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Veröffentlicht am 22.11.2024

Diese Zeitzeugin dürfen wir niemals vergessen

Über nichts schreiben, als was meine Augen sehen
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Aurelia Wylezynska war eine polnische Schriftstellerin und Journalistin. Am 03. September kam sie zurück nach Warschau. Das war ungewöhnlich, da viele ihrer Freunde und Bekannten diese Stadt fluchtartig ...

Aurelia Wylezynska war eine polnische Schriftstellerin und Journalistin. Am 03. September kam sie zurück nach Warschau. Das war ungewöhnlich, da viele ihrer Freunde und Bekannten diese Stadt fluchtartig verließen. Ihre Gedanken zu den Geschehnissen während der Besatzung durch die Deutschen, schrieb sie in ein Tagebuch. Diese Aufzeichnungen gelten nun endlich als „Zeugnis von großem und literarischen Wert“.

"Über nichts schreiben als was meine Augen sehen" beginnt mit einem Tagebucheintrag. Aurelia schrieb am 14. Januar 1941 folgendes: „Es hat eine gewisse Pikanterie, wenn ich mit Untergrunddrucken in der Tasche neben einem SS-Mann an der Tramhaltestelle stehe.“ Ja, sie verteilte heimlich Untergrundzeitungen in Warschau. Sie selbst veröffentlichte hier ihre antideutschen Artikel. Kaum vorstellbar was mit ihr geschehen wäre, wenn die Mannen der SS sie erwischt hätten.

In ihrem Tagebuch schreibt Frau Wylezynska so, wie sie in dem Moment empfindet. Ohne umfangreiche Überlegungen und ohne Rücksicht auf ihr Leben. Dass ihre Aufzeichnungen gefährlich waren und niemals in die Hände der Feinde gelangen durften, das war ihr bewusst. Mich persönlich machte sehr betroffenen, wie die Warschauer mit ihren jüdischen Mitbürgern umgingen. Nicht alle denunzierten, aber leider waren es zu viele.

Nein, dieses Tagebuch ist kein Roman, es ist die Beschreibung der Wirklichkeit. Und diese Tatsache macht es so wertvoll. Die Autorin starb durch eine Kugel der Besatzer und ihr Tagebuch blieb erhalten. Welch ein Glück. Nur so kann gewährleistet sein, dass sogar verstorbene Zeitzeugen zu Wort kommen. Vielleicht können sie bewirken, dass dieses „Nie wieder“ bei vielen Menschen ankommt.

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Veröffentlicht am 22.11.2024

"Wer seine Vergangenheit vergisst, ist dazu verurteilt, sie erneut zu erleben."

Feuerdörfer
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Sie überlebten die Massaker in den Dörfern von Belarus. Menschen, die dem Feuer und dem Morden der Deutschen entkommen konnten. Es waren drei empathische Persönlichkeiten, die sich auf den Weg zu Zeitzeugen ...

Sie überlebten die Massaker in den Dörfern von Belarus. Menschen, die dem Feuer und dem Morden der Deutschen entkommen konnten. Es waren drei empathische Persönlichkeiten, die sich auf den Weg zu Zeitzeugen machten. Im Klappentext heißt es, dass es „die chorische Vielstimmigkeit“ ist, welche das Maß der Ungerechtigkeit erkennen lässt.

Was mag in ihnen vorgegangen sein als sie sich daranmachten, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen? Sie mussten nicht nur Menschen finden, die ihnen von den Erlebnissen berichten. Auch der Schmerz wurde für die Opfer wieder lebendig. Die Traumata rückten in den Fokus. Das Weinen war kaum zu ertragen.

