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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.12.2024

Große Literatur

Die geheime Geschichte
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Nachdem ich die ersten Sätze der “Geheimen Geschichte” gelesen hatte, wurde mir eins bewusst: Das hier ist wirklich gute Literatur.
Und das hat sich auch auf den folgenden 700 Seiten als richtig erwiesen.
Es ...

Nachdem ich die ersten Sätze der “Geheimen Geschichte” gelesen hatte, wurde mir eins bewusst: Das hier ist wirklich gute Literatur.
Und das hat sich auch auf den folgenden 700 Seiten als richtig erwiesen.
Es ist kaum zu glauben, dass dies Donna Tartts Debütroman ist und sie ihre Werkzeuge schon so früh so gut einzusetzen wusste. Der Schreibstil ist geistreich und anspruchsvoll, ohne dabei hochgestochen zu wirken.
Nicht nur aufgrund des gewaltigen Seitenumfangs kann man komplett in den Roman abtauchen, sondern auch durch die detaillierten Beschreibungen der Charaktere, welche so authentisch wirken, dass man das Gefühl hat, man kenne diese Personen wirklich, sei ein Teil dieser intimen Gruppe. Und doch wird man immer wieder überrascht, denn wie im realen Leben sind die Handlungen der Figuren teilweise unberechenbar.
“Die geheime Geschichte” beschäftigt sich in der ersten Hälfte damit, wie es zu dem im Prolog erwähnten Mord kommen konnte, in der zweiten Hälfte, was der Mord für Auswirkungen auf die Gruppe hat. Die Tat selbst wird nicht beschrieben, Tarrt verschont ihre Leserinnen mit blutigen Details.
Der Roman zeigt auf, wie Gruppendynamiken verlaufen können, wie schnell man zum Mittäter wird. Welche Verführungskraft Macht und Geld haben und wie leicht wir uns manipulieren lassen von Leuten, die uns wichtig sind.

Wer langsame, unterschwellig spannende Romane mit Fokus auf Charakterentwicklung mag und wer sich gerne komplett auf eine fiktive Geschichte einlassen möchte, sodass er danach erstmal wieder in der Realität ankommen muss, der wird in diesem Buch ein Meisterwerk finden.
Für alle anderen könnte es aufgrund des Detailreichtums und der Ausschweifungen langweilig sein. Ich gehöre glücklicherweise zu ersteren. ⭐️5/5⭐️

Übersetzt von Rainer Schmidt

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Veröffentlicht am 20.12.2024

Lobeshymne an die Sprache

Babel
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Mit “Babel” hat R. F. Kuang vor allem eins geschaffen: ein Loblied an die Sprache. Und: wie wichtig gute Übersetzerinnen sind. Schon in den ersten 30 Seiten zeigt sie durch eine Szene am Hafen eindrücklich, ...

Mit “Babel” hat R. F. Kuang vor allem eins geschaffen: ein Loblied an die Sprache. Und: wie wichtig gute Übersetzerinnen sind. Schon in den ersten 30 Seiten zeigt sie durch eine Szene am Hafen eindrücklich, welche Macht jemand hat, der mehrere Sprachen spricht und zwischen diesen vermittelt.
In ihrem Werk gibt sie dieser Fähigkeit einen materiellen Wert, denn die Student
innen in Babel erlernen die Fähigkeit, Wörter in Silberbarren einzugravieren und so Magie zu erschaffen. Dabei bewirkt der Silberbarren genau das, was die Differenz der beiden Wörter - auf den ersten Blick eine genaue Übersetzung - ausmacht; das, was nicht übersetzt werden kann.
Und so gelangt England nicht nur an viel Geld, sondern auch an Macht. Denn die Silberbarren werden inzwischen in allen Bereichen eingesetzt, von der Schifffahrt, über das Militär bis hin zu alltäglichen Geschäften.
Als reichte diese Idee allein nicht, um einen Roman zu füllen, gibt Kuang ihm aber auch noch eine politische Note: denn Kolonialismus, Rassismus und die Unterdrückung der Frau spielen eine ebenso große Rolle und sind entscheidend für den Verlauf der Handlung.
Positiv erwähnen möchte ich das Vorwort, das ausdrücklich erwähnt, welche Fakten nicht historisch korrekt dargestellt wurden (bis auf die Magie nicht viel) und vor allem die ausführlichen Fußnoten. Diese erwähnen alles, was nicht mehr in die Erzählung hineingepasst hat oder ordnen etwas historisch ein.
Ich empfehle dieses unglaublich kluge Buch allen, die sich für Sprache und Übersetzungen interessieren, auch wenn sie sonst kein Fantasy lesen - denn bis auf die Tatsache, dass Kuang Worten neben dem ideellen einen materiellen Wert gibt, liest es sich wie ein historischer Roman über eine Revolution.
Außerdem sollte es nach “Babel” wohl keine Diskussionen mehr darüber geben, ob man Bücher (und Texte im Allgemeinen) KI-generiert übersetzen lassen kann. ⭐️5/5⭐️

*Großartig ins Deutsche übersetzt von Heide Franck und Alexandra Jordan

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Veröffentlicht am 20.12.2024

Aussage gegen Aussage

Sie sagt. Er sagt.
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Der Titel lässt es schon vermuten: “Sie sagt. Er sagt.” behandelt einen Gerichtsfall, in dem Aussage gegen Aussage steht. Der Hintergrund: eine erfolgreiche TV-Moderatorin zeigt ihren Ex-Geliebten an, ...

