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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.03.2023

Gedankenlabyrinth

Das Vorkommnis
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Eine Schriftstellerin (die wie die meisten Figuren im Buch namenlos bleibt) trifft nach einer Lesung auf die Frau, die sich als ihre Halbschwester vorstellt. Dieses Vorkommnis löst Fragen in ihr aus: über ...

Eine Schriftstellerin (die wie die meisten Figuren im Buch namenlos bleibt) trifft nach einer Lesung auf die Frau, die sich als ihre Halbschwester vorstellt. Dieses Vorkommnis löst Fragen in ihr aus: über Familie, Vergangenheit, ihr eigenes Leben.

Julia Schoch beschreibt in diesem autofiktionalen Roman gekonnt die Gedankenwelt der Ich-Erzählerin. Das meisterhafte Sprachgefühl der Autorin sorgt dafür, dass sich die knapp 200 Seiten flüssig und mit Genuss lesen lassen.

Das Buch zeigt anschaulich, was eine flüchtige Begegnung alles bewirken kann und ich bin gespannt den Gedankengängen gefolgt, nicht zuletzt weil ich selbst gerne alles bis ins kleinste Detail zerdenke.
Nach und nach wird alles immer weiter infrage gestellt und die Gedanken werden immer abstruser; es kommen Zweifel an ihr selbst, der eigenen Familie, sogar der Wahrheit an sich, auf.

Dies ist auch meine größte Kritik: Irgendwann war ich an einem Punkt, an dem ich die Protagonistin gerne durchgerüttelt hätte. Sie stand sich selbst dermaßen im Weg und statt alles jahrelang zu überdenken, hätte ich mir gewünscht, dass sie endlich mit den anderen Personen spricht und tätig wird, um ihre Fragen zu beantworten.
Und auch wenn es ein kurzweiliges Vergnügen war, mit ihr durch das Gedankenlabyrinth zu irren, hätte ich etwas mehr Handlung vorgezogen.

Dies ist der erste Teil einer Trilogie und trotz meiner Kritik werde ich die anderen Bände noch lesen - schon allein um des Schreibstils willen.

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Veröffentlicht am 25.12.2024

Viele tolle Ansätze, wenige Emotionen

Die Tage des Wals
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“Die Tage des Wals” bietet eigentlich alles, was ich an einem guten Roman schätze: ein naturnahes Setting, eine Frauenfigur, die ihrer Zeit voraus ist, historische Ereignisse als Hintergründe. Der Schreibstil ...

“Die Tage des Wals” bietet eigentlich alles, was ich an einem guten Roman schätze: ein naturnahes Setting, eine Frauenfigur, die ihrer Zeit voraus ist, historische Ereignisse als Hintergründe. Der Schreibstil ist dabei sowohl rau wie das Leben auf der Insel, als auch behutsam und malerisch.
Dennoch war es mir von allem zu wenig; ich hatte große Probleme, Zugang zu den eigentlich interessanten Charakteren zu finden. Sie waren für mich nicht lebendig genug, um Emotionen für sie zu fühlen. Dies gilt sowohl für Manod, als auch für alle Nebencharaktere, die nur schemenhaft gezeichnet werden. Dabei hätte die Geschichte an sich genug Potential, um eine Reihe von Gefühlen zu erzeugen.
Dazu habe ich mich am Ende gefragt, was die Autorin mit dem Buch eigentlich erzählen möchte. Es wird so vieles thematisiert, aber nichts davon wirklich ausformuliert.
Dennoch war es interessant, etwas über die abgeschiedenen walisischen Inseln und ihre Bewohnerinnen zu erfahren - denn der Schauplatz ist zwar fiktiv, aber angelehnt an wirklich existierende Inseln, die in der Vergangenheit von Wissenschaftlerinnen absolut realitätsfremd dargestellt wurden. ⭐️3/5⭐️

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Veröffentlicht am 20.12.2024

Lyrischer Schreibstil übedeckt den Inhalt

Auf Erden sind wir kurz grandios
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Der ganze Roman ist in Briefform verfasst und richtet sich direkt an seine Adressatin: “Ma”. Doch diese wird ihn nie lesen und so schreibt unser Protagonist schonungslos ehrlich.
Der Stil ist dabei eine ...

Der ganze Roman ist in Briefform verfasst und richtet sich direkt an seine Adressatin: “Ma”. Doch diese wird ihn nie lesen und so schreibt unser Protagonist schonungslos ehrlich.
Der Stil ist dabei eine Verschmelzung von Prosa und Lyrik und die zarten, mit Bedacht gewählten Worte stehen im direkten Kontrast zum expliziten, gewaltvollen Inhalt und lassen diesen somit noch härter wirken.
Stilistisch ist dieser Roman also wirklich eine Wucht und ich möchte neben dem Können des Autors definitiv auch die Arbeit der Übersetzerin, Anne-Kristin Mittag, loben.

