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Veröffentlicht am 28.12.2024

Das Glück und die Schuld des Überlebens

Suche liebevollen Menschen
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Journalist Julian Borger entdeckt Anzeigen im »Manchester Guardian« aus dem Jahr 1938. In diesen Kleinanzeigen der englischen Zeitung versuchten jüdische Eltern in Wien, ihre Kinder vor den Nazis in Sicherheit ...

Journalist Julian Borger entdeckt Anzeigen im »Manchester Guardian« aus dem Jahr 1938. In diesen Kleinanzeigen der englischen Zeitung versuchten jüdische Eltern in Wien, ihre Kinder vor den Nazis in Sicherheit und aus dem Land zu bringen; selbst mit der Gewissheit, die Kinder nie wiederzusehen. Auch Borgers Vater war eines dieser Kinder. Im Lauf der Recherche findet der Journalist Spuren von sieben weiteren Kindern, die ebenfalls von Wien aus ins Exil gebracht wurden. Die Recherche führt nicht nur nach England, sondern auch nach Shanghai, zu niederländischen Schmugglern oder französischen Widerstandskämpfern, und leider auch ins KZ Auschwitz.
Das Cover ziert ein Foto mit lächelnden Menschen, daneben Ausschnitte jener Kleinanzeigen, die Wiener Kinder 1938 Sicherheit bringen sollten. Neben einem übersichtlichen Personenverzeichnis und zahlreichen Anmerkungen weist das Buch die Kopien der betreffenden Kleinanzeigen und eine Reihe von Fotos auf. Der Autor lüftet ein Familiengeheimnis, das er vor allem durch die Schicksale anderer sieben betroffener Kinder lösen wird, denn sein Vater hat im während seiner Lebenszeit nur wenige Anhaltspunkte zu jener Zeit gegeben. Die Kapitel behandeln jeweils die Lebenswege dieser Kinder und Borger zieht mit deren Hilfe immer wieder Parallelen zu seinem Vater. Der Schreibstil ist angenehm, dennoch erfordert das Buch Konzentration, den Lebenswegen der unterschiedlichen Personen zu folgen, da der Autor die Geschichten oft ineinander verwebt. Aber das Buch ist ohnehin nicht geeignet, um es so nebenbei zur Unterhaltung zu lesen. Es ist nicht nur eine Entdeckungsreise in die Vergangenheit seiner Familie. Es ist ein Buch, das auch vom Schweigen erzählt, das immer wieder Abstecher zu historischen Persönlichkeiten, Gebäuden, usw. macht, und eine weitere Menge an Hintergrundinformationen liefert.
Borger ist hier ein sehr wertvolles Buch gelungen. Es berührt und lehrt zugleich. Die Schrecken jener Zeit werden eindrücklich beschrieben, durch historische Tatsachen, aber auch durch die Aufzeichnungen einiger dieser Kinder, denen durch die Annonce ihrer Eltern die Flucht gelang; ebenso durch die Gespräche, die er mit Überlebenden oder deren Nachfahren führen konnte. Es ist ein Buch, das betroffen macht - durch die Geschehnisse jener Zeit in Wien, aber auch durch die Situation in den englischen Pflegefamilien, in denen die jüdischen Kinder aufgenommen und gefördert wurden, in etlichen Fällen aber leider auch ausgebeutet wurden. Borger zeigt auch, dass ein sicherer Platz, eine gelungene Flucht, kein Garant dafür sind, unbeteiligt aus der Situation hervorzugehen. Und, dass diese Auswirkungen nicht nur den Beteiligten betreffen, sondern auch auf die Nachkommen übergehen kann, wie es auf dem Gebiet der Epigenetik erforscht wird.

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Veröffentlicht am 01.12.2024

Gedanken werden zur Gefahr

Gefährliche Betrachtungen
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Nidden ist nicht nur ein ostpreußisches Fischerdorf auf der Kurischen Nehrung, sondern beherbergt vor 100 Jahren auch eine Künstlerkolonie. 1930 bezieht Thomas Mann mit seiner Familie dort ein Sommerhaus ...

