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Veröffentlicht am 13.11.2024

Eine Kombination aus Hunger Games und Divergent

Gameshow – Der Preis der Gier
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Neugierig wurde ich auf Gameshow als erstes durch das Cover auf NetGalley, das muss ich zugeben. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht und einfach das Design bewundert, aber rückblickend passt es mit den ...

Neugierig wurde ich auf Gameshow als erstes durch das Cover auf NetGalley, das muss ich zugeben. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht und einfach das Design bewundert, aber rückblickend passt es mit den technischen Details und dem schwarz-weißen Hintergrund hervorragend zur Geschichte.

Eine Kombination aus Hunger Games und Divergent
Nach einer längeren Pause – so kommt es mir jedenfalls vor – haben wir mit Gameshow erstmals wieder eine starke Dystopie für Jugendliche, die in die gleiche Kerbe haut wie Suzanne Collins‘ Die Tribute von Panem/Hunger Games und Veronica Roths Die Bestimmung/Divergent.

Da der Klappentext hier etwas vage bleibt, werde ich kurz etwas deutlicher: Es geht um tödliche Spiele zur Unterhaltung einer höheren Gesellschaftsklasse, bei denen Menschen der niedrigsten Klasse sich in Arenen gegenseitig umbringen und dabei absichtlich aufgestellte Fallen der Gamemaster überleben müssen. Die mittleren Klassen sind aber nicht einfach unbeteiligt. Nein, sie werden durch Gesetze gezwungen, mit dem wenigen Geld, das ihnen zur Verfügung steht, auf den Ausgang der Gameshow zu wetten, und füttern dadurch immer weiter ihre eigene Gier nach dem großen Geld oder sozialem Aufstieg. So weit, so Hunger Games.

An Divergent und dessen Hauptfiguren Tris und Four haben mich vor allem die Szenen zwischen der Protagonistin Cass und ihrer neuen Bekanntschaft Jax erinnert: Eine neue Rekrutin, Anfängerin auf so vielen Ebenen, und ihr erfahrener Ausbilder, der aber nicht viel älter ist als sie selbst. Ein potenziell tödliches Geheimnis, das sie vor ihm verbergen muss – oder vielleicht doch nicht? Geheime Momente der Zuneigung, die vor allen anderen verborgen werden müssen. Kommt uns bekannt vor, oder?

Auch die rebellischen Untergrundgruppierungen erinnerten mich vor allem an Divergent, aber mit dem Anführer, der weit in die Zukunft plant und seine eigene Vergangenheit nicht an die große Glocke hängt, auch an Hunger Games. Bestimmte Werbeslogans der namensgebenden Gameshow hätten genau so auch zu den Hunger Games gepasst.

Eine spezielle Szene wirkte auf mich leider wie aus Divergent geklaut, so sehr ähnelt sich der Text. Nicht nur die kleine Szene selbst, sondern der gesamte Kontext, das Verhalten der Figuren, die Stimmung – alles identisch. Ich möchte der Autorin nicht unterstellen, dass das bewusst kopiert wurde. Allerdings zeigt sie sich in ihrem Instagram-Profil durchaus vor einem Regal voller Bücher, in dem auch die beiden Reihen stehen, an die mich dieses Buch so sehr erinnert. Ich finde es deshalb naheliegend, zumindest eine gewisse Inspiration durch Divergent und Hunger Games zu vermuten. Ein bisschen mehr Kreativität für eine eigene Szene hätte mir an der Stelle besser gefallen.



Es folgt ein Spoiler!



Die Szene, die ich meine, beinhaltet den Eintritt von Cass (in Gameshow) beziehungsweise Tris (in Divergent) in die jeweils neue Gruppe: beide jungen Frauen müssen vom Dach einer Häuserruine in ein tiefes Loch springen, das durch mehrere Stockwerke der Ruine geht und dessen Boden so weit entfernt ist, dass er – mitsamt dem geheimen Auffangnetz – in der Dunkelheit verschwindet. Ein wortwörtlicher leap of faith, bei dem sie den vorher springenden Männern, die sie gerade erst kennengelernt haben, blind folgen müssen und nach dem Sprung halb bewundernd, halb belustigt empfangen werden.



Spoiler Ende!



