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Veröffentlicht am 14.12.2023

Die kleine Schwester von Carl Mørck?

Stille Falle
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Leo Asker hat es nicht leicht. Durch eine Intrige wird sie zur Abteilungsleiterin einer ihr bis dahin völlig unbekannten Abteilung innerhalb der Malmöer Polizei "befördert", die sich bezeichnenderweise ...

Leo Asker hat es nicht leicht. Durch eine Intrige wird sie zur Abteilungsleiterin einer ihr bis dahin völlig unbekannten Abteilung innerhalb der Malmöer Polizei "befördert", die sich bezeichnenderweise "Abteilung für hoffnungslose Fälle" oder auch "Abteilung der verlorenen Seelen" nennt. Was die dort vorhandenen Mitarbeiter/innen genau machen oder was grundsätzlich die Aufgaben dieser Einheit sind, weiß keiner so genau. Bald jedoch findet Leo heraus, dass ihr Vorgänger auf der Spur von mysteriösen Vorfällen war, bei denen in einer Eisenbahn-Modelllandschaft in unregelmäßigen Abständen Figuren auftauchen, die vermissten Personen ähneln. Und auch der aktuelle Fall einer verschwundenen Promi-Tochter wird in der Modelllandschaft abgebildet. Trotz vieler Hindernisse setzt Leo alles daran, den Fall zu lösen...

Zugegebenermaßen musste ich besonders in der ersten Hälfte von „Stille Falle“ sehr oft an Jussi Adler Olsen’s Sonderdezernat Q mit dem Ermittler Carl Mørck denken. Die Abteilung, in die Asker versetzt wird, ist im Keller situiert – wie das Sonderdezernat Q. Und auch die dort arbeitenden Personen sind sehr speziell, wenn auch nicht ganz so übertrieben wie bei Jussi Adler Olsen. Im Gegensatz zum Dänischen Sonderdezernat sind die Aufgaben der Reserveabteilung nicht ausschließlich auf Cold Cases beschränkt, sondern widmen sich sonderbaren Vorkommnissen, die nicht zwangsläufig mit einem Verbrechen zu tun haben. Wobei sich die Hauptprotagonistin bis zum Schluss nicht darüber klar wird, was genau der Auftrag ihrer Abteilung ist. Auch die Kriminalfälle sind ähnlich heftig wie bei Mørck, ebenso ähnelt die Erzählstruktur an die dänische Krimireihe – es wird abwechselnd aus unterschiedlichen Blickwinkeln erzählt, einmal folgt der/die Leser/in Leo Asker, dann dem Täter oder dem Opfer oder anderen Protagonisten und auch die Erzählperspektive wechselt zwischen der beobachtenden und ich-erzählenden Form. Anfänglich hat mich die Ähnlichkeit zu der Mørck-Reihe gestört und ich konnte mich nicht so recht auf die Geschichte einlassen, was sich dann aber glücklicherweise nach rund hundert Seiten gelegt hat.

Trotz aller Ähnlichkeiten ist Anders de la Motte ein spannungsgeladener Kriminalroman geglückt. Die abwechselnden Perspektiven erzeugen einen sich kontinuierlich steigernden Spannungsaufbau. Die Charaktere sind divers und interessant und agieren mit Ernsthaftigkeit – im Gegensatz zu Olsens Figuren. Das schwedische Flair ist etwas kühler als bei seinem dänischen Pendant, alles wirkt etwas härter. De la Motte liefert auch Erklärungen dafür, warum sich die handelnden Personen zu dem entwickeln, was sie jetzt sind – sie haben teils schwer lastende Rucksäcke, die sie oft schon Jahrzehnte mitschleppen. Dies verleiht den Protagonist/innen eine angenehm nachvollziehbare Tiefe. Klar erkennbar ist, dass eine Fortsetzung der Reihe geplant ist, worauf sich die Leser/innen sehr freuen können.

Mein Fazit: Wer die Krimireihe um Carl Mørck mag und sich über weniger nervende Charaktere freut, ist bei „Stille Falle“ goldrichtig. Anders de la Motte präsentiert eine Kriminalgeschichte, die fesselnd und packend ist und es nur schwer ermöglicht, sie aus der Hand zu legen. Besonders hervorzuheben sind die Charaktere mit Tiefgang, die auch ein wenig hinter die Fassaden blicken lassen. Ein gelungener Krimi, der viele unterhaltsame Lesestunden garantiert!

