Chancengleichheit?
Eine feine LinieIn Drancy, einem Vorort von Paris, wächst Maryam als Kind persischer Einwanderer auf. Sie ist anders, kleidet sich anders und sieht anders aus als ihre französischen Mitschüler. Mobbing, das nicht ausbleibt, ...
In Drancy, einem Vorort von Paris, wächst Maryam als Kind persischer Einwanderer auf. Sie ist anders, kleidet sich anders und sieht anders aus als ihre französischen Mitschüler. Mobbing, das nicht ausbleibt, stachelt ihre Wut auf ihren Körper an.
Maryam sieht nur einen Ausweg: mit Fleiss, ihrer Intelligenz und mit einer guten Bildung Akzeptanz zu erlangen. Sie schafft es auf das renommierte Pariser Gymnasium Lycée Fénelon und ist sich sicher, dass dort Chancengleichheit kein Fremdwort ist. Dabei fällt sie ziemlich auf den Boden der Realität.
Ich weiss nicht, ob diese Geschichte autobiografisch ist. Leider habe ich darüber keine Angaben gefunden. Da jedoch der Namen der Protagonistin mit dem Namen der Autorin, sowie die Eckdaten übereinstimmen, nehme ich es stark an.
Maryam ist das typische Beispiel der zweiten Generation von Einwanderern. Sie war sechs Jahre alt, als sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder vom Iran nach Frankreich flüchtete. Gefangen ist sie in zwei komplett unterschiedlichen Kulturen, in denen tagtäglich der Spagat gemacht werden muss. Zwischen den Ansichten, Gewohnheiten und Ritualen der eigenen Familie und der Welt, in der sie lebt, zur Schule geht und Freundschaften pflegt. Bei ihr kommt noch dazu, dass sie in eher ärmlichen Verhältnissen aufwächst und in der Pubertät der Mangel an Markenkleidung ein zusätzliches Stigma bedeutet. Maryam hasst ihren Körper, weil er weit weg ist von ihrem begehrten "französischen" Ideal. Manchmal wusste ich in den Passagen, in denen ihre Bemühungen, den Körper "französisch" zu trimmen nicht, ob ich lachen oder Mitleid haben soll.
Maryam setzt ihre grosse Hoffnung um Akzeptanz in die renommierte, weiterführende Schule. Chancengleichheit ist doch eine Selbstverständlichkeit ... oder etwa doch nicht? Mit dem Wissen, dass es auch heute, 2024 und in der Realität, die Chancen(un)gleichheit Thema in vielen Schulen und Bildungsstätten ist, doppelt eindrücklich!
Die Geschichte ist eindringlich, hat mich zu weiten Teilen sehr nachdenklich gemacht und wird nachhallen. Mit einigen Teilen der Geschichte hatte ich meine Probleme, dranzubleiben. So skizziert die Autorin die Lehrer des Colleges, das Maryam mit 16 Jahren besucht. Das artete in einer uninteressanten Aufzählung von Charaktereigenschaften und Aussehen aus, die zäh zu lesen waren. Sehr fesselnd empfand ich die kurzen Passagen, in denen die erwachsene Maryam zwischen der Handlung der jugendlichen Maryam zu Wort kommt.