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Veröffentlicht am 01.08.2022

Zutiefst berührendes Schicksal einer ukrainischen Familie

Denk ich an Kiew
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Der deutsche Titel erinnerte mich beim ersten Hinschauen an Heinrich Heine, Denk ich an Deutschland in der Nacht…, ich las den Klappentext und wusste, dieses Buch muss ich lesen. Ich habe es nicht bereut, ...

Der deutsche Titel erinnerte mich beim ersten Hinschauen an Heinrich Heine, Denk ich an Deutschland in der Nacht…, ich las den Klappentext und wusste, dieses Buch muss ich lesen. Ich habe es nicht bereut, aber es hat mich tief betroffen gemacht.
Die amerikanische Originalausgabe hat den Titel The Memory Keeper of Kyiv, der Roman bewahrt tatsächlich die Erinnerung an die schändliche russische Aushungerungspolitik von Anfang der 1930er Jahre. Vor den Augen des Lesers entsteht eine für menschliche Dimensionen eigentlich nicht vorstellbare, katastrophale Situation. Stalin beschließt die Vernichtung des ukrainischen Volkes auf die perfideste Weise, der Holodomor wird in der Ukraine als Genozid betrachtet. Wer dieses Buch gelesen hat, wird eher verstehen, warum noch heute, 90 Jahre nach dieser menschengemachten Hungersnot und den Millionen Toten abgrundtiefer Hass zwischen Ukrainern und Russen besteht. Wer dieses Buch gelesen hat, weiß dann auch, dass der Ausspruch „Die Zeit heilt alle Wunden“ nur eine leere Phrase ist.
Der Roman beginnt 2004, wir lernen Cassie kennen, eine junge Frau am seelischen Abgrund, die versucht, sich und ihr Töchterchen Birdie über die Runden zu bringen. Ein Jahr zuvor verlor Cassie ihren Ehemann und Birdie den Vater durch einen Autounfall. Birdie überlebt nur knapp, spricht seitdem kein einziges Wort. Cassie ist nicht in der Lage, zu arbeiten, sie ist Journalistin und findet keinen Zugang mehr zum Schreiben. In diese Situation platzt ihre Mutter mit der Nachricht, dass die Oma, genannt Bobby, Hilfe braucht. Cassie und Birdie ziehen also kurzerhand zur Großmutter. Für Cassie beginnt eine neue Zeitrechnung. Es wird noch eine Weile dauern, bis sie sich öffnet, sie lernt den Feuerwehrmann Nick kennen, es beginnt eine Freundschaft, die sich auf sehr subtile Weise entwickelt. Beide haben etwas gemeinsam: ihre Vorfahren kamen aus der Ukraine nach Amerika. Nick jedoch ist derjenige, der die Sprache spricht und auch über die Vergangenheit und die Geschichte der Ukraine einiges weiß. Cassie hat zwar ab und an versucht, der Großmutter einige Erinnerungen zu entlocken, aber diese verschloss sich wie eine Auster.
Nun ist die Großmutter nicht nur alt, sie ist auch krank, es macht sich eine Art Verwirrtheit und beginnender Demenz bemerkbar. Cassie findet merkwürdige Zettel, entdeckt ein Tagebuch, alles Ukrainisch, und sie entdeckt Lebensmittel an den merkwürdigsten Stellen. Nick hilft ihr, zuerst die Zettel und später die Tagebuchaufzeichnungen zu entschlüsseln. Es wird langsam deutlich, was die Großmutter – als Katja – in ihrer Jugend erleiden musste.
Die zweite Ebene des Romans geht zurück in die Ukraine der frühen 1930er Jahre. Der Leser lernt ein fröhliche, funktionierende Bauernfamilie kennen: Katja, ihre Eltern, ihre Schwester Alina, die Nachbarn und deren Söhne Pawlo und Kolja. Die Schwestern werden die beiden Brüder heiraten, aber das Leben steht schon unter einem schlechten Stern. Stalin hat seine „Aktivisten“ in die Ukraine geschickt, um insbesondere Getreide zu requirieren, er will eine Kollektivierung durchsetzen, die auf Widerstand stößt. Aber Widerstand erweist sich als tödlich, viele Menschen werden deportiert, die verbleibenden Bauern müssen für die Kolchosen schuften und erhalten von Monat zu Monat weniger zu essen. Sie werden einfach ausgehungert. Das von Cassie und Nick entzifferte Tagebuch bringt diese Perfidie zu Tage. Cassie ist kaum in der Lage, diese Enthüllungen zu ertragen. Hinzu kommt ihre selbstauferlegte Schuld ihrem verstorbenen Ehemann gegenüber, sie wagt nicht, sich neu zu verlieben und einem neuen Leben zu öffnen. Es ist ein schwieriger Prozess, den sie durchläuft, Nick versucht ihr diesen Weg zu erleichtern, aber er braucht viel Geduld. Fast nebenbei gelingt es ihm, Birdie zum Sprechen zu bringen. Die Kleine blüht auf in seiner Gegenwart, aber sie entwickelt auch zur Uroma Bobby ein liebevolles Verhältnis.
Der Roman wechselt von Kapitel zu Kapitel Ort und Zeit, in jedes Kapitel findet man sofort hinein, die Autorin bringt den Leser dazu, mitzudenken, mitzufiebern, mitzuleiden. Je mehr Katja erleiden muss, umso schwerer fiel mir das Lesen, die schrecklichen Schilderungen der Hungersnot und ihre Auswirkungen auf jeden Menschen sind schwer zu ertragen. Die Verluste, die Katja erträgt und die trotz allem nicht aufgibt, mit der selbst auferlegten Pflicht, Halya, die Tochter ihrer ermordeten Schwester, zu retten, durchzieht das Buch.
Das Buch hat einen klaren, gut lesbaren Stil, aus meiner Sicht eine sehr gute adäquate Übersetzung. Ich habe das Buch auch in der Originalausgabe, der Stil, das Gefühl und die immer spürbare Trauer sind wunderbar wiedergegeben im Deutschen. Die beiden Übersetzer Dietmar Schmidt und Rainer Schumacher haben einen tollen Job gemacht.
Über die vielen geschilderten Ereignisse und den Fortgang der Geschichte muss sich jeder Leser selbst ein Bild machen, für mich waren die letzten Seiten sehr emotional, das möchte ich niemandem vorher erzählen.
Ich würde mir wünschen, dass dieses Buch auch als Warnung gelesen wird, welche Grausamkeiten in der Ukraine durch den russischen Krieg heute verübt werden oder noch geplant sind. Wer dieses Buch gelesen und verstanden hat, kann die Parallelen deutlich sehen: die Ukraine soll wieder unterworfen werden.
Ein wichtiges Buch zur richtigen Zeit! Danke an Erin Litteken.

