Eine außergewöhnlich gute Geschichte
Simon hat sich in seinem überschaubaren Alltag eingenistet. Er frisiert ein bis drei Kunden pro Tag, am liebsten Männer, stutzt Bärte und massiert Kopfhäute, wie schon sein Vater und dessen Vater zuvor. ...
Simon hat sich in seinem überschaubaren Alltag eingenistet. Er frisiert ein bis drei Kunden pro Tag, am liebsten Männer, stutzt Bärte und massiert Kopfhäute, wie schon sein Vater und dessen Vater zuvor. Seinen Vater hat er nie kennengelernt. Er war quasi noch unterwegs, als sein Vater verschwand. Niemand weiß warum er bei einem schweren Unglück, einer Bodenkollision zweier großer Passagiermaschinen 1977 ums Leben kam. Seltsamerweise wusste nicht einmal jemand, was er auf Teneriffa treiben wollte. Und dann verschwand zeitgleich ein Praktikant seines Großvaters und erschien auf der Liste der Opfer. Bisher hat Simon sich nicht dafür interessiert, er akzeptierte, was geschehen war und vermisste nichts. Doch dann kommt einer seiner Kunden, der Schriftsteller, in den Salon und stellt Fragen. Er gibt vor über einen Friseur schreiben zu wollen und sieht Simon über die Schulter.
Die Arbeitskollegin seiner Mutter Henny ist verreist und es sieht fast so aus, als wollte sie nicht zurückkommen. Simon hatte auf die mütterlichen Fragen, ob er kurzfristig einspringen könne zuerst so wage geantwortet wie es eben ging, aber seine Mutter hat nachhaltig gebohrt und ihm eine klare Zusage abverlangt. Nun sitzt Simon samstagmorgens am Beckenrand und betreut mit seiner Mutter zwei Mongoloide, das darf man nicht mehr sagen, sagt die Mutter. Ein stoisch schwimmendes Mädchen, ein Mädchen, das diese komischen Laute macht und diesen großgewachsenen, schönen Jungen. Der Junge klammert sich im Wasser an Simon und umschlingt sein Becken mit den Beinen, was bei Simon sofort eine unangenehme Erektion auslöst. Simons Mutter macht aus seinem Schwulsein keine große Sache, aber der Junge, fast schon ein Erwachsener schleicht sich in Simons Tagträume.
Fazit: Gerbrand Bakker hat seine außergewöhnlich gute Geschichte in drei Teile aufgeteilt. Zuerst lerne ich seinen etwas verschrobenen Protagonisten in seiner Gegenwart kennen und mögen. In Teil zwei begegnet mir Simons Vater, ich verstehe, was ihn zu dem Teneriffaflug veranlasste und ich erfahre, wie sich die Tragödie zugetragen hat. Das war Recherchearbeit. Im dritten und letzten Teil blicke ich unter anderem darauf, wie sich Simons Leben weiterentwickelt. Der Protagonist hat es sich in seinem Leben bequem gemacht. Aus Liebe zur Gewohnheit verzichtet er auf Unberechenbares. Die Einsamkeit, die er manchmal spürt, streift er mit kurzen Affären ab. Doch dann rüttelt das Schicksal ihn wach, erweckt sein Interesse und macht Veränderung möglich. Aus dem „indolenten“ Mann, wird jemand der emotional aufbricht und beweglich wird. Interessante Geschichte mit spannenden Wendungen, die mir Freude bereitet hat.