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Veröffentlicht am 10.05.2023

Was der Roman bringt? Keine Ahnung.

Was der Tag bringt
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Felix ist schon vielen berufliche Ideen in seinem Ende 30jährigem Leben nachgejagt. Auch seine letzte Unternehmung, „Wastefood“ ein kulinarisches Experiment mit entsorgten Lebensmitteln, entwickelt sich ...

Felix ist schon vielen berufliche Ideen in seinem Ende 30jährigem Leben nachgejagt. Auch seine letzte Unternehmung, „Wastefood“ ein kulinarisches Experiment mit entsorgten Lebensmitteln, entwickelt sich nicht so, wie er sich das noch vor der Corona-Pandemie überlegt hatte. Wie viele kleine Unternehmen geht auch dieses den Bach hinunter und Felix sieht sich als einzigen Besitz auf die schicke, geerbte Altbauwohnung der Großeltern in Berlin zurückgeworfen. Um weiterhin finanziell über die Runden zu kommen, entscheidet er sich dazu, ab sofort einmal im Monat für acht Tage seine Wohnung an Touristen zu vermieten. In diesen Tagen muss er andernorts unterkommen und erlebt hierdurch die ein oder andere Wendung, grundsätzlich geht es aber tendenziell bergab mit ihm.

Der Plot dieses Romans hat zwei Gedanken bei mir ausgelöst: Zum einen fühlte ich mich zunehmend an Knut Hamsuns „Hunger“ erinnert, ein Nobelpreis-Klassiker, in welchem ein Mann Ende des 19. Jahrhunderts in Oslo umherirrt, versucht zu Geld und Essen zu kommen, es aber immer wieder durch eigene Animositäten verspielt und während er immer weiter in den Strudel von Armut und Hunger gerät, im wilden Galopp auf den Wahnsinn zurennt. Man könnte jetzt denken: Oh, ein Vergleich mit einem Klassiker, dann scheint „Was der Tag bringt“ ja großartig zu sein. Nein, denn hier kommt Zweitens: Ich habe schon „Hunger“ nicht sonderlich gemocht, und so ist es auch mit dem vorliegenden Roman. Die Grundprämisse scheint dieselbe. Ein Mensch, der es eigentlich nicht so ganz nötig hat, kämpft gefühlt überdramatisch ums Überleben in der Großstadt. Ein Plot, der mich zu Beginn noch mitnehmen konnte, hat mich im Verlauf immer mehr verloren. Spätestens wenn Felix nach einigem Auf und Ab – zwischenzeitlich kommt er unverhofft zu unendlichem Reichtum – sich einen High End Outdoor Schlafsack kauft, nur um sich dann bei den obdachlosen Menschen unter einer Fußgängerunterführung einzuquartieren, ist das Maß voll. Zwischendurch, oder eigentlich fast immer, wird wild rumphilosophiert, merkwürdige Metaphern überstrapaziert und leider wenig Ironie an den Tag gelegt. Diese Ironie bzw. etwas mehr Humor wären nötig gewesen, um diese Groteske interessant zu machen. Hier wird der Sinn gesucht und nicht viel gefunden. So verliert sich die Geschichte in anstrengenden Überlegungen, die aber nicht sonderlich anspruchsvoll sind, sondern nur etwas affektiert so wirken, wie hier aus Seite 219:

„Er blies den Rauch in Richtung der unscharfen Verläufe des Wasser. Stundenlang hatte er zugesehen, wie es die Scheiben mit einem Netz aus Rinnsalen überzog. Hatte den Rauch beobachtet, der von der Scheibe abgewiesen wurde. Ohne dass es etwas erzählte. Ohne Sinn. Eine leere Wiederholung, die Realität wurde, weil er sie ohne Unterlass exerzierte. Ohne Grund. Außer der Schönheit. Der nutzlosen Schönheit. Die wuchs, je länger er die Geste wiederholte. Die ihn immer weiter wegtrug von sich selbst. Nur noch Betrachter sein. War das der Sinn? Zeuge einer nutzlosen Schöpfung zu werden? Endlich die Schönheit des Nutzlosen genießen. Sich aus der Sklaverei des Zwecks befreien? Der Zweck, der Sinn simulierte. Ein Manöver, das vom Unwesentlichen ablenkte. Das die Magie verbot. Weil sie die Aufmerksamkeit von der Fremdbestimmung befreite.“

