Profilbild von galaxaura

galaxaura

Lesejury Profi
offline

galaxaura ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit galaxaura über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 26.12.2024

Ein vielleicht nicht lösbarer Konflikt

American Mother
0

„American Mother“, von Colum McCann und Diane Foley, erschienen 2025 bei Rowohlt, beschäftigt sich mit der Entführung, Geiselhaft und Hinrichtung des Kriegsjournalisten James Wright Foley in Syrien 2012-2014 ...

„American Mother“, von Colum McCann und Diane Foley, erschienen 2025 bei Rowohlt, beschäftigt sich mit der Entführung, Geiselhaft und Hinrichtung des Kriegsjournalisten James Wright Foley in Syrien 2012-2014 – und vor allem mit dem emotionalen Kollateralschaden, den diese Entführung bei seiner in den USA zurückbleibenden Familie und hier insbesondere seiner Mutter Diane, der Co-Autorin des Buches, anrichtet.

McCann hält sich schriftstellerisch weitestgehend zurück und versucht, so scheint es, vor allem Diane Foley eine Stimme zu geben für diese Geschichte, die deren Leben in den letzten 15 Jahren vollkommen bestimmt hat. Das ist einerseits ein sehr nobler Zug von McCann, andererseits hätte dem Buch mehr Außenperspektive und analytische Einordnung sehr gutgetan.

Der Fall erzeugte seinerzeit großes öffentliches Interesse aufgrund eines viral gehenden Videos, in dem die Enthauptung Foleys als tragisches Finale seiner Entführung und Geiselhaft live dokumentiert wurde. Die Familie erfuhr von diesem Video durch Journalisten mit Interviewanfragen – eine Situation, die ganz sicher niemand so erleben sollte.

In „American Mother“ folgen wir über knapp 270 Seiten dem Erleben, der Erinnerung und den Gedanken und Fragen von Diane, der Mutter von James, und ihrem Hadern mit dem Handeln oder besser Nicht-Handeln der amerikanischen Regierung. Sie stellt vehement die moralische Frage, wer für zivile Journalisten, die sich als Freelancer in Kriegsgebiete begeben, um von dort zu berichten, Verantwortung übernehmen sollte und inwiefern es Aufgabe des Staates ist, hier schützend eine Hand über diesen Personenkreis zu halten.

Ausgang und Endpunkt des Buches ist eine Begegnung von Diane mit Alexanda Kotey, einem der Entführer von James, in der sie einerseits versucht, mehr Erkenntnis über die Motive der Entführer und James Zeit in der Geiselhaft zu gewinnen, andererseits in sich danach sucht, ob sie einen Weg finden kann zu vergeben. Diane ist äußerst christlich geprägt und ihr Glauben ist für sie eine wichtige Richt- und Halteschnur im Leben. Diese starke Gläubigkeit hat mich im Verlauf des Buches schon an Grenzen meiner eigenen Toleranz geführt, in Momenten, in denen Diane beispielsweise die Frage, ob James beten konnte, vor die Frage, ob er genug Nahrung bekam, stellt, konnte ich nicht mehr folgen. Andererseits eine attraktive Ausgangsituation, dass sich hier letztlich zwei fanatisch gläubige Systeme gegenüberstehen, die nur unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Dass dieses Fakt nicht ein einziges Mal analysiert und reflektiert wird, ist für mich ein großes Manko des Buches.

Diane stellt heraus, wie sehr sie die Zeit, die James in der Geiselhaft verbringt und ebenso die Zeit danach, versucht, möglichst keine Gefühle zu zeigen und die Fassung zu bewahren. Mich hat das verwundert, was mag ihr so wichtig daran sein, woran liegt es, dass sie Emotionalität so verdammt? Gerne hätte ich mehr über Dianes Leben erfahren, um ihre Reaktionen und ihren starken Glauben besser einordnen zu können, doch leider erfahren die Leser:innen hier nur sehr wenig.

