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Veröffentlicht am 02.10.2017

Wie ein Krimi

Konklave
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Der Papst ist tot. Er erlag einem Herzinfarkt, sehr plötzlich kam es. Der Dekan ist entsetzt und betrübt. Einige Wochen vergehen, die Bestattung, die Zeit der Anreise der Kardinäle. Es naht das Konklave, ...

Der Papst ist tot. Er erlag einem Herzinfarkt, sehr plötzlich kam es. Der Dekan ist entsetzt und betrübt. Einige Wochen vergehen, die Bestattung, die Zeit der Anreise der Kardinäle. Es naht das Konklave, ein neuer Papst muss gewählt werden. Wird es eine schnelle Abstimmung sein? Oder wird sich die Entscheidung hinziehen. Nach dem ersten Wahlgang gibt es noch keinen Favoriten, doch bald zeichnet sich ab, wer gute Chancen hat, zum Kirchenoberhaupt gewählt zu werden. Doch der Dekan findet heraus, dass der sich abzeichnende Kandidat nicht immer so kirchentreu war wie es sich geziemt.

Liest man den Klappentext dieses Buches, kann man sich nicht vorstellen, wie aus dieser Thematik ein Thriller entstehen soll. Die Kirchenmänner sollen doch allem Weltlichen entrückt sein und sich an die zehn Gebote halten. Wahrscheinlich tun sie das auch, grundsätzlich jedenfalls. Zumindest aber ist man zuversichtlich, dass Robert Harris einen guten Roman abliefern wird, schließlich ist er als Schreiber intelligenter und spannender Bücher bekannt. Und tatsächlich schafft es Robert Harris aus einer Papstwahl ein packendes Intrigenspiel mit ungewissem Ausgang zu machen. Je weiter man liest, desto mehr Untiefen tun sich zwischen den Akteuren auf. Wer kann wem trauen und wem gegenüber sollte man besser misstrauisch sein? Die 118 Teilnehmer des Konklave, alle Kardinäle unter achtzig, versuchen aus ihrer Mitte, den Besten heraus zu picken. Dabei werden zunächst ein paar Nieten gezogen, denen man allerdings in keiner Weise zugetraut hätte, dass sie überhaupt ein Wässerchen trüben könnten. Die Teilnehmer werden immer unsicherer, wer die Aufgabe überhaupt erfüllen könnte. Wer kann die Last, die Bürde des Amtes tragen? Welche Ränke sich entspinnen ist schon genial. Gefesselt klebt man an den Seiten. Mit Erstaunen liest man von den unbekannten Abläufen und dankt dem Autor für seine akribische Recherche, die einen ungeahnten Einblick in die Vorgänge hinter verschlossenen Türen zulässt.

Ein interessantes Thema, von dem man nie angenommen hätte, das es sich zu einem so packenden Thriller verarbeiten lässt.

Veröffentlicht am 16.09.2017

Geburtstag

Die Hauptstadt
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Zum Jahrestag der Gründung der EU-Kommission soll Fenia Xenopoulou einen Festakt organisieren, mit dem sowohl eine Feier begangen werden soll als auch das Image der Kommission aufgebessert werden soll. ...

Zum Jahrestag der Gründung der EU-Kommission soll Fenia Xenopoulou einen Festakt organisieren, mit dem sowohl eine Feier begangen werden soll als auch das Image der Kommission aufgebessert werden soll. Fenia, die im Grunde schnellstmöglich wieder von der Kultur weg will, beauftragt Martin Susman mit der Erstellung eines Konzepts. Zur gleichen Zeit zieht einer der letzten Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz, David de Vriend, in ein Seniorenheim; Kommissar Brunfaut versucht einen Mord aufzuklären, der verschwunden ist; Professor Erhart bereitet sich auf eine Rede vor und ein unbekanntes Hausschwein geistert durch Brüssel.

Etliche Geschichten verschiedener Personen, die als Ganzes doch einen Zusammenhang haben. Die Läufe der Brüsseler Bürokratie, die in dem Willen, die Eigenheiten jedes Mitgliedstaates zu berücksichtigen, kaum eine andere Chance hat als sich zu verzetteln. Einer der scheidenden Engländer bringt es auf den Punkt, was die Eliten im britischen Parlament ohne auf das Wohl des Volkes zu achten innerhalb von zwanzig Minuten entscheiden, dauert in der EU Wochen und Monate. Mit Anfragen, Communiqués, Sitzungen endet es in Kompromissen, die die Gepflogenheiten aller EU-Länder berücksichtigen (sollen), in denen sich der Einzelne aber nicht mehr wiederfindet. Was kann die eigentlich hervorragende Europäische Idee des „Nie wieder Auschwitz, nie wieder Rassismus!“ noch retten?