Spätestens an dieser Stelle, verließ mich die Lust auf das Buch. Es ist zwar grundsätzlich solide geschrieben, hat auch an der ein oder anderen Stelle eine kreative Idee, was alles Felix zustoßen könnte – nein falsch, das ist zu passiv, besser: in welche Situationen sich Felix hineinbugsiert, wird sogar mal ein wenig zärtlich, wenn es um die Beziehung zwischen Felix und seinem Vater geht, insgesamt fehlt mir aber eine Aussage. Wie kann ich einen Roman ernst nehmen (denn humoristisch scheint er ja nicht angelegt zu sein), in dem ein Mann vor sich hin leidet, während er , die geneigten Leser:innen wissen es nach wenigen Seiten, einfach nur seine schicke Berliner Altbauwohnung verkaufen müsste, um wieder aus den roten Zahlen zu kommen. Etwas, was er sowieso tun müsste, wenn er Hartz IV – ähm Pardon – Bürgergeld beantragen würde. Doch er schlägt objektiv nie auf dem harten Boden der Realität auf, sondern immer nur subjektiv und wird dabei immer verrückter.

Was der Tag bringt? Was der Roman bringt? Ich weiß es wirklich nicht. Er hält als Momentaufnahmen durchaus das ein oder andere post-pandemische Szenario der mitteleuropäischen Mittelschicht fest, mehr aber auch nicht.

2,5/5 Sterne

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  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.02.2023

Von einer nebulösen Insel und einem heranwachsenden Jungen

Der Inselmann
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Dirk Gieselmann erschafft in seinem literarischen Debüt eine Welt der Natureindrücke in Verbindung mit teilweise selbstgewählter Einsamkeit, welches von poetischer Sprache gekennzeichnet ist und somit ...

Dirk Gieselmann erschafft in seinem literarischen Debüt eine Welt der Natureindrücke in Verbindung mit teilweise selbstgewählter Einsamkeit, welches von poetischer Sprache gekennzeichnet ist und somit das Anliegen des Romans eher nebulös erscheinen lässt.

Der kleine Hans zieht in einer wortwörtlichen Nacht-und-Nebel-Aktion mitten im Winter auf eine einsame Insel mitten in einem See. Dort will der Vater die Aufgabe des Schafhirten übernehmen und die ganze Familie muss mit anpacken. Örtlich und seitlich ist der Roman Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre in der DDR und nun begleiten wir auf den nur 170 Seiten Hans auf seinem gesamten mitunter tragischen Lebensweg.

Das erscheint viel für so ein dünnes Büchlein? Man könnte meinen der Roman sei sehr dicht geschrieben? Das ist aber leider nicht so. Der Autor spielt in seinem atmosphärischen Werk mit vielen Auslassungen und Umschreibungen. Mal ziehen Wochen, mal Jahrzehnte an den Lesenden und auch an Hans vorbei. Das Buch ist so atmosphärisch, dass man schon gar nicht mehr weiß wohin mit dieser ganzen Atmosphäre. Denn Hans‘ Geschichte wird auf so eine überladene Art und Weise poetisch erzählt, dass es einen schon zu erdrücken droht. Fast jeder Satz enthält ein Sprachbild. Fast jede Begebenheit muss eine Metapher angeheftet bekommen. Diese Bilder sind mal gelungen, mal weniger gelungen. Auf jeden Fall würden sie mehr strahlen, wenn sie nur vereinzelt hätten vorkommen dürfen und damit noch stärker hätten herausstechen können. Durch diese angewandte Sprachgewalt gehen die gelungenen Bilder aber meist unter und bleiben nicht hängen.

Zeitweise hat man das Gefühl sich in einem Märchen, einer Sage zu befinden. Das wäre dann auch in Ordnung und man könnte das Buch dementsprechend einordnen. Aber dem Autor scheint es wichtig gewesen zu sein, immer wieder Brotkrumen bezüglich der zeitlich und örtlichen Einordnung in den Text einzuweben. So wirkt das Setting Anfang der 1960er Jahre im noch jungen Staate DDR hochinteressant. Man fragt sich, warum der Vater für seine Familie den Rückzug ins Innere dieses Landes wählt, statt der Flucht nach außen, wie es so viele Bürger dieser Zeit gewagt haben. Aber dieser gesamte Themenkomplex wird weder erklärt, noch wenigsten erneut im Laufe des Romans aufgegriffen. So scheint es letztlich vollkommen irrelevant zu sein, wo und wann sich diese Sage abgespielt hat. Übrigens ebenso nebulös und merkwürdig: Der Umzug auf die Insel wird beschrieben, als handle es sich um einen vollständigen Rückzug aus der Zivilisation. Es wird gesagt, der Schiffer käme erst im Frühjahr mit Proviant etc. wieder. Später wird klar, das Hans aber auch einfach täglich zum Ufer rudern und weiter in die Schule gehen kann. Wie im zu Beginn des Buches beschriebenen Nebel um die Insel herum verschwimmt die Handlung und es bleibt kaum eine Quintessenz übrig. Ich konnte für mich persönlich so gut wie nichts mitnehmen aus dem Roman.