Die Schilderung des Treffens ist sachlich und aus einer Monoperspektive. Komisch finde ich aber, wie wenig wir letztlich erfahren. Beim ersten Treffen, das über 5 Stunden geht, werden uns eigentlich nur wenige Sätze erzählt. Was geschah noch? Diese große Ellipse stört mich. Wie wurde überhaupt dokumentiert? Hat Diane aus ihrer Erinnerung erzählt? Hat sie Notizen gemacht? Gibt es Transkripte, die dem Autor zur Verfügung standen? Hierzu bekommen wir keine Informationen, auch nicht in den Danksagungen, was ich persönlich leider etwas unseriös finde. Über den Fall gibt es auch eine umfangreiche Dokumentation, hier können wir entdecken, dass zumindest einige der Äußerungen und Gedanken, die Diane James zuschreibt, aus Interviews mit und Reden von ihm stammen.

Zwischen diesen beiden Treffen wird das Leben James, seine Entführung (es war schon die zweite, eine Entführung in Libyen ging voraus) und die Reaktion seiner Familie darauf geschildert. Schriftstellerisch fand ich das sehr dicht und gelungen, McCann findet eindrückliche Sprachbilder für die zugrundeliegende Atmosphäre („In der Küche war sogar die Luft aufgewühlt“, S. 61, nur als Beispiel). Womit ich insgesamt jedoch kämpfe ist die für mich ungeklärte Frage, welche Anteile des Textes liegen eher im Denken des Autors, welche eher im Denken von Diane? Da bin ich mir an vielen Stellen nicht so sicher, ich persönlich mag es, wenn so etwas deutlich wird, beispielsweise durch eine andere Schriftart. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man es als Autor verhindern kann, auch mit den eigenen Analysen und politischen Haltungen mit in so ein Buch einzufließen.
Ich fand es interessant zu lesen, wie sehr auch die krassesten Zustände im Leben irgendwann Gewohnheit werden. Wann hört die Hoffnung auf, hört sie überhaupt auf? Und wie es einen dann doch kalt erwischt, wenn das Schlimmste wahr wird, auch wenn man damit rechnen musste. Was mich gewundert hat, was aber wahrscheinlich doch typisch Amerikanisch ist, ist die politische Blauäugigkeit der Familie. Dass das Leben von Geiseln in der globalen und nationalen Politik keine Priorität hat, ist absolut offensichtlich – das ist im europäischen Kontext auch nicht zwingend anders, hier fußt nur alles auf einer etwas anderen politischen Grundhaltung. Aus Staatslogik ist das auch vollkommen einleuchtend, eine Regierung muss das Gemeinwohl und die langfristigen politischen Interessen immer über die einzelne Person und das Individualschicksal stellen. Vollkommen naiv, hier etwas anderes anzunehmen, darum verblüfft mich das wirklich. Interessant ist aber in dem Kontext der starke Eingriff in die Persönlichkeitsrechte (die Regierung verbietet der Familie, selbst tätig zu werden), da frage ich mich, auf welchem Passus in der Verfassung das beruhen mag. Und die Hörigkeit dem gegenüber, welche strafrechtlichen Konsequenzen das haben könnte, würde ich ja immer erstmal prüfen. Spannend, dass diese Debatte scheinbar gar nicht aufkam.

Diane wirft der amerikanischen Regierung massiv vor, nicht versucht zu haben, James zu retten. Sie stellt in Frage, warum sich um Soldaten anders gekümmert wird als um zivile Kräfte. Letztlich macht Diane aber auch gar nichts anderes als die Regierung: Sie stellt ihre eigenen Interessen ins Zentrum des Geschehens. Was ich sehr gut nachvollziehen kann, diesen Schmerz zu erleben, ist die größte Angst aller Eltern würde ich sagen. Aber mir fehlt hier die Reflektion, auch über das, was die USA an vielen Orten der Welt militärisch anrichten. Grundsätzlich nimmt man staatlich mit dem Einmischen in Fremdkonflikte Tod in den Kauf und der Tod ist abstrakt in dem Fall und nur eine Opferzahl. Soldat:innen haben auch strategisch-taktisches Wissen, wenn sie gefoltert werden, droht also deutlich mehr, als wenn Zivilist:innen in Geiselhaft geraten. Ich denke, das ist der einzige Hintergrund, warum dort mehr reagiert wird. Insgesamt kümmern sich alle Gesellschaften viel zu wenig um die Kollateralschäden in der Bevölkerung, die Auslandseinsätze hervorrufen. Soldat:innen sind hierbei aber Angestellte des Staates, also muss dieser sich erneut rein logisch anders um sie kümmern als um Zivilist:innen.