Dutzende Kilometer Tonbandaufnahmen (ja, die gab es damals noch) über dreihundert Erzählungen von unmittelbar beteiligten Zeugen, sind Inhalt dieses Buches. „Das waren keine Menschen, das waren Tiere“ ist ein Satz, den die drei Interviewer immer wieder hörten. Unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung vernichteten Aggressoren die Bevölkerung. „Die Henker haben gefeiert, Mundharmonika gespielt“. Danach alle, Frauen, Kinder, Säuglinge, Alte erschossen. Manche von denen wurden auch lebendig verbrannt.

"Feuerdörfer" hat mich zutiefst erschüttert und mir kamen immer wieder die Tränen. Ja, ich musste das Buch häufig weglegen, um das Gelesene erst einmal zu verarbeiten. Es war kaum auszuhalten. Sehr makaber für mich war auch das Lesen der Rapporte nach „oben“. Minutiös wurde darin festgehalten, wie viele Menschen erschossen, wie viele Höfe niedergebrannt wurden. Die genaue Zahl der „eingetriebenen“ Rinder, Schweine, Schafe und Pferde kann bis heute in den Archiven der Wehrmacht nachgelesen werden.

4.885 Dörfer waren es, die von Soldaten heimgesucht und deren Bewohner gezielt getötet wurden. Etwa 300.000 Zivilisten wurden lebendig verbrannt. Darunter viele Säuglinge und Kinder. Im Anhang steht eine kurze Biographie der drei Autoren, die 5 Jahre an dem Buch arbeiteten. Es erschien 1975 und ist nun endlich auch in deutscher Sprache aufgelegt.

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Veröffentlicht am 17.11.2024

Dieses Leid der Betroffenen ist kaum nachvollziehbar

In langer Reihe über das Haff
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Es war am 16.10.1944 als Menschen und Pferde nach Westen flohen. Ihre Heimat war das Gut Trakehnen in Ostpreußen. Die russische Armee zwang Menschen und Tiere zur Flucht. Ohne Futter und Wasser mussten ...

Es war am 16.10.1944 als Menschen und Pferde nach Westen flohen. Ihre Heimat war das Gut Trakehnen in Ostpreußen. Die russische Armee zwang Menschen und Tiere zur Flucht. Ohne Futter und Wasser mussten diese edlen Tiere viele hunderte Kilometer zurücklegen. Und das nur, weil sie ein Opfer von Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit waren.

Bis zum Jahr 1945 war Trakehnen die Heimat der Familie Königsberg. Dann schlug das Schicksal zu. Nach 200 Jahren musste sich das Gestüt den Mächtigen beugen und Menschen mit ihren Tieren fliehen. Richtung Westen. Ohne Futter und/oder Wasser legten diese edlen Pferde den Fluchtweg zurück. Sie zogen schwere Wagen nach Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hessen. Niemand von uns kann ermessen, welche Qualen diese Tiere und ihre Besitzer erlitten. So viele verendeten auf dem Weg Richtung Westen.

Zu diesem Buch gibt es unterschiedliche Rezensionen. Für mich ist klar, dass die Autorin ihren Fokus auf die Pferde legte. In Ostpreußen waren Pferde kein Statussymbol. Kein Hobby der Reichen. Sie waren ein Teil des Leben und diese Tatsache wird in diesem Buch ganz klar kommuniziert. Wie schwer dieser Gang über das eisige Haff tatsächlich war, das kann ich nicht beurteilen. Ich war nicht dabei und lese lediglich die Erfahrungsberichte von Betroffenen.

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Veröffentlicht am 15.11.2024

Toller Roman perfekt vorgetragen

Die Familienangelegenheiten der Johanne Johansen
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Johanne Johansen verabschiedet sich von ihrem Chef. Sie wünscht ihm für die Zukunft alles Gute. Der stutzt und fragt sie, ob sie denn nicht mehr arbeiten wolle. Johanne erklärt ihm, dass sie ab sofort ...

