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Veröffentlicht am 08.11.2024

Memoir geschrieben mit der Schlagbohrmaschine

In Wasser geschrieben
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Lidia liegt seit achtunddreißig Stunden in den Wehen. Sie weiß, dass ihre Tochter nicht mehr lebt. Man hatte ihr geraten, sie dennoch vaginal zu entbinden, das sei das Natürlichste. Am Ende liegt sie im ...

Lidia liegt seit achtunddreißig Stunden in den Wehen. Sie weiß, dass ihre Tochter nicht mehr lebt. Man hatte ihr geraten, sie dennoch vaginal zu entbinden, das sei das Natürlichste. Am Ende liegt sie im Kreißsaal, aufgeschnitten von der Vagina bis zum Anus, ihr lebloses Kind auf dem Bauch, von dem sie sich nun verabschieden muss. Sie wird nach dem Krankenhaus bei ihrer Schwester wohnen und die Traurigkeit über den Verlust wird sie zerreißen.

Ihre Schwester war achtzehn, als sie von Zuhause wegging. Sie musste ihr Leben retten vor ihrem übergriffigen und prügelnden Vater. Danach war ihm die zehnjährige Lidia ausgeliefert. Die Mutter, eine manisch-depressive Immobilienmaklerin ertrank in Wodka und unternahm nichts, um ihren Kindern zu helfen.

Lidia erhielt fünf Zusagen von Universitäten, die ihr Vater alle ablehnte. Bei einem ihrer zahlreichen Schwimmwettbewerbe wurde sie von einer Frau angesprochen, die ihr ein Vollstipendium in Texas versprach. Lidia war alles recht Hauptsache sie kam aus ihrem Elternhaus raus. Ihre Mutter unterzeichnete ihr den Vertrag und der cholerische Vater flippte aus.

In Texas absolvierte sie jede Trainingseinheit, dröhnte sich jedoch jede Nacht zu um zu tanzen, tanzen, tanzen. Sie nahm jede Körperlichkeit leidenschaftlich entgegen, liebte Frauen ebenso bereitwillig wie Männer. Nach einem halben Jahr schiss sie auf die Trainingseinheiten. Im zweiten Jahr verlor sie das Stipendium, im dritten flog sie von der Uni. Von da an soff sie sich mithilfe toxischer Partner jedes Gefühl von Wertlosigkeit weg.

Fazit: Lidia Yuknavitch erzählt ihr Leben. Dabei zeigt sie sich mit jeder Faser ihres Gewesenseins. Innerhalb der Familie war sie völlig verständlich ein ängstliches weinerliches Kind, das die große Schwester bewunderte. Die Zustände im Elternhaus waren die Hölle. Der Verlust der Schwester ein riesiger Bruch. In der Zeit ihrer Freiheit in Texas geriet sie völlig außer Kontrolle, ließ ihrer unbändigen Wut freien Lauf und betäubte ihre Gefühle mit allem, was sie kriegen konnte. Sprachlich obszön zeigt sie sich nackt und unterstreicht den temporeichen Irrsinn, dem sie sich ausliefern musste. Trotz alledem findet sie im Laufe ihres Lebens zu sich und wird versöhnlich und liebevoll. Zugleich ist die Geschichte Lidias ein Leben für die Literatur, durch die sie Wege fand, den richtigen Menschen zu begegnen und sich weiterentwickeln zu können. In ihrem Buch spricht sie die Leser*innen persönlich an, weil sie glaubt, dass sie sich mit sich selbst besser identifizieren können als mit ihr. Es ist ein verstörendes Buch, nicht wegen der Beschreibung der Tätlichkeiten des Vaters, das macht sie kaum, sondern wegen der Kraft ihres sprachlichen Ausdrucks. Ich habe ihr Leben gelesen, wie das Leben einer Borderlinerin, die es schafft sich aus eigenem Antrieb aus dem Morast zu ziehen. Mir kommt fast alles, was sie erleben musste, überaus bekannt vor. Es lohnt sich, die Anstrengung auf sich zu nehmen einen Blick auf Lidias Leben zu wagen, weil es so eine Wucht hat und dennoch real ist.