„American Mother“ heißt das Buch – und genau als solche zeigt sich Diane für mich auch: Politisch naiv – aber sehr schützend und kämpferisch. Ihr Patriotismus ist eher eine Begründung bei der Suche nach individueller Hilfe. Großen Respekt habe ich vor ihrer Lösungsstrategie: Sie gründet eine Stiftung, die sich seither aktiv für in Geiselhaft geratene Menschen im Ausland einsetzt und schon viel bewirkt hat. Davor kann man nur den imaginären Hut ziehen.

Diane spekuliert sehr viel über Jims Zeit in der Geiselhaft und bastelt sich aus den Berichten seiner Mitinsassen und den spärlichen Puzzlestücken, die sie erhält, ein Märtyrerbild. Das liegt in ihrem Glauben nahe, das ist psychologisch verständlich. Unerträglich für mich die Schilderung der Hinrichtung auf Seite 171, das fiktive Pathos, mit dem Diane das unterlegt, eben „der Märtyrer“ der sich für alle richten lässt, aber Licht schickt.
Sie beschreibt sehr viele Gedanken von Jim, ganz generell, es ist leider erneut nicht ersichtlich, was davon ist dokumentiert? Was erfindet ihr Mutterkopf? Ich vermute sehr viel.
Ich hätte mich hier über mehr ersichtlichen dokumentarischen Anteil gefreut, das ist eine Konzeptentscheidung, die man so treffen kann, mich holt das literarisch und inhaltlich so nicht ab. Ich habe zunehmend das Gefühl, mich in einer doppelten Heiligengeschichte zu befinden, in der Diane Jim und auch sich selbst inszeniert. Immer wieder überhöht sich Diane, nie tut sie etwas aus selbstbezogenen Motiven, immer auch für andere, immer voller Moral und Gemeinsinn. Ihre Beschreibung der Arbeit von Politik und Staat ist rein interpretierend. Immer wieder vergleicht sie Äpfel mit Birnen, z.B. die Entführung eines hochrangigen Politikers (also Staatsangestellten in Führungsposition) mit Jim – und dafür gibt es viele andere Beispiele. Ich habe mir sehr oft neben Stellen geschrieben „Ist das denn so?“
Letzten Endes beschwert sie sich auch über das viele Geld, das die Prozesse verschlingen. Hätte man die Täter also nicht festnehmen sollen? Und wenn doch: Wie hätte man mit ihnen umgehen sollen? Unrecht? Später verweist sie stolz darauf, dass sie nicht in Guantanamo gelandet sind und betont das großartige US-Rechtssystem. In dem es Guantanamo aber gibt. Unrecht kann nicht mit Unrecht aufgewogen werden, my opinion.
Was auch hart, aber wahr ist: Manchmal braucht es einen ersten Fall, an dem man lernt. Es ist gut für viele Menschen, dass Diane sich so einsetzt für die Rechte von Geiseln. Dafür hat sie auch meinen vollen Respekt. Und es ist sehr schmerzhaft, dass es für das eigene Kind nicht funktioniert hat. Aber vielleicht ist das Kind auch der Präzedenzfall, der Fall, der geschehen musste, damit es danach nicht mehr so geschieht. Das würde mir zugegeben auch nicht viel weiterhelfen, ist aber dennoch oft im Leben leider so.

Was auch noch deutlich wird in diesem Buch ist, wie klar James wusste, was er tat und wie sehr ihn letztlich die Abenteuerlust zog. Er selbst sagt, dass man ein Menschenleben nicht für einen Beruf opfern sollte. Und hat dennoch bewusst genau das getan. Es bleibt tragisch, dafür dann zu sterben. Es bleibt Unrecht. Aber seine Hand war schon sehr wissend mit im Spiel. Weshalb ich Dianes Vorwürfe einfach nicht so ganz teilen kann. Ich glaube, die eigentliche Hand, die Diane reichen müsste, wäre die an ihren Sohn. Für ihren Seelenfrieden muss sie ihm vergeben und ihm zugestehen, dass er das Recht hatte, selbst über sein Leben zu entscheiden.