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Veröffentlicht am 12.11.2024

Thomas Mann – kein Sherlock Holmes, aber ein echter Dichterfürst

Gefährliche Betrachtungen
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Tilo Eckardt hat sich bewusst für eine an Mann-Jubiläen reiche Zeit entschieden. In diesem Jahr feiert „Der Zauberberg“ sein einhundertstes Erscheinungsjahr, vor 95 Jahren wurde er für die „Buddenbrooks“ ...

Tilo Eckardt hat sich bewusst für eine an Mann-Jubiläen reiche Zeit entschieden. In diesem Jahr feiert „Der Zauberberg“ sein einhundertstes Erscheinungsjahr, vor 95 Jahren wurde er für die „Buddenbrooks“ mit dem Literaturnobelpreis geehrt. Das Jahr 2025 feiert Thomas Manns 150. Geburtstag, betrauert seinen 70. Todestag und in Lübeck wird man gewiss der kurz vor seinem Tode verliehenen Ehrenbürgerschaft gedenken. Ein Dichtergenie, das nicht vergessen werden kann, da sind nicht nur die unzähligen seiner Bücher, Essays, Reden, Briefe und Tagebucheintragungen gemeint, die Konvolute des Schreibens und Filmens über ihn und seine Familie noch unerwähnt. Thomas Mann bleibt, im Kopf und in der Seele.
Nun also von Tilo Eckardt – literaturverbundener und -verliebter Deutsch-Schweizer – ein Kriminalroman, den der Autor zu einer hochbrisanten Zeit spielen lässt und mit Nidden, der Mann‘schen Zuflucht an der litauischen Ostsee, einen idyllischen Ort des Geschehens wählt. Ich konnte gar nicht anders, als dieses Buch auszuwählen, mit dem Zauberberg als ewiges Lieblingsbuch und mit der Zeit der 1930er Jahre und dann noch mit einem Kriminalfall, waren alle Register meines Interesses gezogen.
Zum Geschehen: 1930: Thomas Mann weilt mit Ehefrau Katia und den beiden jüngeren Kindern Elisabeth und Michael in Nidden, das Haus wurde erworben mit dem Nobelpreisgeld und bietet knapp hinter der deutschen, ostpreußischen Grenze in Litauen eine schöne Rückzugsfläche, wenn auch noch nicht vollends komfortabel. Es fehlt der Telefonanschluss. In Nidden zu dieser sommerlichen Jahreszeit befinden sich diverse Künstler, vor allem Maler, und ein junger Litauer, der es auf die Bekanntschaft mit Thomas Mann abgesehen hat, weil er sich erträumt, die Buddenbrooks adäquat ins Litauische übersetzten zu dürfen. Schon sein Name ist ein wahrer Zungenbrecher, Žydrūnas Miuleris, der von Mann brutal eingedeutscht wird und forthin Müller heißt. Dieser junge Mann kann eigentlich froh sein ob dieses Namens, denn offenbar hat Mann ansonsten so gar kein Namensgedächtnis. Das Fischerdorf Nidden ist klein, die Wege kreuzen sich und dem Miuleris fallen buchstäblich die Dinge in den Schoß. Er fängt ein paar windgezauste Seiten von Thomas Mann im Fluge ein und sein phänomenales fotografisches Gedächtnis prägt sich jedes Wort und jeden Tintenklecks für immer ein. Brav gibt er die Blätter dem Dichter in seinem Strandkorb zurück, später wird er sie aus seinem Gehirn hervorholen und Faksimiles erstellen. Und damit beginnt das Drama dann auch. Bei erstbester Gelegenheit verliert er seine Faksimiles und gerät in Erklärungsnot. Bis aus dem Verlust dieser drei Blätter dann tatsächlich ein Kriminalfall wird, dauert es jedoch eine ganze Weile. Miuleris geht derweil (auch mit dem angebeteten Dichter) spazieren, fährt mit einem Miele-Rad (ich wusste gar nicht, dass es Miele-Räder gab) seiner Wirtin Bryl durch widerspenstige Dünen und abgelegene Waldwege. Er ist ununterbrochen auf die Suche nach seinen Seiten, die ein klarer Ehrverlust für ihn und ein großes Wagnis für Thomas Mann sind, aber sie bleiben verschwunden.
