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Veröffentlicht am 31.12.2017

"Macht Platz für den Rabenkönig!"

Wo das Dunkel schläft
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Allgemeines:

Titel: Wo das Dunkel schläft
Autor: Maggie Stiefvater
Verlag: Loewe (13. März 2017)
Genre: Fantasy
ISBN-10: 3785583311
ISBN-13: 978-3785583319
Seitenzahl: 480 Seiten
Originaltitel: The ...

Allgemeines:

Titel: Wo das Dunkel schläft
Autor: Maggie Stiefvater
Verlag: Loewe (13. März 2017)
Genre: Fantasy
ISBN-10: 3785583311
ISBN-13: 978-3785583319
Seitenzahl: 480 Seiten
Originaltitel: The Raven King
Preis: 14,99€ (Kindle-Edition)
19,99€ (gebundene Ausgabe)
Weitere Bände: Wen der Rabe ruft;
Wer die Lilie träumt;
Was die Spiegel wissen



Inhalt:

"Er war ein König. Und dies war das Jahr, in dem er sterben würde."

Eine beängstigende Dunkelheit hat sich über die Ley-Linien gelegt und droht, den magischen Wald Cabeswater für immer zu zerstören. Für Blue und die Raven Boys beginnt damit ein Wettlauf gegen die Zeit auf der Suche nach dem Grab des sagenumwobenen Königs Glendower. Denn wenn sie es nicht finden, wird Blues Kuss für Gansey tödlich sein. Und dieser Kuss wird für beide immer unausweichlicher...


Bewertung:

DISCLAIMER: Da dies der letzte Teil einer vierbändigen Reihe ist, sind Spoiler über den Inhalt der vorhergegangenen Teile nicht auszuschließen!


Nachdem ich den Verlauf der Reihe mit großer Begeisterung verfolgt, den Erscheinungstermin dieses finalen Bandes jedoch ein wenig verschlafen hatte, musste ich mir dieses Buch unbedingt zu Weihnachten wünschen. Und damit es gar nicht erst die Möglichkeit gibt, dass es auf meinem SuB vergammelt, habe ich mich sofort darauf gestürzt und es an einem Tag gelesen.


"Wenn man die Augen zusammenkniff und lange genug hinsah, konnte man die Geheimnisse zwischen den Bäumen auf und ab huschen sehen."


Seit ich "Wen der Rabe ruft" ganz aus Versehen gefunden und sofort ins Herz geschlossen habe, bin ich ein riesiger Fan von Maggie Stiefvater, die es immer wieder schafft, durch die eigenartige Mischung aus, klassischem Urban Fantasy und dem heimeligen Kleinstadtleben mit Geschichtlichem, Märchen, magischen Traumwelten und eine guten Prise Verrücktheit. Alles umrahmt von ihrem unverwechselbaren Stiefvater-Stil und fertig ist die unkonventionelle, magische und einzigartige Geschichte. Natürlich hatte ich recht hohe Erwartungen an den Abschlussband, denn einiges stand bevor. Eine dunkle Macht, die am Ende des dritten Teiles (als mieser Cliffhanger) erwachte, musste bekämpft, der König Glendower endlich gefunden und die verheißungsvolle Prophezeiung über Blues Kuss und Ganseys Tod erfüllt werden - ganz schön viel Stoff für die 480 Seiten. So kam es, dass ich irgendwie gleichzeitig sehr zufrieden und ein wenig enttäuscht von diesem Abschluss war, wobei die Zufriedenheit eindeutig Überhand hat.


"Es ist aus", sagte ihr Mund. Das Licht verlosch. Es war 18 Uhr 21."


Beginnen wir aber mit dem Cover. Wie auch schon bei den Bänden zuvor sind Cover und Titel gekonnt geheimnisvoll und schnörkelig gehalten, was dem Buch gleich einen ganz besonderen Flair gibt. Diesmal ist das Hauptmotiv die Dunkelheit, welche durch den düsteren, roten Braunton des Hintergrundes wunderbar verkörpert wird. Durch die Straßenlaternen und die hellen Nachtfalter, die das sanfte Licht umschwirren, wirkt das Bild trotz der Dunkelheit jedoch sehr warm und magisch. Auch die Schnörkel, die sich um den Titel ziehen, machen das Buch wieder zu einem wahren Blickfang. Ich kann mich irgendwie nicht entscheiden, ob ich die Originalcover (links) oder die deutschen Übersetzungen schöner finden soll. Die zart leuchtenden Pastellfarben, die einen Hirsch formen, den Vögel um flattern haben auch eine unleugbaren Charme.


Erster Satz: "Richard Gansey III wusste mittlerweile gar nicht mehr, wie oft man ihm gesagt hatte, dass ihm Großes vorherbestimmt sei."


Das Buch beginnt ohne große Umschweife an genau der Stelle, an der das letzte geendet hatte. Zuerst hatte ich ein kleines Problem, in die Handlung einzufinden, da die Lektüre des letztes Teiles bei mir schon fast ein Jahr zurücklag und ich viele Details und vor allem Namen vergessen hatte, Maggie Stiefvater webt aber netterweise immer mal wieder erklärenden Halbsätze mit ein, sodass auch chronische Pausenleser wie ich, den Überblick nicht verlieren. Trotzdem kann ich allen nur raten, die Reihe zeitnah durchzulesen, damit die vielen Details und Anspielungen nicht verwirren sondern begeistern können.


"Das Zögern an dieser Stelle war ein Zeichen seines nachwachsenden Herzens."


In Teil 3 haben Blue und Ravenboys es zwar geschafft, Blues Mutter nach Hause zurück zu bringen und Glendowers Tochter Gwenllian befreien können, doch das Grab vom walisischen König Glendower selbst ist immer noch nicht aufzufinden. Während andere Probleme von der weiteren Suche abhalten, wird die Zeit allmählich knapp, denn das magische Cabeswater scheint von etwas in Besitz genommen zu sein, langsam zu zerfallen und zerstört dabei alles, was ihm zu nahe kommt. Nicht zuletzt ist da noch die Prophezeiung, dass Blue ihre große Liebe durch einen Kuss töten wird und Ganseys bevorstehender Tod, den Blues wahrsagende Tanten und ihre Mum nicht abwendbar sehen. Das Finden und die Erweckung des Königs scheinen die einzige Möglichkeit zu sein, Gansey zu retten. Doch das wird nicht gerade dadurch leichter, dass ein Dämon in Henrietta auftaucht und einige dunkle Gestalten anzieht, welche allesamt besessen von der Magie und der damit verbundenen Macht sind. Bald wird klar, dass sie sich entscheiden müssen, für was sie die Gunst des Königs aufwenden wollen: Ganseys Überleben oder der Tod des Dämons. Aber lässt sich Glendower überhaupt finden? Die Zeit läuft...


"Richard Gansey konnte nicht schlafen. Sobald er die Augen schloss: Blues Hände, seine Stimme, ein schwarzblutender Baum. Es fing an, es fing an. Nein, es ging zu Ende. Mit ihm ging es zu Ende. Dies war die Kulisse seiner ganz persönlichen Apokalypse."


Auch wenn der Roman nicht gerade viele Szenen aufweist, in denen wirklich Schlag auf Schlag viel passiert, bleibt durchgängig eine brodelnde Grundspannung erhalten. Leise, pfiffige Details, das unglaublich magische Setting und nicht zuletzt der tolle Schreibstil sorgen für eine wundervolle Atmosphäre, die man nicht mehr loslassen kann. Die Geschichte spielt an verschiedenen Handlungsorten die im Laufe der Zeit fast wie unterschiedliche Dimensionen wirken. Der magische Wald Cabeswater, hinter dessen großes Geheimnis wir endlich kommen, die magischen Schober, in denen sich Ronans und Nialls Traumwesen tummeln, der lebendige, durchgeknallte Fox Way mit all den Wahrsagerinnen, skurrilen Gegenständen, Stimmen, Musik, Telefonen, alten mystischen Dingen, Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart, das große Monmouth Manufacturing, dass den Raven Boys ein Heim bietet, die snobige Aglionby und nicht zuletzt eine Vielzahl an Fantasie- und Traumwelten. Diese Geschichte erscheint vielseitig und einmal mehr wie eine Ansammlung kunstvoll miteinander verwobener Einzelgeschichten, die mich aufs Neue mit ihrem Ideenreichtum verzaubert hat.