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Veröffentlicht am 01.12.2024

Keine:r sah es kommen

Was wir nicht kommen sahen
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Ada ist 18, als sie sich das Leben nimmt. Ihr Suizid ist für ihre Eltern Jenny und Dominik anfangs unerklärlich, doch sie machen sich auf Spurensuche und blättern nach und nach auf, welchem Terror sich ...

Ada ist 18, als sie sich das Leben nimmt. Ihr Suizid ist für ihre Eltern Jenny und Dominik anfangs unerklärlich, doch sie machen sich auf Spurensuche und blättern nach und nach auf, welchem Terror sich ihre Tochter unterziehen musste. Ada wurde Opfer einer ganz perfiden Art von Cybermobbing, das auch auf ihr physisches Leben übersprang. Und keiner konnte ahnen, wie belastet die junge Frau wurde...

Katharina Seck ist mit "Was wir nicht kommen sahen" ein mitreißender Roman gelungen, welcher der Gesellschaft einen Spiegel vorhält - und das mit Nachdruck. Sie thematisiert so viele unterschiedliche gesellschaftliche Aspekte, wie das nach wie vor vorherrschende Patriarchat, Mobbing in seinen unterschiedlichsten Formen (physisch & digital & hybrid), Incels, fehlende Aufklärung im Schulsystem und allgemein in der Gesellschaft was den digitalen sozialen Raum betrifft, um nur einige wenige zu nennen.

Die Erzählperspektive macht das Buch neben der relevanten Themen noch spannender - wir wechseln uns beim Lesen ab zwischen Ada und ihrer Mutter Jenny, wobei auch immer wieder in der Zeit gewechselt wird - wir erleben, wie Jenny und Dominik mit Adas tot und der Trauer kämpfen, aber auch den schweren Kampf, den Ada gegen die digitalen Trolle führte. Nach und nach recherchieren ihre Eltern, welche Ereignisse ihre Tochter durchleben musste, ohne dass sie auch nur einen Funken davon mitbekommen hatten (kaum gab es einen treffenderen Buchtitel!). Den Schreibstil der Autorin finde ich sehr eindringlich, er ist direkt und philosophisch und gesellschaftskritisch durch und durch - und erinnert mich sehr an den Stil von Mareike Fallwickl.

Besonders hervorheben möchte ich, dass zwischendurch auch immer wieder "die Anonymität" zum Erzählen kommt: in diesen kurzen Kapiteln werden Menschen, über deren Identität wir nichts genaueres erfahren, beschrieben - wie sie denken und fühlen, beispielsweise ein Incel, der über seinen Frauenhass und seine Incel-Gruppe berichtet, aber auch eine junge Frau aus schwierigen Verhältnissen, die (Mobbing-) Täterin und Opfer zugleich ist. Das finde ich deshalb so gut, da hier ohne Wertung auch die "Gegenseite" gezeigt wird, die nämlich auch Menschen und meist selbst in irgendeiner Weise Benachteiligte der Gesellschaft sind. Aber auf sie wird nicht mit dem Finger gezeigt, sondern durch die objektive Beschreibung dieser Charaktere den Lesenden veranschaulicht, dass es eben auch eine andere Seite mit eigenem Schicksal gibt - toll!

Besonders die Trauer und Verzweiflung von Adas Mutter Jenny werden so absolut nachvollziehbar beschrieben, dass ich beinahe das Gefühl hatte selbst in ihrer Haut zu stecken. Auch die Beziehung zu ihrem Mann Dominik, die in der Trauer nicht nur Höhen erlebt, wird authentisch dargestellt. Einen kleinen Punkteabzug gebe ich aber trotzdem, da für mich die Figur Ada nicht ganz greifbar ist. Sie wird als so starke und kämpferische junge Frau dargestellt, dass für mich der radikale Schritt Suizid nicht wirklich nachvollzogen werden kann. Ich möchte keinesfalls herunterspielen, dass das was sie durchmachten musste, an Heftigkeit kaum zu überbieten ist, hinzu kam ein persönlicher Vertrauensbruch als letztes Tüpfelchen - und trotzdem fühlte sie sich wie eine Person an, die gegen das System kämpft und nicht aufgibt.