Ein Kandidat für den Bechdel-Test?
Obwohl die Hauptfigur von Gameshow eine junge Frau ist, die Geschichte in der Zukunft spielt und deshalb die Vermutung nahe liegt, dass Frauenrechte und Gleichberechtigung irgendwie relevant sind, würde ich dieses Buch gern mal dem Bechdel-Test unterziehen. Dieser Test wird benutzt, um Filme auf eigenständige weibliche Figuren zu untersuchen. Dabei werden drei Fragen bearbeitet: Gibt es mindestens 2 Frauenrollen? Sprechen sie miteinander? Und, das ist hier der Knackpunkt: reden sie über etwas anderes als einen Mann?

Gameshow ist zwar kein Film und es gibt definitiv mehr als 2 Frauenrollen, die auch miteinander sprechen. Aber der Anteil der Gespräche, der sich ausschließlich um Männer drehte, um potenzielle Partner oder Schwärmereien, um Sorgen wegen der Väter, um die gegenseitige Rivalität um die Gunst von Männern – der erscheint mir sehr hoch. Viel zu viele Frauen/Mädchen reden nur über Männer, wenn sie überhaupt Dialoge bekommen, und arbeiten aktiv gegen Cass an, nur weil sich Jax für Cass interessiert und er scheinbar der tollste Typ überhaupt ist. Eine Frau in Cass Alter hasst sie vom ersten Moment an aus allein diesem Grund und versucht, ihr ernsthaft etwas anzutun.

Die wenigen Frauen, die Cass unterstützen oder ihr zumindest nicht feindlich gesinnt sind, sehen in ihr auch keine romantische Konkurrenz, weil sie sich nicht für Jax interessieren. Er hat für meinen Geschmack einen viel zu großen Einfluss auf Cass‘ Beziehungen zu anderen Leuten, insbesondere zu Frauen, obwohl er nicht zu den anderen geht und sie aktiv zu irgendeinem Verhalten anstiftet. Das hat mir viele sonst positive Stellen in der Geschichte etwas eingetrübt.

Für einen kurzen Moment habe ich mich außerdem gefragt, ob eine bestimmte Figur vielleicht queer sein könnte, aber das wird nur so kurz und vage angedeutet, dass das allein meine Interpretation sein könnte. In meinen Augen wäre das allerdings ein vielversprechendes Detail, das dieser Figur sehr viel mehr Tiefgang verleihen und einige Entscheidungen erklären könnte.

Fragen über Fragen
Besonders spannend finde ich den wissenschaftlichen, gar medizinischen Ansatz der Gedächtnislöschung und Übertragung von Erinnerungen von einer Person zur nächsten. Da aus der Perspektive der jungen Protagonistin erzählt wird, haben wir Lesenden nur begrenztes Wissen über diesen Prozess und ich bin sehr neugierig, ob und was darüber in der Fortsetzung erklärt wird.



Es folgt ein Spoiler!



Ich frage mich, wie viel Cass‘ Vater über die Machenschaften seiner Frau wusste, wie viel davon er vergessen musste, wie sehr das zu seiner negativen Veränderung beigetragen hat. Ich frage mich, ob Melody noch lebt. Ist sie eine von Yunas „Ladies“? Oder wurde sie tatsächlich um-/zum Schweigen gebracht? Was passiert mit den Leuten, die sich in die weiße Zone einkaufen statt die Gameshow zu gewinnen? Existiert diese weiße Zone überhaupt? Bekommt der Rest der Welt mit, was in New London passiert? Was befindet sich zwischen den großen Städten mit ihren Arenen?



Spoiler Ende!




Fazit

Gameshow ist gut geschrieben und wirklich spannend. Ich habe das Buch in 3 Sitzungen durchgelesen und ganz offensichtlich viele Fragen, die hoffentlich im nächsten Band beantwortet werden. Die Autorin behalte ich auf jeden Fall im Blick! Aber einige Szenen und Grundstrukturen sind für meinen Geschmack viel zu nah an Hunger Games und ganz besonders an Divergent, um sich nicht abgeschrieben anzufühlen. Das hat mich leider mehrfach aus der Geschichte gerissen, weil ich automatisch immer wieder die Bücher verglichen habe und Gameshow deshalb nicht als wirklich eigenständig lesen und betrachten konnte.

