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Veröffentlicht am 04.12.2024

Tolle Figuren und spannendes Kammerspiel, mir jedoch textlich zu experimentell

Schwindel
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Ich mochte Hengamehs ersten Roman „Ministerium der Träume“ richtig gern, deshalb war natürlich klar, dass ich auch deren neuen Roman lesen möchte. So ganz konnte „Schwindel“ meine Erwartungen aber leider ...

Ich mochte Hengamehs ersten Roman „Ministerium der Träume“ richtig gern, deshalb war natürlich klar, dass ich auch deren neuen Roman lesen möchte. So ganz konnte „Schwindel“ meine Erwartungen aber leider nicht erfüllen.

Im Roman dreht sich alles um Ava sowie ihre drei Liebhaber:innen. Ava scheint mit ihren Liebschaften großzügig umzugehen und sich schnell in eine neue zu flüchten, wenn es emotional tiefer zu gehen droht. So gibt es einige enttäuschte Erwartungen und wie es der Zufall so will, befinden sich die vier irgendwann ausgeschlossen auf dem Dach von Avas Wohnhaus. In einer Art Kammerspiel tragen jetzt nicht nur die Figuren untereinander ihre Konflikte aus, sondern die Lesenden erfahren auch so Einiges über die einzelnen Protagonist:innen - und das ist authentisch komplex.

Hier komme ich auch zu einer klaren Stärke des Romans: Wie kaum jemensch sonst schafft es Hengameh, die Komplexität menschlicher Identitäten in eine Sprache zu packen. Wo fängt Eigenverantwortung an und wo hören alte Traumata auf (looking at you, Ava)? Ist eine Lesbe noch lesbisch, wenn der Partner ein trans Mann ist? Wie kann ein sicherer Raum für nichtbinäre 6ualität aussehen?

Die Figuren sind alle wirklich vielschichtig und ich mochte es, wie Hengameh sie nach und nach entpackt. Da trifft die ältere Lesbe, die ihre Freund*innen in der Aids-Pandemie verloren hat, auf die junge nichtbinäre Person und muss ihren Platz erst neu finden. Es geht um Label, das Hinterfragen ebendieser und um Allianzen, die sich im Roman sehr dynamisch immer wieder neu formen.

Und obwohl ich die Perspektiven richtig toll fand und das Buch auch gut lesen konnte, hat es mich nicht wirklich überzeugen können. Das liegt vor allem an den verschiedenen Textformen. Delias Abschnitte sind konsequent klein geschrieben und brechen auch mal mitten im Satz ab. Manche Seiten bestehen aus nur einem Wort, andere reihen die immer gleichen Worte in einem Strudel aneinander. Das sorgt zwar auch dafür, dass der Roman schnell zu lesen ist, aber ich habe zu solch künstlerischen Aspekten einfach keinen Zugang und daher die Seiten auf Verständnisebene quasi übersprungen. Die gewählte Sprache bewegt sich auf der Grenze zwischen direkt und vulgär - für mich war es okay so, aber wer mit Vulgarität ein Problem hat, wird hier nicht glücklich werden. Nicht gut gefallen hat mir außerdem, wie stark Drogen verschiedener Art immer wieder eine Rolle spielten. Und schließlich war mir die Geschichte am Ende zu fragmentarisch und nicht so abgeschlossen wie im Vorgängerroman.

Ein Buch für alle, die Hengamehs Erzählweise mögen, Lust auf tiefe & ambivalente Figuren haben und offen sind für kunstvolle Textformen. Für mich war es eine eher durchwachsene Lektüre, ich bleibe Hengameh aber dennoch treu und gebe wegen der lehrreichen Perspektiven im Buch trotz meiner Kritik eine gute Bewertung.

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Veröffentlicht am 16.11.2024

Begann fantastisch, schwächelte dann aber leider

Triff mich über den Wolken
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Ich liebe queere RomComs/Romance und war vom Cover des Romans bereits sehr angetan. Hier wurde sich für ein in meinen Augen wunderschönes und elegantes Design entschieden, dass die Queerness auf subtile ...

Ich liebe queere RomComs/Romance und war vom Cover des Romans bereits sehr angetan. Hier wurde sich für ein in meinen Augen wunderschönes und elegantes Design entschieden, dass die Queerness auf subtile Art vermittelt.

Und ich war zu Beginn unglaublich begeistert vom Schreibstil sowie dem gewählten Humor. Protagonistin Olive beginnt die Handlung mit einem Flug, obwohl sie große Flugangst hat. Die Schilderung ihrer Angst war so greifbar, dass ich sie selbst gespürt habe. Und auch alles, was auf dem Flug bzw. danach an Absurditäten passiert, fand ich einfach toll. Ich mochte die Hauptfigur sehr gern, weil sie mir mit all ihren Unsicherheiten direkt nahbar erschien.