Den Figuren, allen voran Hans, blieb ich fast den gesamten Roman über fern. Erst in der zweiten Hälfte des Buches wurde mein Interesse an seinem persönlichen Schicksal geweckt. Das ist für mich einfach zu wenig, um über den Roman hinweg zu tragen. Und noch einmal: Dabei handelt es sich nur um ein 170-Seiten-Romänchen! Bezogen darauf, dass der Sprachstil Gieselmanns einfach nicht meins war, konnte ich jedoch froh sein, dass die Geschichte so kurz ist.

Letztlich würde ich keinesfalls von einer Lektüre abraten, man sollte sich aber definitiv einen ersten Eindruck über die Leseprobe verschaffen und überlegen, ob man das wirklich gerne lesen mag. Da mich die zwar nicht immer stimmige Geschichte in der zweiten Hälfte etwas mehr mitreißen konnte, runde ich auf 3 Sterne auf und überlasse jedem sein eigenes Urteil über diesen Text.

2,5/5 Sterne

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.12.2024

Was will uns das Buch vermitteln?

Mado
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Selten ist mir ein Buchrückseitentext (die Klappe sagt schon mehr aus) so unpassend und verquer wie bei diesem Buch begegnet. Er muss hier genannt werden und wird später noch auseinandergenommen: "Schluss ...

Selten ist mir ein Buchrückseitentext (die Klappe sagt schon mehr aus) so unpassend und verquer wie bei diesem Buch begegnet. Er muss hier genannt werden und wird später noch auseinandergenommen: "Schluss mit allen Romy Schneiders dieser Welt. Dieser - angesichts von MeToo und Cancel Culture - unkorrekte Roman...". Ja, was erzählt dieser "unkorrekte Roman" denn nun? Er erzählt von einer Mitte 20-jährigen Französin, die schon auf den ersten paar Seiten ihren gewalttätigen Freund erschlägt, in die Heimat flieht, nur um dort in ein alt bekanntes Milieu aus Misogynie, Kriminalität und Drogen einzutauchen und sich letztlich zu verlieren. Zwischendrin gibt es viel Gewalt und Ausbruchsversuche.

Eine richtige inhaltliche Quintessenz, eine Aussage des Romans, lässt sich hier leider überhaupt nicht aus diesem überlangen Text herausdestillieren. Der Roman ist zwar flüssig geschrieben und liest sich durch kurze Kapitel technisch schnell runter. Inhaltlich ist er jedoch massiv langatmig und zirkuliert immer wieder um die Ausbruchsversuche aus alten Verhaltensmustern und gleichzeitig wieder Verfallen in ebendiese einer emotional instabilen Person (Mado). Scheinbar versucht der Autor ein Milieu zu skizzieren, in dem sich frauenverachtendes Verhalten ausbreiten kann und die (scheinbar?) einzige Lösung in steinharten Frauen, die willens sind, selbst Gewalt anzuwenden, besteht. Sprachlich wird auch immer wieder (zu Zwecken der Provokation?) Sprache unter der Gürtellinie ausgepackt, ohne sie zu verorten. In der Mitte des Buches zieht sich das Buch so stark und es geht nur noch um durch Gewalteinsatz Verstorbene, dass ich kurz davor war, es abzubrechen. Es wirkt in diesen Abschnitten eher wie ein verkappter Thriller.