Tja, die normale Öffentlichkeit verlustiert sich mit der Namensgebung eines Schweins, das im Verlauf der Zeit immer mehr zum Phantom wird. Inzwischen werden Morde ignoriert, ein Festakt in der Bürokratie zermalmt, eigentlich bahnbrechende Ideen im Keim erstickt, gehen Erinnerungen mit den letzten Überlebenden verloren und nichts scheint wichtiger als der Absatz von Schweineschlachtabfällen in China.

Mit seiner beinahe allumfassenden Geschichte über die europäische Bürokratie und ihre Auswüchse fordert Robert Menasse zum aufmerksamen Lesen. Teils kennt man die Strukturen, teils ist man überrascht und manchmal auch erschrocken, hin und wieder belustigt. Doch immer wirkt die Darstellung so, als ob es tatsächlich so sein könnte. Der Alltag in den EU-Behörden könnte so stattfinden. Da kann schon mal ein Pass gewechselt werden wegen der Karrierechancen. Da könnte man nachdenken, welche Bedeutung die eigene Herkunft noch haben könnte. Weiterentwicklung oder Stillstand. Hat die EU noch eine Vision? Eine Frage, die der Autor nicht beantwortet. Je nach Einstellung des Lesers könnte der Roman ein Abgesang sein, durch den die Unmöglichkeit des „Unter einen Hut bringens aller Beteiligten“ nur noch deutlicher wird, oder eine vage Hoffnung auf einen echten Fortschritt in Richtung eines wirklichen Staates EU, in dem die Herkunft nur noch der Name eines Ortes, einer Stadt ist, mit dem aber keine Eigeninteressen einzelner Staaten mehr verbunden sind. Interpretationen der Absicht des Autors bleiben natürlich den Lesern überlassen, doch dass dieses Buch den Anlass gibt solche Interpretationen anzustellen oder gar eine eigene Meinung zu finden, ist geradezu großartig. Vielleicht sollte tatsächlich der Schritt zu einer wahren Union gewagt werden.

Veröffentlicht am 05.06.2017

Freiheit!

Der Tag X
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Kurz nach dem Krieg wird Nellys Vater von den Sowjets aus Ostberlin nach Russland verschleppt. Wie viele andere Wissenschaftler soll er für die Sieger forschen. Nellys Mutter weigert sich, ihren Mann zu ...

Kurz nach dem Krieg wird Nellys Vater von den Sowjets aus Ostberlin nach Russland verschleppt. Wie viele andere Wissenschaftler soll er für die Sieger forschen. Nellys Mutter weigert sich, ihren Mann zu begleiten. Noch im Jahr 1953 weiß Nelly nicht, wo ihr Vater ist. Bald will sie Abitur machen, doch ihr Engagement bei der christlichen jungen Gemeinde wird ihr zum Verhängnis. Ihr wird verboten, an den Abiturprüfungen teilzunehmen. Wolf Uhlitz, ein junger Uhrmacher, der sich in Nelly verliebt hat, wird von der Stasi in den Dienst gezwungen, um die christliche Gruppe zu infiltrieren. Und der Russe Ilja, der einmal gut zu Nelly war, bringt immer seltener Briefe von ihrem Vater.

Keine Liebesgeschichte im eigentlichen Sinne, keine romantischen Treffen junger Menschen in einer wachsenden DDR, in der doch alles nicht so schlimm ist. Man muss nur seine Nische finden. Und wenn man nicht in eine abgeschottete Nische will? Wenn man offen seine Meinung sagen will? Wenn man einfach nur über Vor- und Nachteile des Systems diskutieren will. Im Frühjahr 1953 ist die Lage in Ostdeutschland schlecht, die Normen werden heraufgesetzt, die landwirtschaftliche Produktion sinkt, die Läden sind leer. Manche Mütter wissen nicht, wie sie ihren Kindern etwas Vernünftiges auf den Tisch bringen sollen.