Dieses Buch final zu bewerten ist sehr schwierig, weil es einen mit vielen Fragen an die eigene Ethik und Moral konfrontiert und die Bewertung unter Umständen massiv abhängig ist von den eigenen Urteilen, die wir fällen. Eine schriftstellerische Bewertung erscheint mir dagegen kaum möglich, weil ich den Eindruck habe, der Autor verschwindet bis auf wenige Stellen weitestgehend im Hintergrund, er geht in Diane auf. Sie formuliert in der Danksagung, er wäre ein Freund geworden – für mich stellt das ein Problem dar, denn diese Haltung ist einem Sachbuch oder auch einer Biografie nicht dienlich. Dem Buch fehlen Fokus und Einordnung, es fehlt an Reflektion und Objektivität. Der zugrundeliegende Fall und die ethischen Fragen, die dieser aufwirft, sind sehr spannend. Aber insgesamt konnte mich das Buch leider nicht überzeugen. Es bleibt daher für mich bei 3 Sternen und der Empfehlung, sich zusätzlich unbedingt die Doku „Jim Foley – Die Realität des Terrors“ begleitend anzuschauen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.12.2024

Ein Klassiker der phantastischen Literatur

Die unendliche Geschichte
0

„Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende ist ein Klassiker, der auch in einem Re-Read nach 40 Jahren noch mit einigen Pluspunkten aufwarten kann, auch wenn insgesamt der pädagogische Unterton aus der ...

„Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende ist ein Klassiker, der auch in einem Re-Read nach 40 Jahren noch mit einigen Pluspunkten aufwarten kann, auch wenn insgesamt der pädagogische Unterton aus der heutigen Sicht heraus doch sehr überschaubar ist.

Die unendliche Geschichte noch einmal zu lesen ist wie eine Reise in meine Kindheit. Die Geschichte als solche ist absolut zeitlos, es gibt wenige Punkte, an denen ich denke, ah, da merkt man die Entstehungszeit – und das betrifft tatsächlich vor allem das Erzähltempo. Die Spannung ist genauso hoch wie ich sie erinnere. Bastian Balthasar Bux, in seiner Welt ein gemobbtes Kind, stiehlt aus einem Impuls heraus in einem Buchladen ein besonderes Buch und verdrückt sich damit auf den Dachboden seiner Schule. Je weiter er liest, desto mehr verbindet sich seine Realität mit der des Buches, dem Land Phantasien, in dem die kindliche Kaiserin erkrankt ist und nur durch einen neuen Namen gerettet werden kann – doch der muss ihr von einem Menschen gegeben werden, nicht von einem phantastischen Wesen. Bastoian, der in seiner Welt mit einem depressiven, alleinerziehenden Vater und ohne wirkliche Freunde lebt, erkennt schnell, dass er hier vielleicht helfen könnte – wüsste er doch nur, wie er nach Phantasien gelangen kann. Was mir als Kind natürlich nicht klar war, ist das doppelte Spiegelmotiv (Vater, kindliche Kaiserin / Bastian, Atréju) oder die so klar lesbare Depression des Vaters. Das ist clever gemacht, wenn auch sehr offenkundig, aber auf jeden Fall funktioniert es. Das Worldbuilding ist super, obschon es von Andeutungen lebt und vieles nicht ausformuliert ist. Ende lässt sich da viel Spielraum für Folgebände – die leider nie erschienen sind, immer wieder fällt der Satz „Doch das ist eine andere Geschichte, die ein anderes Mal erzählt werden soll“. Die Charaktere sind toll und der Mut zum Herzenbrechen auch, die Geschichte nimmt immer wieder überraschende Wendungen. Gut auch, wie Ende die Emotionen über seine Charaktere wieder einfängt. Der Wechsel und die Parallelität der Welten funktioniert für mich sehr gut und hält die Lesenden bei der Stange. Ganz spannend, dass auch in diesem Buch schon der Gedanke der Übergenerationalität liegt, also diese Idee, dass die Kinder die Welt der Alten retten. Ist ja gerade auch wieder sehr aktuell.

