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Veröffentlicht am 24.12.2024

Ein Buch für die Feuilletonisten Deutschlands

Der falsche Gruß
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Selten hab ich so eine "Angst" vor dem Schreiben einer Rezension gehabt, wie bei diesem Buch von Maxim Biller. Das liegt wahrscheinlich daran, dass man sich nach der Lektüre des vorliegenden Romans "Der ...

Selten hab ich so eine "Angst" vor dem Schreiben einer Rezension gehabt, wie bei diesem Buch von Maxim Biller. Das liegt wahrscheinlich daran, dass man sich nach der Lektüre des vorliegenden Romans "Der falsche Gruß" einfach zu dumm vorkommt, um sich überhaupt anmaßen zu können, eine Meinung dazu zu haben. Ein Minenfeld, welches man am liebsten gar nicht erst betreten möchte. Doch woran liegt das?

Sicherlich ist dies durch die unglaublich selbstreferenzielle und intellektualisierte Art, wie Biller seine (nennen wir sie lieber) Novelle aufzieht, begründet. Wir lernen einen Schriftsteller und Historiker ohne Abschluss kennen, der einem im Berliner Literaturbetrieb etablierten jüdischen Schriftsteller den falschen, nämlich namentlich den Hitlergruß, zeigt, nachdem er sich durch ein noch im Laufe der Geschichte näher zu definierendes Ereignis bzw. eine Ereigniskette provoziert fühlt. Unser Schreiberling mit dem zu locker sitzendem rechten Arm hat zufällig auch in der Familie die ("eigentlich alles nur Opfer") Naziverwandtschaft. Gerade zu Beginn strotzt die Geschichte nur so vor Querverweisen in Klarschrift oder abgeändert auf die Literaturwelt Berlins. Wer da nicht absoluter Insider ist, hat schon und fühlt sich einfach nur verloren in diesem Werk. Wer sich nicht verloren, sondern ertappt fühlen dürfte, sind all die Feuilletonisten Deutschlands, die mitunter mit einer Doppelmoral über die Geschichtsvergessenheit der Deutschen sinnieren. Denn letztendlich lässt sich der Inhalt am wahrscheinlichsten auf das (Billers) Kernthema des Antisemitismus herunterbrechen und der Umgang damit unter Intellektuellen. Die literarisch interessierten Leser*innen aus der Durchschnittsbevölkerung kann jedoch mit diesem Text höchstwahrscheinlich nicht viel anfangen. So ging es jedenfalls mir. Erst mit diversen Rückblicken hatte ich gegen Ende der nur 128 Seiten das vage Gefühl ein wenig vom Text verstanden zu haben.

Aufgrund der großen Uneindeutigkeiten in Billers Roman, kann ich jedoch zum Inhalt nur Vermutungen anstellen und überlasse den Rest dem Feuilleton.

Veröffentlicht am 24.12.2024

So staubtrocken wie die Wüste Mesopotamiens

Babel
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Eigentlich klingt es ganz amüsant und vor allem interessant. "Babel" verspricht, dem Archäologen Robert Koldewey bei seiner Ausgrabung Babylons und damit auch der Wiederauffindung des Turms zu Babel in ...

Eigentlich klingt es ganz amüsant und vor allem interessant. "Babel" verspricht, dem Archäologen Robert Koldewey bei seiner Ausgrabung Babylons und damit auch der Wiederauffindung des Turms zu Babel in 1913 über die Schulter zu schauen, während dieser sich mit einer Bilnddarmentzündung und ebenso seinem anstrengenden Assistenten Buddensieg herumschlagen muss.

