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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.12.2024

Fängt toll an, wird dann immer zäher

Diese goldenen Jahre
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Vom Anfang des Buches war ich begeistert. Der Schreibstil ist angenehm lesbar und ansprechend, die Beschreibungen Weimars hatten sehr viel Schönes; ich sah die Stadt und den Ilmpark direkt vor mir. Auch ...

Vom Anfang des Buches war ich begeistert. Der Schreibstil ist angenehm lesbar und ansprechend, die Beschreibungen Weimars hatten sehr viel Schönes; ich sah die Stadt und den Ilmpark direkt vor mir. Auch die Bauhaus-Informationen waren interessant und künden von ausführlicher Recherche. Es wird viel über die Arbeit des Bauhaus, die Situation der dortigen Studenten und auch dem Misstrauen, mit dem die Stadtbewohner auf das Bauhaus sahen, berichtet. Das fand ich alles ausgezeichnet umgesetzt. Es werden auch historische Personen wie Itten, Franz Ehrlich oder Kandinsky eingebunden, sowie Gropius, der allerdings seltsamerweise nur als namenloser "Direktor" und indirekt vorkommt. Diese historischen Personen bleiben etwas blass, was ich aber nicht schlimm fand, denn der Fokus sollten ja auch den sechs Freunden liegen, um die sich die Geschichte dreht.

Leider sind von denen auch einige sehr blass. Andere werden gut geschildert, gerade bei dem aus preußischem Adel kommenden Walter finden sich viele herrlich treffende Bemerkungen. Insgesamt fand ich die Charakterentwicklung und die der Beziehungen untereinander aber nur teilweise gelungen. Geschildert wird aus Sicht von Paul als Ich-Erzähler. Das hat Vorteile, weil wir nur seine Sicht erfahren und sich manches erst später aufklärt. Auch handelt es sich um einen Rückblick Pauls, so daß wir einige spätere Schicksale schon am Anfang erfahren, so wissen wir also bereits, daß Pauls Liebe Charlotte in Buchenwald ums Leben kam und Walter sich dem Nazi-Regime auf irgendeine Weise angedient hat. Das macht natürlich neugierig und ist gut umgesetzt.

Das erste Drittel ist spannend, dann geschieht ein einschneidendes Ereignis, das aber leider so wiederholend geschildert wird, daß es irgendwann wie eine zähe Dauerschleife wirkte. Auch allgemein fiel für mich der Spannungsbogen danach rapide ab. Es werden viele Alltäglichkeiten geschildert, viel wird wiederholt, zahlreiche Dialoge bringen die Handlung kaum vorwärts. Die Erzählweise ist seltsam distanziert, viele in der zweiten Hälfte des Buches neu auftretende Charaktere blieben sehr blass, manche Entwicklungen waren etwas weit hergeholt. Ich langweilte mich beim Lesen zusehends, es war häufig zu farblos und langatmig. Letztlich interessierten mich die Entwicklungen immer weniger. Das Buch hat mich durch seine leblose Langatmigkeit dann leider verloren. Schade, das Sujet hatte Potential, der Umgang mit Sprache war erfreulich, aber hier hätte reichlich gestrafft werden und wesentlich mehr Leben hineingebracht werden müssen.

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Veröffentlicht am 02.12.2024

Idee gut, Umsetzung enttäuschend

Tief unter der Alb
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Der Klappentext las sich äußerst spannend und ich fühlte mich gleich an einen anderen Roman erinnert, der ebenfalls das Motiv der in einer Höhle verirrten Protagonistin nutzt und ganz hervorragend ist. ...

Der Klappentext las sich äußerst spannend und ich fühlte mich gleich an einen anderen Roman erinnert, der ebenfalls das Motiv der in einer Höhle verirrten Protagonistin nutzt und ganz hervorragend ist. Das kann ich von "Tief unter der Alb" leider nicht sagen, hier ist die Idee wesentlich besser als die Umsetzung.

Die Geschichte beginnt schon ziemlich konstruiert und hat einige Plausibilitätslücken. Das setzt sich leider auch fort. Der überflüssige Nebenstrang mit einer weiteren Person, die sich in dem Höhlenlabyrinth befindet, war von Anfang an unglaubwürdig und ließ ebenfalls ziemlich viele Fragen offen. Ganz zu schweigen davon, daß diesem Nebenstrang ein sehr weit hergeholter Zufall zugrunde liegt. Immer wieder läßt die Autorin die Charaktere betonen, wie unglaublich riesig dieses Höhlensystem unter der Schwäbischen Alb ist, daß es fast unmöglich sei, dort zufällig jemanden zu finden, daß unzählige Menschen dort spurlos verschwinden. Und in diesem unglaublich riesigen Höhlensystem kommt es dann zu so einer Zufallsbegegnung - da fühlte ich mich verulkt.

