Vom Suchen und Finden und dem Grau des Lebens
Das perfekte GrauWährend wir dann alle so dastanden und uns wunderten, kam es mir vor, als seien wir durchnummerierte, menschliche Erbeerpflückmaschinen, komplett organisiert in einer im Farmer- Look getarnten, von Mark ...
Während wir dann alle so dastanden und uns wunderten, kam es mir vor, als seien wir durchnummerierte, menschliche Erbeerpflückmaschinen, komplett organisiert in einer im Farmer- Look getarnten, von Mark Zuckerberg geleiteten und durch Range Rover und Rolex ad absurdum geführten Fabrik. (Buchzitat, S. 151)
Salih Jamals „Das perfekte Grau“ ist ein sommerlicher Roman über Freundschaft, Mitgefühl und den Versuch, mit den eigenen inneren Dämonen ins Reine zu kommen. Vier völlig unterschiedliche Menschen treffen aufeinander und begeben sich auf eine ungewöhnliche Reise, die Licht und Schatten gleichermaßen beleuchtet. Der Autor, Salih Jamal, der bereits mit seinem Debütroman „Briefe an die grüne Fee“ ausgezeichnet wurde, bringt auch in diesem Werk seine poetische Sprache und tiefgründigen Reflexionen ein.
Worum geht’s genau?
In einem heruntergekommenen Hotel an der Ostsee treffen vier Menschen aufeinander, die alle auf der Flucht sind: Novelle, eine junge Frau, die mit einer schweren Vergangenheit kämpft, Dante, ein Tagedieb mit Beziehungsproblemen, Rofu, ein afrikanischer Geflüchteter mit erschütternden Erlebnissen, und Mimi, eine Dame voller Lebensweisheit. Gemeinsam beschließen sie, das Hotel hinter sich zu lassen und eine Reise Richtung Süden anzutreten. Während dieser Reise teilen sie ihre Geheimnisse, erleben Momente von Hoffnung und Schmerz und wachsen langsam zu einer Gemeinschaft zusammen. Doch die äußeren Konflikte und die eigenen Dämonen holen sie immer wieder ein.
Meine Meinung
Von Beginn an konnte mich „Das perfekte Grau“ durch seine tiefgründige Sprache und die vielen Metaphern fesseln. Salih Jamals Sprache ist poetisch und flüssig, und die Beschreibungen regen zum Nachdenken an. Ich habe das Buch im Rahmen einer Leserunde gelesen und schon im ersten Abschnitt wurde ich in die Geschichten der Protagonist:innen hineingezogen und war neugierig, was sie ins Hotel führte. Das Buch ist aus der Sicht einer der vier Protagonist:innen (D)Ante geschrieben.
Nach und nach erfährt man mehr über die Vergangenheiten der Figuren. Hier hat mich besonders Rofu beeindruckt, der trotz seiner schlimmen Erlebnisse einen warmherzigen und hoffnungsvollen Blick auf die Welt behalten hat. Am wenigsten konnte ich mit (D)Ante anfangen, der mit seinem Problem schon etwas aus der Reihe tanzt. Er ist von allen auch der privilegierteste. Die Dynamik zwischen den Figuren entwickelt sich spannend, auch wenn ich zunächst keinen emotionalen Bezug zur Gruppe als Ganzes aufbauen konnte. Die Wendungen der Geschichte hielten die Spannung hoch, doch einige Handlungsstränge wirkten überladen.
Begeistert war ich hingegen von den tiefen Dialogen, etwa über Glaube, Freundschaft und Identität. Allerdings fielen mir auch negative Aspekte auf, wie die Verwendung von rassistischen Begriffen oder das Body- und Ageshaming, die unnötig waren und störend wirkten. Diese sprachlichen Entscheidungen haben mich manchmal irritiert und von der sonst so schönen Erzählweise abgelenkt. Es kann aber sehr gut sein, dass das einfach der Charakter von (D)Ante sein soll, denn an anderen Stellen wird ersichtlich, dass sich der Autor sehr wohl mit der gebotenen Sensibilität mit Themen auseinandergesetzt hat. Hier liegt also die Vermutung nahe, dass das eine bewusste Entscheidung des Autors war, den Charakter, der diese Aussagen tätigt, so anzulegen. Man muss sich allerdings immer bewusst sein, dass dadurch auch bestimmte stereotype und vorurteilsbelastete Sichtweisen gefestigt werden. Im Endeffekt ist Sprache Macht, zeigt unser Denken und bestimmt unsere Handlungen.
Das Ende schließlich hätte ich mir klarer gewünscht, obwohl es schon zur Geschichte passt. Es lässt jedenfalls noch Raum für Interpretationen.
Fazit
„Das perfekte Grau“ ist ein poetischer und tiefgründiger Roman, der große Themen wie Freundschaft, Flucht und Identität behandelt. Die Figuren sind facettenreich, und die Sprache regt zum Nachdenken an, auch wenn einige sprachliche und inhaltliche Entscheidungen irritierend waren. Die vielen philosophischen Zitate und die berührenden Schicksale machen das Buch zu einem lesenswerten Werk, das lange nachhallt. 4 von 5 Sternen.
Die eigene Vergangenheit bleibt für Unbeteiligte, und auch zu oft für einen selbst, immer in einem geheimnisvollen Zwielicht. Denn zwischen dem reinsten Weiß und unserem vollkommensten Schwarz liegen Millionen Stufen von Grau. Manche Töne sind sichtbar, und einige von ihnen sind für andere das perfekte Grau. (Buchzitat, S.77/78)