REZENSION – Sein inzwischen in 45 Sprachen übersetztes und ebenso erfolgreich verfilmtes Romandebüt „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ (2009) machte den schwedischen Schriftsteller Jonas Jonasson (63) auf einen Schlag weltweit bekannt. Im November erschien nun beim C. Bertelsmann Verlag Jonassons achter Roman „Der verliebte Schwarzbrenner und wie er die Welt sah“. Vordergründig scheint es nur ein humorvoller Unterhaltungsroman zu sein, doch für Interessenten schwedischer Geschichte ist dieser Roman weit mehr. Der Autor schildert anhand seiner gewohnt skurrilen Protagonisten und einer aberwitzigen Geschichte auf lockere Weise eine wichtige Epoche der Landesgeschichte mit den vor allem durch die französische Revolution verursachten Folgen – den Übergang in eine konstitutionelle Monarchie, die Einführung eines bürgerlichen Rechtssystems und die Wandlung des überwiegend landwirtschaftlich geprägten Landes in eine moderne Industrienation.
In der schwedischen Provinz Småland lebt Algot Olsson im Jahr 1852 als armer Kätner und Pächter des Grafen Bielkegren, Waldbesitzer und Betreiber des „modernsten Sägewerks Schwedens“. Nach dem frühen Tod des Vaters, eines einst erfolgreichen Schweinezüchters, der durch eine Intrige des Grafen alles verloren hatte und im Armenhaus frühzeitig verstorben war, blieb Algot nur ein Destillierapparat zum Schnapsbrennen für den Hausgebrauch. Da trifft es sich gut, dass gerade jetzt die erste Eisenbahnverbindung zwischen Kopenhagen und Stockholm durch Småland gebaut wird. Algot verkauft seinen Schnaps für gutes Geld an die Gleisarbeiter und wird damit so erfolgreich, dass auch ihn die Missgunst des Grafen trifft, der ihn von seinem Land verjagt. Algot findet bei dem nach der Deutschen Revolution (1848/1849) aus Bayern emigrierten Druckermeister Helmut Zimmermann, der ihn mit falschen Papieren versorgt, und dessen resoluter Tochter Anna Stina Unterschlupf. Später gesellen sich noch die junge Prostituierte Maja sowie der jähzornige Engländer Frank Miles hinzu. In dem Wissen, dass er niemals eine behördliche Genehmigung zur Schnaps-Herstellung bekommt, wird Algot Olsson kurzerhand zum Apotheker Algot H. Otterdahl, verändert die Rezeptur seines Schnapses und verkauft nun eine „Wundermedizin gegen trübe Gedanken“. Mit diesem Verkaufsschlager und einigen weiteren Tricks sowie der juristischen Unterstützung eines der ersten Rechtsanwälte Schwedens kommt die Firma Zimmermann & Otterdahl zu Wohlstand und kann sich schließlich am Grafen Bielkegren rächen.
Neben dieser teilweise abstrusen, aber doch witzigen Geschichte mit ihren Protagonisten, die sich mit Bauernschläue gegen das herrschende System auflehnen, versteht es der Autor – mal ganz konkret, mal auch nur durch Andeutungen –, den geschichtlichen Hintergrund und den gesellschaftlichen Umbruch zur Zeit des Königs Oscar I. zu schildern. Erst dieser König französischer Abstammung liberalisierte das Wirtschaftsleben und führte Sozialreformen ein. Doch ausgerechnet er war es auch, der die Schnaps-Herstellung in staatlicher Hand monopolisierte, wie es noch heute in Schweden der Fall ist.
Interessant ist auch die Figur der resoluten Drucker-Tochter Anna Stina, die das von ihrem Vater gedruckte Buch „Die Woche mit Sara“ vertreibt, das der Pfarrer Carl Jonas Love Almqvist erstmals 1839 veröffentlicht hatte. Anna Stina hat die darin propagierten emanzipatorischen Ideen verinnerlicht und nicht nur ihren Vater zum anteiligen Küchendienst verdonnert, sondern verweigert sich nun als selbstbewusste Frau, die eine Heirat grundsätzlich ausschließt, den schüchternen Annäherungsversuchen Allgots. Lediglich aus Platznot im Haus, nachdem auch Maja und Frank Miles Schlafplätze brauchten, lässt sie ihn schließlich doch in ihr Bett. Der Roman „Die Woche mit Sara“ wurde übrigens erstmals 2004 auf Deutsch veröffentlicht.
Kennt man solche historischen Hintergründe und versteht die im Roman versteckten Hinweise und Andeutungen, dann ist „Der verliebte Schwarzbrenner und wie er die Welt sah“ nicht nur eine durchaus amüsante Unterhaltung. Denn dann wird das Buch sogar zu einer historisch interessanten Lektüre, die zu intensiverer Beschäftigung mit jener Epoche in der Landesgeschichte Schwedens animieren kann.