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Lust_auf_literatur

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.07.2023

Ein schöner Generationenroman und eine Hommage an afroamerikanische Mütter, Töchter und Schwestern

Memphis
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Ich lese sehr gerne Literatur aus den USA. Die Stadt Memphis war mir aber bis jetzt hauptsächlich wegen Elvis ein Begriff.
Das hat sich jetzt geändert. Tara M. Stringfellows Debütroman ist nämlich nicht ...

Ich lese sehr gerne Literatur aus den USA. Die Stadt Memphis war mir aber bis jetzt hauptsächlich wegen Elvis ein Begriff.
Das hat sich jetzt geändert. Tara M. Stringfellows Debütroman ist nämlich nicht nur eine emotionale Familiengeschichte, sondern fängt auch die Stimmung in Memphis, der Heimat des Blues, wunderbar ein.
Die Autorin Stringfellow selbst lebt mittlerweile, nach internationalen Stationen, mit ihrem Hund Huckleberry wieder in dieser Stadt.

Im Zentrum von „Memphis“ stehen die Frauen. Es sind starke, afroamerikanische Frauen, die Stringfellow in drei Generationen einer Familie, von 1955-2003, porträtiert. Hazel, Miriam, August und Joan.
Über die Jahrzehnte ändern sich zwar die Zeiten, doch eines bleibt immer gleich: Rassismus und männliche Gewalt prägen und reduzieren das Leben der Frauen. Stringfellow arbeitet anhand ihren Figuren heraus, wieviel wertvolles Potential und Lebenswege dadurch zerstört werden.
Ein Teufelskreis aus Angst, Wut und wieder Gewalt.

„Aber mein Zorn war zum Teil aus Furcht entstanden.“

Dementgegen setzt Stringfellow den Zusammenhalt und Liebe der Mütter, Schwestern und Töchter der Familie North. Eine sanfte Kraft und eine starke Botschaft.
Mir persönlich bleibt der Roman etwas zu unpolitisch, die Familiengeschichte zu konventionell und idealisiert und auch das spirituell/religiös eingefärbte ist nicht mein Fall. Dafür kann „Memphis“ auf Unterhaltungsebene sehr gut punkten.
Die einzelneren Kapitel springen in den verschiedenen Zeiten und machen die Lektüre damit sehr abwechslungsreich und erzeugen eine leichte Spannung.
Die Figuren sind liebevoll und detailliert ausgearbeitet und mir ans Herz gewachsen, vor allem August. Und Joan, die aus der Ich-Perspektive erzählt, bricht mir schon im ersten Kapitel das Herz.
Doch Joan ist es auch, die am Ende als erste die Möglichkeit bekommt, einen Traum zu verwirklichen und es ist ihr Verzeihen, dass ein Durchbrechen des Teufelkreises als möglich erscheinen lässt.

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Veröffentlicht am 12.05.2023

Lesenswerte Zukunftsvision mit interessanten Ansätzen

Für Dancing Boy
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Sehnsucht, Verlangen, Lust, Sexualität, Biologie und Liebe.

In diesem intensiven Spannungsfeld bewegt sich dieser ungewöhnliche Roman von Sara Johnsen.
Ich bin gerade, so kurz nach dem Beenden, noch nicht ...

Sehnsucht, Verlangen, Lust, Sexualität, Biologie und Liebe.

In diesem intensiven Spannungsfeld bewegt sich dieser ungewöhnliche Roman von Sara Johnsen.
Ich bin gerade, so kurz nach dem Beenden, noch nicht sicher, wie ich diese Geschichte einordnen will.

Johnsen platziert ihre Protagonistin Liz in eine dystopische Gesellschaft, in nicht allzu ferner Zukunft.
Solo-Sexualität kann in, nach strengen ethischen Vorgaben regulierten, Instituten ausgelebt werden. Je nach finanzieller Potenz können dort mit modernster Technik die individuellsten Träume realisiert werden.
Liz und ihr Mann haben sich so ein Institut aufgebaut und verdienen gutes Geld, werden aber in der Nachbarschaft gemieden, auch wenn ihre Dienste gerne in Anspruch genommen werden.
Darunter leidet vor allem die pubertierende 14-jährige Tochter Thelma, die keinen Anschluss findet.