Leider konnte der Inhalt mich nicht ganz abholen. Durch die kunstvoll arrangierten Sätze ging oft der Lesefluss verloren, wodurch ich mich weder den Figuren annähern, noch gut der Handlung folgen konnte und kaum Emotionen empfunden habe. Das gipfelte darin, dass ich das Buch stellenweise am liebsten weggelegt hätte und nur noch zum Ende kommen wollte.

“Auf Erden sind wir kurz grandios” ist ein Roman, den ich wirklich lieben wollte, dessen Aufbau zwar originell, mir persönlich aber zu künstlerisch gewollt ist. Empfehlen würde ich ihn Leser*innen von Lyrik, die keine Probleme mit expliziten Gewaltdarstellungen an Mensch und Tier haben. ⭐️3/5⭐️

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Veröffentlicht am 04.12.2024

Verstörend und mutig

Die Vegetarierin
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Der Klappentext verspricht ein verstörend hypnotisierendes Buch und genau das ist es, was man bekommt. Han Kang erzählt die Geschichte einer Frau, die nach und nach aus dem Patriarchat ausbricht und allen ...

Der Klappentext verspricht ein verstörend hypnotisierendes Buch und genau das ist es, was man bekommt. Han Kang erzählt die Geschichte einer Frau, die nach und nach aus dem Patriarchat ausbricht und allen Meinungen zum Trotz zur Pflanze werden will.
Dabei kommt die Protagonistin Yong-Hye selbst gar nicht zu Wort, wir lernen sie einzig durch die Perspektiven ihrer Familienmitglieder kennen. Dieses Stilmittel finde ich interessant und gut gewählt in Bezug auf die behandelten Themen Selbst- und Fremdbestimmung.
Viel verstörender als ihre Metamorphose waren aber die kaum zu ertragenden frauenfeindlichen Gedanken und Handlungen, die Bevormundung, ja fast Entmenschlichung, Yong-Hyes durch andere, ich habe beim Lesen die ganze Zeit gehofft, dass sich in Südkorea seit dem Erscheinen 2007 etwas getan hat. Dahingehend ist “Die Vegetarierin” definitiv ein Augen öffnendes, kontroverses und wichtiges Werk.
Dennoch tue ich mich schwer mit der Bewertung dieses Buches. Mir persönlich gibt es zu viele unbeantwortete Fragen, zu viel Deutungsspielraum, der ganze Metamorphosenteil war mir zu absurd. Aus dem Ende wurde ich nicht richtig schlau.
Der schlichte, aufs Wesentliche reduzierte Schreibstil hat mir aber sehr gut gefallen und seine Wirkung erzielt: mich in seinen Bann gezogen. ⭐️3/5⭐️

*Übersetzt von Ki-Hyang Lee

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Veröffentlicht am 02.12.2024

Spannende Grundidee mit Schwächen

Reality Show
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“Reality Show” besteht aus kurzen, rasanten Szenen. Die vielen Zeit- und Perspektivwechsel sorgen zusätzlich für Dynamik und so lesen sich die gut 400 Seiten schnell weg.
Es gibt allerdings unübersichtlich ...

“Reality Show” besteht aus kurzen, rasanten Szenen. Die vielen Zeit- und Perspektivwechsel sorgen zusätzlich für Dynamik und so lesen sich die gut 400 Seiten schnell weg.
Es gibt allerdings unübersichtlich viele Sichtweisen: neben den zehn Geiseln und ihren Angehörigen lernen wir Zuschauerinnen der Show besser kennen, ebenso wie Ermittlerinnen und natürlich die Mitglieder der Gruppe, die den ganzen Coup planen und durchführen (und außerdem neben ihren Klarnamen noch Decknamen haben, die zusätzlich für Verwirrung sorgen). So kann man zu keinem der Charaktere wirklich eine Beziehung aufbauen, denn sie wirken alle eher einseitig beleuchtet und ihre Geschichten werden nur oberflächlich angedeutet.
Selbst die Taten der Geiseln, für die sie in der Show verurteilt werden, werden nicht alle genannt.

Ganz unverblümt übt Anne Freytag in ihrem Roman Gesellschaftskritik aus; die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer, die Politik immer rechter, die Justiz immer willkürlicher. Außerdem beleuchtet sie die Unterschiede und jeweiligen Vorteile von Selbstjustiz und Rechtsstaat.
Oft wurde dabei für meinen Geschmack zu voreingenommen und unkritisch gedacht. Auch die Geiselnehmer*innen und ihre (definitiv kriminellen) Taten wurden sehr glorifiziert, ihre Selbstjustiz zu positiv und sie selbst als Helden dargestellt.

Zusammenfassend beleuchtet “Reality Show” ein interessantes Gedankenexperiment, welches in der Realität wohl nicht ganz so gut funktionieren würde, aber als fiktives Werk gut für Spannung sorgt. Die Glorifizierung von Straftaten sowie die vielen Figuren, die lieblos abgehandelt werden, haben mir jedoch nicht gefallen. ⭐️3/5⭐️

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