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Veröffentlicht am 16.11.2024

Tödliche Therapie

Miss Merkel: Mord in der Therapie
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Es geht wieder tödlich zu in Klein Freudenstadt in der Uckermark, dem fiktiven Ruhesitz von Angela Merkel, oder, wie sie in David Safiers Cozy-Krimis besser bekannt ist: Miss Merkel. Im nunmehr vierten ...

Es geht wieder tödlich zu in Klein Freudenstadt in der Uckermark, dem fiktiven Ruhesitz von Angela Merkel, oder, wie sie in David Safiers Cozy-Krimis besser bekannt ist: Miss Merkel. Im nunmehr vierten Band der Reihe hadert die Ex-Kanzlerin allerdings gewaltig mit dem Ruhestand - dabei kann sie vom Ampel-Aus zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts ahnen. Das Schreiben an ihrer Autobiographie hatte allerdings eine ernüchternde Wirkung: Fehler wurden gemacht, manches ist liegengeblieben, so manche Einschätzung erwies sich im Nachhinein als falsch, ja schädlich. Da hilft auch die bevorstehende Hochzeit der besten Freundin Marie mit Bodyguard Mike nichts gegen den Altkanzlerin-Blues.

Die Lieblingsmenschen kriegen das Stimmungstief natürlich auch mit - und wissen eine Lösung: Psychologische Hilfe ist gefragt in "Mord in der Therapie". Über die erste Sitzung Gruppentherapie kommt die Ex-Kanzlerin allerdings nicht hinaus. Das liegt nicht nur an negativen Schwingungen innerhalb der Gruppe, der unter anderem ein Wutbürger und eine Klimakleberin angehören, also nicht gerade Merkel-Fans. Die Explosion eines Bootes mit dem Psychologen an Bord bedeutet vielmehr: Ermittlungen statt Therapie. Aber das Detektiv-Spielen hat Merkel ja bereits in den vorangegangenen drei Bänden gegen Renten-Frust geholfen.

Dass die Ex-Kanzlerin bei ihrer Therapiegruppe selbst als Verdächtige gilt, ist allerdings eine neue Erfahrung. Wobei auch sie schnell vermutet: Der Täter oder die Täterin muss sich in der Gruppe befinden. Kein Wunder, dass Bodyguard Mike seine Chefin einmal mehr nicht bremsen kann bei Sologängen, die er doch eigentlich verhindern will. Doch zwischen Hochzeitsvorbereitungen und Stress mit den angereisten Spät-Hippie-Eltern kann der Security-Experte schnell mal den Überblick verlieren. Außerdem wissen wir ja - Männer tun sich mit Multitasking eher schwer.

Safier folgt einmal mehr dem bewährten wie erfolgreichen Muster, die Ex-Kanzlerin mit exzentrischen Mitbürgern und turbulenten Situationen zu umgeben. Mitunter für meinen Geschmack zu klamaukig, Allerdings wird das durch Sprecherin Nana Spier aufgehoben, die so wunderbar "merkelt" Für ihre Interpretation des Buches ist glatt noch ein Extra-Stern angebracht. aber unterhaltsam. Am besten ist die Roman-Merkel immer dann, wenn sie sich süffisant mit Politiker-Kollegen und Krisen auseinandersetzt, die offensichtlich eine Schule fürs Leben waren. Das nützt dann auch in der Uckermark.

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Veröffentlicht am 10.11.2024

Lafers Lieblingsrezepte

L wie Lafer
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Wenn jemand mehrere Jahrzehnte als Meisterkoch vorweisen kann, hat er viel Wissen, Tricks und Küchengeheimnisse weiter zu geben. In "L wie Lafer" stellt Johann Lafer eine Zusammenstellung von 100 seiner ...

Wenn jemand mehrere Jahrzehnte als Meisterkoch vorweisen kann, hat er viel Wissen, Tricks und Küchengeheimnisse weiter zu geben. In "L wie Lafer" stellt Johann Lafer eine Zusammenstellung von 100 seiner Lieblingsrezepte vor. Die Mischung ist bunt: Regionale Spezialitäten und Kochinspirationen aus aller Welt, einige eher einfach klingende Rezepte, andere, die schon beim Lesen Raffinesse versprechen, auch Variationen bekannter Gerichte. Da wird etwa eine Frikadelle durch Wildfleisch veredelt.

Manche der vorgestellten Rezepte sind alltagsgeeignet, etwa der lauwarme Salat von Schinkenknödeln, der mich an den Semmelknödelsalat meiner Oma erinnert - Restverwertung und so lecker! Oder der steirische Kartoffel-Gurkensalat, genau das Richtige für einen Sommertag. Deftig sind Rheinischer Sauerbraten und Szegediner Gulasch, aber auch der asiatische Schweinebauch oder Elsässer Sauerkraut. Und auch ein Rösti a la Lafer schmeckt jederzeit.