Nun zurück zum bewerbenden Text auf der Rückseite des Buches: Den Satz um Romy Schneider verstehe ich einfach nicht. Tut mir leid. Was dann auch noch MeToo dort zu suchen hat (okay, Macht und Missbrauch gegenüber Frauen ist ein Thema) aber dann auch noch zusammenhangslos "Cancel Culture" in den Ring geworfen wird, ist unklar. Es ergibt einfach keinen Sinn. Ist Blödsinn. Ich zitiere hier mal einen Artikel des NDR, der eine gute Definition liefert: ""Cancel Culture" bezeichnet den Versuch, ein vermeintliches Fehlverhalten, beleidigende oder diskriminierende Aussagen oder Handlungen - häufig von Prominenten - öffentlich zu ächten. Es wird zu einem generellen Boykott dieser Personen aufgerufen." Das hat nichts, aber auch gar nichts, mit dem vorliegenden Buch zu tun. Allein, wenn ich dies schreibe, tendiere ich schon wieder zu nur einer 1-Sterne-Bewertung. Belasse es aber bei den zwei Sternen, einfach nur, weil das Buch flüssig geschrieben ist. (Ein leidliches Argument, ich weiß.)

Also auch wenn das Buch keine Quintessenz/Aussage/Fazit aufweist, so doch meine Rezension: Nicht lesenwert. Punkt.

Quelle: https://www.ndr.de/kultur/kulturdebatte/Cancel-Culture-Was-ist-das-eigentlich,cancelculture108.html

Veröffentlicht am 25.12.2024

Interessantes Thema anstrengend zu lesen

Zwei Jahre Nacht
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Damir Ovčina erlebte seinerzeit selbst als bosnischer Muslim die Belagerung Sarajevos und die Kriegsgreul von Seiten der serbischen Besatzer. Entsprechend hoch war die Erwartung an diesen 750 Seiten umfassenden ...

Damir Ovčina erlebte seinerzeit selbst als bosnischer Muslim die Belagerung Sarajevos und die Kriegsgreul von Seiten der serbischen Besatzer. Entsprechend hoch war die Erwartung an diesen 750 Seiten umfassenden Roman. Es geht um einen jungen Mann im Alter von ca. 17/18 Jahren, der sich durch Zufall im "falschen" Stadteil Sarajevos bei dessen Belagerung befindet und fortan unter den Milizen zu leiden hat. Er erlebt Schreckliches, befreit sich und kämpft fortan im Untergrund.

Grundsätzlich sind die Bestandteile für einen historisch wie auch immer noch aktuell-politisch hochinteressanten Roman gegeben. Leider ist das Buch aus meiner Sicht kaum über diesen Umfang lesbar, da er durchgängig von stakkatohaften Sätzen lebt. Der Ich-Erzähler beschreibt die Geschehnisse in Form seiner Tagebucheinträge, welche über die ersten 100 Seiten hinweg sogar nicht einmal aus Hauptsätzen sondern vorwiegend aus durch Punkte getrennte Stichpunkte besteht. Selbst im etwas besser lesbaren Mittelteil bleibt es bei besagten stakkatohaften Hauptsätzen wie hier: "Wir laufen hintereinander mit eingezogenen Köpfen. Wir springen in den Geschäftsraum im Erdgeschoss. Aus dem Haus ein Maschinengewehr. Auf der anderen Seite explodiert etwas. Vom Jüdischen Friedhof her häufig etwas Schweres. Wir stellen Säcke mit Erde auf." usw. usf. Ich habe aufgrunddessen über weite Strecken den Text nur überfliegen können, da mir eine emotionale Verbindung zum Schicksal des Protagonisten, zum Schicksal der Bewohner Sarajewos und selbst zum Bosnienkrieg an sich, dadurch vollkommen genommen wurde. Ich habe außerdem wenig über die Zusammenhänge des Konflikts erfahren, da es sich um rein minutiöses Heruntererzählen von Erlebnissen dieser einen Person handelt. Dort gibt es kaum Gedankengänge, Überlegungen, Gefühle.

Leider, leider konnte mir dieser hochgelobte Roman den Bosnienkrieg und den Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen, welcher bis heute anhält, nicht erklären oder zumindest näher bringen.

Veröffentlicht am 24.12.2024

Bitte alles, was in diesem Roman nicht mit Pink Floyd zu tun hat, streichen!

Die Kinder hören Pink Floyd
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Der Journalist Alexander Gorkow schreibt in diesem Roman über sein eigenes 10jähriges Ich, welches in einer Vorstadt Düsseldorfs mit Vater, Mutter und herzkranker 16jähriger Schwester in den 1970er Jahren ...