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Veröffentlicht am 08.11.2024

Eine durch und durch unterhaltsame sympathische Geschichte

Die vorletzte Frau
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Die dreißigjährige Katja Oskamp ahnt noch nicht, dass sie an einem Scheideweg steht. Ihr Mann, ein holländischer Generalmusikdirektor (GMD), den sie am Theater kennengelernt hat, wird arbeitslos. Bis dahin ...

Die dreißigjährige Katja Oskamp ahnt noch nicht, dass sie an einem Scheideweg steht. Ihr Mann, ein holländischer Generalmusikdirektor (GMD), den sie am Theater kennengelernt hat, wird arbeitslos. Bis dahin hat sich die Autorin mehr schlecht als recht mit Erziehung und Haushalt selbstverwirklicht. Nun kümmert er sich um die gemeinsame Tochter Paula, während Katja Theaterwissenschaften studiert. Als der Schweizer Schriftsteller Tosch ihr Gastdozent wird, fühlt sie sich gleich zu ihm hingezogen. Die beiden werden ein Paar, obwohl Tosch neunzehn Jahre älter ist als sie und verheiratet. Seine Frau, eine Schauspielerin ohne Rollen, die sich dem Alkohol hingibt, droht von Zeit zu Zeit mit Selbstmord. Tosch glaubt bei ihr bleiben zu müssen, fühlt sich verantwortlich.

Katja und Tosch sind in vieler Hinsicht auf einer Wellenlänge. Obwohl er der erfolgreiche ältere Literat, ist sie ihm ebenbürtig. Sie muten sich einander zu, werden Vertraute. Katja wird „die unerschrockene Pionierin der Liebe“. Beide hatte während der Zeit ihrer Ehen das Verlangen verlernt und entdecken sich gegenseitig.

Nachdem Katja ihre Ehe mit dem GMD auflöst, taucht Tosch unter und wird unerreichbar. Katja versteht nicht, was ihr da passiert. Sie zieht mit ihrer Tochter nach Leipzig und fühlt sich zum ersten Mal in ihrem Leben selbstermächtigt und verantwortlich. Tosch taucht wieder auf, trennt sich von seiner Frau und zieht, wie früher, nach Ostberlin in eine Junggesellenbude. Am Wochenende kommt Tosch zu Katja und ihrer Tochter, unter der Woche schreibt er in Ostberlin.

Klug tarierten wir Pflicht und Kür aus und bewahrten uns die Sehnsucht. S. 50

Fazit: Katja Oskamp lässt uns an einem Stück ihres Lebens teilhaben. Sie findet exakt die richtigen Worte, die zwei Menschen beschreiben, die sich viel zu geben haben. Es ist keine kitschige Liebesgeschichte, sondern eine von Geben und Nehmen und gegenseitigem Respekt. Beide tragen ihre Rucksäcke mit Altlasten und familiären Gegebenheiten, die sie ein bisschen neurotisch haben werden lassen und ihn distanziert. Sie versuchen das Maß an Nähe und Distanz zu finden, das für beide aushaltbar und verbindend wird. Auf dem Höhepunkt ihrer Übereinkunft spielt das Schicksal ihnen einen Streich und Katja Oskamp springt, atemlos zwischen ihrer Bereitschaft sich aufzuopfern und dem Bedürfnis nach Autonomie, hin und her. Am Ende ist es ihre Geschichte über den Umgang mit dem Älterwerden. Das Buch ist in fünf Kapitel unterteilt, jedes davon mit Zwischenüberschriften. Die Stimmfarbe ist herzlich, liebevoll und selbstironisch. Eine durch und durch unterhaltsame, sympathische Geschichte.

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Veröffentlicht am 06.11.2024

Feinsinnige Familiengeschichte

Ein anderes Leben
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Sie hat die Beerdigung ihres Vaters Bow organisiert. Sie, das ist die jüngste Tochter Hannas. Sie steht zwischen ihren Schwestern Laura und Lotte. Hinter ihnen stehen Lauras Vater Klaus und Lottas Vater ...