Veröffentlicht am 13.11.2024

Solide Unterhaltung mit offenem Ende, aber leider mit vielen Durchhängern

Gameshow – Das Versprechen von Glück
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Nachdem mich Band 1 mit dem treffenden Titel Der Preis der Gier schon sehr an The Hunger Games und Divergent erinnert hatte, überraschten mich die hier deutlich sparsamer eingesetzten Ähnlichkeiten in ...

Nachdem mich Band 1 mit dem treffenden Titel Der Preis der Gier schon sehr an The Hunger Games und Divergent erinnert hatte, überraschten mich die hier deutlich sparsamer eingesetzten Ähnlichkeiten in diesem zweiten und letzten Band nicht mehr. Stattdessen störte ich mich diesmal stärker an den voyeuristischen Gewaltbeschreibungen – so sehr, dass ich ganze Passagen mit Beschreibungen einzelner Games beim Lesen übersprungen habe. Aber ich greife vor.

Die Handlung setzt genau da ein, wo sie im ersten Band endete. Sowohl wir Lesende als auch die Romanfiguren wissen jetzt mehr über die unsichtbaren Machtstrukturen der Gesellschaft von New London als je zuvor. Unsere Held*innen sind wütend, verängstigt und klammern sich an jede Hoffnung. Das ist die Stimmung, mit der wir in die nächsten Runden menschenverachtender Games starten.

Es gibt neue und alte Figuren, die uns mehr oder weniger am Herzen liegen, neue Entwicklungen, die jahrzehntealte Pläne über den Haufen werfen und Entdeckungen, die unsere Heldin Cass an sich selbst zweifeln lassen. Diese Rahmenhandlung mag ich gern: sie ist spannend, es geht um menschliche Abgründe und unmenschliche Entscheidungen. Es werden politische Szenarien diskutiert und die Story regt dadurch stellenweise wirklich zum Nachdenken an.

Allerdings finde ich es schade – wenn auch nachvollziehbar -, dass diese Rahmenhandlung immer wieder durchbrochen wird mit den Games selbst. Ich kann nicht sagen, ob mir eine Version besser gefallen hätte in der nicht solch ein Fokus auf die Hetzjagden und tödlichen Labyrinthe gelegt wird. Alles, was ich mit Bestimmtheit behaupten kann, ist: die Beschreibungen sind mir viel zu voyeuristisch.

Ich sehe die Notwendigkeit, im ersten Band die Grausamkeit der Gameshow und allem, was damit verbunden ist, durch detailreiche Beschreibungen zu verdeutlichen und auch in dieser Fortsetzung ab und zu daran zu erinnern. Aber wir sind in Gameshow 2 nicht mehr an dem Punkt, an dem uns Lesenden die Situation von Grund auf begreiflich gemacht werden müsste. Wir wissen, was los ist. Jetzt geht es darum, wie wir aus dieser Situation herauskommen können. Dafür ist nicht mehr nötig, über mehrere Seiten einzelne Blutspritzer und achtloses Gemetzel zu beschreiben, Live-Kommentare der Moderatoren auszuführen und sich insgesamt an der Vorlage der Hunger Games zu bedienen, was diesen Aspekt betrifft.

Solche Abschnitte habe ich ab etwa der Hälfte des Romans übersprungen, weil mich eben mehr interessiert hat, wie die Rebellion vonstatten gehen und wie das Ende aussehen würde. Vor allem deshalb bin ich froh, dass mit dem inzwischen für dieses Genre typischen Schema gebrochen wurde und man sich gegen eine Trilogie entschieden hat. Die Vorstellung, die Geschichte auf noch einen Band mehr zu strecken, gefällt mir gar nicht.

Fazit
Bei all diesen negativen Punkten muss ich aber doch sagen, dass mich Gameshow 2 – Das Versprechen von Glück größtenteils gut unterhalten hat. Und obwohl das Ende für meinen Geschmack zu offen ist, rundet es die Geschichte gut ab. Eine Entwicklung mit Val und Cass hat mir sehr gut gefallen und viel Potenzial für weitere Wendungen dieser Art offenbart, die aber leider nur begrenzt eingetreten sind. Insgesamt ist Gameshow 2 für mich ein solider Abschluss mit einigen (überflüssigen) Durchhängern und ich bin gespannt darauf, was die Autorin noch so schreiben wird.

Veröffentlicht am 13.11.2024

Hut ab, so sehr hat mich lange kein Ende mehr überrascht!