Johanne Johansen verabschiedet sich von ihrem Chef. Sie wünscht ihm für die Zukunft alles Gute. Der stutzt und fragt sie, ob sie denn nicht mehr arbeiten wolle. Johanne erklärt ihm, dass sie ab sofort ihren wohlverdienten Ruhestand genießen möchte. Sowohl Chef als auch Kollegen sind entsetzt. Sie haben dieses Ereignis tatsächlich vergessen. Kein Blumenstrauß wartet auf die treue Mitarbeiterin. Aber es wäre nicht Johanne, würde sie nicht mit hanseatischer Ruhe mitteilen, dass es ihr egal sei. So beginnt das Hörbuch
"Die Familienangelegenheiten der Johanne Johansen".

Dass ihr Ruhestand dann tatsächlich zum Unruhestand wird, das hätte Johanne nie gedacht. Aber Jammern und Klagen helfen nicht. Sie überlegt nur wenige Stunden und setzt sich ans Pläne schmieden. Die Reederei ihrer Vorfahren soll verkauft werden? An einen unsympathischen Konkurrenten? Für Johanne steht fest: Das darf niemals geschehen. Innerhalb kurzer Zeit entwickelt sie einen Plan, der nicht nur gut durchdacht ist. Er hat auch Hand und Fuß.

Zur Seite steht ihr nicht nur Lydia, die sich von der Untreue ihres Ehemanns erholen muss. Auch weitere Frauen aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis sind begeisterte Helfer. Ein kurzweiliger Roman, der mich bestens unterhalten hat. Hanseatischer Humor und bildhaft erzählte Episoden ließen zu keinem Zeitpunkt Langeweile aufkommen. Und dass Vera Teltz eine Ausnahmesprecherin ist, konnte ich schon häufiger feststellen. Also gibt es von mir die uneingeschränkte Hörempfehlung.

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Veröffentlicht am 13.11.2024

Ein Buch, das nachdenklich macht

Vielleicht hat das Leben Besseres vor
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Anna ist Pastorin und zudem auch Notfallseelsorgerin. Sie wird an das Krankenbett von Raffaela gerufen. Die liegt im Koma und niemand weiß warum. Raffaela ist behindert. Das bedeutet, dass sie nicht den ...

Anna ist Pastorin und zudem auch Notfallseelsorgerin. Sie wird an das Krankenbett von Raffaela gerufen. Die liegt im Koma und niemand weiß warum. Raffaela ist behindert. Das bedeutet, dass sie nicht den Maßstäben der Menschen um sie herum entspricht. Ihre Mutter kümmert sich rührend um sie. Dabei vergisst sie ihre eigenen Bedürfnisse.

Anna liebt ihren Job. Sie ist Pastorin in einer Kleinstadt am Niederrhein. Dass sie auch noch als Notfallseelsorgerin tätig ist, war für sie bisher kein Problem. Bisher. Das änderte sich schlagartig, als sie an das Krankenbett von Raffaela gerufen wurde. Dort saß die Mutter der Patientin mit einem Rosenkranz in ihren Händen. Völlig verzweifelt.

"Vielleicht hat das Leben Besseres vor" war mein erster Roman, den ich von dieser Autorin las. Er entführt mich an den Niederrhein. Dabei ist es nicht nur in dieser Gegend üblich, dass Klatsch und Tratsch von aufmerksamen Nachbarn als Ersatz von Tageszeitung und Nachrichten aus Funk und Fernsehen gibt. Etliche Charaktere finden sich hier zusammen und nicht alle waren mir sympathisch. Das ist aber auch nicht wichtig. Für mich tatsächlich von elementarer Bedeutung ist die Frage, wie in diesem kleinen Ort mit behinderten Menschen umgegangen wird.

Das Buch hat mich nicht nur gut unterhalten. Es zeigte mir auch, dass die Autorin nicht oberflächlich mit dem Thema umging und gefühlvoll auf die Probleme und Sorgen der Angehörigen von Behinderten einging. Meine Empfehlung zum Lesen des Buches gilt daher uneingeschränkt.












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