Sie hat die Beerdigung ihres Vaters Bow organisiert. Sie, das ist die jüngste Tochter Hannas. Sie steht zwischen ihren Schwestern Laura und Lotte. Hinter ihnen stehen Lauras Vater Klaus und Lottas Vater Roberto. Hanna liegt am Boden der Ostsee, sie ist schon vorgegangen. Die Schwestern konnten Hannas Wunsch, ihre Asche mit Bleikugeln im Meer zu versenken in keinster Weise vertreten, also hat die Jüngste es heimlich gemacht. Die, die ihre Mutter am wenigsten akzeptierte hat ihr dennoch diesen letzten Wunsch erfüllt.

Hanna, Klaus, Roberto und Bow waren Studienfreunde. Schon nach dem ersten Semester war Hanna von Klaus schwanger. Sie bekam Laura, die die meiste Zeit bei Oma wohnte, damit Hanna weiter studieren konnte. Nach dem Studium trennte sie sich und heiratete Lottes Vater. Der feurige Italiener mit der elterlichen Villa in Italien war ihr gerade recht, bis sie auch ihm überdrüssig wurde. Kurz bevor man ihr die Universitätsbibliotheksleitung übertrug, traf sie Bow wieder. Bow, der Architekt geworden war und gerade ein schönes Einfamilienhaus in Berlin baute, gefiel Hanna.

Sie zog mit den Mädchen zu ihm, heiratete und bekam ihre Jüngste. Bow erwartete um 12 Uhr ein selbst gekochtes Mittagessen, das er mit der gesamten Familie einnahm, denn so hatte es seine Mutter schon gemacht. Seine Mutter allerdings war Arztgattin und ließ ihr Hauspersonal kochen. Hanna stellte sich über Jahre dieser Aufgabe, putzte das Haus, brachte die Mädchen in Schule und Kita, holte sie meistens wieder ab, arbeitete in der Bibliothek und lauschte am Abend Bows Tagesanekdoten. Dabei blieben Hannas literarische Ambitionen auf der Strecke.

Fazit: Caroline Peters hat mit ihrem Debüt eine feinsinnige Familiengeschichte geschaffen. Die Protagonistin, eine namenlose Ich-Erzählerin folgt den Spuren ihrer Mutter, lotst den Ursprung der geschwisterlichen Sticheleien aus. Die Autorin hat Hanna einen eigenwilligen Charakter gegeben. Sie geht unkonventionelle Wege und findet Lösungen für die meisten ihrer Probleme. Letztendendes unterwirft sie ihre eigenen Bedürfnisse, ebenso wie viele andere Frauen in den 70er-80er-Jahren ihrem Mann. Nach dem Krieg mit Mutter und Geschwistern aus der Heimat geflüchtet, hat Hanna den sehnlichen Wunsch etwas zu gelten. Nicht minder ergeht es ihrem letzten Mann, der unter dem Gefühl von Minderwertigkeit leidet. Die Geschichte ist humorvoll und leicht erzählt. Hanna in ihrer Ambivalenz und verspielten Eigenart zuzusehen hat mit Freude gemacht. Eine schöne Geschichte.

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Veröffentlicht am 05.11.2024

Ein erschütterndes wie wichtiges Buch

Trauriger Tiger
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Neige Sinno porträtiert sich selbst. Sie war sieben, acht oder neun Jahre alt, als es anfing, ganz sicher kann sie sich nicht sein, die Geschichte ihrer Vergewaltigung. Andere würden es Missbrauch nennen, ...

Neige Sinno porträtiert sich selbst. Sie war sieben, acht oder neun Jahre alt, als es anfing, ganz sicher kann sie sich nicht sein, die Geschichte ihrer Vergewaltigung. Andere würden es Missbrauch nennen, aber die Autorin möchte es konkretisieren, es so nennen, wie sie es empfunden hat und wie es sich angefühlt hat. Ihr Stiefvater hat sich ihr kindliches Vertrauen erschlichen, denn obwohl Neige Scham empfand und spürte, dass etwas geschah, das nicht richtig war, dass er zu weit ging, hatte sie keine Worte gefunden. Er war der Erwachsene, der Verantwortliche für eine Schutzbefohlene. Sie sollte ihm sagen, dass sie ihn liebte und nett zu ihm sein, denn dann ließe er ihre Geschwister in Ruhe.

