Die kleine Schwester von Carl Mørck?
Stille FalleLeo Asker hat es nicht leicht. Durch eine Intrige wird sie zur Abteilungsleiterin einer ihr bis dahin völlig unbekannten Abteilung innerhalb der Malmöer Polizei "befördert", die sich bezeichnenderweise ...
Leo Asker hat es nicht leicht. Durch eine Intrige wird sie zur Abteilungsleiterin einer ihr bis dahin völlig unbekannten Abteilung innerhalb der Malmöer Polizei "befördert", die sich bezeichnenderweise "Abteilung für hoffnungslose Fälle" oder auch "Abteilung der verlorenen Seelen" nennt. Was die dort vorhandenen Mitarbeiter/innen genau machen oder was grundsätzlich die Aufgaben dieser Einheit sind, weiß keiner so genau. Bald jedoch findet Leo heraus, dass ihr Vorgänger auf der Spur von mysteriösen Vorfällen war, bei denen in einer Eisenbahn-Modelllandschaft in unregelmäßigen Abständen Figuren auftauchen, die vermissten Personen ähneln. Und auch der aktuelle Fall einer verschwundenen Promi-Tochter wird in der Modelllandschaft abgebildet. Trotz vieler Hindernisse setzt Leo alles daran, den Fall zu lösen...
Zugegebenermaßen musste ich besonders in der ersten Hälfte von „Stille Falle“ sehr oft an Jussi Adler Olsen’s Sonderdezernat Q mit dem Ermittler Carl Mørck denken. Die Abteilung, in die Asker versetzt wird, ist im Keller situiert – wie das Sonderdezernat Q. Und auch die dort arbeitenden Personen sind sehr speziell, wenn auch nicht ganz so übertrieben wie bei Jussi Adler Olsen. Im Gegensatz zum Dänischen Sonderdezernat sind die Aufgaben der Reserveabteilung nicht ausschließlich auf Cold Cases beschränkt, sondern widmen sich sonderbaren Vorkommnissen, die nicht zwangsläufig mit einem Verbrechen zu tun haben. Wobei sich die Hauptprotagonistin bis zum Schluss nicht darüber klar wird, was genau der Auftrag ihrer Abteilung ist. Auch die Kriminalfälle sind ähnlich heftig wie bei Mørck, ebenso ähnelt die Erzählstruktur an die dänische Krimireihe – es wird abwechselnd aus unterschiedlichen Blickwinkeln erzählt, einmal folgt der/die Leser/in Leo Asker, dann dem Täter oder dem Opfer oder anderen Protagonisten und auch die Erzählperspektive wechselt zwischen der beobachtenden und ich-erzählenden Form. Anfänglich hat mich die Ähnlichkeit zu der Mørck-Reihe gestört und ich konnte mich nicht so recht auf die Geschichte einlassen, was sich dann aber glücklicherweise nach rund hundert Seiten gelegt hat.
Trotz aller Ähnlichkeiten ist Anders de la Motte ein spannungsgeladener Kriminalroman geglückt. Die abwechselnden Perspektiven erzeugen einen sich kontinuierlich steigernden Spannungsaufbau. Die Charaktere sind divers und interessant und agieren mit Ernsthaftigkeit – im Gegensatz zu Olsens Figuren. Das schwedische Flair ist etwas kühler als bei seinem dänischen Pendant, alles wirkt etwas härter. De la Motte liefert auch Erklärungen dafür, warum sich die handelnden Personen zu dem entwickeln, was sie jetzt sind – sie haben teils schwer lastende Rucksäcke, die sie oft schon Jahrzehnte mitschleppen. Dies verleiht den Protagonist/innen eine angenehm nachvollziehbare Tiefe. Klar erkennbar ist, dass eine Fortsetzung der Reihe geplant ist, worauf sich die Leser/innen sehr freuen können.
Mein Fazit: Wer die Krimireihe um Carl Mørck mag und sich über weniger nervende Charaktere freut, ist bei „Stille Falle“ goldrichtig. Anders de la Motte präsentiert eine Kriminalgeschichte, die fesselnd und packend ist und es nur schwer ermöglicht, sie aus der Hand zu legen. Besonders hervorzuheben sind die Charaktere mit Tiefgang, die auch ein wenig hinter die Fassaden blicken lassen. Ein gelungener Krimi, der viele unterhaltsame Lesestunden garantiert!