Einfühlsam und fesselnd: Ein Dorfroman über Schicksal, Schuld und Gemeinschaft
„Vielleicht hat das Leben Besseres vor“ von Anne Gesthuysen hat mich tief berührt und zugleich großartig unterhalten. Die Geschichte spielt im kleinen Dorf Alpen am Niederrhein, wo Pastorin Anna von Betteray ...
„Vielleicht hat das Leben Besseres vor“ von Anne Gesthuysen hat mich tief berührt und zugleich großartig unterhalten. Die Geschichte spielt im kleinen Dorf Alpen am Niederrhein, wo Pastorin Anna von Betteray nicht nur ihren Glauben lebt, sondern auch mitten im Leben ihrer Gemeinde steht. Man spürt Gesthuysens Liebe zu den Dorfbewohnern und der Region – sie schildert das ländliche Leben und den dörflichen Zusammenhalt auf eine Weise, die charmant, humorvoll und manchmal auch augenzwinkernd ist.
Im Zentrum der Erzählung steht Heike, die mit den schweren Folgen eines Unfalls hadert, bei dem ihre Tochter Raffaela ein Schädel-Hirn-Trauma erlitt und geistig beeinträchtigt wurde. Die Spannungen eskalieren, als Raffaela bewusstlos in einem Wassergraben gefunden wird und ins Koma fällt. Die Dorfbewohner beginnen zu spekulieren, und schnell wird nach einem Schuldigen gesucht. Hier zeigt sich Gesthuysens Blick für die Schattenseiten menschlicher Reaktionen – Vorurteile und Misstrauen, die so schnell aus dem Nichts entstehen können.
Besonders gelungen fand ich die vielschichtigen Figuren: Heikes Schmerz und ihre Schuldgefühle, Annas Unterstützung als Freundin und Pastorin und nicht zuletzt die zauberhafte, fast schon schrullige Tante Ottilie, die mit ihrer Lebensfreude und Weisheit ein wunderbarer Gegenpol zur Dramatik der Geschichte ist. Diese Figur hat mich immer wieder zum Schmunzeln gebracht und zeigt, dass Humor auch in ernsten Geschichten Platz hat. Die zahlreichen Konflikte, die in der Dorfgemeinschaft aufbrechen, seien es alte Volkslieder oder private Geheimnisse, verleihen der Geschichte eine Tiefe, die sie realistisch und lebendig macht.
Was mich besonders beeindruckt hat, ist die feinfühlige Art, mit der Gesthuysen Themen wie Inklusion, Verantwortung und Gemeinschaft behandelt. Sie gibt Raffaelas Geschichte die nötige Sensibilität, ohne in Kitsch oder Pathos zu verfallen. Auch wenn manche Themen nur angerissen werden und vielleicht an Tiefe gewinnen könnten, ergibt sich ein stimmiges Gesamtbild.
Für alle, die „Wir sind schließlich wer“ kennen, ist „Vielleicht hat das Leben Besseres vor“ eine schöne Fortsetzung mit vertrauten Gesichtern. Auch ohne Vorkenntnisse kann man sich jedoch gut einfinden, da die Charaktere so klar und lebendig gezeichnet sind. Ein kurzweiliges Buch, das unterhält und gleichzeitig nachdenklich macht – für mich eine klare Empfehlung für alle, die menschliche Geschichten in dörflicher Atmosphäre lieben.