Doch leider, und das ist mir glaube ich so noch nie passiert, flachte meine Begeisterung recht schnell ab. Der Schreibstil bleibt bis zum Ende wirklich flüssig und gut lesbar. Deshalb konnte ich auch gut dranbleiben. Doch handlungstechnisch fühlte sich ganz viel für mich nicht rund an. Ich habe viele Gedanken von Olive als extrem repetitiv empfunden und hatte gleichzeitig über lange Strecken hinweg das Gefühl, dass sich nichts wirklich bewegt. Besonders den Mittelteil fand ich eher zäh. Dabei will ich nicht einmal sagen, dass ich Figuren, die zum Overthinken neigen, irgendwie schlimm finde. Eher im Gegenteil und ich mag es auch, wenn Charaktere in Romanen mit psychischen Problemen zu kämpfen haben.

Aber Olives Figur fand ich nicht rund und ihre so oft geschilderten Angstzustände nicht greifbar. Irgendwann wird zu mehreren Figuren auf einmal geschrieben, dass sie Depressionen haben, was für mich vorher überhaupt nicht ersichtlich war und deshalb nicht glaubhaft wirkt. Etliche Handlungsstränge wurden irgendwie aufgenommen und dann schlicht nicht weitergeführt. Das führte bei mir dazu, dass ich trotz des eigentlich großen emotionalen Potenzials kaum mitgefühlt habe. Und das ist einfach schade, wo doch auch die Themen Pflege, erkrankte Angehörige und lebenserhaltende Maßnahmen so wichtige sind. Außerdem störte mich die Darstellung der Antagonistin als eindimensional fies wirklich sehr.

Der Roman hat an einer ziemlich späten Stelle ein bisschen Spice, der mir persönlich einfach zu spät kam bzw. konnte ich vorher zu wenig einen Vibe spüren. Eigentlich fand ich beide Figuren toll und der Roman als Ganzes hätte für mich großes Potenzial gehabt. Er wirkte auf mich allerdings in der Konstruktion der Geschichte unausgereift. Ich runde ggf. auf dafür, dass es ein Debütroman ist, der sich auf jeden Fall super leicht lesen lässt, und weil ich das Potenzial wertschätzen möchte.

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Veröffentlicht am 05.09.2024

Sehr kurzweilige Geschichte für alle Bücherliebenden, die charakterlich hätte tiefer gehen können

Die Tage in der Buchhandlung Morisaki
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Das Cover ist einfach sooo schön, dass ich richtig Lust auf's Lesen hatte! 😍

Und der Roman ist wirklich perfekt, wenn mensch ein unterhaltsames Buch für einen entspannten (Sommer-)Tag sucht. Es lässt ...

Das Cover ist einfach sooo schön, dass ich richtig Lust auf's Lesen hatte! 😍

Und der Roman ist wirklich perfekt, wenn mensch ein unterhaltsames Buch für einen entspannten (Sommer-)Tag sucht. Es lässt sich ganz leicht lesen, der Schreibstil ist enorm zugänglich. Richtig gern mochte ich auch einige der Nebencharaktere, besonders natürlich Onkel Satoru, der mich mit seiner offenen Sanftheit erreichen konnte. Die Liebe zu Geschichten ist natürlich omnipräsent und es kommen auch viele klassische Werke vor (die ich allerdings alle nicht kannte 😅). Gefallen hat mir außerdem, dass hier romantische Storylines keine große Rolle spielen, das hätte der Geschichte meiner Meinung nach nicht gut getan.

Nicht so ganz greifen konnte ich allerdings die Protagonistin Takako, die im Zuge einer depressiven Phase in das Antiquariat ihres Onkels zieht. Dort entdeckt sie zwar ihre Leidenschaft für Bücher und findet endlich Freund*innen, ab da dreht es sich aber vor allem um den Onkel und dessen vermeintlich verschollene Frau. Die Geschichte fand ich an sich wirklich schön und mochte, dass die beiden eine angenehme Tiefe bekommen. Dadurch erscheint die Protagonistin aber zunehmend flach und austauschbar, da hätte ich deutlich mehr Potenzial gesehen, gerade in Bezug auf den Umgang mit Lebenskrisen - das war mir irgendwie zu einfach.

Ich empfehle das Buch trotzdem gern als Easy-Read mit der total atmosphärischen Umgebung des Buchladenviertels in Tokio und werde wohl auch den bald erscheinenden zweiten Teil lesen. Vielleicht legt der Autor hier ja in Bezug auf Charaktertiefe noch einmal nach.

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Veröffentlicht am 03.09.2024

Keine Wohlfühllektüre und teilweise sehr herausfordernd, aber trotzdem scharf beobachtet

Das Leben keiner Frau
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"Das Leben keiner Frau" ist wirklich absolut kein Wohlfühlbuch. Mit einer ziemlich unsympathischen Protagonistin sowie einer sehr direkten, zynischen und manchmal vulgären Sprache ist es ein Werk, das ...