Leider verliert sich der, von der Altorientalistin und Ethnologin Cusanit außerordentlich gut recherchierte, Roman zwischen referierten Fakten zu Ausgrabungstechniken und Briefwechseln Koldeweys. Eine "Handlung" besteht im eigentlichen Sinne kaum, da sich über 267 Seiten hinweg Koldewey von seinem Bett hin an den eigentlichen Ausgrabungsort schleppt, um dort eine befreundete Engländerin zu treffen. Auf dem gähnend langsamen Weg doziert er über viele Themen, die für sich genommen eigentlich ein interessantes Licht auf Raubkunst, den Vergleich von Morderne und Antike sowie die wackeligen Grundlagen des Alten Testaments werfen, jedoch so dicht präsentiert werden, dass man einfach nur noch hofft, dass der Herr bald an seinem Ziel ankommen möge. Eine Handlung im allgemein bekannten Sinne sollte man hier also nicht suchen. Sie, ebenso wie die Nebenfiguren, scheinen Cusanit allein dazu zu dienen, ihr ungemein großes Wissen in eine Romanform zu pressen.

Tatsächlich sehnte ich dem Ende des Buches ab mindestens der Hälfte dessen entgegegen. Die zu Beginn noch durch ihre Erhabenheit glänzende Sprache wirkte gegen Ende nur noch überfordernd und trocken. Kenah Cusanit hat definitiv gezeigt, dass sie ein sehr hohes Sprachniveau beherrscht, konnte dies jedoch nicht in einen überzeugenden Roman ummünzen. Oft überwog das Gefühl beim Lesen, sie möchte zu sehr zeigen, was sie alles weiß und wie toll sie es sprachlich verpacken kann. Das konnte jedoch - jedenfalls bei mir - auf die Länge des Romans nicht zünden, sodass das Buch leider so staubtrocken, wie die Wüste durch die sich Kaldewey budelte, geworden ist.

Veröffentlicht am 24.12.2024

Funktioniert vielleicht als Kabarettstück besser - als Buch leider nicht.

Die Party
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Durch merkwürdige Umstände verirrt sich die namenlose Protagonistin (hauptberuflich Softeisverkäuferin mit einem Lehrauftrag als Nebenjob) dieses Romans auf eine Koch-Party mit noch viel merkwürdigeren ...

Durch merkwürdige Umstände verirrt sich die namenlose Protagonistin (hauptberuflich Softeisverkäuferin mit einem Lehrauftrag als Nebenjob) dieses Romans auf eine Koch-Party mit noch viel merkwürdigeren Gästen. Neben der Zubereitung des Essens dreht sich dort alles um ach so aufgeklärte Gesprächsthemen wie Feminismus, Sexismus und anderes, was mir schon wieder entfallen ist. Nebenher denkt die Protagonistin über die Funkstille zwischen ihr und ihrer älteren Schwester nach, zu deren zweiter Niederkunft sie eigentlich unterwegs war, als sie von einem vergesslichen Regisseur zu seiner eigenen Party mitgeschleppt wurde. So weit, so absurd.

Mit einem leider sehr nervigen Schreibstil und einem noch anstrengenderen Satzbild versucht die Autorin und Kabarettistin die Selbstgerechtigkeit, Bösartigkeit und Borniertheit selbsternannter kulturell aufgeschlossener Künstlerkreise der oberen Mittelschicht darstellen. Da darf natürlich das glückliche Paar nicht fehlen, welches ganz "selbstlos" syrischen Flüchtlingen ein gemeinsames Essen anbietet, dann aber doch nichts vom Mitgebrachten essen will, weil "man weiß ja nie, was da so drin ist" und die Familie dann doch eigentlich zu störend und Laut von ihrem Wesen her empfindet. Genauso wenig, wie die Frauen, die sich selbst unglaublich befreit fühlen und von dem Regisseur mansplainen lassen, welcher Frauen eigentlich nur empowern will, dadurch, dass diese nicht in seinen Stücken auftreten dürfen. usw. usf. Leider funktioniert das Kokettieren mit Zweideutigkeiten hier nicht und nie amüsierte ich mich über diese unkonventionell/konventionelle Partygesellschaft. Satire, eine Kunstform, in welche ich diesen Roman einordnen würde, sollte einen Nerv treffen, um Problembereiche amüsant aufzuzeigen und zu hinterfragen. Bei mir konnte der Text jedoch keinen der relevanten Nerven gezielt treffen. Vielmehr hat es einfach nur genervt das Buch zu lesen und ich hätte meine Lesezeit gern anders verbracht. Allein das finale Hineinsteigern in gegenseitige Vorwürfe war annähernd interessant zu lesen.

