Schmerzhaft zu lesen, ein unglaublich wichtiges Buch!
Unversehrt ist wirklich keine leichte Kost und macht unfassbar traurig und wütend. Ich musste mehrfach unterbrechen, weil die Geschichte von weiblichem Schmerz, die Eva Biringer hier erzählt so unfassbar ...
Unversehrt ist wirklich keine leichte Kost und macht unfassbar traurig und wütend. Ich musste mehrfach unterbrechen, weil die Geschichte von weiblichem Schmerz, die Eva Biringer hier erzählt so unfassbar und dramatisch ist und nicht zuletzt dramatisch alltäglich. Die Autorin betrachtet wie Frauen Schmerz zugefügt wird, ihr Schmerz bagatellisiert und nicht ernst genommen, an anderer Stelle fetischisiert wird - dies alles auch in und von einer in Vergangenheit und Gegenwart zutiefst androzentrischen Medizin, mit weitreichenden Folgen für die Betroffenen jenseits des männlichen Ideals.
Vieles war für mich nicht komplett neu, doch Biringer beschreibt die Ursprünge, Ausbreitung und Persistenz von Misogynie und deren Verbindung zu weiblichem Schmerz in unserer Gesellschaft in Deutschland, Europa und weltweit so pointiert und eindringlich, dass es einem eiskalt den Rücken herunterlaufen kann. Diese Eindringlichkeit erzeugt die Autorin nicht mit Effekten oder sprachlichen Raffinessen, nein, es sind die gut recherchierten harten, traurigen und in Ausmaß und Wirkung beinahe unglaublichen Fakten, die erschaudern lassen und einfach nur wütend machen, auf eine Welt, die noch immer maßgeblich durch patriarchale Strukturen geprägt ist und in der autoritär-patriarchale Muster zum Teil sogar eine Revision erfahren (siehe Trump, die Incel-Bewegung, etc.).
Als Betroffene einer der von der Autorin beschriebenen Autoimmunerkrankungen, die überproportional Frauen betreffen, war ich positiv angetan von den Ausführungen Biringers, die von einem tiefen Verständnis der Autorin für die Erkrankungen und Lebenswelt der Betroffenen zeugen. Dies ist nach meiner Erfahrung auch unter Journalist*innen alles andere als selbstverständlich.
Für mich waren Einleitung und Titelbild etwas irreführend. Letzteres finde ich recht plakativ. Zugang zum Thema verschafft sich die Autorin in der Einleitung über die Geschichte ihrer eigenen Großmutter, die ihr Leben lang an Schmerzen litt. Ich hatte daher ein wesentlich persönlicheres, eher feuilletonistisches Buch erwartet. Was auch ok gewesen wäre. Positiv überrascht bin ich dann jedoch von dem ausgezeichnet recherchierten, und einnehmend geschriebenen ebenso wie pointiert aufgebauten Sachbuch, dass mich erwartete. Für mich ist das Buch in Inhalt und seiner zeitgemäßen sprachlichen Darstellung ein echtes Must-Read und würde für mich fast zu einer zeitgemäßen Schullektüre taugen. Denn dass die darin von der Autorin präsentierten Inhalte so wenig Raum in der Öffentlichkeit einnehmen, ist unfassbar, besonders wenn man bedenkt, dass rund 50% der Menschheit von den negativen Auswirkungen von Misogynie und Sexismus in unserer Gesellschaft und insbesondere auch dem Gesundheitssystem betroffen sind! Unbedingt lesen!