Neige Sinno tastet sich an ihren Täter heran. Wie war er? Geachtet in der Nachbarschaft unter Freunden, hilfsbereit, handwerklich begabt. Gut aussehend, sagen die Frauen. Charismatisch und jovial war er, konnte anpacken, hatte Führungsqualitäten und das gefiel der Mutter, die zuvor an Neiges Vater gescheitert war.

Neige war schnell klar, dass sie in der Falle saß. Wäre er verhaftet worden, hätte das Geld, das ihre Mutter mit Putzstellen dazuverdiente niemals gereicht um vier Kinder zu versorgen. Er war der Hauptverdiener. Neige war das älteste Kind und musste ihre Geschwister schützen. Sie lehnte ihren Stiefvater im Familienverbund weiterhin ab, war nicht nett zu ihm. Durch ihre Zurückweisung und Nichtakzeptanz verursachte sie ihm eine tiefe narzisstische Kränkung, die er mit immer heftigeren Praktiken quittierte. Neige hat sich wegdissoziiert, wann immer es ihr möglich war, in den Momenten, in denen sie nicht kurz vor dem Ersticken war.

Fazit: Neige Sinno hat ein Martyrium öffentlich gemacht, das nicht selten, aber ohne jeden Zweifel erschütternd ist. Mit kluger analytischer Erzählstimme nähert sie sich ihrem Täter und sich selbst. Frei von Pathos schildert sie die abartigen Ereignisse, die sie erleiden musste, die sie zutiefst geprägt haben. Sie nähert sich auch ihrer Mutter, die von den Perversionen ihres Mannes und Vertrauten nichts gewusst haben will und findet Erklärungen. Auch über die mangelnde Bereitschaft der Gesellschaft den Fakten in die Augen zu sehen, der Ignoranz spricht sie. Von Männern, die in Kriegszeiten metzeln und vergewaltigen, um den Gegner bewusst bis in die nächsten Generationen zu traumatisieren und zu zerstören. Warum sie das machen? Weil sie es können. Ebenso nimmt sie Anstoß an der gesellschaftlichen Sexualisierung von Kindern und Jugendlichen am Beispiel Nabokovs Lolita. Die in den 50ern und lange danach als verführerische, provokante Jugendliche verherrlicht wurde, sodass sogar fähige Literaturkritikerinnen das Buch für eine Liebesgeschichte hielten. Die Autorin spricht darüber, dass der Vertrauensbruch, die Manipulation, die Akte an sich, sich so tief in ihre Seele gebrannt haben, dass kein Tag in ihrem Leben ein normaler Tag ist. Wie Albträume, Flashbacks, Depression und Selbstsabotage sie immer begleiten. Während ihr Stiefvater sich von seinem humanen Freiheitsentzug (halboffener Vollzug) wieder auf der Sonnenseite des Lebens befindet, bleibt seine Stieftochter eine „Damage Person“. Als ebenfalls von Missbrauch betroffene Frau hat mir das Buch einiges abverlangt. Ich möchte nicht verheimlichen, dass ich viele Passagen mit Herzrasen, Atemnot und Flashbacks gelesen habe. Eine weitreichende Erkenntnis, die mich nachhaltig zutiefst traurig macht, ist die, dass es da draußen so viele Männer gibt, die bereit sind anderen zu schaden, um einen Mangel zu kompensieren und sich ein gutes oder berauschendes Gefühl zu verschaffen. Machtmissbrauch scheint ein probates Mittel der Wahl zu sein, seine miesen Gefühle in einen Rausch zu verwandeln, ganz ohne Reue oder Beklemmungen und das stimmt mich nachdenklich.

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Veröffentlicht am 04.11.2024

Sehr erhellend

Strong Female Character
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Fern Brady erzählt ihr Leben als Autistin. Sie hat sich schon früh anders gefühlt als die Menschen um sie herum. In der Schule brachte sie gute Leistungen blieb aber außen vor. Mit den blonden dünnen Mädchen ...

