Dem einsamen ist der freiwillige Untergang wie eine Heimkehr zu sich selbst (Karl Jaspers)
Gute GründeYael befindet sich wegen Depression in Therapie und wollte ihrem Leben vor kurzem ein Ende setzen. Sie wird im Anschluss an „die Sache“, wie der Suizidversuch zu Beginn des Buches häufiger bezeichnet wird, ...
Yael befindet sich wegen Depression in Therapie und wollte ihrem Leben vor kurzem ein Ende setzen. Sie wird im Anschluss an „die Sache“, wie der Suizidversuch zu Beginn des Buches häufiger bezeichnet wird, nicht stationär aufgenommen, sondern bleibt ambulant in Behandlung. Ihre Schwester Liora möchte sich um sie kümmern.
Im Laufe des Buches erfährt der Leser durch häufige Rückblenden Details aus Yaels Vergangenheit. Diese betreffen vorrangig ihre Familiengeschichte: Die enge Bindung zu ihrer Mutter und ihrer Großmutter, die Beziehungen zu ihrem Vater und ihrer älteren Schwester Liora. Gelegentlich erhält man auch Einblicke in Yaels jüdischen Glauben, für mich sehr bereichernd und horizonterweiternd.
In den Rückblicken tauchen auch bestimmte Personen und Momente auf, die Yael in besonderer Erinnerung geblieben sind. Zu nennen ist u.a. ihr (Ex-) Partner, der laut eigener Aussage „normalerweise nur dünne Frauen mag“ oder ihre Ballettlehrerin, die Yael als junges Mädchen für die Hauptrolle eigentlich für etwas zu moppelig hält. In jedem Fall hat Yael schon viel mitgemacht und im Verlauf des Buches wunderte es mich irgendwann nicht mehr, dass sie an Depression erkrankt ist und wieder gute Gründe braucht, um „Ja“ zum Leben zu sagen.
Obwohl die Thematik eine gewisse Schwere mit sich bringt, konnte ich das Buch flüssig und ohne größere Pausen lesen. Dazu trägt maßgeblich Yaels sarkastischer Humor bei, der mich immer wieder zum Schmunzeln gebracht hat. Die Stimmung wird dadurch nicht zu melancholisch. Außerdem vermittelt das Buch auch ein Gefühl familiärer Wärme, weil sich Yael und ihre Schwester Liora sehr nahestehen und Lioras Kinder zu Yael eine unglaublich schöne und innige Beziehung haben.
Das Buch zeigt die unterschiedlichen Facetten der Krankheit auf, ohne dabei zum Sachbuch zu werden. Yael leidet u.a. an Schlaf- und Appetitlosigkeit, Blackout-Trost-Konsum, Gefühllosigkeit u.v.m.
Das Buch bricht mit den üblichen Klischees und zeigt, dass Depression nicht bedeuten muss, den ganzen Tag weinend im Bett zu liegen. Man sieht den Menschen oft nicht an, wie es in ihnen aussieht. Depression hat viele Gesichter, die auf andere durchaus fröhlich und lebensfroh wirken können.
Die vielen Rückblenden zwischendurch haben es mir nicht immer leicht gemacht, eine geistige Timeline zu erstellen. Allerdings muss man die Ereignisse nicht zwingend chronologisch ordnen, um nachvollziehen zu können, was sie in Yael ausgelöst haben. Allredings wird der Lesefluss dadurch stellenweise unterbrochen. Ich hatte das Gefühl, dass die vielen Sequenzen und Rückblenden Yaels inneres Gedankenchaos widerspiegeln sollten.
Meiner Meinung nach trägt das Buch zur Entstigmatisierung psychischer Krankheiten bei und beleuchtet sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln, ohne dass der Leser am Ende traurig oder melancholisch zurückgelassen wird.
Bleibt nur noch die Frage, ob der Titel des Buches auf "gute Gründe" für den Suizidversuch verweist oder auf "gute Gründe", für die es sich lohnt, zu leben. Beides wäre passend.