Ein Teil der Handlung, die sowohl in Liz Gegenwart als auch in ihrer Vergangenheit, spielt, ist ihre frühere Tätigkeit als Leihmutterschaft. Aus einer Schwangerschaft ging ein Junge hervor, den Liz für sich Dancing Boy genannt hat. Sie hat ihn nie vergessen und sehnt sich schmerzlich nach ihm.
Ist der junge Mann, der plötzlich im Institut auftaucht und ein passendes Muttermal hat, der verlorene Dancing Boy?

Das verrate ich hier natürlich nicht. Diese Frage macht auch nur einen Teil des Romans aus und steht nicht alleine im Zentrum. Ins Zentrum stellt Johnsen vielmehr existenzielle Fragen. Was befriedigt uns wirklich? Nach was sehnen wir uns und finden wir es in der Sexualität, der Liebe oder der Elternschaft?
Das dystopische Setting und das Leihmutter Szenario ist faszinierend und interessant und bietet mir einige gute Denkansätze. Wobei das Thema Leihmutterschaft eher als Katalysator dient und nicht in seiner Gesamtkomplexität behandelt wird. Ingesamt fehlte mir in dem Roman auch eine stringente Handlung mit einem gewissen roten Faden, um mich mehr begeistern zu können.

Es bleibt ein Gefühl von Verlorenheit und Indifferenz, was auch seinen Reiz ausübt und den Roman von anderen abhebt.

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Veröffentlicht am 12.12.2024

Solide Spannungsunterhaltung, für mich zu offensichtlich und oberflächlich

Was uns zusammenhält
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Pola Stories ist das neueste Imprint von Bastei Lübbe, das speziell die Lebensrealität junger Frauen abbilden und sichtbar machen soll - realistisch, ehrlich und ungefiltert. So zumindest laut Webseite.

Okay, ...

Pola Stories ist das neueste Imprint von Bastei Lübbe, das speziell die Lebensrealität junger Frauen abbilden und sichtbar machen soll - realistisch, ehrlich und ungefiltert. So zumindest laut Webseite.

Okay, das kling sehr gut, fand ich, auch wenn ich vielleicht jetzt nicht mehr soooo jung bin. Um Pola kennenzulernen suchte ich mir deshalb als erstes den Roman „Was uns zusammenhält“, dessen Inhaltsbeschreibung wie ein klassischer Spannungsroman klang und der als „Literarische Unterhaltung“ kategorisiert wird.

Protagonistinnen des Romans, dessen Haupthandlung in New York spielt, sind zwei ehemals beste Freundinnen, die sich über die Jahre auseinandergelebt haben. Cassie hat einen reichen Mann geheiratet, arbeitet semiprofessionel als Influencerin und hat eine 4 Monate alte Tochter. Billie ist ebenfalls beruflich erfolgreich, aber Single und kann ihre Freundin aus Jungendzeiten nur noch auf Instagram verfolgen. Auf ihre zahlreichen Nachrichten antwortet Cassie nicht oder nur vertröstend.

Der Roman beginnt damit, dass Billie spontan Cassies Baby entführt, was natürlich große Verzweiflung und eine polizeiliche Suchaktion auslöst.

Im weiteren Verlauf des Romans springt die Geschichte öfter in die Vergangenheit zurück und wirft Licht auf die gemeinsame Vergangenheit der Freundinnen. Denn, und das ist jetzt keine wirkliche Überraschung, da gibt es ein paar gemeinsame Geheimnisse, die nach und nach aufgedeckt werden.

Diese Beschreibung klingt für mich wirklich sehr nach einem Stoff, den ich früher sehr gerne gelesen habe und erinnert mich sofort an „Die Rivalin“ von Michael Robotham.
Und ich kann dir sagen, der Roman ist wirklich genau zu 100% so, wie ich es erwartet hatte.
Das ist zwar entspannend, aber auch sehr vorhersehbar und braucht meiner Meinung nach nicht über 500 Seiten. Ich hatte durch die gedroppten Andeutungen schon ein ziemlich genaue Vorstellung der vergangenen Ereignisse und hätte nicht alles en détail noch ausgearbeitet gebraucht.

Gut gefallen haben mir die Beschreibungen der Schattenseiten von Cassies Influencerinnen Lifestyle und ihrem Lebens als Trophy Wife. Aber die psychologischen Aspekte bleiben genregemäß schon sehr stereotyp und oberflächlich. Wenn du dich für Themen wie Feminismus, Beziehung und/oder Elternschaft interessiert, findest du in meinem Feed sicher Bücher, die Ambivalenzen und komplexe Gefühlswelten besser abbilden.