Fern Brady erzählt ihr Leben als Autistin. Sie hat sich schon früh anders gefühlt als die Menschen um sie herum. In der Schule brachte sie gute Leistungen blieb aber außen vor. Mit den blonden dünnen Mädchen konnte sie nichts anfangen, Smalltalk gewann sie nichts ab. Das grelle Licht des Klassenraums, die Geräusche ihrer Mitschüler, die Pausenglocke und erst die Geräuschkulisse in der Mensa empfand sie als Bombardement. Zuhause war Ärger unausweichlich. Sie verzog sich auf ihr Zimmer, weil sie den Lärm ihrer Familie nicht ertrug. Ihre Mutter wusch ihr am Abend die Haare und föhnte sie, für Fern eine Tortur, die ihr Körper mit starkem Juckreiz quittierte. Ihre Unfähigkeit sich anzupassen führte zu Geschrei, Demütigung und Ausgrenzung.

Auf die alltäglichen Überforderungen reagierte sie mit Weinkrämpfen oder schlug um sich. Die Eltern ignorierten oder bestraften Ferns augenscheinliches Fehlverhalten. Mehrere Aufenthalte in der Psychiatrie folgten. Die Autorin spricht über ihre Versuche sich anzupassen (maskieren) indem sie Mitschülerinnen nachahmte, aber die Zeichen der nonverbalen Kommunikation blieben ihr rätselhaft. Sie konzentrierte sich mit einer Intensität auf ihre Interessen, die andere befremdlich fanden und so lernte sie mehrere Sprachen, obwohl sie nie den Gedanken hegte zu verreisen, das hätte ihre Routinen durchbrochen und zu einem Zusammenbruch geführt. Als sie zu studieren begann, war sie erleichtert, dass sie von zu Hause wegkam. Ihre Eltern konnten sie finanziell nicht unterstützen, also jobbte sie nebenbei. Sie fand sich an der Universität nicht zurecht, schämte sich aber um Hilfe zu bitten und so brach sie immer wieder ab.

Fazit: Fern Brady ist ein gut verständliches Buch gelungen. Während sie von sich erzählt lässt sie alles einfließen, was es über die autistische Neurodiversität zu wissen gibt. Im Laufe ihres Lebens hat sie die Erfahrung gesammelt, dass Therapeuten, Psychiater und Klinikpersonal kaum etwas über den Autismus des Aspergersyndroms wissen. Wie empfindlich das Nervensystem von Autistinnen reagiert und wie schnell deren Organismus überdosiert werden kann. Die Inzidenz an Herz-Kreislaufproblemen zu erkranken, Drogenabhängigkeit oder erfolgreiche Suizide sind vielfach höher, als bei neurotypischen Menschen. Die Autorin zeigt die gesellschaftliche Überforderung im Umgang mit der autistischen unverblümten Ehrlichkeit, der Reizüberflutung, die das System jederzeit zusammenbrechen lassen kann. (Shutdown/Meltdown). Autismus ist in verschiedenen Gesellschaften immer noch ein Stigma, ähnlich wie psychische Erkrankungen, dabei könnten wir mit ein wenig Unterstützung gut koexistieren. Allerdings zeigt sich auch immer wieder, dass Menschen, die in einer Leistungsgesellschaft nicht einwandfrei funktionieren, schnell ausgemustert werden. Besonders interessant fand ich, wie Fern Brady über die autistische Offenheit gesprochen hat. Wir freunden uns gleich über die Maße an, wenn jemand nett zu uns ist. Die Unfähigkeit die Zeichen des sozialen Umgangs zu entschlüsseln führt oft zu übergriffigem Verhalten anderer gegen den autistischen Menschen. Daher ist es nicht selten, dass Autistinnen schon früh gemobbt werden oder sich in toxischen Beziehungen wiederfinden. Ich finde Fern Bradys Geschichte sehr erhellend und danke ihr, dass sie ihre Erfahrungen so offen geteilt hat. Als selbstbetroffene von mir ein klares Mustread, sowohl für neurodivergente Menschen als auch Außenstehende.

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