Von meiner Seite gibt es damit keine Leseempfehlung für dieses Buch. Da kann auch die ansehnliche Covergestaltung und hochwertige Verarbeitung der Buchdeckel nichts mehr ändern. Vielleicht funktioniert der Text ja einfach besser als Kabarettstück.

Veröffentlicht am 24.12.2024

Eine Übersetzung für den Müll?

Vertraute Welt
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Meines Erachtens macht Hwang Sok-Yong etwas unglaublich Wichtiges in diesem Roman aus dem Jahre 2011: Er zeigt das nach außen hin durch Sauberkeit und Ordnung bekannte, vorbildliche Südkorea von seiner ...

Meines Erachtens macht Hwang Sok-Yong etwas unglaublich Wichtiges in diesem Roman aus dem Jahre 2011: Er zeigt das nach außen hin durch Sauberkeit und Ordnung bekannte, vorbildliche Südkorea von seiner schmutzigen Seite. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn er blickt auf eine Kindheit in einem Slum auf der sogenannten "Blumeninsel" einer riesigen Mülldeponie vor den Toren Seouls. Zeitlich ist der Roman in den 1980ern verortet, bevor es zu einer Renaturierung des Gebietes kam und sich damals noch die Arbeitsbrigaden durch Berge von Zivilisationshinterlassenschaften wühlten, um diese zu sortieren. Aber diese Arbeiter*innen lebten dort eben auch mit ihren Familien, wie es noch bis heute überall auf der Welt der Fall ist. Dort lebt nun auch der Hauptprotagonist Glupschaug mit seiner Mutter, dem Stiefvater und dem Stiefbrüderchen. Sie müssen arbeiten und sollen nebenher noch ein normales Leben führen. Aber geht hier Normalität? Zum Glück in der Erzählung von Hwong Sok-Yong schon und das macht diese Lektüre auch etwas heiterer als erwartet.

Grundsätzlich wird aus dieser inhaltlichen Beschreibung schon deutlich, wie ethisch-moralisch wichtig das Thema ist, vor dem niemand seine Augen verschließen sollte. Wovor man bei der Lektüre jedoch am liebsten die Augen verschließen möchte ist die Übersetzung. Ganz ehrlich: Ich glaube noch nie eine so altbackene, verstaubte und über weite Strecken hinweg sogar grandios unpassende Übersetzung gelesen zu haben. Leider kann ich in Ermangelung der sprachlichen Kenntnisse das koreanische Original nicht zum Vergleich lesen, bin mir aber sicher, dass hier in der Übersetzung einiges schiefgelaufen ist. Da werden erzwungene Formulierungen gesucht, prägnante Phrasen auf wenigen Seiten immer wieder wiederholt, obwohl Abwechslung angesagt wäre, und vor allem wird in einer veralteten Art und Weise bagatellisiert. Fast schon hätte ich mich während des Lesens daran gewöhnt, als aber eine Katastrophe über die Deponie und deren Bewohner hineinbricht, wurde es mir definitiv zu viel des Schlechten.

So verliert der Roman leider massiv an erzählerischer Sprengkraft und mich verliert er als interessierte Leserin. Außerdem hätte mir auch eine ausführlichere Nutzung der magischen Elemente, welche aus diesem Kulturkreis durchaus bekannt sind, gefallen. Auch wird eine liebgewonnene Figur einfach aussortiert, wie es nun einmal auf dem Müll der Fall ist, hier aber nicht hätte in dieser Form hingenommen werden müssen. Schade.

