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Veröffentlicht am 04.12.2024

(S)Experiment

The Freedom Clause
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In einer Silvesternacht sprechen Dominic und Daphne unverhofft über ihr eingeschlafenes Sexleben. Seit drei Jahren sind sie verheiratet, und vor allem Dominic fände es aufregend, die Ehe ein wenig zu öffnen. ...

In einer Silvesternacht sprechen Dominic und Daphne unverhofft über ihr eingeschlafenes Sexleben. Seit drei Jahren sind sie verheiratet, und vor allem Dominic fände es aufregend, die Ehe ein wenig zu öffnen. Daphne, die sich aus Sex nicht wirklich viel macht, ist zunächst wenig angetan von der Idee, stimmt aber unter einigen Bedingungen zu - vor allem, um der Sehnsucht ihres Mannes zu entsprechen. Erstens: Es darf nur eine Nacht im Jahr sein. Zweitens: Das Paar spricht nicht über seine außerehelichen Abenteuer. Drittens: Nicht zweimal mit derselben Person. Und sie einigen sich darauf, dieses Arrangement zunächst einmal für fünf Jahre auszutesten.
Daphnes und Dominics Geschichte erzählt sich vor allem an den Nächten außerhalb des ehelichen Bettes entlang. Bereits nach den ersten Gelegenheiten merken beide, dass sie dieses Arrangement verändert. Während Dominic vor allem mögliche Gelegenheiten auszuloten versucht, leidet Daphne eher darunter, über ihre Erlebnisse nicht mit ihren Freundinnen sprechen zu können. Beide verändert die Abmachung, aber auch die Begegnungen, die sich durch jene Abmachung ergibt - sowohl zum Vorteil als auch zum Nachteil.

"The Freedom Clause" hat mir ganz hervorragend gefallen. Ein Experiment, wie ich mir vorstelle, dass einige Ehemänner es vielleicht gerne ausprobieren, um sich dann vor dem Erfolg ihrer Frauen zu fürchten. Manche Handlung von Hannah Sloanes Protagonist:innen fand ich eine Idee zu vorhersehbar (und trotzdem hat sie mich erheitert), anderes hat mich verdutzt (und mir Achtung abgerungen). Dies ist ein Buch, das ich sicher nicht jeder:m empfehlen kann, aber ich denke, da wo ich es empfehle, wird es angemessen für würdige Unterhaltung sorgen.

Veröffentlicht am 04.12.2024

Feministische Pflichtlektüre - unbedingt lesen!

Caliban und die Hexe
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Wahrscheinlich wäre „Caliban und die Hexe“ noch immer auf meinem Haufen ungelesener Bücher, hätte es nicht einen Vortrag dazu gegeben. Ich wünschte, ich könnte in diese Rezension alles Wissen packen, das ...

Wahrscheinlich wäre „Caliban und die Hexe“ noch immer auf meinem Haufen ungelesener Bücher, hätte es nicht einen Vortrag dazu gegeben. Ich wünschte, ich könnte in diese Rezension alles Wissen packen, das Silvia Federici in diesem Buch zu offerieren hat!
Wo Marx Thesen über den Kapitalismus Lücken hinterlassen haben, besonders aus weiblicher Sicht, füllt Federici auf. Sie beginnt bei den Bauernaufständen, die vom 15. bis zum 17. Jhd. immer wieder die Vorherrschaft höherer Stände und Klerus herausgefordert haben. Sie benennt die Pest als einen signifikanten Faktor, durch den die herrschende Klasse den Wert von Arbeitskraft erkannt hat, den als zusammen mit Boden als Kapital sich anzueignen galt. Seit Jahrhunderten kollektiv genutzte Acker-, Wald- und Landflächen wurden den Menschen durch Privatisierung genommen. Die kapitalistische Gesellschaft wurde geschaffen, und wer sich der aufkommenden Lohnarbeit nicht unterordnen wollte, wurde arbeits- und obdachlos. Vor allem gegen Verarmung revoltierende Frauen wurden nach dem Teile-und-Herrsche-Prinzip zur Zielscheibe, von Häretikerinnen über Prostituierten bis zu Grundbesitzerinnen. Die Hexenverfolgung als geschlechtlicher Genozid (80% der als Hexen Angeklagten waren Frauen) erreichte seinen Höhepunkt in der Mitte des 16. Jhd. bis Mitte des 17. Jhd. mit 40.000 bis 60.000 Opfern und war mitnichten ein Kapitel des „dunklen“ Mittelalters, sondern fällt in die Zeitspanne, die wir als Renaissance kennen. Die Folterkammern und Scheiterhaufen, auf denen die Angeklagten starben, waren (Zitat a.d. Buch) „die Orte, an denen die bürgerlichen Ideale der Weiblichkeit und Häuslichkeit erfunden wurden“. Klerus und Weltlichkeit begannen, sowohl den weiblichen Körper als auch den weiblichen Geist als etwas Schändliches zu sehen, das es mit Gesetzen und Geboten im Zaum zu halten galt. In jenem Zuge wurden Frauen auch aus Professionen verbannt, die sie bis dahin Jahrhundertelang ausgeübt haben wie jene der Hebamme. Netzwerke von Frauensolidarität wurden zerstört, altes weibliches Wissen ging verloren.