Mein Fazit: "Was wir nicht kommen sahen" ist ein Buch, was alle Eltern von Teenagern lesen sollten, um etwas mehr von ihrer Lebensrealität zu verstehen. Es wäre außerdem ein hervorragendes Buch für den Unterricht, um das Thema Cybermobbing zu reflektieren. Im Stil von Mareike Fallwickl hält Katharina Seck der Gesellschaft eine Spiegel vor, der einen ordentlich zum Nachdenken bringt und auch etwas fragend hinterlässt.

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Veröffentlicht am 25.09.2024

Alle Wege führen übers Wasser

Am Himmel die Flüsse
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Arthur hat ein besonderes Talent - sein Erinnerungsvermögen ist außergewöhnlich, jeder Tag seines Lebens ist ihm geistig präsent. Geboren in Londons Armenvierteln des 19. Jahrhunderts, verschafft ihm seine ...

Arthur hat ein besonderes Talent - sein Erinnerungsvermögen ist außergewöhnlich, jeder Tag seines Lebens ist ihm geistig präsent. Geboren in Londons Armenvierteln des 19. Jahrhunderts, verschafft ihm seine Gabe im Laufe der Zeit gesellschaftlichen Aufstieg. Alles was er will, ist Ninive zu erforschen, jene Stadt Mesopotamiens, die durch steinerne und tönerne Artefakte der Nachwelt erhalten geblieben ist und dessen gefundene und geborgene Schätze die Aufmerksamkeit der interessierten englischen Bevölkerung auf sich zieht. Arthur kann sich die Keilschrift beibringen und erhält den Auftrag des British Museums hunderte Tontafeln zu enträtseln. Nach einer sensationellen Entdeckung scheint Arthur sein Ziel erreicht zu haben: er wird beauftragt, in sein umträumtes Mesopotamien zu reisen, um dort fehlende Textbausteine zu suchen.

Gut 150 Jahre später entdeckt die neunjährige Jesidin Narin auf einem alten Friedhof am Tigris den Grabstein des Engländers und fragt sich, was es mit diesem "König der Abwasserkanäle und Elendsquartiere" auf sich hat. Wie ist ihr Schicksal miteinander verbunden?

Auch die Hydrologin Zaleekah scheint mit den beiden ein Band zu haben, aber das ist lange nicht ersichtlich. Sie kämpft mit der Trennung von ihrem Mann und mit den Erwartungen ihrer Familie, welche sie scheinbar nicht erfüllen kann. Was alle vereint ist ein einziger Tropfen Wasser.

Elif Shafak schafft in "Am Himmel die Flüsse" einen einfühlsamen und schönsprachigen Roman, der durch die unterschiedlichen Zeiten springt und die drei Handlungsebenen schlussendlich stimmig miteinander vereint. Alle Protagonist:innen werden zeitgenössisch portraitiert, sodass es ein Leichtes ist, sich in deren Situation hineinzuversetzen. Die Sprache Shafaks ist oft tiefgründig und philosophisch, oft regt sie zum Nachdenken an. Einer der vielen Beispiele: "Arthur kommt der Verdacht, dass wir mit dem Wort Kultur das wenige bezeichnen, das wir vor einem Verlust retten konnten, an den sich niemand erinnern will." (S. 423)

Vor allem die Geschichte um Arthur, die am ausführlichsten erzählt wird, hat mich in den Bann gezogen. Spannend ist, dass seine Figur eine reale, historische Person als Vorbild hat, auch weitere Protagonist:innen sind an historische Persönlichkeiten angelehnt, wie uns die Autorin im Nachwort ausführlich wissen lässt. Nichtsdestotrotz hat der Roman seine Längen. Besonders die Geschichte um Narin enthält viele Schilderungen, welche die Jesidische Kultur erklären. Zwar finde ich das grundsätzlich äußerst interessant, hier hat mich die Autorin aber aufgrund des Detailreichtums um den (Aber-)Glauben oft verloren, ich empfand es als irrsinnig langatmig und musste das Buch regelmäßig zur Seite legen. Oft habe ich mich gefragt, weshalb sich die Autorin dazu entschieden hat, drei Charaktere in den Fokus zu nehmen. Besonders Arthur, aber auch Zaleekah hätten einen eigenen Roman verdient, ich hätte gerne noch mehr über sie gewusst. Für dieses Buch hätte ich mir aber manchmal etwas knappere Beschreibungen gewünscht, da etliche Schilderungen für den Fortgang der zusammenhängenden Geschichte nicht unbedingt notwendig gewesen wären und für meinen Geschmack eine gewisse Langatmigkeit geliefert haben.