Der Journalist Alexander Gorkow schreibt in diesem Roman über sein eigenes 10jähriges Ich, welches in einer Vorstadt Düsseldorfs mit Vater, Mutter und herzkranker 16jähriger Schwester in den 1970er Jahren aufwächst. Der Roman zirkuliert dabei immer wieder um die Verbindung zwischen dem Jungen und der Schwester, welche ihn zum Pink Floyd-Fan macht und mit ihm die Titel und Alben dieser Jahrhundertband analysiert. Aber auch (zu) viele Alltagssituationen der 70er werden aus der Perspektive des kindlichen Hauptprotagonisten geschildert. Zuletzt gehts noch in die Gegenwart zu einem Gespräch mit Roger Waters - wer sich fragt: Der Durchgedrehtere von den beiden noch lebenden Sängern Pink Floyds. Syd Barrett lass' ich (und auch Gorkow) dabei mal gekonnt unter den Tisch fallen - war auch vor Gorkows Pink Floyd-Zeit...

Was finde ich gut an diesem Roman? Alle Passagen, die sich um die Songs und Alben der Band drehen, sowie die Darstellung von Musikrezeption als solcher. Der Journalist Gorkow versteht sich hervorragend darauf, diese Themen auseinanderzunehmen und für die Lesenden leicht verdaulich und verständlich wieder zusammen zu setzen. Es ist ein Genuss in den Liedtexten zu schwelgen und sich die Tonexperimente vorzustellen. Sofort bekommt man dabei Lust, die Floyd-Sammlung wieder aufzulegen - keine Frage. Und trotzdem hat dieses Buch für mich so viele Schwächen, dass ich es ab ungefähr Seite 50 kaum noch ertragen konnte und es am liebsten abgebrochen hätte. Das liegt vornehmlich an der kindlich-hochnaiven Erzählperspektive eines 10jährigen Jungen. Das kann man mal für die ersten Seiten machen, gut, aber doch bitte nicht über das (fast) gesamte Buch hinweg. Was zum Beispiel Hape Kerkeling in seinem "Der Junge muss an die frische Luft" herrlich beherrscht und auch sehr amüsant zu lesen ist, wird im vorliegenden Roman einfach nur zu einer Nervensache. Selten hat mich eine Erzählstimme so abgestoßen. Wenig fand ich dabei witzig oder auch nur leicht amüsant. Wenn Elke Heidenreich von diesem Roman schwärmt und Passagen verkürzt und pointiert zum besten gibt, klingt das viel begeisterungswürdiger als es sich dann tatsächlich liest. Die Pointen verpuffen leider beim Lesen und können nicht zünden. Auch das Flair der 70er versucht Gorkow zwar auf Papier zu bannen, kann dies auch teilweise transportieren, nur nervt es einfach nur noch, wenn mir zum zehnten Mal die Herstellermarke der damaligen Schulbänke präsentiert wird. Vielleicht liegt es am Fachbereich, denn bei der Schilderung der heimischen Musikanlage erschien mir dies interessant, ausgewogen und präzise.

Inhaltlich ist es meines Erachtens außerdem ein Mangel, dass der Erzählstrang um die contergangeschädigte, herzkranke Schwester einfach so fallen gelassen wird. Es gibt am Ende des Buches nur einen kurzen Halbsatz zu ihrem Verbleib. Aufgrund der bedeutsamen Rolle der Schwester für die Prägung des Jungen erscheint dies ihr einfach nicht gerecht zu werden. Neben der erkrankten Schwester scheint es außerdem in diesem Buch vor "Behinderten" und "Gestörten" nur so zu wimmeln. Annähernd jede noch so für den Plot unwichtige Person hat irgendein Defizit - körperlich oder psychisch - was meist mehr als nur erwähnt, sondern ausführlichst besprochen werden muss. Was der Autor damit bezweckt, außer darzulegen, dass wir alle unperfekt sind, bleibt fraglich.

Insgesamt kann ich also leider nicht zum Kauf des Buches raten, wenngleich die Ausgabe mit der Covergestaltung schön anzusehen und in sich stimmig ist. Wer Pink Floyd-Fan ist, braucht das Buch nicht, um sich eine Platte zu schnappen und ihre Genialität zu erkennen. Dafür lohnt es sich nicht, sich durch die gefühlt endlosen 186 Seiten zu kämpfen. Platte auflegen, Augen schließen und genießen. Damit ist die begrenzte Lebenszeit sinnvoller genutzt. Tick-Tack. "Time", ihr wisst schon...