Tilo Eckardt hat sich an seinem Thomas Mann gut geschult, er hat einen Schreibstil und eine Wortwahl entwickelt, die dem Dichter zu Ehren gereichen würden. Als Leser amüsiert man sich über längst nicht mehr gebräuchliche Ausdrücke, wenn „fürderhin Eindringlinge abzuschrecken“ sind, Frau Bryl den einen oder anderen „Choc“ bekommt, sich einen „Shawl“ umlegt oder ein Herr ein „Plastron“ trägt. Mich erinnerte diese Art des Schreibens jedenfalls sehr an die Mann’sche Art, alles langsam und mit einem Gespür fürs Detail zu erzählen. Nicht umsonst zählt der Zauberberg rund tausend Seiten, auch die Buddenbrooks brachten es auf über siebenhundert. Da hat Tilo Eckardt seinen Kriminalroman regelrecht kurzweilig zum Ende gebracht, inklusive der Anmerkungen des Autors, die man unbedingt noch lesen sollte, wurden es gerade einmal 298 Seiten. Mir kamen sie gelegentlich trotzdem etwas lang vor, aber ab Kapitel Sechzehn bekam das Buch doch noch einen enormen Schwung und das Lesen machte wieder Spaß.
Der Blick auf den sich 1930 gerade in die Höhe schwingenden Nationalsozialismus, auf Bespitzelungen und Anfeindungen von politischen Gegnern, auf den Versuch, sich nicht mundtot machen zu lassen, auf die Künstlerschaft in Nidden und die einfachen Leute, das wurde alles sehr fein zu Papier gebracht und lohnt das geduldige Lesen.
Abgesehen von Thomas Mann und Familie, über die ich bereits viel und interessant gelesen habe, gefielen mir die Protagonisten sehr, die mir schnell vertraut wurden mit ihren Eigenheiten und Marotten und ihrem merkwürdigen Gebaren. Ganz egal, ob der grummelige Kutscher Pinkis oder der Maler Pfaffenkogel, ob Frau Bryl oder Miuleris, das sind lesenswerte Charakterzeichnungen. Nur der Dalia fehlt das letzte Quäntchen Pfiff, an sie werde ich mich nicht so oft erinnern, wie an die vorher Genannten. Über die Lösung des Kriminalfalles will ich nichts schreiben, aber dass der Autor die Atmosphäre selbst erlebt und ausgekostet haben könnte, dessen kann man sich nach der Lektüre sicher sein. Geschrieben hat er dort auf jeden Fall. Nur der Vergleich mit Sherlock Holmes und Dr. Watson ist aus meiner Sicht zu arg strapaziert.
Der Erzähler der ganzen Geschichte ist der unterdessen Hundertjährige Žydrūnas Miuleris, der noch einmal nach Nida reist, wie Nidden nun 1989 heißt. Ich glaube ihm gerne, dass dieser Ort und die Erinnerungen ihm ans Herz und an die Nieren gehen.
Dieser Kriminalroman hat historische Hintergründe, aber es ist eine fiktive Geschichte, dass sie sehr wohl auch die Seelenpein eines großen Denkers im Angesicht des Nationalsozialismus beschreibt, ist eine wertvolle Zugabe. Manch einer wird sicher angeregt sein, z. B. die „Deutsche Ansprache“ von 1930, die Mann als Appell an die Vernunft bezeichnete, anzusehen oder einen seiner Romane oder vielleicht die Novelle „Tod in Rom“ zu lesen. Eine komplette Bibliografie hätte den Rahmen jedes Buches gesprengt, das Quellen- und Literaturverzeichnis bietet aus meiner Sicht eine sehr gelungene Auswahl.
Zuletzt noch ein Wort zum Buch: Ein Schutzumschlag, wie man sich keinen schöneren vorstellen kann, der fein gekleidete Herr mit Stock am Strand, das muss ja einfach Thomas Mann sein, sehr gerade, Brust raus, schreitet er zum Ufersaum. Auswahl von Farben und Schrift sind gut gelungen, die erhabenen und lackierten Buchstaben haben eine edle Haptik. Die Typografie ist klassisch und damit einfach hervorragend eingesetzt, nichts Übertriebenes lenkt vom Lesen ab. Für mich eines der am schönsten gestalteten Bücher der letzten Zeit.
Im Mai 2025 wird mit „Unheimliche Gesellschaft“ ein weiterer Kriminalroman von Tilo Eckardt erscheinen, man darf sehr gespannt sein, was das Jahr 1933 für Mann & Müller auf der Kurischen Nehrung für Unwägbarkeiten bereithält. Ich freue mich darauf.
Fazit: ein Roman ganz im Stile Thomas Manns, der erst zum Ende hin ein echter Kriminalroman wird und den gewogenen Leser sehr in seinen Bann zieht. Gute vier Sterne.