Auch die Entscheidungen der Charaktere waren leider nicht immer nachvollziehbar, gerade zum Ende hin wird es schon fast absurd.

Während die Autorin es sich mehrfach auf Kosten der Plausibilität einfach gemacht hat, hat sie sie andererseits aber auch enorm viel Mühe gegeben. Die Leser tauchen tief in die Gedankenwelt Lauras ab, die mit jedem Tag, den sie orientierungslos im Dunkeln der Höhlenwelt verbringt, psychisch mehr abbaut und gleichzeitig versucht, dagegen anzukämpfen. Das war mir persönlich wesentlich zu detailliert und langatmig, aber man merkt, daß hier viel Überlegung und Sorgfalt in die Erzählweise floss und die mentalen Auswirkungen einer solchen Situation wohl ausgiebig recherchiert wurden. Auch sonst floß offensichtlich viel Recherche in das Buch ein, sogar ein kleines Literaturverzeichnis gibt es am Ende. Ebenfalls sehr lobenswert, aber ...

... die Überschwemmung der Geschichte mit Fakten tat dieser ganz und gar nicht gut. An mehreren Stellen werden Fakten ausführlich um ihrer selbst willen eingefügt. Zwei sehr deutliche Beispiele waren hier ein Moment, in dem ein Charakter in Tübingen aufs Wasser blickt und uns dann gedanklich nicht nur daran teilhaben lässt, wie die dortigen Flachboote heißen (was als Lokalkolorit ja noch verständlich wäre), sondern auch gleich noch einen Faktenexkurs zu entsprechenden Booten in Cambridge macht - ohne jegliche Relevanz für die Handlung. In einer anderen Szene werden zwei Charaktere mit einem Hubschrauber irgendwo abgesetzt. Dann folgte der Satz: "Dann drosselte er die Geschwindigkeit seiner 205 PS starken Robinson R44 Raven II i, deren Reichweite von 640 Kilometern Roger nahezu ausgenutzt hatte." Relevanz dieser ganzen technischen Informationen? Nicht vorhanden.

Der Pilot dieser Maschine ist wie die meisten Charaktere im Buch ein wandelndes Lexikon. Immer wieder gibt es Infodumping, alle können aus dem Gedächtnis eine Unmenge von Zahlen und Fakten zu allen möglichen Themen abrufen (unfreiwillig komischstes Beispiel: "Sie lag etwa 38.061 Jahre im Verborgenen." Ein anderer weiß nach über vierzig Jahren noch, daß sein damaliges Telefon 33 cm lang war.) und halten auch bei jeder Gelegenheit Vorträge. Das wurde unglaublich enervierend und auch zunehmend langweilig. Die Botschaft kommt auch an, ohne dass jede recherchierte Höhlenunglücksgeschichte im Buch heruntergeleiert wird. Auch sonst verlor die Autorin sich gerne ausführlich in Nebensächlichkeiten. Das alles machte das Buch zunehmend zäh zu lesen und ich habe mich immer mehr gelangweilt.

Der Schreibstil war in Ordnung, mir aber oft zu flapsig. Es wird reichlich mit unnötigem Denglisch gearbeitet (da steht die Soße in einem "old school Behälter", die Pension wird als Bed and Breakfast bezeichnet und der Vater arbeitet als Speaker und geht zu Lunches), und natürlich wird die Uhrzeit oder das Handy "gecheckt", was wirklich unangenehm zu lesen war.

Die Idee war gut, die Recherche sorgfältig, aber die Umsetzung leider gar nicht gelungen. Nötige Fakten und Plausibilität fehlten zu häufig, unnötige Fakten bekamen zu viel Raum, das ständige plumpe Infodumping und der Schreibstil nervten immer wieder. Leider eine Enttäuschung.


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Veröffentlicht am 09.09.2024

Erzählweise und Inhalt passen für mich nicht zusammen

Aus dem Haus
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Vom Anfang dieses Buches war ich begeistert. Miriam Böttger schreibt flott und mit herrlich trockenem Humor, dazu noch sehr treffend. Enervierend wurden allerdings zunehmend die Bandwurmsätze, derer sie ...