Jezebel Files - Wenn der Golem zweimal klingelt
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Sowohl das Cover als auch der Klappentext von Jezebel Files haben mich sofort an Jennifer Esteps Elemental Assassin-Reihe denken lassen. Nicht wegen des Inhalts oder weil die Bilder sich ähnlich sähen ...

Sowohl das Cover als auch der Klappentext von Jezebel Files haben mich sofort an Jennifer Esteps Elemental Assassin-Reihe denken lassen. Nicht wegen des Inhalts oder weil die Bilder sich ähnlich sähen – das tun sie nämlich überhaupt nicht -, aber die Stimmung, die hier vermittelt wird, und die Beschreibung der Welt aus Magie und Machtspielchen weckten in mir direkt Erinnerungen an Gin Blanco und die Herausforderungen, vor denen sie in ihrer Buchreihe steht.

Nachdem ich Jezebel Files nun innerhalb von 2 Tagen verschlungen habe, bestätigt sich dieser erste Eindruck. Zwar ist unsere Heldin hier Privatdetektivin und stolpert gerade erst in ihre Rolle als Magiebegabte, während Gin sich in Elemental Assassin getreu dem Titel mit Auftragsmord und Elementarmagie befasst, aber beim Lesen hatte ich das Gefühl, als wären diese beiden Geschichten zumindest irgendwie verwandt.

Deborah Wilde und ihre Übersetzerin Julia Schwenk schreiben sehr fantasievoll, und doch extrem realistisch. Die Dialoge erscheinen wie ganz normale Gespräche, die man mit Freunden, Feinden, distanzierten Familienmitgliedern und potenziellen Partnern eben so führt. Nichts ist betont flapsig oder überzogen lyrisch geschrieben. Die beiden treffen genau den goldenen Mittelweg, den ich leider so oft in anderen Büchern vermisse. Daher hat es wirklich Spaß gemacht, die entsprechenden Abschnitte zu lesen.

Auch die eigentliche Handlung – die Suche nach entführten Kindern und Jugendlichen, das überraschende Entdecken der eigenen Magie, die gezwungene Zusammenarbeit von Kindheitsfreunden, die sich inzwischen voneinander entfernt haben, die aufkeimende Leidenschaft – ist spannend erzählt. Ein roter Faden ist immer unterschwellig da und führt die Geschichte an ihr Ziel – auch, wenn sich das am Ende anders dargestellt hat, als ich erwartet hätte. Dieser Cliffhanger? Einfach gemein und hervorragend platziert! Ich möchte wirklich wissen, wie es weitergeht.

Bemerkenswert sind die vielen jüdischen Elemente in Jezebel Files. Zugegeben, dass im Titel ein Golem erwähnt wird, hätte mir ein deutliches Signal sein müssen, und wer sich besser auskennt als ich, bemerkt womöglich den Hinweis auch im Namen Jezebel. Ich habe mir allerdings nichts weiter dabei gedacht und wurde dann doch davon überrascht, wie grundlegend die jüdische Kultur in diesem Jezebel Files mit buchstäblich allem verknüpft ist: Traditionen, Aussprüche, sogar Namen. All das findet Begründungen in der Handlung und war eine nette Abwechslung von sonst so oft christlich angelegten Magiesystemen.

Für mich stellte es kein Problem dar (manche Begriffe musste ich kurz googeln), zumal je nach Perspektive der Person, die gerade spricht, nicht ausschließlich Gutes über das Judentum erzählt wird und es so nicht wie ein Werbetext klingt. Stattdessen wird viel kritisiert. Das hebe ich hervor, weil ich persönlich vielen Büchern mit einer so intensiv integrierten Religion, welcher Art auch immer, oft nicht viel abgewinnen kann. In der aktuellen weltpolitischen Situation ist es außerdem vielleicht relevant für potenzielle Leser*innen, von diesem Aspekt von Jezebel Files vorab zu wissen.

Fazit
Autorin und Übersetzerin haben es geschafft, mich mit der misstrauischen Ash durch eine interessante Welt aus Magie, Politik und Geheimnissen wandern zu lassen. Es hat wirklich Spaß gemacht, der Geschichte zu folgen, die magische Gesellschaft nach und nach zu verstehen und anzufangen, die Figuren zu mögen – nur, damit ich auf der letzten Seite kurz anzweifeln musste, ob ich nicht etwas übersprungen hatte, denn so konnte dieses Buch doch unmöglich enden, oder?! Hut ab, so sehr hat mich lange kein Ende mehr überrascht!