Bespitzelung und Denunziation an allen Ecken und Enden. Keiner kann dem anderen wirklich trauen. Geheimdienste spionieren und nutzen jede Gelegenheit, um die jeweils anderen auszuspähen. Und auch die große Politik spinnt ihre Fäden. Gerade diese jedoch haben nicht unbedingt das Wohl der Menschen im Sinn. Wenn es um das sogenannte große Ganze geht, kann ein Einzelner schon zum bedauerlichen Opfer werden. Und so wird der verzweifelte Aufstand der Arbeiter von allen Seiten für die eigenen Ziele genutzt.

Nach der mitreißenden Lektüre dieses Romans fühlt man sich eindringlich daran erinnert, dass die Freiheit, sich nach seiner Überzeugung zu äußern und zu leben, zumindest solange man andere damit nicht ungerechtfertigt einschränkt, nicht selbstverständlich ist. Fast klaustrophobisch könnte man das Gefühl beschreiben, das die Lektüre auslöst. Die immer größer werdende Enge des Überwachungsstaates, das gegenseitige Belauern, das Misstrauen, das immer größer wird. Dazu ein spannendes Spionagegeschehen vor dem Hintergrund der Weltpolitik. Man stellt sich, die Frage, ob die Menschen in der DDR von allen verlassen wurden, zum einen, um den idealen Arbeiter- und Bauernstaat zu schaffen, zum anderen aber auch, um ein vereintes, aber neutrales Deutschland zu verhindern. Soll man von Glück reden, wenn die eigenen Großeltern einfach ein paar Kilometer weiter gelaufen sind und einem so ermöglicht haben in einer westlichen Demokratie aufzuwachsen. Zumindest sind die Zeiten vorbei, in denen man dieses Privileg für selbstverständlich halten sollte.

Ein hervorragender zeitgeschichtlicher Roman, der sehr eindringlich daran erinnert, dass Freiheit keine Selbstverständlichkeit ist.

Veröffentlicht am 30.04.2017

Das weiße Blatt

Sommer unter schwarzen Flügeln
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Nuri kommt aus Syrien. Mit ihrer Familie lebt sie in einem Flüchtlingsheim in der Einöde des Ostens. Sie geht zu Frau Silbermann, um zu erzählen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass sie dort auf Calvin ...

Nuri kommt aus Syrien. Mit ihrer Familie lebt sie in einem Flüchtlingsheim in der Einöde des Ostens. Sie geht zu Frau Silbermann, um zu erzählen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass sie dort auf Calvin trifft, in ihrem Alter, Deutsch, stramm rechts. Nuri, die eigentlich Nura heißt, beginnt ihre Geschichte zu erzählen. Und Calvin wird entführt, nach Syrien, nach Damaskus, in ein Land der Schönheit, in ein Land, in dem die Gefahr immer gegenwärtig ist, immer größer wird. Doch auch im grünen Deutschland gibt es Gefahren, die nicht unterschätzt werden dürfen. Die Asylanten sind nicht wohlgelitten und Calvin gehört zu denen, die man am besten meidet wie der Teufel das Weihwasser.

Ausgerechnet bei Frau Silbermann, die Birkenau überlebt hat, treffen sich Nuri und Calvin. Nuri, die erzählen muss, um sich zu befreien. Und Calvin, der zunächst widerwillig zuhört und doch immer mehr in den Bann ihrer Geschichte gezogen wird. Calvin fängt langsam an zu begreifen, dass Nuri und ihre Familie wohl nicht ohne Grund geflohen sind. Nuri, die sieht, dass auch so fremdenfeindliche Typen wie Calvin ihre Erzählung der Flucht aushalten sollten. Doch kann das aufkeimende bessere Verständnis zwischen diesen beiden die Situation zwischen den Menschen, die in dem Asylantenheim leben, und denen, die in den Sozialwohnungen leben, entspannen. Eher bieten die beiden, für beide Gruppen einen Grund noch mehr aufeinander loszugehen.