"Endlich, hatte er jedes Mal gedacht, haben wir uns gefunden. Wir statt du und ich."


Wie schon erwähnt trägt der leicht verrückte Stil Maggie Stiefvaters zur Entwicklung der Anziehungskraft des bildgewaltigen Epos´ einen großen Teil bei. Mit bildgewaltigen, beschreibenden Worten (für die sie auch oft Klammern und Spiegelstriche verwendet) lässt sie die Charaktere und das Setting für einen kurzen Moment wahr werden und schenkt uns einige Stunden voller Fantasie, Magie, Liebe, Freundschaft und düsteren Geheimnissen. In ganz eigener Handschrift schreibt sie mal erklärend, mal kurz angebunden, mal emotional, mal kalt, mal melancholisch, mal locker, mal traurig, mal glücklich, mal wütend, mal resigniert - ein kunterbuntes Durcheinander das vor allem eines ist: magisch.


"Sie waren überall: Die Luft wimmelte und brodelte von Federn und Flaum. Die Vögel schossen und sausten und wirbelten durch die Straße, Flügel, Schnäbel. Krallen schimmerten im Schein der Straßenlampen. (...) Ein hektisches Flattern und brausen. "Macht Platz!", schrien sie, "Macht Platz für den Rabenkönig!"


Neben dem Stil lebt die Geschichte jedoch vor allem von den Charakteren. Blue, ihre Raven Boys, ihre Beziehungen zueinander und ihre Entwicklungen während der Reihe lassen den Leser wirklich jeden kleinen Durchhänger, jedes Logikloch in der Handlung und jede Durststrecke verzeihen und geben dem Plot noch das gewisse Etwas, das das Buch so einzigartig macht. 4 Bände habe ich nun Gansey und seine Gefährten auf der Suche nach dem schlafenden König Glendower begleitet, doch immer noch habe ich das Gefühl, nicht alles über die 5 zu wissen.


"Sag mir", flüsterte Artemus, "wenn du träumst, träumst du oft von den Sternen?"


In jedem Teil erfuhren wir ein wenig mehr über die einzelnen Schicksale der Protagonisten, jeder hat mal ein bisschen mehr Aufmerksamkeit erhalten und doch wird niemals ein Handlungsstrang langweilig oder vorhersehbar. Auf Blue und Gansey liegt immer noch der Hauptfokus, auch wenn diese Betonung im Laufe der Reihe immer weniger wurde. Durch den personalen Erzähler, der teilweise eher wie ein auktorialer Erzähler wirkt, weil er absichtlich Dinge zu verschweigen scheint, werden die Perspektiven immer wieder ordentlich durchgemischt.


"Wärme erfüllte die leeren Gewölbe in Ganseys Herzen. Das Gefühl, gekannt zu werden. (...) Der Abend war: Gansey, der sagte: "Ich mag dich ziemlich gern, Blue Sargent." Der Abend war: Blues Lachen, verschmitzt, ironisch, albern, nervös."


Und was hat das bewirkt: ich habe sie alle so fest ins Herz geschlossen, dass ich sie nach diesem Teil nur ungern gehen lasse:
Die wankelmütige Wahrsager-Tochter Blue, die tut was sie will, als schillernder, selbstbewusster, neugieriger, vertrauensseliger und damit sehr exzentrischer Charakter auftritt und in den ihr einstmals so verhassten Raven Boys ihre besten Freunde und in Gansey ihre wahre Liebe gefunden hat. Ronan, der verletzliche Träumer, der alles, was er in seinen Träumen erschafft, in die Realität mitnehmen kann und hinter einem Wall aus Aggressivität und Kälte eine Zerbrechlichkeit verbirgt. Adam, der einst misshandelte Junge aus der Wohnwagen-Siedlung, der durch seine Verbindung zu Cabeswater auf magische Weise seine Freiheit zurück erhalten hat - und einiges mehr. Noah, der langsam verschwindende Geisterjunge, dessen grausamer Tod auf der Ley-Linie Gansey ein zweites Leben geschenkt hat. Und schlussendlich Richard Gansey III, der vielseitige Junge Mann, der der grinsende Gansey-Man sein, als Gansey III auf Wahlveranstaltungen seiner Mutter eine liebenswürdig geschliffene, höfliche Art an den Tag legen kann und bei seinen Freunden einfach Gansey ist: ein großes Herz, das wie besessen von der Idee ist, endlich Glendower zu finden.


"Er legte den Kopf in den Nacken und spürte das sanfte Prickeln der Sterne über sich, mit deren Hilfe sein Körper sich orientierte. Ranken schlängelten sich durch sein Inneres, tasteten nach seiner Stimmung. (...) Adam war in vielem bewandert, in vielem gut, aber das hier- gab es überhaupt einen Namen dafür? Wahrsagen, Intuition, Magie, Magie, Magie - darin war er nicht nur gut, sondern hatte ein regelrechtes Verlangen danach, gierte danach und liebte es auf eine Art, die ihn mit tiefer Dankbarkeit erfüllte."


Eine bunte Mischung, die seltsamer nicht sein könnte, mir aber das Herz erweicht hat, ohne das ich es bemerkt habe. Maggie Stiefvater setzt Gefühlsbeschreibungen nur ganz dezent und gezielt ein - ganz im Gegensatz zu manch anderen Romanautorinnen wie zum Beispiel Colleen Hoover, deren Gefühlswucht fast erdrückt. Manchen mag das zu spärlich sein, doch ich finde die zarten Andeutungen und leisen Annäherungen sind viel berührender als brodelnde Leidenschaft. So kommen sich endlich Blue und Gansey näher, auch wenn sie immer noch durch die schreckliche Prophezeiung auf Abstand gehalten werden, und auch Ronan und Adam finden endlich den Mut, aufeinander zuzugehen. Da Ronan mein absoluter Lieblingscharakter ist, hat mir das sehr gut gefallen. Die beiden sind schwierige, eigensinnige Charaktere, die aber nicht besser zusammenpassen könnten - der eine ein dunkler, gebrochener Träumer, der andere ein heller, verzweifelter Magier. Ich habe gehört, dass dem Greywaren Ronan eine eigene Reihe gewidmet werden soll - das freut mich natürlich riesig!


"Der Wald war Ronan. (...) Er roch brennendes Laub, fallendes Laub, Tod und Wiedergeburt. Die Luft war sein Blut. Die Stimmen, die ihm aus den Baumkronen zuwisperten und einander immer wieder überlagerten, waren seine. Ronan in Endlosschleife; Ronan und wieder Ronan; Ronan und wieder Ronan."


Auch hier bekommen wir wieder eine ganze Reihe neuer Charaktere wie zum Beispiel die seltsamen Gauner-Drillinge Laumonier, die wie eine Person auftreten, das verschreckte und mysteriöse Waisenmädchen mit Hufen, das Ronan herbeigeträumt hat oder der schräge aber herzliche Henry Cheng, der den 5en auf der letzten Etappe ihrer Suche beisteht.


"Was bist du?"
Die Biene warf ihr Licht über sich und Henry: ihre durchsichtigen Flügel, Henrys verschlagenen gehobene Augenbrauen.
"Mehr."


Dafür läuft Noahs Handlungsstrang langsam aus. Schon seit einer Weile kämpft er gegen das Verschwinden und verliert seine leicht trottelige, unbeholfene aber hilfsbereite Art allmählich durch den sich immer wiederholenden Tod, den er durchleben muss an einen kalten, unheimlichen, zerstörungswütigen Geist, bei denen es mir echt eiskalt den Rücken runter gelaufen ist. Sehr berührend findet er am Ende sein Schicksal.