Andere Rezepte klingen aufwändiger oder aufgrund der Zutaten eher für einen besonderen Anlass, etwa Parmesan Mousse mit Bittersalat und Wachtelei. Auch die Hummerklöße auf Blattspinat sind nicht gerade für jeden Tag. Auch die Petit Fours aus dem Dessertkapitel sind deutlich zeitaufwändiger als beispielsweise der ebenfalls vorgestellte Mohnschmarrn

International sind etwa vietnamesische Reisröllchen, Ceviche, Pad Thai, ein sehr lecker klingendes kreolisches Fischragout, Tajine mit Hähnchen oder Schweinefleisch süßsauer. Daneben gibt es international inspirierte Fusionsgerichte, beispielsweise Garnelen-Cevapcici mit Mangoreissalat oder Vindaloo mit Riesengarnelen und Ananas, Fischragout Stroganoff oder gebratener Tofu auf Curryspätzle oder ein süßes Wasabi-Kürbiskern-Parfait - auf diese Geschmackskombination muss man erst mal kommen.

Die einzelnen Kapitel sind aufgegliedert in die Themenbereiche Suppen, Kleine Gerichte, Fisch, Fleisch, vegetarische Gerichte und Desserts, das Buch ist reichlich bebildert und am Ende vieler Gerichte steht noch ein Meister-Tipp. Geschmacklich dürfte für jeden etwas dabei sein. Ich freue mich jedenfalls schon aufs Nachkochen.

Veröffentlicht am 09.11.2024

Gebrauchslyrik und Punk

Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer
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Manchmal genügt ein Name, um einen Hörsaal garantiert zu füllen. So auch bei Andreas Frege an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität, sehr viel besser bekannt unter dem Namen Campino. Der Sänger und ...

Manchmal genügt ein Name, um einen Hörsaal garantiert zu füllen. So auch bei Andreas Frege an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität, sehr viel besser bekannt unter dem Namen Campino. Der Sänger und Frontmann der Toten Hosen äußert sich immer wieder nicht nur auf der Bühne, sondern auf Demonstrationen oder anderen öffentlichen Auftritten pointiert zu gesellschaftlichen Themen, zu Rasssimus, Rechtsextremismus usw. Ein Hörsaal war bisher eher nicht die gewohnte Umgebung des Düsseldorfer Musikers. Entsprechend groß war die Neugier auf seine beiden Gastvorlesungen. Wer den live-Auftritt verpasst hat, kann Campinos "Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik" nun nachlesen.

Unter dem Titel "Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer" zeigt sich Campino als Fan von Erich Kästners Gedichten, geht auch auf Heinrich Heine, den Namenspaten der Universität und dessen Gedichte ein, die er im Laufe der Jahre zu schätzen gelernt hat und schlägt natürlich auch den Bogen zur Musik und dem Liedertexten. Wer die Bandgeschichte der Toten Hosen bisher nicht so eng verfolgt hat, erfährt so manches über die Ursprünge der Gruppe, ihre Arbeit und ihr Engagement außerhalb der Bühne. Auch manches Persönliche wie die Beziehung zu seinen Eltern kommt in Campinos Vorlesung zur Sprache.

"Eisgekühlter Bommerlunder" und "Bis zum bitteren Ende" sind zwar nach wie vor beliebte Rausschmeißer bei Konzerten der "Hosen", aber Sauf- und Spaßlieder sind schon seit vielen Jahren nicht mehr typisch für die Band und die oft nachdenklichen Texte Campinos, die immer wieder den Finger in Wunden der gegenwärtigen Gesellschaft legen. In der ersten Gastvorlesung geht es so denn auch um die Entstehungsgeschichte von Liedern, die sich mit Verlust, Rechtsextremismus oder Missbrauch auseinandersetzen, wie "Unser Haus", "Willkommen in Deutschland" oder "Böser Wolf".

Nachdenklich ist auch die zweite Gastvorlesung, in der sich Campino mit KI auseinandersetzt und den Chancen, aber auch den Bedrohungen, die Künstliche Intelligenz für Musiker, Schauspieler oder Schriftsteller bietet. An einigen Beispielen demonstriert er, was die Programme jetzt schon können, etwa wenn die KI den Auftrag erhält, einen Liedertext zu verfassen, der die Stile von Campino, Kästner und Heine vereint. Das Ergebnis verblüfft - und wirft die Frage auf, wieviel Raum KI in der Zukunft in kreativen Prozessen einnehmen könnte -und sollte.

Nicht nur für "Hosen"-Fans viel Stoff zum Nachdenken, und die Erkenntnis: Auch im Hörsaal weiß Campino zu überzeugen.

Veröffentlicht am 07.11.2024

WG wird zur Wahlfamilie

Wohnverwandtschaften
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Als Zahnärztin Constanze nach der Trennung von ihrem Freund schnell eine neue Unterkunft braucht, zieht sie in die WG des reiselustigen Rentners Jörg, der Schauspielerin Anke und des lebenslustigen und ...

Als Zahnärztin Constanze nach der Trennung von ihrem Freund schnell eine neue Unterkunft braucht, zieht sie in die WG des reiselustigen Rentners Jörg, der Schauspielerin Anke und des lebenslustigen und stets optimistischen Murat. Nur vorübergehend, ist sie überzeugt. Sie ist schließlich schon eine Weile aus dem Studentinnenalter raus, die WG ist zweckmäßig und kostensparend, gerade im teuren Hamburg, wo günstige Wohnungen eher Mangelware sind. Doch der Titel von Isabel Bogdans Roman "Wohnverwandtschaften" macht schon klar: es kommt anders.

