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Veröffentlicht am 27.11.2024

Bedeutsamer, aber ruhiger Roman

Hey guten Morgen, wie geht es dir?
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Junos Tage verlaufen alle ähnlich. Sie unterstützt ihren Mann Jupiter, der an Multiple Sklerose erkrankt ist und die meiste Zeit im Rollstuhl oder im Bett verbringt. Beruflich versucht sie, die Nachwirkungen ...

Junos Tage verlaufen alle ähnlich. Sie unterstützt ihren Mann Jupiter, der an Multiple Sklerose erkrankt ist und die meiste Zeit im Rollstuhl oder im Bett verbringt. Beruflich versucht sie, die Nachwirkungen der Pandemie abzuschütteln, denn als Performance-Künstlerin hat sie ein paar schwere Jahre hinter sich. Eines Nachts schreibt ein Love Scammer sie an und Juno spielt mit, erfindet sich selbst neu und spinnt Lügengeschichten. Doch der junge Mann namens Benu bereut seine Taten bald und die beiden schreiben sich täglich, führen Videocalls und reden über alles Mögliche.

Martina Hefters neuster Roman „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ wurde mit dem Deutschen Buchpreis 2024 ausgezeichnet und rückte daher in mein Blickfeld. Die Handlung kann in Teilen durchaus als autobiografisch bezeichnet werden, was die Autorin in ihrem Nachwort auch so angibt. Hefter ist selbst Perfomancekünstlerin, während ihr Mann die Vorlage zu Jupiter lieferte. Geschickt spielt die Autorin hier mit den Grenzen zwischen Fiktion und Realität, aber in vielen Szenen ist klar herauszulesen, dass sie weiß, wovon sie schreibt.

Die Geschichte behandelt mehrere wichtige Themen. Auf der einen Seite wird Junos Leben als pflegende Partnerin dargestellt: welche Einschränkungen das für sie bedeutet, wie es ihre Beziehung zu Jupiter beeinflusst und wie der Druck der Verantwortung auf ihr lastet. Auf der anderen Seite schildert die Autorin auch, welche Steine Menschen mit Behinderung oder chronischer Krankheit in den Weg gelegt werden. Sei es der jährliche Kampf mit der Pflegeversicherung oder der Versuch, mit einem Rollstuhl in einen Zug der Deutschen Bahn zu gelangen. Durch Benu, der in Afrika lebt, kommt noch das Thema Kolonialismus hinzu. Denn zu Beginn fragt dieser sich ganz ehrlich, ob das Ausnehmen deutscher Frauen nicht irgendwie auch ein Ausgleich für die Ausbeutung Schwarzer Menschen sei.

„Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ ist ein bedeutsamer, aber ruhiger Roman, der sich hauptsächlich mit dem Alltag der handelnden Personen beschäftigt. Mir persönlich fehlte zu einer Bestnote noch ein klein wenig mehr.

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Veröffentlicht am 11.11.2024

Kurzweiliger Roman

Das kleine Café der zweiten Chancen
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Ein Unfall hat das Leben der Schülerin Himari Misaki komplett verändert. Seitdem ist ihre Karriere als Pianistin beendet und sie zieht zurück zu ihrer Mutter und Schwester nach Sapporo. Auf dem Weg zu ...

Ein Unfall hat das Leben der Schülerin Himari Misaki komplett verändert. Seitdem ist ihre Karriere als Pianistin beendet und sie zieht zurück zu ihrer Mutter und Schwester nach Sapporo. Auf dem Weg zu ihrem ersten Schultag ist Himari voller Angst, aber eine freundliche ältere Dame tröstet sie. Am nächsten Tag ist die Frau jedoch verschwunden, auch ihr Haus ist nicht mehr da und niemand erinnert sich an sie. Also macht sich die Schülerin auf den Weg zum „Tacet Yuguredo“, einem Café, das die ältere Dame ihr empfohlen hat. Dort, so erfährt sie, kann man in der Zeit zurückreisen – kann Himari so ihren Unfall rückgängig machen?

„Das kleine Café der zweiten Chancen“ ist der erste Roman der Mangaka Shiori Ota und wurde von Anemone Bauer ins Deutsche übersetzt. Erzählt wird aus der Perspektive der Protagonistin Himari in der Ich- und Vergangenheitsform. Da diese schon bald feststellt, dass sie eine so genannte „Zeitwächterin“ ist, können wir mit ihr und den Gästen des Cafés in die Vergangenheit reisen. Damit ähnelt die Geschichte sehr deutlich der bekannten „Bevor der Kaffee kalt wird“-Reihe, nur dass hier bei einer Reise in Vergangenheit die Zukunft verändert werden kann. Diese dauert jedoch nur genau 4 Minuten 33 Sekunden, so lange es benötigt, um einen Kaffee von Hand aufzubrühen.