"Ronan hatte das Gefühl, ganz aus Versehen glücklich geworden zu sein. Die ganze Welt lang ihm zu Füßen"


Die vielen neue Erkenntnisse und Wendungen, die die Handlung würzen begleiten alle Handlungsstränge auf das Ende vor und machen das Finale noch einmal komplex, mysteriös und geheimnisvoll. Ich wusste es schon bevor ich dieses Buch angefangen habe: um meine hohen Erwartungen an das Ende erfüllen zu können, müsste die Geschichte ellenlang sein. Viele verschachtelten Handlungsstränge wollen befriedigend abgeschlossen werden, der letzte Band muss noch mit Neuem aufwarten und natürlich allem davor dagewesenen noch mal eins draufsetzten - ganz schön schwierig. Kein Wunder, dass ich ein wenig enttäuscht war, als ich die wirkliche Auflösung gelesen habe. Natürlich war sie absolut spannend, nachvollziehbar, episch und magisch - ich will es ich gar nicht schlecht reden - doch irgendwie hat mir noch der wirkliche WOW-Effekt gefehlt. Die Suche nach Glendower endet abrupt mit dem Fund ebendessen, doch statt bedeutsam oder geheimnisvoll zu sein, liegt in seinem Grab ein Toter Mann, der einfach nur tot und alt ist, sodass dieser Handlungsstrang sehr enttäuschend im Sand verläuft. Da hätte ich mir schon ein wenig etwas anderes erwartet. Zudem bleiben einige Fragen offen, was aber angesichts des vielsagenden Epilogs und der neu erscheinenden Reihe vollkommen in Ordnung ist.


"Hallo, kleiner König. (...) Bist du etwa hier, um mich um Rat zu bitten?"
Gansey schüttelte den Kopf.
"Um Mut."



Fazit:

Bildgewaltig lässt Maggie Stiefvater ihre schrägen Charaktere, das abwechslungsreiche und magische Setting und die spannende Geschichte für einen kurzen Moment wahrhaftig werden und schenkt uns einige Stunden voller Fantasie, Magie, Liebe, Freundschaft und düsteren Geheimnissen. Ein würdiger Abschluss, der zwar nicht all meine hohen Erwartungen erfüllen konnte, dennoch eine abartige Faszination zurücklässt.

Veröffentlicht am 09.12.2017

"Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende."

Wir sehen uns beim Happy End
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Allgemeines:

Titel: Wir sehen uns beim Happy End
Autor: Charlotte Lucas
Verlag: Bastei Lübbe (24. November 2017)
Genre: Roman
ISBN-10: 378572599X
ISBN-13: 978-3785725993
ASIN: B071HL86M5
Seitenzahl: ...

Allgemeines:

Titel: Wir sehen uns beim Happy End
Autor: Charlotte Lucas
Verlag: Bastei Lübbe (24. November 2017)
Genre: Roman
ISBN-10: 378572599X
ISBN-13: 978-3785725993
ASIN: B071HL86M5
Seitenzahl: 560 Seiten
Preis: 6,99€ (Kindle-Edition)
18€ (gebundene Ausgabe)



Inhalt:

"Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende." (Emilia Faust, geklaut bei Oscar Wilde)

Stell dir vor, Romeo und Julia erleben wunderbare Flitterwochen, die kleine Meerjungfrau bekommt ihren Prinzen und Hannibal Lecter wird zum kinderfreundlichen Veganer - Wie könnte die Welt aussehen, wenn jede Geschichte das Recht auf ein glückliches Ende hätte? Und was würdest du tun, wenn dir das Leben die Verantwortung für einen anderen Menschen gibt? Schenkst du ihm ein Happy End? Selbst wenn du nicht weißt, ob er das will?
Ein zauberhafter Roman über das Schicksal, unerwartete Begegnungen - und die Frage, ob erst ein Happy End das Leben lebenswert macht.


Bewertung:

Schon als ich dieses Buch in der Verlagsvorschau sah wusste ich es: diese Geschichte ist etwas ganz besonderes! Das Lesen hat mich darin nur noch bestätigt - ein zauberhafter Roman über die Suche einer jungen Frau nach dem Happy End.

Das Cover ist ganz wundervoll gestaltet, auch wenn es nicht so ganz mein Fall ist. Die türkis-blaue Hintergrundfarbe gefällt mir nicht besonders, da sie als Eye-Catcher zu schwach, aber als Hintergrund zu dominant ist und sich mit den liebevollen Verzierungen um den Titel herum um die Aufmerksamkeit des Betrachters prügelt. Die Ranken, Sterne, Sonnen, Heißluftballons, Vögel, Käfer, Meerjungfrauen und Schaukeln lassen das ganze Motiv verspielt und naiv erscheinen, was ich in Anbetracht des Inhalts wirklich wunderbar gemacht finde. Auch der bunte Handlettering-Titel passt wunderbar ins Bild und hebt sich beim darüberfahren auch fühlbar hervor. Wozu ich noch ein wenig unentschlossen stehe, sind die am Rand grell pink gefärbten Seiten, die im Kontrast zum türkis-hellblauen Einband sehr stark hervorspringen. Auch innerhalb der Buchdeckel gefällt mir die Gestaltung gut. Die einzelnen Kapitel, die genau die richtige Länge besitzen, werden manchmal von Blogbeiträgen abgewechselt, die in passendem Layout und Design mit einigen Kommentaren ihrer Leser untermauert werden. Eine interessante Idee!
Insgesamt eine sehr verträumte, exzentrische aber wunderschöne Gestaltung des Covers, welches wunderbar zur Geschichte passt, mich persönlich aber nur mäßig anspricht. Sowohl Titel und Klapptext sind aber einfach perfekt getroffen!


Erster Satz: "Wenn es eine Sache gab, die Emilia Faust, genannt "Ella", mit absoluter Sicherheit wusste, dann die, dass eine Geschichte immer nur so gut ist wie ihr Ende."


Nun ja, wenn man nach dieser Lebenseinstellung das Buch betrachtet, würde meine Beurteilung dieser Geschichte nicht ganz so gut ausfallen, denn das Ende mochte ich nicht wirklich. Da mir aber alles andere sehr gut gefallen hat, bleibe ich doch lieber bei meinen persönlichen Beurteilungskriterien und schließe mich Ella an, wenn sie sagt:


"Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne"


Diese Geschichte startet zauberhaft mit einem Blogeintrag Ellas auf ihrem Webblog "Better Endings", auf dem sie Geschichten mit schrecklichem Ausgang einfach umschreibt und ihnen ein schöneres Ende verpasst. Eine riesige Fangemeine schaut auf sie, wenn sie ihrer Liebe zu Happy Ends und guten Märchen folgt und versucht, die vielen Schlimmen Dinge in der Welt etwas zu relativieren, in dem sie wenigstens ausgedachte Geschichten verbessert. Auch in der Realität trägt sie eine rosarote Brille und plant die Traumhochzeit mit ihrem märchenhaften Verlobten Philipp, mit dem sie in ihrem gutbürgerlichen Haus im Philosophenweg lebt und in den Sonnenuntergang laufen will, bis sie beide tot umfallen.

Als sie durch Zufall erfährt, dass ihr Verlobter sie betrogen hat und eigentlich gar nicht heiraten möchte, gerät ihr persönliches Happy End jedoch ganz schön ins wanken. Hals über Kopf vor diesen
Entwicklungen fliehend überrennt sie an der Landungsbrücke einen Mann, der daraufhin verschwindet und bloß seine Schuhe, seine Jacke, einen Geldbeutel und ein großes Geheimnis hinterlässt. Sie fühlt sich verantwortlich, ihm die Dinge zurückzugeben und sucht sein Haus auf, das sich als noble, aber total vernachlässigte Villa entpuppt. Als sie ein weiteres Mal die Flucht ergreifen will, rennt sie den Mann - Oscar de Witt - ein zweites Mal über den Haufen, woraufhin er sich verletzt und im Krankenhaus landet. Als Ella feststellt, dass der komplett erledigte und traurige Mann überhaupt keine Erinnerungen mehr an seine Vergangenheit hat macht sie es sich zur Aufgabe, sein Leben neu zusammenzustellen und ihm ein Happy End anzudichten. Das dies nicht ganz so glatt gehen kann, wie sie sich das vorgestellt hat, ist absehbar und sie tritt aus Versehen eine Lawine los, die sie kaum mehr stoppen kann...


"Wie bei einer Melodie, die abrupt endet, mitten im Takt, unaufgelöst. Ein Missklang, der uns im Kopf herumspukt und fast in den Wahnsinn treibt, bis wir ihn zumindest gedanklich zu einem harmonischen Schlussakt gebracht haben.
Romeo und Julia: flitterten bei Ella in Venedig.
Titanic: In der Version von Ella retteten Jack und Rose im Alleingang das Schiff und bekamen fünf Kinder.
Casablanca: Selbstverständlich entschied sich Ilsa Lund für Rick (...)
Ellas Welt: schön und heiter.
Und vor allen Dingen: übersichtlich."


Allein für diese Romanidee müsste die Autorin von mir schon mal 5 Sterne bekommen. So etwas Kreatives und überaus Neuartiges habe ich selten gehört. Aus Spaß hatte ich auch schon mal die Idee, alternative Enden zu bekannten Geschichten auf einem Blog anzubieten, was die Autorin uns aber in ausgearbeiteter Form auf das Leben eines geschlagenen Mannes bezogen präsentiert, ist wirklich wunderbar. Ich hatte mich eigentlich auf eine schnulzige Liebesgeschichte vorbereitet, was folgt ist die tragisch-komische Geschichte einer Frau, die sich immer mehr verrennt in ihrem Willen, etwas Gutes zu tun und aus ihrem Lügenkonstrukt bald nicht mehr herauskommt. Zusammen mit ihr gehen wir auf die rätselhafte Suche nach dem Grund für Oscars Absturz und fehlender Lebenslust und finden ein wahrhaft dramatisches Geheimnis über die Familie de Witt, angesichts dessen sich sowohl Ella als auch der Leser ein wenig überfordert fühlen. Und bald wird klar, dass sich hinter Ellas Happy-End-Sucht eine ganz eigene Tragik verbirgt, ein ganz bestimmter Grund, aus dem sie so geworden ist. Während sie versucht, Oscars Leben in Ordnung zu bringen muss sie sich selbst mit der Differenz zwischen Realität und Märchen auseinandersetzen und schließlich für ihre eigene Geschichte das passende Ende suchen. Denn während des ganzen Durcheinanders, beginnen sich Oscar und Ella näher zu kommen und sie muss sich entscheiden, was sie wirklich will.


"Oscar de Witt war tatsächlich ein leeres Buch - und sie, sie war doch eine Erzählerin. Tat sie seit Jahren nicht anderes, als Geschichten zu einem besseren Ende zu führen. Sollte sie also nicht genau das für Oscar tun? Ihm und seinem Leben, das aus den Fugen geraten ist, wieder auf die Sprünge zu helfen?"


Der Schreibstil ist recht geradlinig, an manchen Stellen jedoch sehr abschweifend und verträumt. Selbstverständlich passt das wunderbar zu Ella und ihren ausführlichen Gedankengängen, die sie immer wieder aus der Realität reißen, auf die Dauer sind aber ihre ganzen Gedanken, die Analyse ihrer Gefühle und andere Abschweifungen ein bisschen zu viel, sodass gerade am Anfang, als noch nicht so viel passiert, ein wenig Spannung verloren geht. Ebenfalls kamen viele Gefühle, die geschildert werden nicht ganz bei mir an, da der Leser sowohl zu Ella als auch zu Oscar beim Lesen eine gewisse Distanz wahrt. Ich kann nicht genau fassen, weshalb mir das so vorkam, aber ich denke, dadurch dass beide immer wieder Fehler machen, braucht man ein wenig Abstand zum Geschehen und all den Emotionen, um ihr Verhalten angemessen beurteilen zu können.
Besonders gut gefallen haben mir aber die vielen kleinen Anspielungen auf verschiedenste Dinge, die sich hier in der Geschichte finden lassen. Nicht zuletzt Emilias Nachnahme "Faust", der einmal aufgegriffen wird, die verschiedenen Enden von Bestsellern und Filmen, über die sich bestimmt jeder schon mal aufgeregt hat, das „Project Semicolon“ von Amy Bleuel und eine kleine, wohldosierte Priese an Gesellschaftskritik, machen das Buch zu einer wirklich runden Angelegenheit.


"Aber so war die Welt, sie blickte auf Frauen, die „nur“ Hausfrau – und vielleicht dazu „nur“ Mutter – waren, herab, als wäre das nichts"


Ella Cinderella alias Emilia Faust ist ein sehr spezieller Charakter. Auf der einen Seite steht da die naive, realitätsferne Träumerin, die am liebsten alles mit Glitzerstaub überziehen würde, auf der anderen Seite die gut organisierte und strukturierte Haushälterin, die viel nachdenkt und alles hinterfragt. Allein mit ihren inneren Konflikten könnte man schon einen ganzen Roman füllen. Selbstverständlich kann man mit vielen ihrer Entscheidungen nicht ganz einverstanden sein und muss sich manchmal für ihre spontanen Aktionen ein wenig belächeln, doch man fühlt trotzdem mit ihr und verzeiht ihr jeden Fehltritt für ihre ehrlichen Absichten. Doch leider ist "gut gemeint" oft das Gegenteil von "gut gemacht", also heiligt der Zweck die Mittel? Darf man so sehr in das Schicksal eines anderen Menschen eingreifen und die Wahrheit verändern? Sie ist sich selbst oft nicht sicher und tut einfach das, was ihr Herz ihr sagt. So ist sie auf der einen Seite recht klischeehaft und verkörpert ein Frauenbild, das ich eigentlich nicht leiden kann, auf der anderen Seite ist sie jedoch ein tiefgründiger und authentischer Charakter, der einfach nur nach einem Happy End für seine eigene Geschichte sucht.


"Das hier, das war die echte Herausforderung, die es zu meistern galt, um ans Ziel zu gelangen. Und sie, Emilia Faust, würde den Ruf annehmen; würde sämtliche Drachen töten und Rätsel lösen und jedem Rumpelstilzchen, das sich ihr in den Weg stellen mochte, trotzig dessen Namen entgegenbrüllen. (...) Im Namen des Zweckes und der Mittel und der Heiligkeit in Ewigkeit.
Amen."


Oscar de Witt ist ebenfalls ein sehr interessanter Protagonist. Sehr authentisch spielt er die Rolle des süß-verlorenen Snobs, der auf der Suche nach seinem Gedächtnis einen Psychiater besucht, Bücher liest, sein Haus auf dem Kopf stellt und auch schon mal verzweifelt. Mit seiner eher nüchternen, intelligenten Art, steht er als Gegenpol zu Ella, weshalb sie gerade wunderbar zusammenpassen. Sein Schicksal, über das wir als Leser langsam mehr erfahren, berührt ehrlich und zeigt ihn als gebrochenen Mann, sodass die nur langsam keimende Liebe zwischen Ella und ihm besonders wichtig erscheint. Anders als in vielen Romanen dieses Genres liegt hier der Schwerpunkt wirklich auf den zwei Figuren und ihre schicksalhafte Begegnung, als auf ihrer Liebe, die sie schlussendlich verbindet. Deshalb geht auch die Entwicklung dieser Liebe total schnell von statten, sodass sie fast schon wieder unglaubwürdig wirkt und gerade das Ende wirkt ein wenig überhastet.

Doch macht ein Happy End alleine nun wirklich glücklich? Muss es immer perfekt sein, damit man glücklich und zufrieden sein kann? Auch wenn man dies vielleicht nicht erwarten würde, verneint das dieser Roman, was ihn in meinen Augen ganz besonders macht. Diese Geschichte zeigt bis zu den letzten Seiten, dass es ruhig über Umwege gehen kann, man sich auch mal richtig verlaufen muss, verzeihen, verlassen, verarbeiten, verschmerzen und verlieren sollte, bis man schließlich etwas findet, was einen glücklich macht. Ob das nun der Traumprinz auf einem Märchenschloss, eine typische Vater-Mutter-Kind-Hund-Familie in einem Reihenhaus oder einfach ein gesundes Leben im Wohnwagen ist, ist schlussendlich egal.
Es wird zwar nie explizit erwähnt, es wird jedoch deutlich, dass die Geschichte den Fokus eher auf das Leben setzt und offen lässt, ob auch eine gute Geschichte mit einem schlechten Ende, lesenswert sein kann.
Vielleicht sind Happy Ends auch nur etwas, was wir anderen Menschen vorgaukeln, um zu verbergen, dass wir vielleicht unzufrieden sind, noch unerfüllte Träume haben.... Wer weiß.


"Wie es in Wahrheit in einem aussieht, geht eben nicht jeden etwas an.“


Das wirkliche Ende des Buches hat mir wir oben schon erwähnt, nicht ganz so gut gefallen. Ich war von Anfang an davon überzeugt, dass Ella ihr Happy End nicht bekommen wird, wenn der Titel und die ganze Story Line doch schon so offensichtlich in diese Richtung zeigten. Dass die Geschichte dann aber genau das vorgeschriebene Märchenklischee erfüllte, hat mich ein bisschen enttäuscht. Wirklich tiefgründig wäre gewesen, wenn sie das so ersehnte Happy End, das sie sich beinahe erzwungen hat, ganz knapp verpasst hätte und die Geschichte offen weitergegangen wäre. Denn Happy Ends haben immer etwas Endgültiges, Unrealistisches. "Sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende" klingt wie eine Entschuldigung des Märchens für all den Schmerz und das Leid, die sich davor ereignet haben. Zu dieser Geschichte hätte eher ein "es ist zwar noch nicht gut, aber wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende" gepasst. So wurde der Geschichte zwar ein gutes Ende verpasst, der Zauber verflog jedoch ein wenig.

Ich denke, dass in jedem von uns eine kleine Glitzerstaub- und Blümchenliebende Träumer Seite existiert, die nach einem Happy End verlangt, somit kann ich Ella und die Entscheidung der Autorin bis zu einem gewissen Grad durchaus nachvollziehen. Doch wie Bloxx, ein durchweg negativer Kommentator von Ellas Blog über das Leben sagt "Wir sind hier nicht bei "Wünsch dir was", wir sind hier bei "So isses", spielt das Leben oft nicht so, wie man sich das eigentlich vorgestellt hat. Doch ist es demnach falsch, Wünsche und Träume zu haben, Happy Ends zu lieben, weil sie einen glücklich machen und über die Realität hinwegtrösten? Ich würde sagen nein, auch wenn ich meinem Kopf und dem oben gesagten damit deutlich widerspreche! Und deshalb sind solche Romane für schwierige Zeiten genau das Richtige. Auch wenn sie vielleicht mit einem anderen Ende mehr Gehalt gehabt hätten - Happy Ends sind doch einfach schön, oder nicht?!!


"Neben jedem großen Wir braucht es auch immer noch ein Ich. Denn nur, wo zwei Menschen noch ein Stückchen voneinander entfernt stehen, können sie immer wieder aufeinander zugehen.“


Fazit:

"Wir sehen uns beim Happy End" ist kein bloßer Feelgood-Roman, er trägt ganz leise versteckt eine wundervolle Botschaft und berührt mit zarten Tönen. Eine Geschichte voller wunderbarer Ideen, kleinen Anspielungen und zwei vom Schicksal gezeichneter Charaktere, die einfach nur ihr Happy End suchen.

Veröffentlicht am 09.12.2017

Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende."

Wir sehen uns beim Happy End
0

Allgemeines:

Titel: Wir sehen uns beim Happy End
Autor: Charlotte Lucas
Verlag: Bastei Lübbe (24. November 2017)
Genre: Roman
ISBN-10: 378572599X
ISBN-13: 978-3785725993
ASIN: B071HL86M5
Seitenzahl: ...

Allgemeines:

Titel: Wir sehen uns beim Happy End
Autor: Charlotte Lucas
Verlag: Bastei Lübbe (24. November 2017)
Genre: Roman
ISBN-10: 378572599X
ISBN-13: 978-3785725993
ASIN: B071HL86M5
Seitenzahl: 560 Seiten
Preis: 6,99€ (Kindle-Edition)
18€ (gebundene Ausgabe)



Inhalt:

"Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende." (Emilia Faust, geklaut bei Oscar Wilde)

Stell dir vor, Romeo und Julia erleben wunderbare Flitterwochen, die kleine Meerjungfrau bekommt ihren Prinzen und Hannibal Lecter wird zum kinderfreundlichen Veganer - Wie könnte die Welt aussehen, wenn jede Geschichte das Recht auf ein glückliches Ende hätte? Und was würdest du tun, wenn dir das Leben die Verantwortung für einen anderen Menschen gibt? Schenkst du ihm ein Happy End? Selbst wenn du nicht weißt, ob er das will?
Ein zauberhafter Roman über das Schicksal, unerwartete Begegnungen - und die Frage, ob erst ein Happy End das Leben lebenswert macht.


Bewertung:

Schon als ich dieses Buch in der Verlagsvorschau sah wusste ich es: diese Geschichte ist etwas ganz besonderes! Das Lesen hat mich darin nur noch bestätigt - ein zauberhafter Roman über die Suche einer jungen Frau nach dem Happy End.

Das Cover ist ganz wundervoll gestaltet, auch wenn es nicht so ganz mein Fall ist. Die türkis-blaue Hintergrundfarbe gefällt mir nicht besonders, da sie als Eye-Catcher zu schwach, aber als Hintergrund zu dominant ist und sich mit den liebevollen Verzierungen um den Titel herum um die Aufmerksamkeit des Betrachters prügelt. Die Ranken, Sterne, Sonnen, Heißluftballons, Vögel, Käfer, Meerjungfrauen und Schaukeln lassen das ganze Motiv verspielt und naiv erscheinen, was ich in Anbetracht des Inhalts wirklich wunderbar gemacht finde. Auch der bunte Handlettering-Titel passt wunderbar ins Bild und hebt sich beim darüberfahren auch fühlbar hervor. Wozu ich noch ein wenig unentschlossen stehe, sind die am Rand grell pink gefärbten Seiten, die im Kontrast zum türkis-hellblauen Einband sehr stark hervorspringen. Auch innerhalb der Buchdeckel gefällt mir die Gestaltung gut. Die einzelnen Kapitel, die genau die richtige Länge besitzen, werden manchmal von Blogbeiträgen abgewechselt, die in passendem Layout und Design mit einigen Kommentaren ihrer Leser untermauert werden. Eine interessante Idee!
Insgesamt eine sehr verträumte, exzentrische aber wunderschöne Gestaltung des Covers, welches wunderbar zur Geschichte passt, mich persönlich aber nur mäßig anspricht. Sowohl Titel und Klapptext sind aber einfach perfekt getroffen!


Erster Satz: "Wenn es eine Sache gab, die Emilia Faust, genannt "Ella", mit absoluter Sicherheit wusste, dann die, dass eine Geschichte immer nur so gut ist wie ihr Ende."


Nun ja, wenn man nach dieser Lebenseinstellung das Buch betrachtet, würde meine Beurteilung dieser Geschichte nicht ganz so gut ausfallen, denn das Ende mochte ich nicht wirklich. Da mir aber alles andere sehr gut gefallen hat, bleibe ich doch lieber bei meinen persönlichen Beurteilungskriterien und schließe mich Ella an, wenn sie sagt:


"Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne"


Diese Geschichte startet zauberhaft mit einem Blogeintrag Ellas auf ihrem Webblog "Better Endings", auf dem sie Geschichten mit schrecklichem Ausgang einfach umschreibt und ihnen ein schöneres Ende verpasst. Eine riesige Fangemeine schaut auf sie, wenn sie ihrer Liebe zu Happy Ends und guten Märchen folgt und versucht, die vielen Schlimmen Dinge in der Welt etwas zu relativieren, in dem sie wenigstens ausgedachte Geschichten verbessert. Auch in der Realität trägt sie eine rosarote Brille und plant die Traumhochzeit mit ihrem märchenhaften Verlobten Philipp, mit dem sie in ihrem gutbürgerlichen Haus im Philosophenweg lebt und in den Sonnenuntergang laufen will, bis sie beide tot umfallen.

Als sie durch Zufall erfährt, dass ihr Verlobter sie betrogen hat und eigentlich gar nicht heiraten möchte, gerät ihr persönliches Happy End jedoch ganz schön ins wanken. Hals über Kopf vor diesen
Entwicklungen fliehend überrennt sie an der Landungsbrücke einen Mann, der daraufhin verschwindet und bloß seine Schuhe, seine Jacke, einen Geldbeutel und ein großes Geheimnis hinterlässt. Sie fühlt sich verantwortlich, ihm die Dinge zurückzugeben und sucht sein Haus auf, das sich als noble, aber total vernachlässigte Villa entpuppt. Als sie ein weiteres Mal die Flucht ergreifen will, rennt sie den Mann - Oscar de Witt - ein zweites Mal über den Haufen, woraufhin er sich verletzt und im Krankenhaus landet. Als Ella feststellt, dass der komplett erledigte und traurige Mann überhaupt keine Erinnerungen mehr an seine Vergangenheit hat macht sie es sich zur Aufgabe, sein Leben neu zusammenzustellen und ihm ein Happy End anzudichten. Das dies nicht ganz so glatt gehen kann, wie sie sich das vorgestellt hat, ist absehbar und sie tritt aus Versehen eine Lawine los, die sie kaum mehr stoppen kann...


"Wie bei einer Melodie, die abrupt endet, mitten im Takt, unaufgelöst. Ein Missklang, der uns im Kopf herumspukt und fast in den Wahnsinn treibt, bis wir ihn zumindest gedanklich zu einem harmonischen Schlussakt gebracht haben.
Romeo und Julia: flitterten bei Ella in Venedig.
Titanic: In der Version von Ella retteten Jack und Rose im Alleingang das Schiff und bekamen fünf Kinder.
Casablanca: Selbstverständlich entschied sich Ilsa Lund für Rick (...)
Ellas Welt: schön und heiter.
Und vor allen Dingen: übersichtlich."


Allein für diese Romanidee müsste die Autorin von mir schon mal 5 Sterne bekommen. So etwas Kreatives und überaus Neuartiges habe ich selten gehört. Aus Spaß hatte ich auch schon mal die Idee, alternative Enden zu bekannten Geschichten auf einem Blog anzubieten, was die Autorin uns aber in ausgearbeiteter Form auf das Leben eines geschlagenen Mannes bezogen präsentiert, ist wirklich wunderbar. Ich hatte mich eigentlich auf eine schnulzige Liebesgeschichte vorbereitet, was folgt ist die tragisch-komische Geschichte einer Frau, die sich immer mehr verrennt in ihrem Willen, etwas Gutes zu tun und aus ihrem Lügenkonstrukt bald nicht mehr herauskommt. Zusammen mit ihr gehen wir auf die rätselhafte Suche nach dem Grund für Oscars Absturz und fehlender Lebenslust und finden ein wahrhaft dramatisches Geheimnis über die Familie de Witt, angesichts dessen sich sowohl Ella als auch der Leser ein wenig überfordert fühlen. Und bald wird klar, dass sich hinter Ellas Happy-End-Sucht eine ganz eigene Tragik verbirgt, ein ganz bestimmter Grund, aus dem sie so geworden ist. Während sie versucht, Oscars Leben in Ordnung zu bringen muss sie sich selbst mit der Differenz zwischen Realität und Märchen auseinandersetzen und schließlich für ihre eigene Geschichte das passende Ende suchen. Denn während des ganzen Durcheinanders, beginnen sich Oscar und Ella näher zu kommen und sie muss sich entscheiden, was sie wirklich will.


"Oscar de Witt war tatsächlich ein leeres Buch - und sie, sie war doch eine Erzählerin. Tat sie seit Jahren nicht anderes, als Geschichten zu einem besseren Ende zu führen. Sollte sie also nicht genau das für Oscar tun? Ihm und seinem Leben, das aus den Fugen geraten ist, wieder auf die Sprünge zu helfen?"


Der Schreibstil ist recht geradlinig, an manchen Stellen jedoch sehr abschweifend und verträumt. Selbstverständlich passt das wunderbar zu Ella und ihren ausführlichen Gedankengängen, die sie immer wieder aus der Realität reißen, auf die Dauer sind aber ihre ganzen Gedanken, die Analyse ihrer Gefühle und andere Abschweifungen ein bisschen zu viel, sodass gerade am Anfang, als noch nicht so viel passiert, ein wenig Spannung verloren geht. Ebenfalls kamen viele Gefühle, die geschildert werden nicht ganz bei mir an, da der Leser sowohl zu Ella als auch zu Oscar beim Lesen eine gewisse Distanz wahrt. Ich kann nicht genau fassen, weshalb mir das so vorkam, aber ich denke, dadurch dass beide immer wieder Fehler machen, braucht man ein wenig Abstand zum Geschehen und all den Emotionen, um ihr Verhalten angemessen beurteilen zu können.
Besonders gut gefallen haben mir aber die vielen kleinen Anspielungen auf verschiedenste Dinge, die sich hier in der Geschichte finden lassen. Nicht zuletzt Emilias Nachnahme "Faust", der einmal aufgegriffen wird, die verschiedenen Enden von Bestsellern und Filmen, über die sich bestimmt jeder schon mal aufgeregt hat, das „Project Semicolon“ von Amy Bleuel und eine kleine, wohldosierte Priese an Gesellschaftskritik, machen das Buch zu einer wirklich runden Angelegenheit.


"Aber so war die Welt, sie blickte auf Frauen, die „nur“ Hausfrau – und vielleicht dazu „nur“ Mutter – waren, herab, als wäre das nichts"


Ella Cinderella alias Emilia Faust ist ein sehr spezieller Charakter. Auf der einen Seite steht da die naive, realitätsferne Träumerin, die am liebsten alles mit Glitzerstaub überziehen würde, auf der anderen Seite die gut organisierte und strukturierte Haushälterin, die viel nachdenkt und alles hinterfragt. Allein mit ihren inneren Konflikten könnte man schon einen ganzen Roman füllen. Selbstverständlich kann man mit vielen ihrer Entscheidungen nicht ganz einverstanden sein und muss sich manchmal für ihre spontanen Aktionen ein wenig belächeln, doch man fühlt trotzdem mit ihr und verzeiht ihr jeden Fehltritt für ihre ehrlichen Absichten. Doch leider ist "gut gemeint" oft das Gegenteil von "gut gemacht", also heiligt der Zweck die Mittel? Darf man so sehr in das Schicksal eines anderen Menschen eingreifen und die Wahrheit verändern? Sie ist sich selbst oft nicht sicher und tut einfach das, was ihr Herz ihr sagt. So ist sie auf der einen Seite recht klischeehaft und verkörpert ein Frauenbild, das ich eigentlich nicht leiden kann, auf der anderen Seite ist sie jedoch ein tiefgründiger und authentischer Charakter, der einfach nur nach einem Happy End für seine eigene Geschichte sucht.


"Das hier, das war die echte Herausforderung, die es zu meistern galt, um ans Ziel zu gelangen. Und sie, Emilia Faust, würde den Ruf annehmen; würde sämtliche Drachen töten und Rätsel lösen und jedem Rumpelstilzchen, das sich ihr in den Weg stellen mochte, trotzig dessen Namen entgegenbrüllen. (...) Im Namen des Zweckes und der Mittel und der Heiligkeit in Ewigkeit.
Amen."


Oscar de Witt ist ebenfalls ein sehr interessanter Protagonist. Sehr authentisch spielt er die Rolle des süß-verlorenen Snobs, der auf der Suche nach seinem Gedächtnis einen Psychiater besucht, Bücher liest, sein Haus auf dem Kopf stellt und auch schon mal verzweifelt. Mit seiner eher nüchternen, intelligenten Art, steht er als Gegenpol zu Ella, weshalb sie gerade wunderbar zusammenpassen. Sein Schicksal, über das wir als Leser langsam mehr erfahren, berührt ehrlich und zeigt ihn als gebrochenen Mann, sodass die nur langsam keimende Liebe zwischen Ella und ihm besonders wichtig erscheint. Anders als in vielen Romanen dieses Genres liegt hier der Schwerpunkt wirklich auf den zwei Figuren und ihre schicksalhafte Begegnung, als auf ihrer Liebe, die sie schlussendlich verbindet. Deshalb geht auch die Entwicklung dieser Liebe total schnell von statten, sodass sie fast schon wieder unglaubwürdig wirkt und gerade das Ende wirkt ein wenig überhastet.

Doch macht ein Happy End alleine nun wirklich glücklich? Muss es immer perfekt sein, damit man glücklich und zufrieden sein kann? Auch wenn man dies vielleicht nicht erwarten würde, verneint das dieser Roman, was ihn in meinen Augen ganz besonders macht. Diese Geschichte zeigt bis zu den letzten Seiten, dass es ruhig über Umwege gehen kann, man sich auch mal richtig verlaufen muss, verzeihen, verlassen, verarbeiten, verschmerzen und verlieren sollte, bis man schließlich etwas findet, was einen glücklich macht. Ob das nun der Traumprinz auf einem Märchenschloss, eine typische Vater-Mutter-Kind-Hund-Familie in einem Reihenhaus oder einfach ein gesundes Leben im Wohnwagen ist, ist schlussendlich egal.
Es wird zwar nie explizit erwähnt, es wird jedoch deutlich, dass die Geschichte den Fokus eher auf das Leben setzt und offen lässt, ob auch eine gute Geschichte mit einem schlechten Ende, lesenswert sein kann.
Vielleicht sind Happy Ends auch nur etwas, was wir anderen Menschen vorgaukeln, um zu verbergen, dass wir vielleicht unzufrieden sind, noch unerfüllte Träume haben.... Wer weiß.


"Wie es in Wahrheit in einem aussieht, geht eben nicht jeden etwas an.“


Das wirkliche Ende des Buches hat mir wir oben schon erwähnt, nicht ganz so gut gefallen. Ich war von Anfang an davon überzeugt, dass Ella ihr Happy End nicht bekommen wird, wenn der Titel und die ganze Story Line doch schon so offensichtlich in diese Richtung zeigten. Dass die Geschichte dann aber genau das vorgeschriebene Märchenklischee erfüllte, hat mich ein bisschen enttäuscht. Wirklich tiefgründig wäre gewesen, wenn sie das so ersehnte Happy End, das sie sich beinahe erzwungen hat, ganz knapp verpasst hätte und die Geschichte offen weitergegangen wäre. Denn Happy Ends haben immer etwas Endgültiges, Unrealistisches. "Sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende" klingt wie eine Entschuldigung des Märchens für all den Schmerz und das Leid, die sich davor ereignet haben. Zu dieser Geschichte hätte eher ein "es ist zwar noch nicht gut, aber wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende" gepasst. So wurde der Geschichte zwar ein gutes Ende verpasst, der Zauber verflog jedoch ein wenig.

Ich denke, dass in jedem von uns eine kleine Glitzerstaub- und Blümchenliebende Träumer Seite existiert, die nach einem Happy End verlangt, somit kann ich Ella und die Entscheidung der Autorin bis zu einem gewissen Grad durchaus nachvollziehen. Doch wie Bloxx, ein durchweg negativer Kommentator von Ellas Blog über das Leben sagt "Wir sind hier nicht bei "Wünsch dir was", wir sind hier bei "So isses", spielt das Leben oft nicht so, wie man sich das eigentlich vorgestellt hat. Doch ist es demnach falsch, Wünsche und Träume zu haben, Happy Ends zu lieben, weil sie einen glücklich machen und über die Realität hinwegtrösten? Ich würde sagen nein, auch wenn ich meinem Kopf und dem oben gesagten damit deutlich widerspreche! Und deshalb sind solche Romane für schwierige Zeiten genau das Richtige. Auch wenn sie vielleicht mit einem anderen Ende mehr Gehalt gehabt hätten - Happy Ends sind doch einfach schön, oder nicht?!!


"Neben jedem großen Wir braucht es auch immer noch ein Ich. Denn nur, wo zwei Menschen noch ein Stückchen voneinander entfernt stehen, können sie immer wieder aufeinander zugehen.“


Fazit:

"Wir sehen uns beim Happy End" ist kein bloßer Feelgood-Roman, er trägt ganz leise versteckt eine wundervolle Botschaft und berührt mit zarten Tönen. Eine Geschichte voller wunderbarer Ideen, kleinen Anspielungen und zwei vom Schicksal gezeichneter Charaktere, die einfach nur ihr Happy End suchen.

Veröffentlicht am 29.10.2017

Eine zerbrechliche Liebe am Abgrund

Viel näher als zu nah
0

Allgemeines:

Titel: Viel näher als zu nah
Autor: Angela Kirchner
Verlag: Dressler (25. September 2017)
Genre: Roman
ISBN-10: 3791500570
ISBN-13: 978-3791500577
ASIN: B071NPMSXV
Seitenzahl: 256 Seiten
Vom ...

Allgemeines:

Titel: Viel näher als zu nah
Autor: Angela Kirchner
Verlag: Dressler (25. September 2017)
Genre: Roman
ISBN-10: 3791500570
ISBN-13: 978-3791500577
ASIN: B071NPMSXV
Seitenzahl: 256 Seiten
Vom Hersteller empfohlenes Alter: 13 - 16 Jahre
Preis: 11,99€ (Kindle-Edition)
16,99€ (Gebundene Ausgabe)



Inhalt:

Am Anfang war der Knall. Es ist diese Nacht, diese Party, die alles verändert im Leben von Fey und Lucas. Fey und ihre Freundin wollen eigentlich nur nach Hause und geraten mitten rein in das Motorradrennen von Lucas und Ben, mitten rein in den Unfall. Mitten rein in ein neues Leben. Und dann treffen Fey und Lucas sich wieder. Obwohl sie sich hassen sollten, sprüht es Funken, und nicht nur vor Wut!


Bewertung:

Auf diesen Roman aufmerksam geworden bin ich über die Verlagsseite der Verlags-Gruppe Oetinger. Der Name der Autorin hat mir erst nicht gesagt, doch als ich mitten im Lesen war ist mir aufgefallen, dass ich schon das Debüt von Angela Kirchner "Über den Dächern wir zwei" mit Begeisterung gelesen habe. Und auch diese ungewöhnliche Liebesgeschichte, eindringlich und wunderbar zart erzählt, ist etwas ganz Besonderes!