Der Titel lässt es schon vermuten: “Sie sagt. Er sagt.” behandelt einen Gerichtsfall, in dem Aussage gegen Aussage steht. Der Hintergrund: eine erfolgreiche TV-Moderatorin zeigt ihren Ex-Geliebten an, sie vergewaltigt zu haben.
Wie so oft in der Realität gibt es weder Zeugen noch Beweise, nur die Aussagen der zwei Parteien.
An diesem fiktiven Beispiel zeigt Ferdinand von Schirach die Problematik in einem solchen Fall auf. Er lässt einen aber auch seine eigene festgefahrene Meinung überdenken und unvoreingenommen die andere Seite betrachten. Auf diese Weise empfindet man Empathie sowohl für das eventuelle Opfer, welches vielleicht nie wieder in sein altes Leben zurückkehren kann, wenn der Täter nicht verurteilt wird, als auch für den möglicherweise unschuldig Verhafteten.
Der Autor lässt seine Figuren noch einmal alle Fakten, die es in einem solchen Fall zu bedenken gibt, nennen. Dabei fand ich die Stellungnahme der psychologischen Sachverständigen besonders interessant.
Am Ende muss man als Leser*in sein eigenes Urteil fällen. Wieder einmal bringt Ferdinand von Schirach einen zum Nach- und Überdenken der eigenen Voreingenommenheit. ⭐️5/5⭐️

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Veröffentlicht am 20.12.2024

Schonungslos eindringlich

Kukolka
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Lana Lux ist mit “Kukolka” ein sehr ergreifendes Debüt gelungen. Wir erfahren den ganzen Leidensweg Samiras durch sie selbst. Durch ihre Kinderaugen sehen wir die Welt, wie sie sie wahrnimmt. Dabei tut ...

Lana Lux ist mit “Kukolka” ein sehr ergreifendes Debüt gelungen. Wir erfahren den ganzen Leidensweg Samiras durch sie selbst. Durch ihre Kinderaugen sehen wir die Welt, wie sie sie wahrnimmt. Dabei tut ihre kindliche Naivität an manchen Stellen fast weh. Trotz all der Brutalitäten glaubt sie weiter an das Gute in jedem Menschen. Da sie nie in einem behüteten Familienumfeld aufwachsen durfte, weiß sie nicht, was richtig und falsch ist, ja nicht einmal, dass sie Rechte (und sei es nur an ihrem eigenen Körper) hat. Manche Grausamkeiten bleiben vor ihr verborgen, weil sie sie nicht kennt und verstehen kann, wir erwachsene Leser*innen leider schon.
Zwischendurch wollte ich das Buch zuklappen und die Autorin anschreien, dass es doch jetzt endlich mal reiche! Aber sie schickt ihre Protagonistin von einer Misere in die nächste, spielt nicht nur mit deren Gefühlen, sondern auch mit denen ihrer Leserschaft. Jede Hoffnung wird schnell wieder zunichte gemacht.
Damit hat sie eine realistische Darstellung einer fiktiven Biografie erschaffen.
Lana Lux schreibt eindringlich, bewegend und absolut authentisch. Wir werden ebenso wenig verschont wie Samira, leiden und hoffen auf jeder Seite mit ihr mit. Trotzdem ist unsere Protagonistin kein wehrloses “Püppchen” (wie der Spitzname Kukolka vermuten lässt), sondern kämpft um jeden Preis für ihren Traum.
Am Ende gibt es so viel Happy End wie möglich. Absolute Leseempfehlung für alle nicht so zart Besaiteten. ⭐️5/5⭐️

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Veröffentlicht am 21.11.2024

Ratgeber und Biografie

Die Geschichten in uns
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In “Die Geschichten in uns” gibt Benedict Wells erstmals Einblicke in sein Privatleben, die ersten Kapitel lesen sich dadurch wie eine Biografie. Schnell wechselt der Fokus jedoch auf sein Schreiben: wie ...

In “Die Geschichten in uns” gibt Benedict Wells erstmals Einblicke in sein Privatleben, die ersten Kapitel lesen sich dadurch wie eine Biografie. Schnell wechselt der Fokus jedoch auf sein Schreiben: wie er dazu kam, was ihn inspiriert (hat), welche Werkzeuge er nutzt.
Wir erfahren viel über die Entstehungsgeschichte seiner Bücher, was ich persönlich am interessantesten fand.
Außerdem erklärt er anhand vieler eigener und fremder Beispiele, wie er beim Schreiben vorgeht/ worauf er achtet. Dabei spricht er nicht allgemeingültig, sondern betont, dass es sein persönlicher Weg ist. Dennoch sind die angeführten Werkzeuge wohl für jeden angehenden Autorin nützlich.
Nicht nur für solche, sondern auch für Literaturliebhaber
innen, kritische Leser*innen und Fans von Wells’ Büchern ist dieses Buch empfehlenswert. ⭐️5/5⭐️

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