mehr und ist vollends analog ...

Juno hat nach einem traumatischen Vorfall in der digitalen Welt dieser den Rücken gekehrt. Nicht nur Social Media hat sie an den Nagel gehängt, sie besitzt auch kein Handy mehr und ist vollends analog unterwegs. Taro ist genau das Gegenteil: YouTuber und Influencer. Okay, eigentlich ist er promovierter Psychologe, aber verdient jetzt sein Geld als Dating Experte im Internet. Um seine Expertise unter Beweis zu stellen geht er eine Wette ein, dass er innerhalb kürzester Zeit Junos Handynummer bekommen kann.

Bitte mal Hände hoch, wer jetzt auch sofort an „Wie werde ich ihn los in 10 Tagen“ oder „Eiskalte Engel“ gedacht hat!
Jetzt ist Taro fast genau mein Alter (36 ich, 34 er) da hätten ihm diese Filme, die er mit Sicherheit kennt - er scheint auf dem Gebiet nämlich recht bewandert zu sein - eine Lehre sein sollen, dass er von solchen Wetten mal besser die Finger lässt. Sieht er glücklicherweise schnell ein, dass das eine ziemlich bescheuerte Idee war, nur kommt er aus dieser Sache nicht mehr wirklich raus. Da wir Leserinnen seinen inneren struggle mitbekommen, hat er dann (entgegen der Männer in den genannten Teenmovies) doch schnell mein Herz erweicht und wir schwelgen mit ihm und Juno auf Wolke sieben.

Dabei haben mit die vielen Details um Junos Restaurationswerkstatt, Lieder und Filme aus den 80er Jahren wahnsinnig gut gefallen. Ich habe die 550 Seiten durchgesuchtet, weil der Stil und die Geschichte wirklich schön waren. Nur Juno, auf die ich mich eigentlich am meisten gefreut hatte, war mir zu schwarz-weiß in ihrem Denken. Sie macht, im Gegensatz zu Taro, kaum eine innere Entwicklung durch und verteufelt alles was auch nur in Ansätzen mit der digitalen Welt zu tun hat (sie hört kein Radio?! Seriously?).

Das Buch besticht für mich aber durch das Setting und die wiederkehrende Thematisierung der Kultur der 80er. Du hörst beim Lesen die genannten Lieder in deinem Kopf und alles ist in einen Sepia-farbenen Filter gehüllt. Das hat mich absolut abgeholt.
Wer also wie ich Sweet Child o‘ Mine, You might think, Wuthering Heights, If I could turn back time oder Under Pressure in Dauerschleife hören könnte und mal wieder was fürs Herz braucht, der wird mit diesem Buch genau richtig liegen!

Veröffentlicht am 14.10.2024

Traum oder Realität?

Der längste Schlaf
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Mara bekommt von einem Wildfremden ein altes Herrenhaus in der Provinz geschenkt. Nachdem sie sich durchringen kann diese unerwartete Schenkung anzunehmen, merkt sie schnell, dass dieses Haus wirklich ...

Mara bekommt von einem Wildfremden ein altes Herrenhaus in der Provinz geschenkt. Nachdem sie sich durchringen kann diese unerwartete Schenkung anzunehmen, merkt sie schnell, dass dieses Haus wirklich so besonders ist, wie ihr versprochen wurde. Klingt etwas abgedreht? Das ist noch nicht alles: Mara ist nämlich auch Schlafforscherin, findet aber selbst kaum in den Schlaf, weil sie Angst hat, dass ihre Träume Realität werden könnten, so wie sie es aus ihrer Kindheit kennt und wie es nun auch wieder der Fall zu sein scheint.
Bevor ich jetzt alle von euch verliere, die (so wie ich im übrigen auch!) wenig mit magischen Elementen in Büchern anfangen können: wir haben es hier mit einem tollen Roman zu tun, der immer wieder die Frage aufwirft: was ist Traum und was ist echt? Dabei verwischt die Realität hier und da, ohne, dass es too much wird. Das schöne an Literatur ist ja, dass sie sich auch mal außerhalb der Wirklichkeit bewegen darf. Da Mara, ganz Wissenschaftlerin, immer wieder auch unwirkliche Situationen hinterfragt, driften wir nie zu sehr ab und bleiben die meiste Zeit auf dem Boden der Wahrheit.
Die Frage nach der Realität und welche Motivation hinter der Schenkung steckt ist verpackt in einen sehr spannenden Plot, der selbst mich als überaus gut schlafende Person (ja, gib mir ein Bett und ich schlafe dir sofort weg, einem 3-jährigen Kleinkind, Job und Haushalt sei Dank…) für kurze Zeit um den Schlaf gebracht hat. Getoppt wird das Ganze noch mit interessanten Fakten zum Thema Schlaf und Träumen. Ein richtig tolles Leseerlebnis!
Wer keine Thriller oder ins Fantastische abrutschende Gruselgeschichten mag, sich mit einer spannenden Geschichte wohl aber gerne mal an den Rand der Realität wagen möchte, dem sei dieses Buch sehr empfohlen!