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Veröffentlicht am 10.11.2024

Krimineller Lesespaß

Wir finden Mörder (Wir finden Mörder-Serie 1)
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Wer würde zugeben, nicht den Donnerstagsmordclub von Richard Osman zu kennen? Keine Frage, Osman hat sich in den letzten Jahren mit dieser Serie einen Leserkreis erobert, der wirklich angetan ...

Wer würde zugeben, nicht den Donnerstagsmordclub von Richard Osman zu kennen? Keine Frage, Osman hat sich in den letzten Jahren mit dieser Serie einen Leserkreis erobert, der wirklich angetan ist von seinen Büchern. Jetzt wurde umgesattelt, "Wir finden Mörder" ist seine neue, gänzlich anders geartete Krimi-Serie.
Das Buch startet am Pool, Amy Wheeler, Bodygard für die alternde und momentan schutzbedürftige Krimischriftstellerin Rosie D'Antonio, fühlt sich eher als Anstandsdame oder Babysitter. Beide Frauen geraten im Laufe der Handlung dann aber doch in securitywürdige Situationen. Amys Schwiegervater und Ex-Kriminalkommissar ist einer der unzähligen Protagonisten, es gibt da noch den sehr eloquenten, die Handlung vorantreibenden Kriminellen François Loubet, seine Marionetten, einige Polizisten und ab und an einen Toten. Man kann die Geschichte mit ihren minütlich wechselnden Wendungen, Handlungen und Personen nicht nacherzählen. Einerseits würde anderen Lesern die Spannung genommen und andererseits ist es kaum möglich, den feinen Spott und Humor von Osman zu kopieren.
Für meinen Geschmack wechselten Protagonisten und Ereignisse zu häufig, meine Konzentration ließ leider auch dann nach, wenn Loubet sich selbst beweihräucherte. Die zumeist kurzen Kapitel lesen sich aber flüssig und lassen einen bei der Lektüre nicht nur einmal schmunzeln.
Das Buch hat bei mir für gute Unterhaltung gesorgt. Das halte ich besondere den beiden Sprechern zu Gute, die sich adäquat in die einzelnen Szenen hineinlasen. Ich habe nämlich parallel das Hörbuch gehört. Wer also lieber hört als liest, nehme dies als Empfehlung.
Ich bin gespannt, was diesem fulminanten Feuerwerk an Ideen in einem zweiten Band folgen wird. Osman-Fan bleibt Osman-Fan!