Keine Frage, „Was uns zusammenhält“ ist ein gut geschriebener, solider Unterhaltungsroman, der aber meinen ganz persönlichen Anspruch an Unterhaltung nicht erfüllt hat. Dafür war er einfach zu obvious in der Handlung und emotional zu flach.
Oder ich bin dann doch einfach zu alt für solche freshen Imprints.

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Veröffentlicht am 13.11.2024

Interessante Parabel in schwierigem Stil

Größtenteils heldenhaft
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Femme Fatale ist in einer Beziehung mit Superheld. Sie lieben sich.
Oder?
Eigentlich schon, gäbe es da nicht die üblichen Probleme wie in jeder Beziehung. Superheld will ständig die Welt retten statt ...

Femme Fatale ist in einer Beziehung mit Superheld. Sie lieben sich.
Oder?
Eigentlich schon, gäbe es da nicht die üblichen Probleme wie in jeder Beziehung. Superheld will ständig die Welt retten statt Zeit mit seiner Geliebten zu verbringen. Es gibt Superschurken, die die Weltherrschaft an sich reißen wollen, allen voran die Großtante von Femme Fatale.
Zusätzlich steht Femme unter einem Zauber, von dem sie selbst gar nichts weiß und der sie dazu bringt soll, Superheld zu töten. So versucht sie ständig ihren Geliebten aus der Welt zu schaffen. Und weil der Zauber noch in der Erprobungsphase steckt, wirkt er auch nicht ununterbrochen.
Superheld hat seine eigenen Gründe, warum er trotz der spontanen Mordversuche seiner Freundin mit ihr zusammenbleibt. Oder ist er vielleicht einfach verliebt?

Vieles ist möglich in dem Roman „Größtenteils heldenhaft“ von Anna Burns, der im Original bereits 2014 erschienen ist. Superhelden können mehrfach sterben, Bösewichte wider auferstehen und Superschurken beseitigen so viele andere Superschurken, dass sie vielleicht schon wieder Helden sind.

In der ziemlich komischen und abgedrehten Geschichte von Femme und Held werden die Kontraste von Helden und Superschurken so lange hochgedreht, dass gar nicht mehr erkennbar ist, wer eigentlich der Gute und der Böse ist und warum sich sich alle permanent bekämpfen.
Wenn du schon Romane von Anna Burns, wie beispielsweise den sehr erfolgreichen „Milchmann“ von 2018, kennst, wird es dir nicht schwerfallen, in der kurzen Erzählung eine Parabel auf den Nordirlandkonflikt zu erkennen.
Aber auch ohne diesen Kontext finden sich in dem Roman unendlich viele überspitzte Parallelen auf so ziemlich jeden Konflikt dieser Welt.
Und auch der Grabenkampf zwischen Männer und Frauen in Beziehungen und in der Gesellschaft wird persifliert.

“Ihr Männer immer mit euren wütenden Muttern.
Ihr könnt heute keine wütende Frau mehr ertragen, weil ihr sie für eure desublimierte Mama haltet, die euch die Männlichkeit abschneiden und eure Teddys kochen will, obwohl es in Wirklichkeit vielleicht ganz anders ist. Vielleicht ist sie nur eine wütende Frau - vielleicht sogar eine, die gar nicht auf euch wütend ist.”

Stilistisch habe ich mich mit diesem knappen Buch sehr schwergetan. Die Sätze sind lang, verschachtelt und überladen und erfordern meine ganze Konzentration. Ein Pageturner war das für mich nicht, was bei 126 Seiten auch nicht unbedingt notwendig ist.

Neben den ganzen krass überzeichneten und scharfen Erzählelementen gibt es auch sanftere, nachdenklichere Töne im Subkontext. Denn Burns Geschichte von Femme und Held zeigt, warum wir immer wieder scheitern, sei es beim Frieden schließen oder in einer Liebesbeziehung.
Obwohl Femme Fatal und Superheld natürlich fiktive Protagonistinnen sind, ist „Größtenteils heldenhaft“ ein Spiegel unserer aktuellen Gesellschaft, egal ob du jetzt den Nordirlandkonflikt darin sehen möchtest oder einen anderen. Und genauso ist er ein Spiegel für unsere Beziehungen, die eigentlich alle nur auf Grundlage folgender essentiellen Gefühle existieren können: Liebe und Vertrauen.