Im weiteren Verlauf des Buches spürt man das Alter schon inhaltlich etwas, viele Parabeln sind sehr offenkundig. Vor allem aber mutiert Bastian nach einem starken Einstieg zu einem absoluten Unsympathen – was natürlich einen moralischen Grund hat, aber in einer Ausführlichkeit erzählt wird, die mich nach der Hälfte des Buches verloren hat, zu klar war, wohin die Reise gehen wird und zu lange hat es gedauert bis zur Auflösung. Auch die grundsätzliche Darstellung einer schwachen, mädchenhaften Kaiserin, die immer wieder in ihrem Leben einen starken männlichen Helden braucht, damit sie und das Land gerettet werden können, ein Held, der ihr einen neuen Namen aka eine neue Identität gibt, puh, das ist schon feministisch schwer zu ertragen. Wie auch generell die vorgestellten Konzepte von Männlichkeit.

Die moralischen Themen sind grundsätzlich richtig und zeitlos wichtig, zu viel Macht zieht Einsamkeit nach sich, jeder erfüllte Wunsch gebiert einen neuen Wunsch, ein Wunsch ist nur ein Wunsch, aber nur Ziele haben eine Richtung, such dir deine Freunde und Verbündeten weise aus und hinterfrage, ob sie deine Macht wollen oder dein Herz mit dir tragen, usw. – es ist eine lange Liste von Lebensweisheiten, die das Buch völlig zu Recht anspricht. Insgesamt hätten es für mich 150 Seiten weniger sein dürfen, Ende schafft es irgendwann nicht mehr, seine vielen Ideen zu filtern und bringt sie alle unter. Das stellt seine große Phantasie unter Beweis, aber für das Storytelling wäre weniger mehr gewesen. Insgesamt ist das Buch sehr klassisch nach der Heldenreise konstruiert, was es trotz der kleinen Überraschungen etwas durchsichtig macht.

Ein Traum die tollen Illustrationen im Buch, jede ein Genuss, wie überhaupt die optische Aufbereitung. Das Zurückkehren von Bastian ins alte Leben und dort die Versöhnung mit seinem Vater und seinem Dasein – aus realistischer Perspektive sehr unbefriedigend, selbst für ein phantastisches Buch. Könnte mensch so Probleme lösen, es wäre ja wunderbar, aber irgendwie führt so ein Ende Menschen und gerade Kinder ja eher an der Nase herum. Ganz schön, dass der alte Buchladenbesitzer selbst einst auf Bastians Mission und Position unterwegs war. Aber insgesamt lässt mich das Buch doch unbefriedigt zurück. Ob es daran liegt, dass ich inzwischen ein ganzes Leben weiter bin als bei der Erstlektüre oder doch daran, dass hier insgesamt mit zwar viel Phantasie, aber von der Aussage her doch recht dürftig erzählt wird – schwer zu sagen. Es war dennoch spannend, noch einmal nach Phantasien zu reisen, und den Klassikerstatus hat das Buch schon noch verdient.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.11.2024

Und wenn wir doch einfach losfliegen würden?

When Women were Dragons – Unterdrückt. Entfesselt. Wiedergeboren: Eine feurige, feministische Fabel für Fans von Die Unbändigen
0

„When Women Were Dragons“, der neue Roman von Kelly Barnhill, auf Deutsch erschienen 2024 bei Cross Cult, bringt uns dem Matriarchat einen kleinen Schritt näher und zeigt dabei in einer nur scheinbar phantastischen ...

„When Women Were Dragons“, der neue Roman von Kelly Barnhill, auf Deutsch erschienen 2024 bei Cross Cult, bringt uns dem Matriarchat einen kleinen Schritt näher und zeigt dabei in einer nur scheinbar phantastischen Geschichte, in was für einer Fesselung weiblich gelesene Menschen in der heutigen Welt jeden Tag nach wie vor stecken.