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Veröffentlicht am 10.11.2024

Krimineller Hörgenuss

Wir finden Mörder (We Solve Murders-Serie 1)
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Wer würde zugeben, nicht den Donnerstagsmordclub von Richard Osman zu kennen? Keine Frage, Osman hat sich in den letzten Jahren mit dieser Serie einen Leserkreis erobert, der wirklich angetan ist von seinen ...

Wer würde zugeben, nicht den Donnerstagsmordclub von Richard Osman zu kennen? Keine Frage, Osman hat sich in den letzten Jahren mit dieser Serie einen Leserkreis erobert, der wirklich angetan ist von seinen Büchern. Gelesen wurden diese von Johannes Steck. Jetzt wurde umgesattelt, "Wir finden Mörder" ist seine neue Serie, Richard Barenberg und Wolfgang Wagner sind die neuen Lesestimmen.
Das Hörbuch startet am Pool, Amy Wheeler, Bodygard für die alternde und momentan schutzbedürftige Krimischriftstellerin Rosie D'Antonio, fühlt sich eher als Anstandsdame oder Babysitter. Beide geraten im Laufe der Handlung dann aber doch in securitywürdige Situationen. Amys Schwiegervater und Ex-Kriminalkommissar ist einer der unzähligen Protagonisten, es gibt da noch den sehr eloquenten, die Handlung vorantreibenden Kriminellen François Loubet, seine Marionetten, einige Polizisten und ab und an einen Toten. Man kann die Geschichte mit ihren minütlich wechselnden Wendungen, Handlungen und Personen nicht nacherzählen. Einerseits würde anderen Hörern die Spannung genommen und andererseits ist es kaum möglich, den feinen Spott und Humor von Osman zu kopieren.
Für meinen Geschmack wechselten Protagonisten und Ereignisse zu häufig, meine Konzentration ließ leider auch dann nach, wenn Loubet sich selbst beweihräucherte.
Aber insgesamt hat das Hörbuch bei mir für gute Unterhaltung gesorgt. Das halte ich besondere den beiden Sprechern zu Gute, die sich adäquat in die einzelnen Szenen hineinlasen. Ich bin gespannt, was diesem fulminanten Feuerwerk an Ideen in einem zweiten Band folgen wird. Osman-Fan bleibt Osman-Fan!

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Veröffentlicht am 29.10.2024

Überschäumende Liebe und tiefe Selbstzweifel

Das rote Vogelmädchen
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Das Cover ist passend zum Titel mit vielen Rottönen sehr aufmerksamkeitsstark. Das Mädchen aber schaut am Betrachter vorbei, vielleicht auf einen unsichtbaren Dritten, von dem nur noch die Finger sichtbar ...

Das Cover ist passend zum Titel mit vielen Rottönen sehr aufmerksamkeitsstark. Das Mädchen aber schaut am Betrachter vorbei, vielleicht auf einen unsichtbaren Dritten, von dem nur noch die Finger sichtbar sind. Ein gedruckter Button gibt dem künftigen Leser den ersten Hinweis auf den Inhalt: Ein außergewöhnlicher Adventskalender voll Liebe und Glück.

Die Autorin Stephanie Marie Steinhardt bringt hier ihr erstes Buch zur Welt, ihre Bilder aber sind bereits seit einigen Jahren in der Welt. Sie hat durch Studium und Berufstätigkeit einen hohen Level, was Kunstkenntnis, künstlerisches Arbeiten, Texten und Schreiben anbelangt. All das verwendet sie gekonnt in ihrem Buch. Sie hat sich als Arbeitsort ihrer Protagonisten eine Werbeagentur erwählt, in der Jacob als Grafikdesigner tätig ist und in die sich Bene als neue Mitarbeiterin bewirbt. Bene also ist das rote Vogelmädchen des Titels. Während des Lesens hatte ich das eine oder andere Mal das Gefühl, ich hätte das Buch mit dem Titel „Das bunte Vogelmädchen“ versehen, dann wieder war sie für mich „Das verlorene Vogelmädchen“. Es gäbe wohl noch andere Adjektive, die ich der wilden, bunten, ausgelassenen, traurigen Bene geben könnte, sie ist der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Und sie ist es, die von Anfang an Jacob zu ihrem Ideal erhoben hat und ihn unbedingt erobern will. Erst ganz am Ende löst sich das Geheimnis um den Titel auf.