Die Beobachtungen der unterschiedlichen Kulturen und deren Aufeinandertreffen sind Shafak besonders geglückt und hat mich viel darüber gelehrt. Das Buch ist grundsätzlich sehr lehrreich, neben den Kulturen und der mesopotanischen Geschichte, erfahren die Lesenden auch viel über Wasser und Flüsse und wie der Mensch diese geprägt und/oder versucht hat zu unterdrücken. Im Nachwort erfahren wir, dass die Autorin umfangreich recherchiert hat und setzt das Erzählte somit auf eine fundierte Wissensbasis.

Mein Fazit: Am Himmel die Flüsse ist ein schönsprachiger und gedankenanregender Roman auf drei Erzählebenen, der die drei Schicksale der Protagonist:innen langsam aber stimmig zusammenführt. Ein Stück weit betrachtet er unterschiedliche Kulturen, ist sehr lehrreich und philosophisch, weißt aber durch ab und an auftretenden Detailreichtum auch seine Längen auf. Trotzdem: eine absolute Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 08.09.2024

Nahe an der Realität...

Freunderlwirtschaft
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Kriminalkommissarin Alma Oberkofler tritt ihren Dienst als Leiterin der Abteilung Leib und Leben mit einem prominenten Todesopfer an: Landwirtschafts- und Tourismusminister Max Langwieser wird tot in seiner ...

Kriminalkommissarin Alma Oberkofler tritt ihren Dienst als Leiterin der Abteilung Leib und Leben mit einem prominenten Todesopfer an: Landwirtschafts- und Tourismusminister Max Langwieser wird tot in seiner Wohnung aufgefunden. Von seiner Verlobten Jessica fehlt jede Spur, schnell gerät sie ins Zentrum der Ermittlungen. Doch es ist nicht klar, ob der junge, aufstrebende Politiker tatsächlich ermordet wurde oder doch einem unglücklichen Unfall zum Opfer wurde...

Petra Hartlieb nimmt uns in "Freunderlwirtschaft" mit in die Welt der jungen, konservativen Politikergeneration Österreichs. Sie versucht nachzuzeichnen, was die mutmaßlich neuen Jungpolitiker antreibt und wie sich ihre hehreren Vorhaben durch die Erlangung von Macht verändern. Die Autorin portraitiert ihre Figuren mit Liebe zum Detail - besonders die beiden Hauptfiguren Alma Oberkofler und Jessica Pollauer bekommen eine umfangreiche Biographie. Abwechselnd erfahren wir mehr über ihren Werdegang, die Zeitebene springen regelmäßig zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Hartliebs Schreibstil ist kurzweilig, die unterschiedlichen Erzählperspektiven bringen Spannung und Bindung an die Charaktere zugleich, sodass der Krimi weggeht wie warme Semmeln. Besonders schön fand ich, dass wir viel über Beweggründe erfahren haben, warum Alma unbedingt Polizistin werden wollte. Da hier einiges offen blieb, hoffe ich auf eine Fortführung der Geschichte dieser sympathischen Kommissarin. Generell gelingt es der Autorin hervorragend eine interessante Entwicklung der Protagonist:innen aufzubauen. Auch Jessicas Handeln wird nachvollziehbar beschrieben, auch wenn diese Figur für mich nicht ganz so greifbar und ich etwas überrascht war, dass die zumeist naiv gezeichnete Protagonistin dann doch ein ziemliches Maß an Gerissenheit an den Tag legt.

Was ich beim Lesen aber festgestellt habe: auch ich bin politikverdrossen. Besonders diese jungen konservativen Politiker verursachen bei mir nicht nur ein ungutes Bauchgefühl, sondern vielmehr Aggression und absolutes Unverständnis. Dafür kann die Autorin nichts, ihr ist es meines Erachtens hervorragend gelungen, diesen Menschentypus gekonnt nachzuzeichnen. Für meinen Geschmack war das etwas zu viel Realität, beim Lesen bevorzuge ich mich daraus eher zu entfernen, zumindest wenn es um Politik geht. Demnach war bei der Verlauf der Geschichte bis hin zu seinem eher offenen Ende ziemlich vorhersehbar.