"Das Leben keiner Frau" ist wirklich absolut kein Wohlfühlbuch. Mit einer ziemlich unsympathischen Protagonistin sowie einer sehr direkten, zynischen und manchmal vulgären Sprache ist es ein Werk, das polarisiert. Nichts von alledem finde ich zwangsläufig schlecht, bin in meiner Besprechung aber hin- und hergerissen.

Ich fand das Buch phasenweise bei aller Frustration von Mel wirklich auf den Punkt. Es wird immer wieder beschrieben, wie die patriarchale Gesellschaft und der strukturelle Sexismus Frauen nicht nur benachteiligt, sondern sie auch gegeneinander ausspielt. Mehrfach habe ich beim Lesen geschwankt zwischen Verständnis und Wut über das, was Mel so von sich gibt. Während sie manchmal messerscharf beobachtet und mir damit Impulse in Bezug auf Ageismus/Abhängigkeiten mitgibt, fand ich einige ihrer Gedanken in Bezug auf jüngere Frauen/Mädchen einfach nur schrecklich.

Die komplette Handlung ist eher frustrierend, macht wütend und zieht irgendwie runter. Aber trotzdem habe ich es richtig schnell durchgelesen. Manche Monologe fand ich zwar etwas langatmig, aber insgesamt hat mich das Buch erstaunlich gut unterhalten. Es wurden doch recht viele Themen angeschnitten (u. a. auch Gewalt von Eltern gegenüber ihren Kindern, Alkoholismus, Pflegekrise), sodass manche für mein Empfinden etwas untergegangen sind. Ein wenig mehr Fokus hätte der Geschichte vielleicht gut getan, andererseits ist die Realität natürlich auch genau so komplex.

Eine Empfehlung für Menschen, die weder Zynismus noch eine Sex-offene Handlung scheuen und unsympathische Hauptfiguren bevorzugen.

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Veröffentlicht am 29.08.2024

Ein anspruchsvoll-ambivalenter Beziehungsroman mit historisch interessantem Setting

Samtene Scheidung
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[TW: Alkoholismus, Fehlgeburt, Unfalltod]

In „Samtene Scheidung“ bin ich erstmalig mit der Slowakei und ihrer Geschichte besonders nach dem Ende der Tschechoslowakei in Berührung gekommen. Das vermittelte ...

[TW: Alkoholismus, Fehlgeburt, Unfalltod]

In „Samtene Scheidung“ bin ich erstmalig mit der Slowakei und ihrer Geschichte besonders nach dem Ende der Tschechoslowakei in Berührung gekommen. Das vermittelte Wissen über die Erfahrungen und gefühlten Ambivalenzen der Slowak:innen besonders mit Blick auf Tschechien fand ich hervorragend und organisch in die Handlung eingearbeitet.

Der Titel bezieht sich jedoch nicht nur auf die Trennung der beiden Länder, sondern auch auf die Beziehungen der Protagonistin Katarína, deren Ehemann sie (vorübergehend?) verlassen hat und die deshalb für das Weihnachtsfest alleine von Prag zu den Eltern nach Bratislava fährt. Sie reflektiert dort unter anderem über ihre frühe Heirat, Erlebnisse mit ihren Eltern und die veränderte Beziehung zu ihrer Schwester Dora.
In kurzen Sequenzen begleiten wir zudem Katarínas Kindheitsfreundin Viera, die eine Beziehung mit ihrer Dozentin Barbara eingeht und innerhalb dieser mit eigenen Problemen konfrontiert ist.

Ich mag die Bücher des Nonsolo-Verlags vor allem für ihre ganz besonderen und anspruchsvollen Beziehungsgeschichten. Solche finden wir auch in diesem Roman - Jana Karšaiová hat ein Händchen für Ambivalenz sowie das Zerbrechen und Neuzusammenfügen von Beziehungen jeglicher Art. Aufgrund der sehr fragmentarischen Erzählweise sowie der nicht klar abgegrenzten Zeitsprünge und Perspektivwechsel war ich für ein echtes Einfühlen aber leider etwas zu oft im Lesefluss irritiert. Das machte die Geschichte an einigen Stellen langatmig, an denen es nicht hätte sein müssen.

Die vermittelten Gefühle der Slowak:innen sowie die Abwertung derer durch Tschech:innen fand ich wiederum hervorragend dargestellt und hatte direkt den Impuls, mich mit der Geschichte der Tschechoslowakei zu beschäftigen.

Insgesamt habe ich die Geschichte in ihrer Vielschichtigkeit gerne gelesen und besonders das Ende fand ich auf Protagonistinnenebene stark, ich hätte mir aber ein wenig mehr Stringenz gewünscht. „Für uns gibt es keinen Namen“ hat mir aus dem Verlagsprogramm ein wenig besser gefallen, daher vergebe ich hier 3,5 Sterne.

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