Alex Green wächst als junges Mädchen in einem eindeutig patriarchalen System auf, in der ihre Zukunft klar vorgezeichnet ist: Heiraten, Kinder bekommen, einem Mann zur Seite stehen. Dass sie die Schule besuchen darf – eigentlich unnötig, dass sie naturwissenschaftlich hochbegabt ist – geschenkt. Viel zu früh in ihrem Leben erkrankt ihre Mutter an Krebs und wird durch ihre Tante Marla ersetzt. Doch als es 1955 zum Großen Drachenwandelns kommt und xxx Drachinnen in den Himmel steigen, verschwindet auch Tante Marla – zurück bleibt deren kleine Tochter Beatrice, die zu Alex Schwester wird. Über die Drachinnen wird zuhause geschwiegen. Die gesamte Gesellschaft versucht, das Ereignis zu ignorieren – auch als immer wieder und immer mehr Drachenwandlungen auftreten, während Alex immer mehr Verantwortung für Beatrice übernehmen muss und zeitgleich um ihren Platz in der akademischen Welt kämpft.

When Women Were Dragons ist ein eindringliches Buch über das Potenzial des Matriarchats, über die Frage, was mit der Welt wohl passieren würde, wäre sie nicht männlich, sondern weiblich regiert – und, da bin ich mit der Autorin einig: Die Welt wäre eindeutig ein besserer Ort. Klug zeigt Barnhill auf, an wie vielen Punkten weiblich gelesene Menschen von außen wie von innen überreglementiert und unterdrückt werden – und dass nur die Wut uns befreien kann. Wenn wir sie denn zulassen.

Das Buch erzählt lebendig und emotional, es schafft eine komplexe und doch zeitlich sehr nahe phantastische Welt. Durch eine zweite wissenschaftliche Ebene, das eingebundene Werk „Eine kurze Geschichte der Drachinnen“, können charmant zusätzliche analytische Informationen eingestreut werden. Der Kampf der Frauen um ihre Freiheit und Schwierigkeiten, sich für diese und die Konsequenzen zu entscheiden wird durch die Wandlung sehr deutlich. Barnhill stellt viele kluge Fragen über unsere Zeit, ohne dabei belehrend zu sein.

Leider ging es mir jedoch so, dass insgesamt viel zu weitschweifig erzählt wird und das Buch für seine knapp 500 Seiten mit zu wenig Handlung aufwartet. Es verfängt sich in redundanten Gedankenkreisen und kommt vor allem im ersten Drittel eigentlich gar nicht in den Gang. Was sehr schade ist, da ich die Grundidee wirklich hervorragend finde und viele Gedanken sehr teilen konnte – dennoch musste ich immer wieder pausieren, weil einfach kein richtiger Lesesog aufkam. Ich hätte mir auch gewünscht, dass das Thema weibliche Wut genauer herausgearbeitet wird, insgesamt blieb mir das Buch zu allgemein und dadurch etwas harmlos. An einer Stelle im Buch wird gesagt: „Sie müssen die Kleine im Auge behalten, sonst wachsen ihr eines Tages noch Flügel und sie fliegt davon.“ Dieses starke Bild für patriarchale Unterdrückung hätte ich gern mit mehr Details im ganzen Buch erlebt, genauso wie ich gerne mehr darüber erfahren hätte, wie die Drachinnen nach ihrer Wandlung leben, was genau für sie Freiheit ausmacht. Und auch die im Buch eingeführte Knotenmagie wird leider nie entziffert – was für mich auch ein großes Manko ist.

Ein starker Ansatz also, der sich leider in sich wiederholenden Endlosschleifen verheddert, ohne in die Tiefe zu gehen. Ich hatte mir mehr von diesem Buch erwartet, mehr Mut, mehr Radikalität. Das Patriarchat wird nicht mit sanften Worten aufgehoben werden, im Gegenteil, es ist gerade wieder im Aufwind. Wenn wir dem etwas entgegensetzen wollen, müssen unsere Drachinnen Feuer speien, nicht nur Kerzen anzünden.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 13.10.2024

Hervorragende Protestanalyse trifft unglaubwürdige Figurenkonstruktion

Tage mit Milena
0

„Tage mit Milena“, der neue Roman von Katrin Burseg, erschienen 2024 bei Heyne, hat mich leider sehr zwiespältig zurückgelassen.