Nidden ist nicht nur ein ostpreußisches Fischerdorf auf der Kurischen Nehrung, sondern beherbergt vor 100 Jahren auch eine Künstlerkolonie. 1930 bezieht Thomas Mann mit seiner Familie dort ein Sommerhaus zwischen Wanderdünen und Wald. In Deutschland erstarkt zu jener Zeit nach der Auflösung des Reichstags gerade der Nationalsozialismus. Der weltberühmte Schriftsteller plant daraufhin eine Rede, in der er die Deutschen vor den Gefahren dieser neuen Bewegung warnen will. Gleichzeitig hält sich auch der junge Übersetzer Žydrūnas Miuleris in Nidden auf, da er gerne Manns Werke ins Litauische übertragen möchte. Durch unglückliche Umstände verliert dieser „Müller“, wie er von Mann eingedeutscht immer genannt wird, die Aufzeichnungen zu dieser brisanten Rede. Wie Holmes und Watson machen sich die beiden Männer nun daran, die Aufzeichnungen wiederzuerlangen, was nicht so einfach ist. So entsteht ein recht seltsamer Fall, der nicht nur exzentrische Künstler, stoische Fischer und neugierige Kurgäste auf den Plan bringt, sondern auch Aufregung, Angst und sogar verschwundene Personen.
Das Cover wirkt in seinen gedeckten Farben recht unspektakulär. Man sieht die Rückansicht eines Mannes in Anzug, Hut und Stock, der aus dem Wald kommend, Richtung eines weißen Strandes geht. Der Kriminalroman verfügt über ein Inhaltsverzeichnis, interessante Anmerkungen des Autors und ein informatives Quellenverzeichnis. Die Geschichte ist chronologisch geordnet und die kurzen Kapitel sind mit Datum und aussagekräftigen Titeln überschrieben. Eckardts Schreibstil ist sehr ansprechend. Teils verwendet er verschachtelte Sätze und Aussagen, die einen in die Zeit Thomas Manns zurückversetzen. Der litauische Übersetzer „Müller“ erzählt die Vorkommnisse als Ich-Erzähler, und zwar aus erheblicher zeitlicher Distanz, denn er ist mittlerweile über hundert Jahre alt.
Der Autor erzählt die Geschichte sehr spannend, aber auch immer mit einem Augenzwinkern, das einen die ernste Situation, in der sich Mann nach dem Verlust der Rede befindet, an manchen Stellen vergessen lässt. Die Betonung liegt bei verschiedenen Themen wie Freundschaft und Mut, aber auch in der Wichtigkeit der Literatur, deren Rolle durchaus auch in der Veränderung der Welt liegen kann.
Der Autor entwickelt die Kriminalgeschichte zwischen geschichtlichen Fakten und seiner schriftstellerischen Freiheit mit viel Feingefühl. Gerne glaubt man ihm als Leser jede Einzelheit in diesem spannenden Fall, denn es passt immer alles großartig zusammen. Alle Charaktere sind lebensnah und realistisch gezeichnet, jeder einzelne mit seinen Eigenheiten herausgehoben. So entsteht ein stimmiges Bild, das auch durch die Beschreibung der Umgebung noch unterstrichen wird.
Insgesamt kann man dieses unterhaltsame Buch getrost als einen Höhepunkt in diesem literarischen Jahr bezeichnen. Mit absoluter Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 02.11.2024

Festhalten am Zusammen-Leben

Wohnverwandtschaften
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Eine Wohngemeinschaft von vier Menschen unterschiedlichen Alters wird zu einer Familie. Als Übergangslösung zieht Constanze nach ihrer Trennung vom Partner eine Wohngemeinschaft. Jörg, der Wohnungsbesitzer, ...