Insgesamt handelt es sich hierbei aus meiner Sicht durchaus um einen guten Roman, der dreieinhalb Sterne verdient hätte, jedoch durch die Übersetzung dermaßen an Qualität verliert, dass ich mich für die Tendenz nach unten - und damit nur zwei Sterne - entschieden habe.

Veröffentlicht am 24.12.2024

Wenn zwei chatten ... trotzdem

Trotzdem
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Interessant ist an diesem Büchlein (75 Seiten Text in den Abmessungen 10x15cm!) vor allem die Entstehung des Diaglogs zwischen Ferdinand von Schirach und Alaxander Kluge. Beide Juristen, beide auch Schriftsteller. ...

Interessant ist an diesem Büchlein (75 Seiten Text in den Abmessungen 10x15cm!) vor allem die Entstehung des Diaglogs zwischen Ferdinand von Schirach und Alaxander Kluge. Beide Juristen, beide auch Schriftsteller. Denn sie haben am 30. März 2020 wenige Wochen nach dem Ausrufen des Lockdowns miteinander zum Thema "Grundrechtseinschränkungen zum Schutze der Menschen" miteinander gechattet. Der Text ist in den Vormittag und Nachmittag des genannten Tages eingeteilt und wechselt zwischen Kommentaren von Schirach und Kluge hin und her.

Kurz, knapp und prägnant diskutieren sie die Einschränkungen der Rechte des Volkes im Rahmen einer Pandemiebekämpfung. Meiste wird sich der Ball eher zugespielt, um dann mit eigenem Wissen aufwarten zu können. Eine richtige "Diskussion" entsteht weniger. Es gibt einen knappen geschichtlichen Abriss und historische Denkansätze von philosophischen Größen präsentiert. Das ist durchaus interessant, manchmal aber auch langweilig. Gefühlt springen die Juristen hier zwischen den Themen hin und her, kommen aber schlussendlich doch wieder auf die Grundfrage zurück. So wirkt das Buch weniger wie ein realer Chatverlauf, als vielmehr ein in Ruhe durchdachtes Mini-Projekt in Lockdown-Zeiten. Inwieweit die Nachrichten tatsächlich genauso wie abgedruckt zwischen den beiden verschickt wurden, würde mich wirklich interessieren. Ich würde es beieindruckend finden, wenn Menschen so gebildet und pointiert in Echtzeit schreiben und zitieren können.

Was mich inhaltlich einfach störte, aber an der Stelle schlicht die Meinung von Schirach darstellen kann, und ihm nicht abzusprechen, aber doch zu kritisieren ist, ist ein Kommentar seinerseits zu den "westlichen Werten" in "normalen Zeiten": Diese würden sich in den genannten "normalen Zeiten" "darin erschöpfen, dass wir im Supermarkt zwischen 146 verschiedenen Joghurtsorten wählen können, Oder dass es im Internet für jede erdenkliche sexuelle Verwirrung eine Plattform gibt". Spricht er hier von "sexuellen Verwirrungen" im Sinne sogenannter "sexueller Divianzen" (wie Pädophilie) oder meint er Geschlechtsidentitäten? Das eine oder das andere in einen Topf mit Joghurtsorten zu werfen, finde ich merkwürdig, wenn nicht gar zweifelhaft.

Nun ja, insgesamt gab es schon ein paar Denkansätze zu philosophischen Theorien der Vergangenheit. Einen bleibenden Eindruck konnte das Buch, eineinhalb Jahre nach Veröffentlichung und bei anhaltender Pandemiesituation sowie nach verschiedensten Maßnahmen zur Eindämmung des Virus nicht wirklich bei mir hinterlassen. Es ist jedoch schnell gelesen und schadet zumindest nicht dem Allgemeinwissen. Fraglich bleibt, ob der Text im Format eines Buches wirklich hat veröffentlicht werden müssen, oder ob dieser Diskurs nicht auch in der Form als Beitrag z.B. im ZEIT Magazin hätte erscheinen können. Meines Erachtens hätte dies auch "ausgereicht".