Vom Anfang dieses Buches war ich begeistert. Miriam Böttger schreibt flott und mit herrlich trockenem Humor, dazu noch sehr treffend. Enervierend wurden allerdings zunehmend die Bandwurmsätze, derer sie sich im Übermaß bedient. Ich mag lange Sätze, aber hier wurde es übertrieben, was mir im zweiten Teil des Buches besonders stark auffiel.

Ich erkannte beim Lesen so vieles wieder – die „Zeitangst“ der Mutter, die ich erschreckend gut nachempfinden kann, aber auch die Macht, die Familie über uns ausüben kann, und die oft so weit geht, daß man gänzlich ungesunde Muster als völlig normal betrachtet, weil man damit aufgewachsen ist, oder schlicht resigniert hat, weil man weiß, man kann sich nicht daraus befreien. Auch die Mutter, die durch ihr Verhalten Mann und Tochter geradezu manipuliert, kennen wohl viele Leser so oder ähnlich. (Erst nachher stellt sich heraus, dass dieses Verhalten keineswegs nur das einer Drama Queen war, wie uns der Anfang glauben läßt.) Insofern hatte dieses Buch anfänglich noch viele Aha-Momente, die zudem noch gut geschildert waren. Ich freute mich nach dem ersten Kapitel richtig auf die weitere Lektüre.

Allerdings läßt das Buch dann leider nach. Mich störten unnötige ausführliche Einschübe, so eine Abhandlung über die Kasseler und das Autofahren oder überhaupt mehrere der ziemlich arrogant klingenden Darstellungen der Kasseler oder kontemplativen Einschübe, weil diese zur Geschichte nichts beitrugen. Auch der am Ende noch schnell auf zwei Seiten geschilderte Lebenslauf einer Freundin der Mutter war von einer Informationsfülle, die schlichtweg nicht relevant war. Die „Was möchte uns die Autorin damit eigentlich sagen?“-Momente kamen mir in diesem Buch doch zu häufig.
Und letztlich war das auch das Grundgefühl des ganzen Buches: was möchte die Autorin mit dieser Geschichte eigentlich sagen? Warum hat sie sie geschrieben? Das Buch wirkt insgesamt unentschlossen. Es ist keine humorige Darstellung, wie man nach dem ersten Kapitel glauben könnte. Das Geschehen ist dunkel, denn das Verhalten der Familie geht weit über die kleinen Macken hinaus, die man von den meisten Familien kennt – hier liegt starke Dysfunktionalität vor, gerade bei der Mutter deutet alles auf eine tiefe, unbehandelte Depression hin. Und das wäre als Geschichte interessant gewesen, aber dafür ist es zu lapidar und oberflächlich erzählt und der trockene Humor, die Darstellung der Eltern als lächerlich wirken vor diesem Hintergrund unpassend. Ist es eine Abrechnung? Dagegen spricht das letzte, liebevolle Kapitel.
„Es ist, was es ist“, schreibt die Autorin als Schlusssatz, der entgegen ihrer Ankündigung, schlecht bei Schlusssätzen zu sein, durchaus gelungen ist. Und genau so hat sie ihre Geschichte auch erzählt – sie berichtet die Geschehnisse, die mit Verlauf des Buches zunehmen skurriler werden, einfach so. Es ist ein größtenteils emotionsloser Bericht über tief verstörende Handlungsweisen, die anscheinend einfach von allen als gegeben hingenommen werden. Erst im letzten Kapitel dringt die Traurigkeit der Tochter über das vergeudete Leben der Eltern durch, wendet sich die Erzählweise von ihrem manchmal genervten Unterton ab.
Auch erfahren wir seltsam wenige Hintergründe. Mit dem Umzug der Familie nach Kassel scheinen im Wesen der Eltern ungute Dinge hervorgebrochen zu sein, und jeder der beiden leidet auf eigene Art sehr stark. Aber auch das scheint als gegeben hingenommen zu werden, was in einer – dysfunktionalen –Familie durchaus der Fall sein kann, für Leser aber unbefriedigend und verwirrend ist. Kassel ist furchtbar und das titelgebende Haus die Hölle, darüber sind sich Vater, Mutter, Tochter aus irgendwelchen Gründen einig, nur für die Leser ist es nicht nachvollziehbar.