Zuhause fühlt Himari sich nicht mehr wohl. Ihre Mutter hält noch immer ihren Karriereplänen fest, obwohl ihre Tochter nicht mehr Klavier spielen kann. Der Vater lebt im Ausland und ihre Schwester straft Himari mit Missachtung. Nur im Café „Tacet“ bei den Inhabern Hayare und Higure, Hund Mokka und dem Stammgast Kobayashi fühlt sie sich geborgen. Als sie erfährt, dass sie selbst ihre eigene Vergangenheit nicht verändern kann, ist sie zunächst untröstlich, aber vielleicht kann sie ja anderen auf ihrem Weg helfen?

„Das kleine Café der zweiten Chancen“ ist ein Mix aus einer zusammenhängenden Romanhandlung und kurzen Episoden, in denen im Café eine Person in die Vergangenheit reist. In eine dieser Zeitreisen wird Himari selbst verwickelt, was sie sehr emotional und mitreißend macht. Das Ende des Romans kommt dann aber sehr plötzlich und deutet klar auf einen zweiten Band hin.

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Veröffentlicht am 09.11.2024

Wichtiger Roman, aber manchmal etwas überfrachtet

Was wir nicht kommen sahen
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Eines Abends verlässt die 18-jährige Ada das Haus und nimmt sich mit einem Sprung von der Brücke das Leben. Zurück bleiben Jenny und Dominik, ihre Eltern, die vom Tod ihrer Tochter völlig überrascht sind. ...

Eines Abends verlässt die 18-jährige Ada das Haus und nimmt sich mit einem Sprung von der Brücke das Leben. Zurück bleiben Jenny und Dominik, ihre Eltern, die vom Tod ihrer Tochter völlig überrascht sind. Ada war doch glücklich? Vor kurzem erst hatte sie sich eine solide Followerschaft mit ihren Gaming-Streams erarbeitet und das Hobby schien ihr Spaß zu machen. Doch dann stößt Jenny auf erste Hinweise und geht ihnen nach. Vor ihr tut sich ein Abgrund auf, vom dem sie bisher nichts geahnt hatte.

„Was wir nicht kommen sahen“ ist der neue Roman der Autorin Katharina Seck, die in den unterschiedlichsten Genres zuhause ist. Die Handlung wird abwechselnd aus der Perspektive von Ada und Jenny in der dritten Person und dem Präsens erzählt, was der Geschichte eine gewisse Unmittelbarkeit verleiht. Zwischendurch sind immer wieder Kapitel eingestreut, in denen „die Anonymität“ zu Wort kommt; das sind Menschen, die direkt oder indirekt zu Adas Selbstmord beigetragen haben. Interessant ist an der Erzählweise außerdem, dass sie mit Adas Tod beginnt und dann sowohl in der Gegenwart (in den Ermittlungen Jennys), als auch der Vergangenheit (in Adas letzten Wochen) weiterläuft.

Mit Stichworten wie Cybermobbing, Doxxing und Swatting greift die Autorin sehr zeitgemäße, aber auch wichtige Themen auf, die zeigen, welches Ausmaß die Gewalt im Internet bzw. den sozialen Medien annehmen kann, ohne dass die Täter ihrem Opfer auch nur einmal begegnen müssen. Auch die so genannte Incel-Bewegung wird aufgegriffen, die in Ada als Frau, die ihre Meinung sagt, eine starke Bedrohung empfindet. Doch das Buch zeigt auch, wie Unbeteiligte zu Mitläufern werden – um nicht aufzufallen oder zum Außenseiter zu werden.

„Was wir nicht kommen sahen“ ist ein emotionales und wichtiges Buch, das ich durchaus als zukünftige Schullektüre sehe. Manchmal merkt man ihm jedoch stark an, dass die Autorin auch aktivistisch tätig ist, denn es werden sehr viele Schlagworte verwendet und weitere Themen kurz angerissen, so dass alles etwas überfrachtet wirkt. Das tut der Bedeutsamkeit der Geschichte jedoch keinen Abbruch.

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Veröffentlicht am 27.10.2024

Emotionaler Roman über das Erwachsenwerden unter schwierigen Umständen

Mandel
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Schon seit seiner Geburt kann Yunjae keine Emotionen empfinden; Gefühle wie Wut, Angst oder Freude sind ihm fremd und unverständlich. In der Schule gilt er daher als psychopathischer Außenseiter, aber ...

Schon seit seiner Geburt kann Yunjae keine Emotionen empfinden; Gefühle wie Wut, Angst oder Freude sind ihm fremd und unverständlich. In der Schule gilt er daher als psychopathischer Außenseiter, aber sein Leben zuhause mit Großmutter, Mutter und dem kleinen Buchladen, den sie führen, ist ein gutes. Mit Übungen und kleinen Zetteln versucht seine Mutter, Junjae angemessene Reaktionen beizubringen und ihm so den Umgang mit anderen zu erleichtern. Doch dann lässt ein furchtbares Ereignis den 16-Jährigen allein zurückbleiben.