Mein Fazit: Freunderlwirtschaft ist ein empfehlenswerter Krimi rund um die jungkonservativen Politiker Österreichs ohne viel Gewalt, der einerseits spannend und äußerst kurzweilige geschrieben ist und es andererseits versteht, ein treffendes Portrait seiner Protagonist:innen zu zeichnen. Für Kenner:innen der österreichischen Politik dürften sich die Überraschungsmomente allerdings in Grenzen halten.

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Veröffentlicht am 01.09.2024

Detaillierte Familien- und Freundschaftsanalyse

Genau so, wie es immer war
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Julia hat in ihrer Kindheit nicht viel Liebe von ihrer trinkenden Mutter mitbekommen, der Vater ist irgendwann verschwunden. Nun selbst Mutter, versucht sie - wie so viele - ihren Kindern ein besserer ...

Julia hat in ihrer Kindheit nicht viel Liebe von ihrer trinkenden Mutter mitbekommen, der Vater ist irgendwann verschwunden. Nun selbst Mutter, versucht sie - wie so viele - ihren Kindern ein besserer Elternteil zu sein und sich ganz und gar auf ihre Rolle als liebendes Mutterwesen einzulassen. Doch irgendetwas fehlt ihr im Leben. Als sie die um einiges ältere Helen kennenlernt, ändert sich ihr Leben nachhaltig...

Claire Lombardo analysiert in "Genau so, wie es immer war" die fiktionale Biographie ihrer Protagonistin Julia mit großer Hingabe und kurzweiligen Detailreichtum. Abwechselnd begleiten die Lesenden Julias Gegenwart und Vergangenheit, in knapp 720 Seiten begleiten sie die Entwicklung des Charakters durch seinen bewegten Lebenslauf. Es ist bewundernswert, wie treffsicher, rund und nachvollziehbar die Autorin die lange Geschichte strickt, ohne dass das Erzählte langweilig wird oder der rote Faden reißt. Die verschiedenen Protagonist:innen werden einfühlsam und ehrlich beschrieben, alle vielseitig mit Ecken und Kanten, allesamt neigen sie zu Fehlern und gestehen sich diese - unterschiedlich früh oder spät - ein. So wirken die Figuren aus dem Leben gegriffen und es ist ein leichtes, sich in diese hinein zu fühlen, auch wenn sie durch ihre Schrulligkeit teilweise anstrengend sind. Wie in jedem Leben müssen sie sich durch Höhen und Tiefen hanteln, verlieren sich und/oder ihre Liebsten, doch das Leben geht weiter.

Prinzipiell habe ich das Buch sehr gern gelesen, weil mir einiges auch aus meinem eigenen Leben bekannt vor kam und mich die Geschichte zur Selbstreflexion brachte. Lombardo fokussiert sich nicht nur auf die Entwicklung ihres Hauptcharakters, sondern schildert eingehend die Komplexität von Beziehungen - ob familiär oder freundschaftlich - und deren Entwicklung im Laufe eines Lebens. Wie schon erwähnt, schreibt sie sehr exakt und rund, trotzdem empfand ich das Buch an manchen (wenigen) Stellen als langatmig. Zudem fand ich Julia und auch einige andere Figuren manchmal nervig und ich musste das Buch mal ein paar Tage ruhen lassen, bevor ich die Lust am Lesen ganz verlieren würde. Doch mit Abstand bin ich sofort wieder in die Geschichte hineingekommen und hatte wieder Freude an dem Erzählten.

Mein Fazit: "Genau so, wie es immer war" ist trotz seines beachtlichen Umfangs ein größtenteils kurzweiliger Roman, der besonderen Wert auf eine umfangreiche und detaillierte Charakterbeschreibung setzt. Das Leben einer Frau mit den unterschiedlichen Herausforderungen wird treffend nachgezeichnet. Einen Stern Abzug erhält das Buch, weil es sich ruhig 200 Seiten an Detailreichtum einsparen hätte können. Trotzdem spreche ich gerne eine Leseempfehlung aus!

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