Nach der Lektüre dieses aufwühlenden Romanes muss man erstmal innehalten und tief durchatmen. Eine ganze Weile sitzt man vor dem weißen Blatt bevor man beginnen kann, seine Eindrücke in Worte zu fassen. Der Autor berichtet in brutal offenen Worten von einer Wirklichkeit, von der man eigentlich nichts wissen will. Und dennoch saugt man die Worte auf, besonders die Nuris über das Leben in Syrien, wie der relative Frieden immer mehr zerbricht, wie es gefährlicher und grausamer wird. Vor Gewaltexzessen geflüchtet, landet Nuris Familie in dem so gelobten Deutschland gerade nicht in einer besseren Welt. Auch hier wird sie bedroht, auf eine brutale Art und Weise, die weit über bloßen Protest hinausgeht. In was für einem Land leben wir hier eigentlich? Natürlich geht es hier auch nicht jedem gut, doch wie kann das ein Grund sein, über andere, denen es noch schlechter geht, herzuziehen? Je weiter man liest, desto mehr ist man gebannt. Je weiter man liest, desto mehr zögert man. Es geht auf ein Ende zu, das man nicht kennen möchte. Und doch setzt man sich dem aus, um mit dem Denken fortzufahren, um endlich zu denken, sich zu informieren und zu begreifen, zu trauern und sich zu schämen. Dies ist eine Geschichte, die zwar nur ein Roman ist, in der aber so viel von unserer Wirklichkeit steckt, dass sie unbedingt gelesen werden muss.

Veröffentlicht am 07.11.2024

Mann und Müller

Gefährliche Betrachtungen
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Im Jahr 1930 reist der junge Übersetzer Žydrūnas Miuleris nach Nidden auf der Kurischen Nehrung. Er hofft dort auf sein Idol Thomas Mann zu treffen, der für seinen Roman „Die Buddenbrooks“ den Literaturnobelpreis ...

Im Jahr 1930 reist der junge Übersetzer Žydrūnas Miuleris nach Nidden auf der Kurischen Nehrung. Er hofft dort auf sein Idol Thomas Mann zu treffen, der für seinen Roman „Die Buddenbrooks“ den Literaturnobelpreis erhalten hat. Miuleris größter Wunsch ist es den großen Roman ins Litauische zu übersetzen. Während eines Strandaufenthaltes hat er Glück, ein paar Seiten eines Schriftstücks einzufangen, dass der Wind aus den Händen Manns davongetragen hat. Er memoriert einen Teil des Geschriebenen, in dem Thomas Mann seine Meinung zur politischen Lage und der herandrohenden Naziherrschaft kundtut. So kommt Miuleris mit Mann in Kontakt und ahnt nicht, was sich aus der kleinen Begegnung entwickeln wird.

Zum 150. Geburtstag des Schriftstellers Thomas Mann erscheint dieser historische Kriminalroman. Die kritischen Blätter, von denen Miuleris, der von Mann nur Müller genannt wird, ein Faksimile angefertigt hat, führen dazu, dass die beiden unterschiedlichen Herren, ihre spontane Detektei Mann und Müller gründen. Müller hat das Pech sein Faksimile zu verlieren, wegen seines brisanten Inhalts, kann es gefährlich sein, wenn es an die Öffentlichkeit gelangt. Und so unternehmen Mann und Müller so einiges, um wieder in den Besitz des Schriftstücks zu kommen. Dabei erfahren sie das ein oder andere über ihre Persönlichkeiten und Vorlieben.

Ist man mit dem Werk Thomas Manns bekannt ist, aber nicht so sehr mit dem Autor, bietet dieser Roman eine tolle Gelegenheit, dem Nobelpreisträger ein wenig näher zu kommen. Mit großem Interesse liest man von der Sommerfrische, von den Gedanken Thomas Manns zur politischen Lage und von seinen Familienleben. Gleichzeitig lernt man den jungen Übersetzer kennen, der nicht nur des Schriftstellers wegen nach Nidden gereist ist. Es ergibt sich eine sehr ansprechende Handlung, die spannender ist als erwartet, die einen berührt und einen zum Nachdenken bringt. Vielleicht hat man nicht viele Erwartungen an das Buch, diese werden bei weitem übertroffen durch diesen intelligenten Roman, den es sich zu lesen lohnt.

Da Titelbild gibt die Stimmung des Romans sehr gut wieder, man denkt ein wenig an den großen Romantiker Caspar David Friedrich, aber auch an die im Roman erwähnten Strandspaziergänge des Schriftstellers Thomas Mann.