Das Buch möchte ich allen empfehlen, die sich für Feminismus interessieren. „Caliban und die Hexe“ sammelt einfach so fundamentales Wissen, wie gestern auf dem Vortrag auch gesagt wurde, es gar nicht im Geschichtsunterricht gelehrt wird.
Übrigens: Wer sich für eine romanhafte Thematisierung zu Hexenprozessen interessiert, dem lege ich von Herzen nahe, Jarka Kubsovas „Marschlande“ zu lesen, ein Buch, in dem eine Bäuerin enteignet und als Hexe angeklagt wird.

Veröffentlicht am 04.12.2024

Spannende und humorvolle historische Kinderbuchfantasy

Feder und Kralle
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Im Valencia des Jahres 1914 begegnet Amparo eines Nachts auf dem Jahrmarkt einem Panther, der sich in einen Jungen verwandelt - genau in dem Moment, in dem die eigene Verwandlung einsetzt und sie zu einem ...

Im Valencia des Jahres 1914 begegnet Amparo eines Nachts auf dem Jahrmarkt einem Panther, der sich in einen Jungen verwandelt - genau in dem Moment, in dem die eigene Verwandlung einsetzt und sie zu einem Falken wird. Noch nie vorher ist Amparo jemandem begegnet, der ebenfalls zum Wechsel von Tag zu Nacht in eine andere Gestalt gezwungen wird, und sie nimmt Kontakt zu dem Jungen vom Jahrmarkt auf. Nun versuchen Tomás und Amparo ihrem gemeinsamen Ursprung auf die Spur zu kommen. Verschwommene Erinnerungen führen die Jugendlichen zu einem Kloster und einer alten Legende.

Das mysteriös wirkende Cover hat mich sofort in seinen Bann gezogen, und so ging es auch im Buch weiter. Amparos und Tomás Geschichte wird nicht nur durch Worter getragen, sondern auch durch Illustrationen von eleganter, düsterer Ästhetik.
Die Story von Tomás und Amparo hat mich an einen historischen Fantasyfilm (den heute wahrscheinlich kaum noch eine Seele kennt) aus dem Jahr 1985 erinnert, "Der Tag des Falken", den ich sehr mochte. Deswegen konnte ich mich für "Feder und Kralle" auch direkt erwärmen!

Veröffentlicht am 04.12.2024

#zynisch #britisch #feministisch #crime #READTHIS

Die Schnellimbissdetektivin
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Hannah Abram schlägt sich mehr schlecht als recht durchs Leben. Bei der Metropolitan Police rausgeflogen, hält sie sich nunmehr mit kleinen Gelegenheitsaufträgen über Wasser, sofern ihre Arbeitszeit in ...

Hannah Abram schlägt sich mehr schlecht als recht durchs Leben. Bei der Metropolitan Police rausgeflogen, hält sie sich nunmehr mit kleinen Gelegenheitsaufträgen über Wasser, sofern ihre Arbeitszeit in Digbys Schnellimbiss es zulässt. Für die einen versucht Hannah herauszufinden, wohin ihre Hunde entlaufen sind, der nächste will wissen, wer ihm immer Müll in den Eingang kippt, und der Gärtner:ingemeinschaft der hiesigen Kleingartenkolonie ist die Ernte geklaut worden. Hannah nimmt sich den kleinen Fällen empathielos an, sie versucht nur genug Geld zu verdienen, um das schäbige Zimmer nicht zu verlieren, das sie zur Untermiete bezieht, und einfach nicht unterzugehen. Dabei mutet Hannah Abram rotzfrech, zynisch und unaufhaltsam an. Doch eigentlich ist Hannah durchs Leben; nein, eher durch Misogynie und Institutionen, die diese schützt, gebeutelt.

