Saudade – die Sehnsucht nach Portugal
Kerstin Langes Roman „Die Sehnsucht, die bleibt“ basiert auf Erzählungen einer Zeitzeugin, die als Kind nach Ende des Zweiten Weltkriegs durch die Caritas nach Portugal auf Erholung geschickt wurde. Es ...
Kerstin Langes Roman „Die Sehnsucht, die bleibt“ basiert auf Erzählungen einer Zeitzeugin, die als Kind nach Ende des Zweiten Weltkriegs durch die Caritas nach Portugal auf Erholung geschickt wurde. Es handelt sich um fiktive Charaktere und eine erfundene Lebensgeschichte.
Kurzer Inhalt:
Reni, ein armes, kränkliches Wiener Mädchen, wird von der Caritas nach Portugal zu einer wohlhabenden Familie vermittelt, die eine Tochter im selben Alter hat. So glücklich sich Reni dort fühlt, sie muss schließlich wieder zurück nach Wien, wo ihr bewegtes Leben seinen Lauf nimmt, mit Zeiten von Wut, Sorge und Trauer, ebenso wie der Freude, Zufriedenheit und des Glücks - stets auch mit einem Gefühl von Sehnsucht.
Das Cover ist ansprechend, wenn auch schlicht und einfach gehalten. Mit den Orangenbäumen und dem Mädchen mit der Reisetasche passt es wunderbar zur Thematik. Das Buch erschien 2024 und gliedert sich in angenehm kurze Kapitel, die jeweils mit Orts- und Zeitangaben versehen sind, was ich stets besonders schätze. Die Handlung umfasst (abgesehen vom Prolog aus 1948) den Zeitraum von 1953 bis 1983. Der Schreibstil ist flüssig und bildhaft. Sowohl das jeweilige Milieu als auch Stimmungen, Zeitgeist und historische Ereignisse sind gut vorstellbar beschrieben. Man erfährt so einiges über Portugals politische und gesellschaftliche Situation nach dem Krieg bis in die späten 70er Jahre.
Im Mittelpunkt der Handlung steht Verena Jelinek, genannt Reni. Sie lebt in Wien in ärmlichen Verhältnissen, versorgt von ihrer Großmutter, die ihr als einzige Zuneigung entgegenbringt. Die Mutter ist krank, die wesentlich älteren Brüder verhalten sich lieblos ihr gegenüber. Für Reni ändert sich das Leben schlagartig, als sie mit zehn Jahren aus gesundheitlichen Gründen nach Lissabon kommt. Nicht nur, dass sie bei der reichen Familie Figueiro ausreichend zu essen bekommt und neu eingekleidet wird, sie wird wie ein eigenes Kind in die Familie integriert, voller Liebe und Herzlichkeit. Vor allem mit der gleichaltrigen Marissa fühlt sie sich sehr verbunden, sie verstehen einander wie Schwestern. Doch das Glück währt nicht ewig. Reni muss nach Wien zurück, die Großmutter ist verstorben, die kränkliche Mutter benötigt Pflege. Reni, noch nicht großjährig, muss sich dem Zwang beugen. Schließlich findet sie Arbeit, verliebt sich, heiratet. Doch auch über dieses Glück werfen sich Schatten. Sowohl in glücklichen wie auch in düsteren Zeiten verspürt sie stets Sehnsucht nach Portugal. All die Jahre steht sie brieflich mit Marissa in Kontakt, hoffend, sie irgendwann einmal wiederzusehen. Renis Geschichte berührt. Dieser Wechsel von Höhen und Tiefen. Man leidet und freut sich mit ihr. Und manchmal ist man richtig wütend auf die Menschen in ihrem Umfeld, die sie ausnützen und unterdrücken. Ihr Schicksal ist von vielen Zwängen beherrscht, vieles ist dem Zeitgeist geschuldet, der sozialen Stellung, dem damaligen Frauenbild. Erst mit den Jahren gewinnt Reni an Selbstvertrauen, findet ihren Platz im Leben, Zufriedenheit und Glück.
Was die Charaktere anbelangt, lernt man natürlich in erster Linie sämtliche Facetten von Renis Wesenszügen kennen. Ihre Gedanken, wie sie ihre Umwelt wahrnimmt, ihre Wünsche, Ängste, Enttäuschungen, ihre Sehnsucht, Liebe für andere. Sie verfügt über Stärken und Schwächen. Sie ist anpassungsfähig, erträgt jahrelang Dinge, die sie nicht ändern kann, bis sie aus dem Gleichmut erwacht und sich durchsetzt. Auch die Menschen rund um sie sind gut vorstellbar gezeichnet, geprägt vom jeweiligen Milieu und Umfeld, sie wirken lebendig und authentisch, wenn auch nicht unbedingt jeder sympathisch.
Nach „Eine Ahnung von Glück“ war dies mein zweites Buch dieser Autorin. Es hat mich wieder genauso begeistert. Für diese bewegende Geschichte gibt es von mir eine unbedingte Leseempfehlung und 5 Sterne.