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Veröffentlicht am 16.09.2024

Das Verschwinden einer Lehrerin

In den Wald
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Das wunderschöne Cover des Romans hat mich in der Suhrkamp Vorschau sofort angesprochen. Es zeigt, passend zum Titel, einen Wald, wie ich ihn mir in Norditalien vorstelle.
Und der Wald spielt eine große ...

Das wunderschöne Cover des Romans hat mich in der Suhrkamp Vorschau sofort angesprochen. Es zeigt, passend zum Titel, einen Wald, wie ich ihn mir in Norditalien vorstelle.
Und der Wald spielt eine große Rolle in dem Debütroman der italienischen Autorin Maddalena Vaglio Tanet. Sie ist selbst in dem piemontesischen Ort Biella geboren, der auch der Schauplatz ihres Romans ist.
Tanet erzählt eine Geschichte, die auf wahren Vorkommnissen und Personen Anfang der 70er Jahre basiert und die in ihrer eigenen Familie überliefert wurden. Das weiß ich aus den Tanets Anmerkungen, die dem Roman nachgestellt sind.

Silvia ist eine alleinstehende Lehrerin Anfang 40, die im kleinen Örtchen Biella lebt und in der örtlichen Schule mit Leidenschaft für ihre Schülerinnen unterrichtet. Vor allem Kinder, denen sie anmerkt, dass sie es in ihren Familien schwer haben, versucht sie besonders zu unterstützen. So wie die junge Giovanna, die öfter mit blauen Flecken zur Schule kommt und mit Eintritt in die Pubertät zunehmend Probleme in der Schule und zu Hause bekommt. Silvia, die selbst als Waisenkind einige Zeit im Internat verbracht hat, kennt die Folgen von fehlender Elternliebe und möchte Giovanna unterstützen.

Doch eigentlich beginnt der Roman damit, dass Silvia morgens einfach in den Wald geht und dort verschwindet statt in der Schule zu unterrichten. Nachfolgend erfahre ich aus dritter Hand, dass ihr Schützling Giovanna am Vorabend aus dem Fenster ihres Zimmers in den Fluss gestürzt ist und dort ertrunken ist. Es wird vermutet, dass sie sich umgebracht hat.
Außerdem wird vermutet, dass Silvia davon morgens in der Zeitung gelesen hat und deshalb verschwunden ist. Ihre Verwandten und Freund
innen machen sich Sorgen und starten Suchaktionen.
Ich als Leser*in habe einen guten Blick aufs Geschehen, denn ich bin dabei, als Giovanna verzweifelt aufs Fensterbrett steigt und Silvia, gepeinigt von Schuldgefühlen und Erinnerungen an ihre Vergangenheit, im Wald mit der Natur verschmelzen will.

“Silvia erträgt es nicht, in der Welt zu sein und zu wissen, dass es Giovanna nicht mehr gibt.”


Es gibt viele Passagen, die mir gut gefallen, allen voran die Szenen mit Silvia im Wald und später auch in der Interaktion mit dem Jungen Martino.

Einige Passagen haben mir aber weniger gut gefallen und das lag zum großen Teil an meinem Unvermögen den vielen zusätzlichen Erzählsträngen des überaus großzügig bestückten Figurenkabinett noch zu folgen. Hier hätte meiner Meinung nach eine deutliche Reduzierung auf die Kernfiguren Silvia, Giovanna und Martino gut getan, statt dem Auffächern eines kompletten personellen Dorfpanoramas, das wohl zum Teil auf wahren Personen beruht.

Die Geschichte der Lehrerin Silvia, die im Wald verschwindet, hätte für mich auch ohne realem Hintergrund sehr gut funktioniert, denn Tanet ergänzt die bekannten Fakten mit fiktionalen Gedanken, Figuren und Details.

Gut gefallen hat mir der Schluss, der mir genügend Raum für eine gedankliche Fortführung der Geschichte lässt und final nicht alles erklären will und kann und einen gelungenen Schlusspunkt setzt.
Maddalena Vaglio Tanet hat in ihrem ersten Roman bereits eine ganz eigene Erzählstimme, die ich gerne gelesen habe, auch wenn sich der Roman sich nicht zu meinen italienischen Highlights gesellen wird.

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