Bei Liza Codys „Die Schnellimbissdetektivin“ darf man sich auf einen vor schwarzem Humor und Sarkasmus triefenden Krimi einstellen. Die Schlagabtausche zwischen Hannah und Digby werden mir noch lange in herzerwärmender Erinnerung bleiben. Trotz allen Witzes lässt die Autorin ihre Leser:innen auch die Schläge und Intrigen des Lebens und die daraus resultierende Desillusion ihrer Protagonistin spüren - no cosy crime. Mir war Hannah Abram eine chaotische und sympathische Figur, und wer sich auf die Handlung der Fälle an vielen Nebenschauplätzen einlassen kann, der sollte ebenfalls Bekanntschaft mit der Imbissdetektivin machen!

Veröffentlicht am 04.12.2024

Greift feministische Themen auf

Das Loch
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Klar folgt Asa ihrem Mann von, als dieser von seiner Firma versetzt wird - von der Großstadt geht es in das Dorf, in dem ihr Mann großgeworden ist. Ihr eigener Job scheint vernachlässigbar, sie gibt ihn ...

Klar folgt Asa ihrem Mann von, als dieser von seiner Firma versetzt wird - von der Großstadt geht es in das Dorf, in dem ihr Mann großgeworden ist. Ihr eigener Job scheint vernachlässigbar, sie gibt ihn auf. Zu verlockend scheint es, direkt neben den Schwiegereltern im Haus einzuziehen, denn dies erspart dem jungen Paar die hohe Miete, die sie in der Stadt zahlen mussten.
Asa versucht sich an das neue Leben zu gewöhnen. Ohne die Lohnarbeit als bisher feste Routine fehlt das Gerüst, das bisher ihr Leben gehalten hat, und sie findet im Haus wenig zu tun, womit sie ihre Zeit vertreiben könnte. Da Asa und Muneaki keine Kinder geplant haben, wird dieser einsame Ablauf mit ihrem bis spät in die Nacht arbeitenden Ehemann und den ungewohnten Schwiegereltern vorerst ihr Alltag bleiben.
Bei einem Besuch im Nachbarort begegnet ihr ein Tier, das sie noch nie gesehen hat. Während sie es verfolgt, fällt sie in ein brusthohes Loch, aus dem sie es erst mit der Hilfe einer zufällig vorbeilaufenden Nachbarin schafft. Frau Sera wird Asas erster wirklicher Kontakt im Ort, sie zeigt Verständnis für die bekümmerte junge Frau. Bald darauf trifft Asa auf einen weiteren im Dorf lebenden Mann, der sie vor einer aufdringlichen Rotte Kinder rettet. Er ist ein merkwürdiger und zurückgezogener Geselle, der seiner Lebensweise nahezu ein Hikikomori ist, jemand, der in Isolation vor der Gesellschaft lebt. Auf undurchschaubare Weise scheint er auch mit der Familie ihres Mannes verbunden zu sein.

Hiroko Oyamadas „Das Loch“ greift feministische Themen auf. Die Protagonistin folgt ihrem Mann in dessen Heimatort und gibt infolgedessen ihre erworbene Autonomie auf, um Hausfrau zu sein. Sie verdient kein eigenes Geld mehr und ist gewissermaßen auf das Kommen und Gehen ihres Ehemannes angewiesen, denn erst wenn er nachts heimkommt, kann sie das Essen zubereiten. Der Umzug beraubt der jungen Frau all ihrer bisherigen Kontakte, denn mit den Schwiegereltern hatte sieh bisher kaum Kontakt. Asas Erlebnisse werden zunehmend surrealer, Realität und Übernatürlichkeit lassen sich nicht mehr auseinanderhalten, als wäre Asa wie einst Alice in den Kaninchenbau gefallen.