„Mandel“ ist der Debütroman der südkoreanischen Schriftstellerin, Regisseurin und Drehbuchautorin Won-pyung Sohn und wurde von Sebastian Bring ins Deutsche übersetzt. Der Titel bezieht sich darauf, dass Yunjaes Mutter ihm jeden Tag Mandeln zu essen gibt, weil sie hofft, dies würde seine Alexithymie – so heißt seine Krankheit – heilen. Die Handlung wird in vier Teilen sowie einem Pro- und Epilog von Yunjae selbst erzählt, so dass für uns Leser*innen etwas greifbarer wird, was in seinem Inneren vor sich geht.

Ohne die Hilfe seiner Großmutter und Mutter fehlt dem Jungen zunächst jeder Anker. Um eine gewisse Routine beizubehalten, versucht er, das Antiquariat der Familie über Wasser zu halten; Hilfe erhält er dabei von Dr. Shim, dem örtlichen Bäcker. Nachhaltig verändert sein Leben sich jedoch, als seltsame Umstände ihn mit Gon zusammenführen, einem neuen Jungen an seiner Schule. Der empfindet Yunjae, der keine Furcht spüren kann, geradezu als Provokation, kann er doch die restlichen Schüler problemlos herumschubsen. Doch nach und nach freunden die ungleichen Jungen sich an und teilen ehrliche Gespräche miteinander.

Als Yunjae älter wird, scheint sich nach und nach etwas an seiner Alexithymie zu verändern. Besonders spürt er das im Umgang mit Mitschülerin Dora, die ihn als einzige nicht meidet, doch das fröhliche Mädchen und Gons aggressives Auftreten wollen nicht zueinander passen. „Mandel“ ist ein emotionaler Roman über das Erwachsenwerden unter schwierigen Umständen und vor allem über Freundschaft. Das Ende wirkte, für mich persönlich, jedoch etwas aufgesetzt.

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Veröffentlicht am 20.10.2024

Wie ein Wiedersehen mit alten Freunden

Die Abende in der Buchhandlung Morisaki
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Drei Jahre ist es bereits her, seit Takako sich mit großem Liebeskummer im antiquarischen Buchladen ihres Onkels einquartierte. Inzwischen hat sie sowohl einen neuen Job, als auch einen Freund, besucht ...

Drei Jahre ist es bereits her, seit Takako sich mit großem Liebeskummer im antiquarischen Buchladen ihres Onkels einquartierte. Inzwischen hat sie sowohl einen neuen Job, als auch einen Freund, besucht aber weiterhin regelmäßig Onkel Satoru und Tante Momoko im Tokioter Bücherviertel Jimbō-chō. Doch dann erhält sie die Nachricht, dass Momokos Krankheit wieder ausgebrochen ist und außerdem machen sich erste Zweifel an ihrer Beziehung zu Wada-san breit. Und so kehrt Takako für unbestimmte Zeit in die Buchhandlung Morisaki zurück, um auszuhelfen und vielleicht auch ihre Gefühle zu sortieren.

„Die Abende in der Buchhandlung Morisaki“ von Satoshi Yagisawa ist der zweite Band um das kleine Antiquariat in Jimbō-chō und schließt an die Ereignisse des ersten an. Die deutsche Übersetzung stammt dieses Mal von Charlotte Scheurer. Wer in diesem Roman viel Action erwartet, wird sicherlich enttäuscht, denn – wie schon im ersten Band – besteht er hauptsächlich aus Alltagsschilderungen Takakos in der Ich- und Vergangenheitsform. Für mich macht ihn das zur perfekten Herbstlektüre, zumal die Handlung auch im Oktober beginnt.

Zentral sind im Buch zwei Themen: die Krankheit von Tante Momoko und die Beziehung zu Wada-san. Besonders Satoru wird von dem erneuten Ausbruch der Krankheit seiner Frau aus der Bahn geworfen. Zwar versucht er, sich nichts anmerken zu lassen, aber schon bald verliert er den Bezug zum eigenen Laden und den Stammkunden. Takakos Liebe zu Wada-san hingegen wirkt aus westlicher Perspektive betrachtet sehr seltsam. Lange Zeit nennt sie ihn noch bei seinem Nachnamen, die beiden sehen einander selten und Zuneigung wird kaum offen gezeigt. So fragt sich Takako auch bald, was genau ihr Partner eigentlich an ihr findet.

„Die Abende in der Buchhandlung Morisaki“ ist wie ein Wiedersehen mit alten Freunden, in dem man auf den neusten Stand gebracht wird. Die Handlung ist sicherlich nicht spannend, aber das vollgestopfte Antiquariat schafft eine ganz eigene Wohlfühlatmosphäre. Einzig Takako ist zu anderen manchmal unnötig schroff, macht aber auch im Laufe des Romans eine gewisse Entwicklung durch.

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