Thematisch dreht sich der Roman um wichtige Themen: Den Klimawandel und ...

„Tage mit Milena“, der neue Roman von Katrin Burseg, erschienen 2024 bei Heyne, hat mich leider sehr zwiespältig zurückgelassen.

Thematisch dreht sich der Roman um wichtige Themen: Den Klimawandel und die Klimaproteste respektive deren Radikalisierung sowie in einer Vergangenheitsschau der Geschichte der Proteste um die Hamburger Hafenstraßenbesetzung – und somit der Frage nach Radikalisierung und deren Folgen generell. Erzählt wird das anhand der sich entwickelnden Beziehung zwischen Annika, einer inzwischen bürgerlich-links in Lübeck lebenden Frau mittleren Alters, die durch die Bekanntschaft mit Luzie, einer gerade noch 17jährigen Klimaprotestlerin, an ihre Vergangenheit in der Hafenstraße und die Ereignisse der damaligen Zeit, die sie bis heute prägen, erinnert wird.

Das klingt auf der Oberfläche gut und spannend – und was den thematischen Teil angeht, ist das auch so. Die vielen geballten Informationen über Klimawandel und -proteste waren mir persönlich etwas zu üppig und referatsartig hineingestopft, das mag aber daran liegen, dass ich intensives Vorwissen habe. Der Teil, der die Hafenstraßenzeit aufgreift, ist sehr gelungen, ich glaube, vielen Menschen fehlt das tiefe Wissen darüber und Bruseg zeigt gekonnt die Parallelen in Protest und Radikalisierung auf, das habe ich so auch noch nirgends gelesen. Auch hier war mir persönlich die Ballung innerhalb des Handlungsstranges zu viel, da hätte etwas Luft gutgetan, aber die grundsätzliche Idee, wie Bruseg diese Inhalte formal in das Geschehen einbettet, ist sehr geschickt.

Womit ich aber leider durch das ganze Buch hindurch nicht warm geworden bin, sind die Charaktere, ihre nicht plausiblen Handlungen und übertriebene Zeichnung und die vielen Leerstellen für ihr Handeln, die sich für mich einfach nicht erklären. Was dazu geführt hat, dass die Hauptperson Annika mich geradezu aggressiv gemacht hat mit ihrem kindischen Verhalten, das sich durchweg nur um sich selbst dreht. Ich habe lange keine so durchweg übergriffige und ehrlich gesagt schon psychopathische Figur gelesen – und aus meiner eigenen Beziehung zu Teenagern kann ich nur sagen: Da würde jede:r Teenie ganz schnell das Weite suchen. Im Roman geschieht aber das Gegenteil, klar, sonst gäbe es keine Geschichte, aber ich konnte daran leider zu keinem Zeitpunkt glauben.

Das Buch ist durchweg gut geschrieben, da gibt es gar nichts zu meckern, der Inhalt ist super, da wo es um das Schreiben von Historie und Chronik geht, auch sehr ausführlich und genau recherchiert. Alles, was die Figuren betrifft, ist für mich leider klischiert und nicht glaubwürdig / wenn es glaubwürdig sein soll, dann fehlt mir hier der Mut zur Konsequenz. Das Leben sieht da meistens schon genauer hin und hat weniger Wattebäusche bereitgestellt. In der Leserunde, in der ich dieses Buch gelesen habe, gab es aber auch viele begeisterte Stimmen. Also selbst herausfinden – auch wenn ich mich aufgrund des Zwiespalts nur bei 3 Sternen einreihen kann!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.09.2024

Stark angefangen und dann stark nachgelassen

Das Wohlbefinden
0

„Das Wohlbefinden“, der neue Roman von Ulla Lenze, erschienen 2024 bei Klett-Cota und auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2024 zu finden, ist ein Roman, von dem ich im vorderen Bereich noch dachte, ...