Und so mäandert man beim Lesen durch allerlei Erlebnisse und wartet irgendwie auf eine Auflösung, eine Erklärung, auf irgendetwas, das erklärt, was die Autorin mit diesem Buch eigentlich sagen möchte. War ich am Anfang noch fasziniert, einen so unverstellten, teils humorvollen Blick in jene Schwierigkeiten zu bekommen, mit denen viele Familie auf ihre Art zu tun haben, fand ich die weiteren Vorgänge so befremdlich und dunkel, daß sie nicht mehr zur Erzählweise paßten. Auch diese Thematik hätte mich sehr interessiert, dann aber mit mehr Tiefe und einigen Erklärungsansätzen. So passen Erzählweise und Geschichte für mich schlichtweg nicht zusammen.

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Veröffentlicht am 24.08.2024

Tolle Sprache, aber langatmig und oft klischeehaft

Unsere Jahre auf Fellowship Point
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Der Anfang des Buches hat mich richtiggehend verzaubert. Das lag vor allem an dem gekonnten, fabelhaften Umgang mit Sprache, aber auch an der farbigen Erzählweise. Wir befinden uns an einem Wintertag in ...

Der Anfang des Buches hat mich richtiggehend verzaubert. Das lag vor allem an dem gekonnten, fabelhaften Umgang mit Sprache, aber auch an der farbigen Erzählweise. Wir befinden uns an einem Wintertag in der Wohnung der Protagonistin Agnes und ich konnte es geradezu vor mir sehen, ganz in die Szene eintauchen. Außerdem sprach mich an, dass mein ehemaliger Wohnort Philadelphia einer der Handlungsorte und Agnes eine Autorin ist. In vielerlei Hinsicht also ein höchst vielversprechender Anfang. Die Einblicke in Agnes‘ Autorenleben waren spannend und ich freute mich auf mehr davon. Auch auf die Geschichte der beiden ungleichen Freundinnen Agnes und Polly war ich gespannt.

Das Buch ist hochwertig und ansprechend gestaltet – der farbenfrohe Einband ist ein Hingucker und das herrliche Papier ist auch haptisch eine Freude. Ich habe bei Romanen selten eine so schöne Papierqualität erlebt. Auch die Übersetzung ist fast durchweg gelungen. Allerdings konnte ich es kaum fassen, dass eine der zwei erfahrenen Übersetzerinnen den sehr plumpen Fehler begangen hat, „overhear“ mit dem absolut nicht zutreffenden „überhören“ zu übersetzen, und es dann weder ihr noch irgendjemandem beim Korrektorat oder Lektorat aufgefallen ist, dass der so übersetzte Satz „Mrs. Blundt hatte Telefonate mit Ärzten überhört …“ im Zusammenhang keinerlei Sinn ergibt. Auch war ich etwas befremdet, wie oft „Sie“ als Anrede fälschlich klein geschrieben wurde, und dass man beim Insel Verlag die Regeln, wann man „Oh“ und wann „O“ schreibt, entweder nicht kennt oder nicht beachtet, denn das wurde dort, wo ein „O“ anstelle eines „Oh“ hinkommt, konsequent falsch gehandhabt.

Während ich es anfänglich genoss, Agnes und Polly sowie ihre sehr unterschiedlichen Welten kennenzulernen, begann mich etwa ab Seite 100 der berichtartige, langatmige Erzählstil zu enervieren. Farbige Szenen, bei denen wir so unmittelbar dabei sind wie am Anfang, sind in diesem Buch ausgezeichnet, aber leider eher selten. Das meiste wird leider auf diese dialoglose, berichtartige Art herunterzählt, die Szenen die Unmittelbarkeit und das Leben nimmt. Die Autorin schreibt zwar durchweg in der gekonnten Sprache, die mir gleich gefiel, und dieser Aspekt blieb auch eine Freude, aber ansonsten konnte ich ihrem Schreibstil mit jeder Seite weniger abgewinnen. Das Buch hat über 700 Seiten und ich fand etwa die Hälfte davon entbehrlich. Es wird ausgesprochen detailreich erzählt und auch gerne sinniert. Agnes erwähnt am Ende, sie würde so gerne mal ein Buch schreiben, in dem sie der Welt ihre Meinungen zu diversen Themen mitteilen könnte, und ich glaube, genau das hat die Autorin mit diesem Buch getan – leider nicht zu dessen Gewinn. Man merkt immer wieder den leicht erhobenen Zeigefinger, und auch eine ziemlich männerfeindliche Version des Feminismus (in der die Frauen genau das machen, was sie den Männern so gerne vorwerfen) scheint ständig unangenehm durch; so bei herablassenden Sätzen wie „Er will Aufmerksamkeit, wie alle Männer“ oder „Männer haben die schlechte Angewohnheit, sich ohne Fakten eine Meinung zu bilden. (…) Sobald sie das Wesentliche verstanden haben, wollen sie mitreden“ oder der allgemeinen Darstellung der meisten männlichen Charaktere. Was insbesondere dann ein gewisses Glashaus-und-Steine-Gefühl wachruft, wenn Polly ihrem Mann vorwirft, er habe eine „beschränkte Wahrnehmung von Frauen“. Auch dass Agnes im Amerika des 21. Jahrhunderts mehrfach nervös wird, weil Frauen für manche Meinungen/Wahrnehmungen „schon verbrannt worden“ waren, mutet überzogen und konstruiert an.

