Unaufgeregte Geschichte über väterliche Schuld und Verdrängung
Vaters StimmeNina, Ende vierzig, hat sich von Ron getrennt. Außerdem ließ sie ihren gemeinsamen Sohn Lenny bei Ron. Diese Entscheidung bricht ihr spätestens jedes zweite Wochenende das Herz, wenn sie Lenny bei sich ...
Nina, Ende vierzig, hat sich von Ron getrennt. Außerdem ließ sie ihren gemeinsamen Sohn Lenny bei Ron. Diese Entscheidung bricht ihr spätestens jedes zweite Wochenende das Herz, wenn sie Lenny bei sich hat, manchmal auch jedes dritte, wenn Lenny krank ist oder eine Pyjamafeier auf ihn wartet. Es passiert zuweilen auch, dass sie ihn nur einmal im Monat sieht, wenn sie verreisen muss. Sie wollte Lenny nicht aus seiner gewohnten Umgebung reißen und Ron hat ja auch eine Tochter aus erster Ehe. Ihr beruflicher Alltag ist so unstet. Sie hat ihren eigenen Vater zuletzt vor 25 Jahren gesehen, vielleicht für eine Stunde, dabei ging es um Geld. Danach verschwand er wieder, wie zuvor. Und jetzt rollt Lenny, wie ein Überfallkommando über sie weil er seinen Opa kennenlernen will.
Sie schreiben Ninas Vater Hans gemeinsam einen Brief und Hans ruft prompt bei Lenny an. Daraufhin meldet Hans sich bei Nina und sie hört seine Stimme. Die Stimme ist tief, klingt fröhlich, voller Euphorie wieder zu Kontakt zu ihr haben und bringt etwas in ihr zum Schwingen, von dem sie nicht wusste, dass es da ist.
Nina fährt mit ihrem Sohn nach Süddeutschland um ihre Mutter und ihren Vater zu besuchen. Ihre Mutter lebt in einem gerontopsychiatrischem Heim, in dem man ihrer Depression mit Medikamenten beizukommen versucht. Ihr Vater lebt in dem Häuschen seiner zweiten Frau. Hans beantwortet Ninas Fragen geduldig und wenn es ihm zu viel wird, dreht er den Ton des Fernsehers so laut, dass ein Gespräch unmöglich wird. Er erzählt von seinem guten Händchen in punkto Geschäftssinn und von seinem Fleiß, zu dem ja heute kein Junger mehr fähig ist. Die Kopfnüsse seines Großvaters und die Maulschellen seines Vaters lacht er weg …“So war das eben damals“.
Fazit: Tanja Schwarz hat eine diffizile Familiengeschichte geschaffen. Mit unaufgeregter Stimme zeigt sie die Schuld, die Hans auf sich geladen hat und erfolgreich verdrängt. Zuerst sucht die Protagonistin nach Ähnlichkeiten mit ihm, identifiziert sich und glaubt ihm seine Geschichten, in denen ihm alles so mühelos gelang, dem Hans, dem echten Kerl. Dann hört sie sich den anderen Teil der Familie an, von dem sie gar nicht wusste, dass es ihn gibt und Hans Lügen fallen in sich zusammen. Am Ende ist er ein Produkt der Erziehung seines Vaters und Großvaters. Eine Erziehung, die er unhinterfragt auf seinen Sohn übertrug. Dieses Bild des Hans, der toxischen Männlichkeit, ständigen Selbstbeweihräucherung und Selbstbetrugs ist weit verbreitet. Ich finde es großartig, nach vielen ungesunden Mutter-Tochter-Beziehungen, nun eine Vater-Tochter Geschichte lesen zu können, die es in sich hat. Eine ganz und gar gelungene Ich-Erzählung, die sich mit Leichtigkeit lesen lässt.