Die Lovestory wird dem Leser in 24 Adventsgeschichten erzählt, Bene gibt ihrem Jacob für jeden Tag ein Geschenk, immer eine ausgefallene Dose, immer mit passendem Dekor, in die sie ihm immer einen Tagebuchabschnitt aus der Zeit ihres Kennenlernens legt. Zu Beginn sah ich in Bene die junge verliebte Frau, mit Tausend Gedanken und Ideen im Kopf, mit immer mindestens zwei Dingen gleichzeitig beschäftigt, mit einem vollen Herzen und überhaupt nicht auf den Kopf, noch weniger auf den Mund gefallen. Man lernt peu à peu ihre Freunde und Bekannten kennen, man erlebt das Zueinanderfinden zweier verliebter Seelen.

Aber es ist wie im richtigen Leben, nicht alles, was nach außen glänzt und leuchtet, ist auch im Inneren so wunderschön. Jacob zweifelt an seinen künstlerischen Fähigkeiten, Bene will ihn zu seinem Glück zwingen, aber zweifelt an sich selbst, sie gleicht einer tickenden Zeitbombe. Dieses Miteinander birgt dann auch tückische Fallen. Wie sich beide daraus befreien wollen, das verrate ich natürlich nicht, auch nicht, ob es gelingt.

Für mich war das ein interessantes Lesevergnügen, auch wenn mir die Verherrlichung von Jacob, dem unwiderstehlichen und perfekten Mann, etwas zu vordergründig war. Jacob steht aber seiner Bene da im Buch auch nicht nach, er ist Seite für Seite entzückt von ihr. Dass die pure Lovestory dann doch einige Knicks und Falten bekommt, ist nachvollziehbar. Was ich nicht so recht nachvollziehen kann, das sind die massiven Selbstzweifel von Bene, hier fehlte mir dann doch etwas Hintergrundwissen. Wer oder was hat sie jemals so enttäuscht oder gedemütigt, dass die Minderwertigkeitsgefühle und der Selbstzweifel trotz der Verliebtheit und der schönen Zeit mit Jacob so massiv in Benes Psyche eingreifen? Offenbar braucht sie ein buntes, auffallendes Äußeres und sehr viel Deko und Antikes in ihrer Wohnung, um sich sichtbar und nicht minderwertig oder langweilig zu fühlen. Wie wird man so? Das verrät das Buch nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nur an dem „langweiligen Leben“ der Eltern liegt. Andererseits weist das Buch auf ein Grundproblem des Zusammenlebens hin: dass Menschen sich ständig verpflichtet fühlen. Zum Loben, zum Schenken, zum Einladen, wozu auch immer. Etwas ohne Gegenleistung zu tun, fällt vielen schwer, den Schenkenden wie auch den Beschenkten.

Der Schreibstil ist mal leichtfüßig, mal gedankenbelastet, aber gut lesbar. Ein bisschen mehr Genauigkeit im Korrektorat hätte mich zu einer „sehr gut lesbar“-Bewertung veranlasst. Gut gefallen hat mir die Typografie, die 24 Tage immer auf einer neuen Seite, jeder Tag beginnt mit einer passenden Vignette. Aber die Grundschrift hätte für mich 1 p größer sein können, besonders die langen kursiven Passagen fand ich anstrengend zu lesen. (Liegt sicher am Alter und meiner Brille.)

Bene und Jacob, die sich gegenseitig glücklich machen wollen, das ist eine schöne Liebesgeschichte. Die kann man auch zu anderen Jahreszeiten lesen, aber zum Advent passt sie ganz besonders gut. Tränen der Rührung inklusive.

Fazit: Ob man es als Liebesgeschichte der anderen Art oder als ungewöhnlichen Adventskalender betrachtet, dieses Buch hat seine Reize! Vielleicht ist es mehr ein Frauenbuch, ich glaube, Männer lesen solchen Geschichten nicht so häufig. Zum Verschenken eignet es sich bestimmt in der jetzt beginnenden Vorweihnachtszeit.

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