Die Geschichte selbst schleppt sich ziemlich zäh dahin. Es gibt gleich mehrere interessante Handlungsstränge, so die Überlegung, wie Fellowship Point nun „gerettet“ wird; Agnes‘ Autorenleben und ihre Zusammenarbeit mit der jungen Lektorin Maud, Pollys innere Entwicklung und Selbstbehauptung. Diese fließen träge durch das Buch, versickern zwischendurch immer mal wieder, werden von anderen Dingen überlagert und wirken manchmal regelrecht ziellos. Interessante Aspekte werden oft kurz abgehandelt, Irrelevantes dagegen breit ausgewalzt. Es werden so viele Charaktere hineingeworfen, dass z.B. bei Pollys Familie viele Namen auch bloß das blieben – Namen, die nicht mit Leben gefüllt wurden. Andere Charaktere waren mir zu klischeehaft, was leider auch Agnes und Polly betrifft. Agnes fand ich zudem größtenteils so unangenehm arrogant, besserwisserisch und schroff, dass es mir irgendwann keine Freude mehr machte, über sie zu lesen. Auch Polly blieb lange Zeit hindurch eine reine Schablone (wurde dann aber interessanter) und ihr ältester Sohn ist ein eindimensionales Klischee.

Durch diesen langatmigen, mäandernden Erzählstil interessierte mich das Buch mit jeder Seite weniger, es verlor sich einfach zu sehr in sich selbst. Zum – ebenfalls leblos berichtartig geschilderten – Ende hin baut die Autorin dann eine völlig absurde Wendung ein, die mich nur noch den Kopf schütteln ließ und zudem reichlich süßlich daherkam. Das Buch überzeugt durch gekonnte Sprache und vielversprechende Ansätze und Themen, aber die Umsetzung sagte mir leider nur in sehr geringen Teilen zu.

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Veröffentlicht am 12.08.2024

Der vielversprechende Anfang verpufft in zäher Langatmigkeit

Und dahinter das Meer
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Laura Spence-Ash erzählt in diesem Buch eine ungewöhnliche Geschichte, die anfänglich einen richtiggehenden Zauber entfaltet. Der Schreibstil der Autorin ist bildhaft und sanft, lädt dazu ein, sich von ...

Laura Spence-Ash erzählt in diesem Buch eine ungewöhnliche Geschichte, die anfänglich einen richtiggehenden Zauber entfaltet. Der Schreibstil der Autorin ist bildhaft und sanft, lädt dazu ein, sich von der geruhsam erzählten Geschichte treiben zu lassen. Ich habe dies in der ersten Hälfte des Buches genossen – jedenfalls überwiegend. Leider bedient sich Spence-Ash eines der unangenehmsten Stilmittel überhaupt: sie benutzt keine Anführungszeichen bei wörtlicher Rede. Nur in einem Abschnitt in der Mitte des Buches werden diese benutzt und es ist erstaunlich, wie viel angenehmer und lebendiger dieser Abschnitt dadurch wirkt. Im restlichen Buch wird die wörtliche Rede lediglich durch kursive Schrift gekennzeichnet, auch auf neue Zeilen beim Wechsel des Sprechers verzichtet die Autorin unerklärlicherweise. So fließen die Dialoge ohne Unterscheidung ineinander und man liest in einer Zeile z.B.: Fang nicht wieder an. Was denn. oder: Versuch nicht, auf Teufel komm raus erwachsen zu werden. Ich bin kein Junge mehr. In beiden Fällen soll das einen Dialog darstellen.
Zwar ist der Text nicht so komplex, daß man lange grübeln muß, wo eine wörtliche Rede aufhört und die Antwort anfängt, aber nichtsdestotrotz beeinträchtigt es den Lesefluss. Ich werde nie verstehen, warum Autoren zu diesem überflüssigen und albernen Mittel greifen, und ich habe noch keinen einzigen Text gesehen, der dadurch gewonnen hätte. Dieser Text hat dadurch in mehrerlei Hinsicht gewaltig verloren. Abgesehen von der Beeinträchtigung des Leseflusses und der Lesefreude wirkt die Erzählung dadurch leblos, blass. Das wirkt sich auch auf die Charaktere aus, denen es so ebenfalls an Leben und Eindringlichkeit fehlt. Ich habe immer wieder gemerkt, wie viel stärker die Szenen ohne Dialoge wirken und wie sehr die Dialogszenen durch die fehlenden Anführungsstriche abfallen.