Aus Fremden werden Freunde, aus Freunden eine Wahlfamilie. Auch wenn sich manches erst einmal einspielen muss. Anke freut sich einerseits, nicht mehr die einzige Frau zu sein, fühlt aber auch Eifersucht, als sie vermutet, dass Constanze und Murat eine gemeinsame Nacht verbracht haben. Gerade, weil sie in ihrem Beruf mit 50 plus plötzlich nicht mehr gefragt ist mit Rollen. Die finanziellen Probleme sind da nur ein Aspekt, auch Ankes Selbstwertgefühl bricht zusammen.

Zur Wahlfamilie werden die Jüngeren auch für Jörg, den verwitweten Wohnungsbesitzer. Sein Sohn und dessen Familie leben in Südfrankreich, da sieht man sich nicht so oft. Und bekommt auch nicht mit, was vor allem Constanze und Anke zunehmend auffällt: Jörg wiederholt sich oft, wird vergesslich. Ist er einfach nur zerstreut, oder steckt mehr dahinter? Murat, der sorglose Sonnenschein der WG, spielt die Sorgen der beiden herunter, bis die Auffälligkeiten offensichtlich werden. Und auch Jörg, anfangs genervt von den Vorschlägen der Mitbewohnerinnen, sich doch mal untersuchen zu lassen, merkt, dass etwas nicht mehr stimmt.

Leicht geschrieben, aber mit ernsten Tönen, geht es in Bogdans Buch um Beziehungsprobleme, Altersdiskriminierung und Demenz, aber auch um Freundschaft, Fürsorge, Solidarität und gegenseitige Unterstützung. Die Balance zwischen Humor und Ernst wird gut gehalten. Dabei werden die kurzen Kapitel aus der Perspektive jeweils eines der WG-Bewohner, manchmal auch als Beschreibung der Gedanken und Gefühle aller geschildert. Unsentimental und warmherzig macht Bogdan ihre Leser*innen zu Mitbewohnern der WG, die ich gerne durch das Buch begleitet habe.

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Veröffentlicht am 04.11.2024

Frau ohne Erinnerung

Kanadische Jagd
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Mit seinem Detective John Cardinal in der kanadischen Algonquin Bay hat Giles Blunt einen interessanten Protagonisten geschaffen: Ein Kleinstadtpolizist in der kanadischen Provinz, der sich mit vergangener ...

Mit seinem Detective John Cardinal in der kanadischen Algonquin Bay hat Giles Blunt einen interessanten Protagonisten geschaffen: Ein Kleinstadtpolizist in der kanadischen Provinz, der sich mit vergangener Schuld und der Sorge um seine bipolare Frau herumschlägt. Da kann das Privatleben schon mal gewaltig von der Arbeit ablenken. Spielte der letzte Fall von Cardinal und seiner frankokanadischen Kollegin Lise Delorme im eisigen Winter, ist nun Frühling an der Algonquin Bay - mit dazugehöriger Mückenplage. Wie schon in den vorangegangenen Bänden sorgt Blunt mit Landschafts- und Naturbeschreibungen dafür, dass auch die ferne Szenerie an den Großen Seen ihre Rolle im Buch spielt.

Cardinal und Delorme haben in "Kanadische Jagd" mit einem Verbrechensopfer zu tun, das zwar lebt, aber als Augenzeugin vorerst nicht zu gebrauchen ist: Die junge Frau, die mit einer Kugel im Kopf gefunden wurde, hat keine Erinnerung daran, wer sie ist und warum jemand sie umbringen wollte. Als obendrein eine Leiche auftaucht, ist diese in einem ausgesprochen üblen Zustand. Sadistischer Täter oder Ritualmord? Und wer ist der selbsternannte Schamane, der den Menschen in Algonquin Bay einerseits Karten legt, um das Schicksal zu erkunden, sich aber auch in den Drogenhandel einmischt und einen Konflikt mit der örtlichen Motorradgang heraufbeschwört?

Lange tappen Cardinal und Delorme im Dunkeln, denn auch als ihr Schützling das Gedächtnis allmählich zurückerlangt, verrät die junge Frau nicht alle ihre Geheimnisse. Schnell zeigt sich, dass blutsaugende Mücken nicht das einzige Problem dieses Frühjahrs sind - und obendrein scheint Cardinals Frau auf den nächsten manisch-depressiven Schub zuzusteuern, ausgerechnet auf einer Exkursion mit ihren Studenten in Toronto...

Blunt überzeugt mit einem sympathischen und menschlich glaubwürdigen Protagonisten, gerade weil der kein perfekter Mensch ist. Auch die übrigen Mitarbeiter seines Teams sind realistisch gezeichnet. Der Autor verrät den Leser*innen etwas mehr, als er zunächst seinen Ermittlern zugesteht, was die Spannung keineswegs trübt.

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