„Das Wohlbefinden“, der neue Roman von Ulla Lenze, erschienen 2024 bei Klett-Cota und auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2024 zu finden, ist ein Roman, von dem ich im vorderen Bereich noch dachte, dass er Thomas Manns „Zauberberg“ locker auf die hinteren Ränge verweisen wird, der dann aber in der zweiten Hälfte dieses Versprechen leider doch nicht erfüllen konnte.

Klappen- und Umschlagstext des Buches versprechen und eine Geschichte zwischen zwei ungleichen Frauen, der Fabrikarbeiterin Anna und der Schriftstellerin Johanna, die sich in den Lungenheilstätten Beelitz vor den Toren Berlins begegnen und eine starke Verbindung eingehen, die sie am Ende zu Rivalinnen macht. Diese Geschichte und auch viele Informationen über die Heilstätten Beelitz hätten mich sehr interessiert, es kam jedoch anders.

Der Roman spielt auf drei Zeitebenen, 1907/8, 1967 sowie 2020 im Coronajahr, was als Thema sehr dezent und gut gemacht einfließt. Neben Johanna und Anna gibt es noch eine dritte Protagonistin, Vanessa, die durch einen Zufall 2020 auf die Spur von ihrer Verwandten Johanna gerät und das Thema dann nicht mehr loslassen kann.

Lenze deckt in ruhigem Tempo anfangs Schicht für Schicht die Geschichte und Beziehungen ihrer Figuren auf, führt ein in die jeweiligen Zeiten und stellt erste Bezüge zu prominenten Persönlichkeiten der jeweiligen Zeit und zu Themen, die die Welt beschäftigten, wie z.B. der Okkultismus, der eine große Rolle spielt in dem Roman, her. Das gelingt sehr geschickt und charmant. Die Kapitellänge ist gut, der Schreibstil für mich oft ein bisschen unnötig Schleifen-förmig (es wird etwas erwähnt, woran mensch sich sofort ein Fragezeichen macht, einen Absatz oder 1-2 Seiten später kommt die Erklärung, für mich etwas überflüssig, erzeugt nix bei mir), aber ansonsten in sich geschlossen, bildstark und gut lesbar, manchmal literarisch etwas gewollt. Es gibt viele kleine Anspielungen auf den Zauberberg für Kenner:innen und auch der Titel des Buches wird ganz wundervoll eingewoben. Henze verwebt geschickt historische und fiktive Elemente zu einem neuen Ganzen (hier hätte ich mir ein Nachwort gewünscht.). Die erste Begegnung zwischen der hellsichtigen Anna und der spröden Johanna ist kraftvoll und voller Verheißung, hier steht sofort ein Geheimnis im Raum.

Das Problem ist, dass der Roman sich von hier aus eigentlich kaum entwickelt. Es kommt keine wirkliche Handlungsdynamik auf, für mich zog immer mehr Stagnation ein, die Handlung 2020 erweist sich zunehmend als eigentlich überflüssig, die Handlung 1967 mochte ich persönlich zwar, aber auch sie ist bei näherer Betrachtung tatsächlich auch verzichtbar. Beide Handlungen nehmen aber Raum, der meiner Meinung nach besser darauf verwendet worden wäre, deutlich mehr über die wirklich spannenden Heilstätten Beelitz (und auch deren Problematik) zu erzählen und die Beziehung von Anna und Johanna mehr in der Tiefe auszuloten. Das hätte ich von der Beschreibung des Romans her erwartet – und hier wurde ich enttäuscht. Zunehmend fand ich deshalb auch Sprache und Erzähltempo anstrengend, es fiel mir persönlich schwer, bei der Stange zu bleiben. Und auch die gewählte Auflösung am Ende konnte mich leider nicht überzeugen. So ganz erklärt sich mir der Platz auf der Longlist nicht, auch wenn die Autorin streckenweise wirklich literarisch-stilistisch beeindruckend schreibt und das Grundkonzept viel Potenzial aufweist. Ich gehe mit sehr gemischten Gefühlen aus der Lektüre und empfehle auf Youtube mal ein bisschen über die Heilstätten Beelitz selbst zu recherchieren – da wird mensch fündig und kann eventuell auffüllen, was das Buch schuldig blieb.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere