Beklemmend realistisches Zeitdokument
Nach MitternachtDer Roman "Nach Mitternacht" von Irmgard Keun spielt an nur 2 Tagen im Jahr 1936 in Frankfurt am Main und beschreibt auf beklemmend realistische Weise den Alltag im nationalsozialistischen Deutschland. ...
Der Roman "Nach Mitternacht" von Irmgard Keun spielt an nur 2 Tagen im Jahr 1936 in Frankfurt am Main und beschreibt auf beklemmend realistische Weise den Alltag im nationalsozialistischen Deutschland. Die 19-jährige Erzählerin Sanna muss sich zwischen der Emigration und einem Leben in der Diktatur entscheiden, da ihr Verlobter Franz an die Gestapo verraten wurde.
„Nach Mitternacht“ zeigt auf, dass sich JEDER, der zu diesen Zeiten in Deutschland lebte und überleben wollte, in einem gefahrenbeladenen Alltag befand. Mit seinen eigenen Werten und Ansichten konnte man nicht weit kommen, sie konnten sogar gefährlich werden.
Das Buch ist meiner Meinung nach ein sehr wichtiges Zeitdokument und sollte nicht in Vergessenheit geraten. Der Schreibstil mag einigen gewöhnungsbedürftig vorkommen, aber ich finde, er passt genau so zu diesem Buch und dieser Geschichte. Die leicht naive umd kindliche Art von Sanna macht den Blick auf die damalige Situation während der Diktatur noch eindrücklicher.
"Ich war müde bis zu Verzweiflung - muß ich mein ganzes Leben nun hier bleiben? Plötzlich fielen mir Worte von Paul ein. Nie werde ich vergessen, wie er an einem Abend erzählte von Ländern, in denen man reden könne, was man wolle, in denen man keine Angst zu haben brauche, solange man sich nicht gegen die heiligen Zehn Gebote versündige. Länder gebe es ohne versteckte Gefahren, dort könne man grüßen, wie man Lust habe - an Festtagen dürfen man weinen und an Trauertagen lachen, wie's einem gerade ums Herz sei.
Da überkam's mich plötzlich. Hier saß ich und sollt bestraft werden und wußt nicht warum. Ich wußt nicht mehr, was gut war - ich wußte nicht mehr, was böse war. Ich dachte an die Länder mit den heiligen Zehn Geboten, in denen gut gut und böse böse ist. Ich dachte an die fernen fremden Länder, von denen Paul erzählte. Ich mußte weinen, wie ich noch nie in meinem Leben geweint hatte."
„Das Schlimme ist, dass ich gar nicht verstehe, was eigentlich los ist, ich hab jetzt nur allmählich raus, wo man sich in acht zu nehmen hat.“