Veröffentlicht am 27.09.2023

Absoluter Durchschnitt

Melting my Heart
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Bei New Adult-Romanen aus den USA mit Sport als Kernelement gibt es auf den ersten Blick nur zwei Optionen: Football oder Eishockey. Ich war neugierig, wie Eishockey hier in Melting my Heart mit den Triggerthemen ...

Bei New Adult-Romanen aus den USA mit Sport als Kernelement gibt es auf den ersten Blick nur zwei Optionen: Football oder Eishockey. Ich war neugierig, wie Eishockey hier in Melting my Heart mit den Triggerthemen Mobbing und Essstörung verbunden würden. Auch den omnipräsenten Charakterzug der Protagonistin Row – ein Mauerblümchen – fand ich in dem Kontext spannend.

Lesen lässt sich Melting my Heart sehr flüssig. Die Handlung geht fix voran und es gibt kaum Durchhänger. Ich mag den Schreibstil der Autorin. Allerdings waren die Hauptfiguren für meinen Geschmack gedanklich noch zu sehr in der Teenagerwelt gefangen. Damit meine ich nicht die berechtigten Nachwirkungen von erlebten Traumata und Bewältigungsstrategien, sondern die generelle Reife, die sich im Verhalten und vor allem in den Gedanken der Figuren ausdrückt. Für mich klang vieles mehr nach (aus meiner Mittzwanziger-Perspektive) kindischem Schüler*innen-Drama als nach den Gedanken und Entscheidungen junger Erwachsener. Das hat mich immer wieder etwas aus der Geschichte gerissen.

Ich mochte die Freundschaft zwischen Alexis und Row, obwohl sie sich anfangs etwas befremdlich angefühlt hat. Über die Zeit wurde das aber gut erklärt. Diese beiden sind übrigens diejenigen, die sich mit den oben genannten Triggerthemen herumschlagen müssen. Gray war mir von Anfang an sympathisch. Aber es gibt mehrere Szenen, in denen er diese Sympathie fast zunichte gemacht hätte. Solche Momente hatten übrigens alle Figuren, auch Row (“ich bin nicht so wie die anderen”), mit der ich mich noch am ehesten identifizieren konnte.

Ich habe mich noch nicht recht entschieden, wie ich das finde: einerseits fällt es mir schwer, solche Figuren wirklich zu mögen, andererseits sind echte Menschen auch nicht schwarz-weiß/gut-schlecht/…, sondern haben ihre guten und ihre schlechten Momente. So würde ich auch das Buch als ganzes einschätzen: mal gut, mal schlecht, mal richtig toll, mal langweilig, mal spannend – und insgesamt absoluter Durchschnitt: gute Unterhaltung für zwischendurch, aber nicht außergewöhnlich und ich habe nach dem Lesen nicht mehr oft an die Geschichte gedacht.

Ein paar schöne Zitate habe ich beim Lesen festgehalten:

“Es ist schon witzig, wie alle Leute zu wissen glauben, wie ein bestimmter Typ Mensch auszusehen hat. Als dürfe man nicht selbst entscheiden, wie man sich auslebt. Das hasse ich.” (Position 1700)

Hierzu muss ich nicht viel sagen, denke ich. Das Zitat spricht für sich selbst.

“Aber das College und ihre Noten sind Rows Eishockey.” (Position 3003)

Diesen Satz mag ich sehr. Viel zu oft wird Lernen und Intelligenz auch in Romanen negativ dargestellt, langweilig und eintönig, die Charaktere als graue Maus bezeichnet oder sie verbal in eine Ecke gestellt, weil sie ja nichts trendiges als Hobby haben. Hier wird aber erklärt: Dir ist Sport wichtig, mir sind meine Noten wichtig. Das eine ist nicht besser oder schlechter als das andere – nur eben etwas anderes.

“Worte können verletzen, Taten können verletzen. Aber Missachtung kann das genauso.” (Position 3917)

Das ist mein Lieblingszitat aus dem Buch. Hierzu kann ich nicht viel sagen, ohne zu spoilern, aber die Szene, in der dieser Satz vorkommt, gefällt mir richtig, richtig gut!

