Eine magische und ergreifende Neuinterpretation
Was ist eigentlich passiert, nachdem Wendy und ihre Brüder aus dem Nimmerland geflohen sind? Daran knüpft A.C. Wise mit ihrer Erzählung an. Und um ganz ehrlich zu sein: Wie sollte es Wendy schon ergehen, ...
Was ist eigentlich passiert, nachdem Wendy und ihre Brüder aus dem Nimmerland geflohen sind? Daran knüpft A.C. Wise mit ihrer Erzählung an. Und um ganz ehrlich zu sein: Wie sollte es Wendy schon ergehen, in einer Zeit, die noch viel stärker als heute patriarchal geprägt war? Ihre Erlebnisse mit Peter Pan ließen sie nie ganz los und so wurde sie in ein Sanatorium eingewiesen, da ihre Erzählungen als Hirngespinste abgetan wurden. Nach einigen Jahren wird sie verheiratet, und obwohl die Erinnerungen an das größte Abenteuer ihrer Kindheit immer noch real und greifbar sind, wünscht Wendy sich nichts mehr, als dass sie endlich verblassen. Just in dieser Zeit kehrt Peter Pan zurück. Da eine erwachsene Frau nicht in sein Beuteschema passt, nimmt er Wendys Tochter mit – und ahnt nicht, wozu eine Mutter in Angst um ihr Kind fähig sein kann.
Der Autorin ist es gelungen, eine düstere und gleichzeitig wunderschöne Welt zu erschaffen, die sowohl in Neverland als auch im realen Leben von Wendy in London spielt. Die Mischung aus realistischen Szenen im Londoner Alltag und den fantastischen Elementen in Neverland schafft eine fesselnde Atmosphäre, die den Leser auf eine emotionale Reise mitnimmt. Die Darstellung von Wendys Kampf mit den Erinnerungen an Neverland und den Herausforderungen des Erwachsenwerdens in einer von Sexismus und Unterdrückung geprägten Welt ist echt beeindruckend.
Auch im Disney-Original ist Peter nur äußerlich der charmante Sunnyboy. Seine dunklen Charakterzüge lassen sich jedoch auch hier schon erahnen und werden von der Autorin weiter vertieft. Während die junge Wendy freiwillig mit Peter ins Nimmerland geflogen ist, gleicht Janes Aufenthalt dort eher dem einer Geisel. Sie empfindet Peter als gemein und hinterhältig. Wendy jedoch hat sich auch verändert. War sie früher naiv, weiß sie nun ganz genau, was sie will und würde alles geben, das zu erreichen.
Man wird in verschiedenen Zeitsträngen durch die Geschichte geführt. Jane und Wendy in der Gegenwart, aber auch Wendys Vergangenheit im Sanatorium werden beleuchtet. Die Autorin hat gut recherchiert und Wendys Horrortrip in einer medizinischen Einrichtung, die ihr ja eher bei der Genesung helfen sollte, sehr authentisch dargestellt. Die Autorin thematisiert darüber hinaus die Unfähigkeit, erwachsen zu werden, verkörpert durch Peter Pan. Dieser Konflikt zwischen Kindheitsträumen und erwachsener Realität wird sehr einfühlsam beleuchtet und verleiht der Geschichte sowohl Authentizität als auch eine tiefere Ebene.
Die Atmosphäre ist teilweise wirklich beklemmend, gerade wenn es darum geht, was Wendy alles verloren hat oder aufgeben musste. Mit der bunten und kindlichen Geschichte von Disney hat diese Erzählung nicht mehr viel gemeinsam.
Fazit: Man muss in der richtigen Stimmung sein, dieses Buch auf sich wirken lassen können, damit es sein volles Potential entfalten und einen mitreißen kann. Ich würde nicht von einem klassischen Pageturner sprechen, dennoch hatte mich das Buch schnell am Haken. Eine magische und ergreifende Neuinterpretation, die ich sehr gerne weiterempfehle.