Veröffentlicht am 24.09.2024

Wo ist Heimat?

Luzia
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Luzia wächst bei einer Ziehmutter auf, da ihrer Mutter Mittel und Wege fehlen im Österreich der 20er Jahre als alleinstehende, arbeitende Frau sie selbst großzuziehen. Doch auch dort kann sie nicht ihre ...

Luzia wächst bei einer Ziehmutter auf, da ihrer Mutter Mittel und Wege fehlen im Österreich der 20er Jahre als alleinstehende, arbeitende Frau sie selbst großzuziehen. Doch auch dort kann sie nicht ihre gesamte Kindheit verbringen und wird weiter geschickt auf einen landwirtschaftlichen Hof in die niederösterreichische Bucklige Welt.

Luzias Kindheit ist nicht nur geprägt von schwierigen Lebensbedingungen und gesellschaftlichen Spannungen, sondern vor allem von einer Suche nach einer Heimat, Liebe und Fürsorge. Mit kindlicher Naivität versucht sie die Welt um sich herum zu verstehen und ihren Platz darin zu finden, wo sie doch nirgends willkommen zu sein scheint. Die Geschichte lebt von der atmosphärischen Erzählung und den Bildern, die im Kopf beim Lesen erwachen. Trotz der wenigen Seiten, die das Buch umfasst, ist mir doch mehrfach das Herz in die Hose gerutscht ob der Dinge, die dem Mädchen widerfahren. Mein Mutterherz möchte sie einfach nur in den Arm nehmen.

Die Geschichte eignet sich wunderbar für einen melancholischen Nachmittag auf der Couch. Der kurze Ausflug in das historische Österreich lädt ein über Identität und Herkunft nachzudenken und übt zudem auch Gesellschaftskritik (Ausgrenzung, fehlende Kommunikation zwischen verschiedenen politischen Lagern, politisch motivierte Gewalt). Meine einzige Kritik an diesem Buch ist die Verwendung des Zig***er-Begriffes in der direkten Rede für eine Gruppe fahrender Leute und Menschen ohne Obdach, ohne dies in einem Nachwort korrekt historisch einzuordnen.

Veröffentlicht am 07.09.2024

Tolle Sprache und Erzählweise

Mit Blick aufs Meer
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Der Blick aufs Meer, das ist wohl allen Bewohnern in dieser Kleinstadt an der Ostküste der USA gemein. Eine von ihnen ist Olive Kitteridge, eine pensionierte Mathematik-Lehrerin, die weder besonders beliebt ...

Der Blick aufs Meer, das ist wohl allen Bewohnern in dieser Kleinstadt an der Ostküste der USA gemein. Eine von ihnen ist Olive Kitteridge, eine pensionierte Mathematik-Lehrerin, die weder besonders beliebt ist, noch sonst irgendwie bereichernd im Umgang. Ganz anders Henry, ihr Mann. Er ist höflich und gütig und liebt Olive trotz ihres muffeligen Charakters innig. Das Buch erzählt aber nicht nur die Geschichte dieser beiden, sondern auch episodenhaft aus dem Leben der anderen Einwohner. Wie durch einen Blich durchs Fenster erhaschen wir einen Blick in das Leben der anderen ohne jeweils tief darin einzutauchen. Ganz besonders ist dabei die Sprache und Erzählweise der Geschichte. Sie trägt uns erst mit stimmungsvollen und atmosphärischen Beschreibungen in die Situation, sanft lässt du dich treiben und dann in einem Halbsatz bäääm Aufprall auf dem harten Boden der Realität und dann geht es nahtlos weiter, als ob nie was geschehen wäre (Beispiel: Mrs Granger, die eine tolle und pflichtbewusste Mitarbeiterin war, immer pünktlich und ordentlich, bis sie dann plötzlich eines Nachts verstorben ist. I‘m Sorry Mrs Granger! Damit ist dein Auftritt hier jetzt auch beendet…).
Man kann Olive daher jetzt sympathisch finden, oder nicht (wahrscheinlich eher nicht), Kurzgeschichten mögen oder nicht, aber die intelligente Verwendung der Sprache, finde ich, muss man einfach lieben.
Zurecht ein Backlist Buch!