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Veröffentlicht am 04.03.2023

Umfangreiches Wissen über geopolitische Grenzen, für meinen Geschmack etwas trocken

Atlas der Unordnung
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Hallo, mein Name ist Henrike und ich stehe auf Landkarten!

Das spannendste am Erdkunde-Unterricht in der Schule war für mich das Herumblättern und Entdecken im dunkelblauen Diercke Atlas. An der Uni habe ...

Hallo, mein Name ist Henrike und ich stehe auf Landkarten!

Das spannendste am Erdkunde-Unterricht in der Schule war für mich das Herumblättern und Entdecken im dunkelblauen Diercke Atlas. An der Uni habe ich freiwillig Vorlesungen zum Thema Kartografie besucht, obwohl das rein gar nichts mit meinem Studium zu tun hatte. (Ich habe es trotzdem geschafft, eine Seminararbeit über Karten in Fantasyromanen zu schreiben!) Ich habe einen alten Miniglobus, auf dem die DDR noch existiert, einen antiquierten Atlas, der buchstäblich auseinanderfällt, und an meiner Wand hängt eine Weltkarte, deren dekorativer Text in Latein geschrieben ist. Kurz gesagt: Karten faszinieren mich fast so sehr wie Lexika! Besonders spannend finde ich sehr alte Karten.

Deshalb habe ich Atlas der Unordnung unbedingt lesen wollen, als ich von dem Buch erfahren habe: sonderbare Grenzen, ein Buch voller Karten mit ganz besonderen Schwerpunkten? Count me in!

Aussehen und Haptik
Als erstes fällt natürlich das Cover und das annähernd quadratische Format vom Atlas der Unordnung auf. Optisch finde ich das Buch sehr ansprechend und das Cover-Design mit den leichten Verschiebungen in den senkrechten Streifen hat mich direkt neugierig gemacht. Allerdings ist das Buch durch das Format nicht besonders handlich – es ist definitiv zum Hinsetzen und in Ruhe Durchblättern gemacht.

Die fünf Kapitel “I – Grenzen als Vermächtnisse”, “II – Meere und Grenzen”, “III – Mauern und Migration”, “IV – Spezielle Grenzen” und “V – Umstrittene Grenzen” beginnen jeweils mit ein paar Seiten Fließtext, die grundlegendes Wissen über verschiedene Arten von Grenzen oder historische Verhältnisse liefern. Ganz am Anfang steht ein einleitendes Kapitel, das die Motivation dieses Buches und die aktuelle geopolitische Situation umreißt.

Die Karten selbst finde ich super gestaltet: anhand von umfangreichen Legenden werden verschiedenste Elemente hervorgehoben – je nachdem, was die jeweilige Karte abbilden und ausdrücken soll. Der Stil ist sehr einfach gehalten, sodass teilweise nur Flächen und Linien enthalten sind. Es geht eben um Grenzen, meistens zwischen Ländern, und nicht um beispielsweise Höhenunterschiede. Durch dieses Abstrahieren und auch durch unterschiedliche Perspektiven und Formen der Karten ergibt sich ein abwechslungsreiches Gesamtbild, das auf jeder farbigen Doppelseite etwas Neues entdecken lässt. Allerdings hat das auch den Nebeneffekt, dass der Atlas der Unordnung nicht immer einheitlich wirkt und seinem Namen alle Ehre macht.

Weil Atlas der Unordnung aus dem Französischen übersetzt wurde, ändert sich natürlich die Textlänge. Weil das Buch ein festgelegtes Layout hat – die Karten und ihre Begleittexte sind immer auf einer Doppelseite – entstehen dadurch große Leerräume in den reinen Text-Kapiteln. Das sieht merkwürdig aus und fühlt sich irgendwie unfertig an. Als Verlag hätte ich mich vermutlich darum bemüht, die Erlaubnis dafür zu erhalten, die Zitate berühmter Leute innerhalb des Buches frei zu verteilen, die jetzt noch vor der Einleitung auf einer Doppelseite zusammengequetscht werden. Das wäre meiner Meinung nach jedenfalls besser als komplett leere Seiten, die aufgrund des Layouts nicht befüllt werden können.