Eine Wohngemeinschaft von vier Menschen unterschiedlichen Alters wird zu einer Familie. Als Übergangslösung zieht Constanze nach ihrer Trennung vom Partner eine Wohngemeinschaft. Jörg, der Wohnungsbesitzer, ist der Älteste und wird immer vergesslicher; Anke bekommt als Schauspielerin kaum noch Aufträge und Murat strömt die reine Lebenslust aus. Die vier unterschiedlichen Charaktere erkennen im Lauf der Zeit, dass Ihre WG mehr zu einer Ersatzfamilie wird.
Das Cover ist schlicht in Rot, Blau und Weiß gehalten und sagt doch bereits einiges über den Inhalt des Buches aus. Vier Kreise, besser vier Teller, davon zwei blau und zwei weiß, könnten ganz klassisch die Geschlechter in der WG darstellen. Wobei ein „weiblicher“ Teller zerbrochen ist und damit einen Hinweis auf Constanzes Trennung darstellen könnte.
Die Erzählung erfolgt chronologisch im Zeitraum von zwei Jahren während der Coronazeit, jeweils mit Datum überschrieben, wobei es kleinere Zeitsprünge und kurze gedankliche Rückblenden gibt. Überhaupt spielen die Gedanken der Protagonisten eine entscheidende Rolle. Jedes Kapitel ist jeweils aus Sicht eines der WG-Bewohner:innen beschrieben, und folgt dadurch auch sprachlich den Charakteren, die unterschiedlichen Altersstufen angehören; manchmal kommt es auch zur Darstellung in Dialogform. Insgesamt ist der Schreibstil recht angenehm, oft locker, teils humorvoll, aber immer tiefsinnig. Denn Bogdan spricht vielfältige Themen an.
Dieser Roman behandelt auf leichte Art die Diskriminierung von Alter und Geschlecht; beinhaltet das Thema Familie und setzt es in Kontrast zu Freundschaft; und bearbeitet auch auf seine spezielle Art den Bereich von Krankheit, die sich in diesem Buch durch die Demenz eines Mitglieds der WG-Familie manifestiert.
Alle vier Angehörigen dieser „Wahlfamilie“, ob Jörg, Anke, Murat oder Constanze sind sympathisch und erwachen durch die lebhafte Erzählung zu authentischen Charakteren. Manches in diesem Buch mag als zu leicht und mühelos beschrieben sein, gerade Jörgs fortschreitende Demenz betreffend. Allerdings stört dies hier überhaupt nicht. Durch die Gedankengänge der Protagonisten wird auch das Publikum zum Denken angeregt; automatisch hinterfragt man dabei, welche Arten von Zusammenleben das Dasein lebenswert machen und wie wichtig Zusammenhalt und Hilfe und unter einst Fremden werden kann.

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Veröffentlicht am 13.10.2024

Der Gardasee auf Leinwand

Mörderisch malerisches Malcesine
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Jahrzehntelang glaubte man, Gustav Klimts Bild "Malcesine am Gardasee" sei bei Kriegsende verloren gegangen, da kommt es plötzlich bei einer Auktion unverhofft wieder zum Vorschein. Ein Sensationsfund, ...

Jahrzehntelang glaubte man, Gustav Klimts Bild "Malcesine am Gardasee" sei bei Kriegsende verloren gegangen, da kommt es plötzlich bei einer Auktion unverhofft wieder zum Vorschein. Ein Sensationsfund, dessen Versteigerung die Anwältin Monika Bacher allerdings verhindern will. Sie setzt sich dafür ein, dass das Kunstwerk wieder in den Besitz jener jüdischen Familie kommt, der das Bild von den Nazis entzogen wurde. Dann wird diese Anwältin allerdings vergiftet; nicht nur die Kunstagenten rätseln darüber, auch die Polizei steht nun vor Herausforderungen ...
Das Cover zeigt eine Fotoansicht vom Gardasee aus auf Malcesine. Malerpinsel am unteren Bildrand weisen auf das Künstlermilieu, die dunklen Wolken im oberen Teil auf den Kriminalfall. In der Klappe stimmt Klimts verschollenes Bild von Malcesine nochmals auf den Gardasee ein und auch die hintere Klappe weist nochmals auf Malerei hin. Die Vignetten am Beginn der kurzen Kapitel passen zu den jeweiligen Handlungsorten; auch die Kapitelüberschriften verweisen auf die Orte und sind immer mit genauer Uhrzeit versehen. Der Schreibstil dieses bereits sechsten Teils der Serie ist sehr angenehm und enthält gute Beschreibungen; immer wieder sind auch italienische Ausdrücke eingestreut. Ein informatives Nachwort sowie ein Literaturverzeichnis komplettieren diesen spannenden Krimi.
Für mich war es die erste Begegnung mit den Kommissaren Fontanaro und Breitwieser; auch ohne Vorkenntnisse habe ich sofort in die Handlung gefunden, die innerhalb weniger Tage spielt.
Durch die Zusammenarbeit und den Austausch der Ermittler aus Italien und Bayern kommen viele Fragen auf, die besprochen und teils geklärt werden. Einiges wird dadurch zusammengefasst und auch wiederholt, was aber der Geschichte nichts an Tempo oder Spannung nimmt – als Leser tappt man dennoch bis zum Ende im Dunkeln.
Die Charaktere sind sehr lebensecht dargestellt. Der italienische Staatsanwalt verkörpert mit seiner gewöhnungsbedürftigen Art einen lebhaften Kontrast zu den durchwegs sympathischen Ermittlern beider Länder. Auch die in diesem Fall Verdächtigen kann man sich sehr gut vorstellen und ihre Handlungen sind nachvollziehbar.
Was dieses Buch so wertvoll macht, ist die hervorragende Recherche und Sachkenntnis der Autorin. Wie nebenbei informiert sie über Raubkunst und deren Rückgabe, liefert aber auch interessante Fakten über Versteigerungen, Fälschungen oder Allgemeines die Malerei betreffend.
Insgesamt ist hier eine spannende Geschichte entstanden, die durchaus Lust aufs Lesen der ersten fünf Bände dieser Reihe macht.