Und so bleiben die Charaktere leider auch größtenteils blass, was sicher auch an dem allgemein eher berichtsartigen Schreibstil liegt. Dieser ist zwar keineswegs unangenehm, abgesehen von den fehlenden Anführungsstrichen hat er etwas erfreulich Eigenes, beschwört außerhalb der Dialogszenen die Szenen oft gelungen herauf. Er ist leise und auf diese leise Art oft sehr berührend. Leider aber gleitet das Geschehen meistens emotionslos an den Lesern vorbei. Gefühle werden beschrieben, nie gezeigt (Spence-Ash scheint kein Fan von „show, don’t tell“ zu sein), die Charaktere werden oft nur angerissen, Konflikte nur angedeutet, um dann zu verpuffen. Wir erleben die Charaktere nur selten, sondern sie werden uns berichtet. Trotzdem liest sich diese leise Erzählung durch ihr interessantes Sujet in der ersten Hälfte des Buches meistens erfreulich. Wir erfahren recht vignettenhaft über Beatrix‘ Jahre in den USA, fern von ihren Eltern, und wir sehen, wie sich diese lange Trennung während solch prägender Jugendjahre auf sie und ihre Eltern auswirkt, erleben auch, wie sie ihrer Gastfamilie immer näher kommt. Sogar die Elternpaare nehmen auf eine ungewöhnliche Weise mittels eines Schachspiels Kontakt zueinander auf, und so spinnt die Autorin ein zartes Geflecht aus allerlei Beziehungen und man ist gespannt, wie es sich entwickeln wird.

Dann kommt ein zeitlicher Sprung in die 1950er. Dadurch werden leider einige interessante Aspekte, die im ersten Teil angerissen wurden, nicht mehr aufgegriffen und Dinge, deren Auflösung ich gespannt erwartete, verpufften einfach. Dafür wurde dieser 1950er-Abschnitt auf andere Weise spannend (und gewann durch die hier verwendeten Anführungszeichen bei wörtlicher Rede enorm an Echtheit und Unmittelbarkeit). Hier fühlte ich am meisten mit, war am meisten involviert und genoss die Lektüre am meisten.

Und dann … fällt das Buch für mich erheblich ab. Wir springen erneut, in die 1960er, und es folgt Seite auf Seite zäher Alltäglichkeit. Es passiert so gut wie nichts und die wenigen Entwicklungen versinken in langatmigen, unendlich wirkenden Erzählungen über Alltagsroutine. Hier machte sich auch bemerkbar, daß einige der Charaktere schlichtweg nicht ausreichend angelegt waren – sie interessierten mich nicht genug, um ihnen bei ihrer täglichen Routine zu folgen. Die Beziehung zwischen Beatrix und der amerikanischen Familie wird hier etwas künstlich weitergeführt, der gesamte Abschnitt wirkt eher gequält, als ob die Autorin nicht so richtig wüßte, womit sie die Seiten füllen solle, bis das nächste relevante Ereignis eintritt. Alles zieht sich dermaßen, daß das einschneidende Ereignis mich kaum noch berührte. Ich konnte auch die Handlungen der Charaktere immer weniger nachvollziehen. Und so verlor mich das Buch in der zweiten Hälfte mit jeder Seite mehr. Das Ende überzeugte mich nicht – die vielversprechenden Ansätze der ersten Hälfte wurden meiner Meinung nach leider einfach verschenkt.

Die erste Hälfte hatte etwas Besonderes und war angenehme Lektüre, die zwar leicht ist, aber dennoch Substanz hat. Die zweite Hälfte war für mich ein Beispiel dafür, wie man eine vielversprechende Idee ins Nichts zerfließen lassen kann.

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