Inhalt
Ich habe das Gefühl, als könnte ich aus dem Atlas der Unordnung sehr viel lernen. So viel, dass ich es gar nicht auf einmal aufnehmen kann. Den Autor*innen unterstelle ich definitiv Fachwissen und Kompetenz auf diesem Themengebiet! Da ich mich schon lange nicht mehr mit geografischen Dingen beschäftigt habe, fehlte mir anfangs die Grundlage, um wirklich alles direkt zu verstehen – manche Fachbegriffe musste ich trotz der Erklärung im Buch googeln – aber je länger und häufiger ich gelesen habe, desto verständlicher wurde mir das Ganze.

Ich fand es spannend, aus historischer oder auch aktueller Perspektive auf unterschiedlichste Grenzen zu schauen und ihre Entwicklung zu sehen. Tatsächlich habe ich zum Beispiel endlich verstanden, was es mit den verschiedenen Zonen der Küstenregionen auf sich hat. Dafür gibt es im Buch eine Art Querschnitt, der aufzeigt, in welcher Entfernung welche Hoheit gilt und wem Bodenschätze oder Güter im Wasser gehören. An anderer Stelle zeigen kleine Schaubilder, welche unterschiedlichen Grenzverläufe es in Flüssen gibt oder welche Mauern in der Vergangenheit aus welchen Gründen gebaut wurden. Dabei sind die Daten sehr aktuell: Sogar die Schutzmaßnahmen während der Corona-Pandemie (zum Beispiel Grenzschließungen) fließen schon in den Atlas der Unordnung ein.

Minuspunkte
Die Karten und kurzen Erklärungstexte fand ich super, aber die restlichen Textblöcke waren, so informativ sie auch sein mögen, mir einfach zu trocken. Natürlich soll der Atlas der Unordnung Wissen vermitteln und erreicht dieses Ziel auch wunderbar. Es ist nur so: Ich habe einen anderen Stil und eine andere Sprache erwartet, lockerer und unterhaltsamer, als es letztendlich der Fall war. Dabei kann ich nicht beurteilen, ob diese Eigenschaft vom Original stammt oder in der Übersetzung aus dem Französischen ins Deutsche entstanden ist.

Ich musste das Buch jedenfalls immer wieder beiseite legen, weil es mich nicht über längere Zeit fesseln konnte. Und meine Motivation, es wieder aufzunehmen und am Stück weiterzulesen, hielt sich auch in Grenzen. Da habe ich lieber durch die Karten geblättert und mal hier, mal da angelesen oder die Symbolik und Legenden zu durchschauen versucht. Für mich wird dieses Buch eine Art Coffee Table Book: ein Buch, das ich viele Monate lang nicht anschaue, aber in der richtigen Laune dann stundenlang darin stöbere.

Der Atlas der Unordnung ist nicht mein erstes Buch aus dem Verlag wbg Theiss, aber er bestätigt leider meinen Eindruck von damals, als ich Winter is Coming. Die mittelalterliche Welt von Game of Thrones gelesen habe: Die Bücher aus diesem Verlag mögen sich an ein breites Publikum mit speziellem Wissensinteresse richten, aber dieses Wissen ist leider auf eine Weise verpackt, die mir persönlich nicht so sehr zusagt. Wenn ich auf so trockene Weise lernen möchte, dann kann ich auch normale Schulbücher in die Hand nehmen. Ich werte dies als zweiten gescheiterten Versuch, mit dem Verlag und seinen Büchern warm zu werden, und gehe in Zukunft etwas distanzierter an ihn heran.

Fazit
Der Atlas der Unordnung bietet viel abwechslungsreiches historisches wie aktuelles geopolitisches Wissen über verschiedenste Arten von Grenzen, wobei der Fokus auf solchen Grenzen liegt, die irgendeine Form der Besonderheit aufweisen: Das sind zum Beispiel Konflikte über Grenzverläufe (ganz aktuell: Russland-Ukraine), Schmugglertunnel unter mehreren Reihen Stacheldraht und Mauern hindurch oder der Schengen-Raum. Für meinen Geschmack sind die Text-Kapitel aber zu trocken und das Buch dadurch zu unangenehm zu lesen. Ich bin wohl einfach nicht das Zielpublikum des Verlags, obwohl ich Karten unglaublich faszinierend finde. Meine Erkenntnis: Das gilt wohl überwiegend für historische Karten.

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