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Veröffentlicht am 03.10.2024

Frau Morgenstern ist zurück im Spiel

Frau Morgenstern und das Vermächtnis
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Pensionierte Lehrerin ist Violetta Morgenstern ja schon längere Zeit; nun hat sie auch ihre Beschäftigung als staatlich anerkannte Auftragsmörderin aufgegeben. Plötzlich holt das Killerministerium „Tell“ ...

Pensionierte Lehrerin ist Violetta Morgenstern ja schon längere Zeit; nun hat sie auch ihre Beschäftigung als staatlich anerkannte Auftragsmörderin aufgegeben. Plötzlich holt das Killerministerium „Tell“ sie dann doch für einen letzten Auftrag zurück: Ex-Kollege Miguel Schlunegger hat ohne Auftrag einen Mord begangen. Den Grund dafür gibt er nicht preis; im Gegenteil erwartet er schweigend seine Eliminierung und will selbst mit Morgenstern nicht sprechen. Ihr bleibt nur wenig Zeit, um die Hintergründe herauszubekommen. Verzweifelt begibt sie sich in Miguels Vergangenheit und damit auch in die dunklen Abgründe seiner Seele.
Das Cover ist diesmal auffällig in Pink gehalten; im Vordergrund die Abbildung einer Frau mit Hut, die man schon aus den Vorgängerbänden kennt. Die Kapitel sind kurz, der Schreibstil sehr angenehm. Es handelt sich bereits um den sechsten Fall der Mordslady, der aber so erfrischend und gleichzeitig spannend ist wie alle anderen Bücher über Violetta Morgenstern. Auch wer die früheren Geschichten nicht kennt, wird mit diesem Krimi seine wahre Freude haben.
Die Protagonisten Morgenstern und Schlunegger sind ganz einfach recht sympathische Menschen. Selbst wenn ihr Verhalten vollkommen inkorrekt sein mag, so empfindet man es als Leser doch vollkommen nachvollziehbar, logisch und gar normal. Die skurrilen Ideen und der treffende Wortabtausch der beiden haben seit dem ersten Aufeinandertreffen nichts an Einfallsreichtum verloren.
Auch hier ist es dem fantasievollen Autor ein weiteres Mal großartig gelungen seinen Protagonisten wunderbare Wortkreationen in den Mund zu legen. Er erschafft dadurch aufs Neue treffende Ausdrücke für scheinbar Unbeschreibbares. Mit viel schwarzem Humor und Biss erzählt er von den Erlebnissen der pensionierten Lehrerin, von Zeugenschutzprogramm, von mafiösen Lebensbeichten, vom Gendern oder vom praktischen Gebrauch von Shapewear weit weg von ihrer eigentlichen Verwendung als Unterwäsche. An morgensternschen Lehrsätzen fehlt es im sechsten Buch ebenso wenig, oder war schon vorher jedem klar, dass Männer in Rollkragenpullovern immer etwas Wichtiges mitzuteilen haben?
Violetta Morgenstern und Miguel Schlunegger sind mir mittlerweile sehr ans Herz gewachsen und ich habe am Ende ihrer Abenteuer schon öfter gebangt, dass es keine Fortsetzung mehr geben könnte. Nun hoffe ich natürlich weiterhin, dass dies nicht wirklich der letzte Fall der Mordslady ist ...

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