Doch zuerst einige Worte zum Cover und der äußerlichen Gestaltung. Ich muss zugeben, dass ich das Cover auf den ersten Blick nicht besonders ansprechend fand. Die rosa, glänzende Schrift mit den verlaufenden Blumen erschienen mir zu aufdringlich, der türkisblaue Stoffstreifen über dem Buchrücken zu kontrastreich und der kartonierte Hintergrund zu schlicht. Auch von der Einbandart, mit festem Karton anstatt einem normalen Buchdecken, hat mich zuerst verwundert. Doch jetzt im Nachhinein muss ich sagen, dass mir die Art, wie sich das Buch von Einband und Titel her von der Masse abhebt, sehr gut gefällt. Sowohl der pinke Titel, der wunderschön glänzt, wenn man ihn ins Licht dreht, als auch der aufdringlich große Titel passen wunderbar zur Handlung und spiegeln die Grundatmosphäre wider: einerseits blumig, zart und schön, anderseits aufdringlich, seltsam und scharfkantig. Einfach wundervoll! Gut gefallen hat mir auch, dass die Schriftart sich mit der Perspektive ändert, so erhalten die Passagen aus Feys Sicht eine größere, rundere Schrift, als die kleingedruckten, eckigen Passagen aus Lucas´ Sicht, sodass man die beiden wunderbar unterscheiden kann und die Perspektivwechsel nicht in Verwirrung ausarten.


Erster Satz: "Ich kann das"


Nach einem recht verwirrenden und abrupt beginnenden Prolog werden wir in eine der wohl ungewöhnlichsten Liebensgeschichten des Jahrhundert eingeführt: zwei verletzte Menschen, die das Schicksal grausam zusammen finden lassen hat und sie dann immer wieder durch zufällige Begegnungen im Alltag konfrontiert. Ein grausames Spiel oder eine Möglichkeit auf Heilung für sie beide?


"Atmen, ich muss atmen.
Es geht nicht. Alles steht in Flammen.
Niemals.
Niemals zuvor.
Niemals zuvor hatte ich solche Schmerzen."



Das ist der Schlüsselmoment der alles verändert: Durch Lucas Svensson sind drei Menschen schwer verletzt worden, als er nach einer Party mit seinem Freund Ben ein Motorradrennen veranstaltet. Schwer verletzt wird er durch sein Gewissen gequält, unfähig aus seinem Loch wieder hinauszuklettern. Als er dann noch erfährt, dass er eines der Mädchen kennt, deren Leben er zerstört hat, reißt es ihm den Boden unter den Füßen weg. Ausgerechnet Fey, der er auf der Party näher gekommen war und die ihm mit ihren pinken Haaren sofort aufgefallen und ihn mit ihrer sarkastischen, lockeren Art fasziniert hat. Als Lucas sie daraufhin aufsucht, um sich zu entschuldigen und sie unglaublich wütend und verletzt wiederfindet, ist es ein Schock für sie beide. Dass sie ihn nun hasst ist verständlich, doch als sich ihre Wege immer wieder kreuzen und obwohl sich beide dagegen wehren, können sie es dennoch nicht verhindern, dass sie sich voneinander angezogen fühlen...


"Ich habe ständig das Bild vor Augen, wie sich rotes Blut mit dem Pink ihrer Haare vermischt. Inzwischen sind ihre Haare blau. Die Farbe wird von Mal zu Mal dunkler, wenn wir uns über den Weg laufen. Das ist ein Stimmungsbarometer für meine Laune, je dunkler ihre Haare, desto schlechter meine... mein... mein Gewissen."


Ich habe die atmosphärische Diskrepanz eben schon angesprochen: das Buch vereint eine unglaublich zerbrechliche Liebe, die am Abgrund aus Gefühlen, Schuld und Verletzungen wandelt, immer in Gefahr abzustürzen. Diesen stetigen Drahtseilakt zwischen Hass und Liebe, Schuld und Vergebung, Täter und Opfer, Licht und Dunkelheit, Lachen und Weinen authentisch darzustellen, erfordert unglaublich viel Fingerspitzengefühl, doch Angela Kirchner meistert das ganz wunderbar. Mit ihrer vorsichtigen, zurückhaltenden Art, Szenen zu konstruieren und ihrem flüssigen Schreibstil, lässt sie die knapp 250 Seiten wie im Fluge vergehen und hält eine knisternde Spannung aufrecht, die durch die leise Tragik der beiden Protagonisten entsteht, während wir Leser hoffen, dass sie die Schwierigkeiten, die ihr Schicksal ihnen in den Weg gelegt haben, zusammen überwinden können und zueinander finden.


Lucas:

"Fey lächelt. Ganz langsam senke ich meinen Kopf. Wie schon heute Nachmittag verändert sich ihr Gesicht auf eine Weise, die ich für die Ewigkeit konservieren möchte. Ich sollte Tesa über den Moment kleben, einen Film darüber drehen, was dieses Lächeln mit ich macht, oder sie einfach darum bitten, mindestens einmal am Tag so zu lächeln. Für den Rest ihres Lebens."


Das wirklich besondere an diesem Buch sind die Charaktere und vor allem deren Verbindungen. Obwohl sich Lucas und Fey die Erzählperspektive teilen, ist er eindeutig der Hauptprotagonist der Geschichte. Als solcher ist er sowas von antiklischeehaft und gespalten, dass er sich unsere Sympathie erst erkämpfen muss. Wir lernen ihn zuerst als gewissenlosen Aufreißer und coolen Typen kennen, dem nichts wichtiger ist als sein Ruf, sein Motorrad und ein wenig Spaß zu haben. Doch nach dem Unfall ändert sich das alles. Seine Schuld drückt ihn in ein tiefes Loch, aus dem ihm weder seine Eltern, noch sein bester Freund Ben heraushelfen können, da er blind vor Verzweiflung jede Hilfe ablehnt und sich nur auf sich selbst konzentriert. Das gerade das Mädchen, dass er durch seine Schuld ebenfalls in einen Abgrund gestoßen hat, ihm dabei helfen wird, den Weg hinaus zu finden, ist eine kranke Fügung des Schicksals, die er niemals erwartet hätte, eben so wenig wie Fey selbst. Im Laufe des Buches wird Lucas immer sympathischer, auch wenn er immer wieder Fehler macht. Er ist sich bewusst, dass er großen Mist gebaut hat und versucht, alles wieder geradezubiegen, wobei er weder auf seine Gesundheit noch auf seine eigenen Gefühlen Rücksicht nimmt. Es ist wirklich beeindruckend, wie er immer wieder aufsteht, sich aufrafft und sich schmerzhaften Dingen stellt und so versucht, seine Schuld abzuarbeiten.


Fey:

"Hey wow! Vorsicht!", sage ich, und ein nervöses Lächeln rutscht mir über die Lippen. Das hier ist viel näher als zu nah. Meine Hände liegen noch auf seiner Brust, ich muss sie wegnehmen, damit seine Wärme mich nicht einfangen kann. Gleich nehme ich sie weg.
Gleich..."



Auch Fey, eigentlich Felicitas Lippkes, ist ein recht zwiespältiger Charakter, den man ebenfalls weder einfach durchschauen noch so schnell ins Herz schließen kann. Trotz der kleinen Passagen aus ihrer Sicht ist sie sehr schwer einzuschätzen, was sie sowohl in Lucas´ als auch in den Augen des Leser sehr interessant macht. Sie versucht zuerst, Lucas für seine Verantwortung zu hassen, man sieht sie dabei aber immer mehr scheitern. Da wir eine wichtige Information über sie erst ganz am Ende erfahren, wirken ihre wechselnden Launen sprunghaft und überraschend, sind aber nur reiner Selbstschutz. Ansonsten ist sie ein erstaunlich lebensfrohes und aufrichtiges Mädchen, wenn man bedenkt, was sie alles hinter sich hat. Sie lässt sich so einfach nicht unterkriegen und beeindruckt so genau wie Lucas mit innerer Stärke.
Gerade die spannende Wendung am Ende reißt die Handlung in eine ganz neue Richtung und man versteht endlich ihr Handeln und die volle Tragik des ganzen. Mich hat es sehr berührt.

Auch Lucas´ Beziehung zu seinem besten Freund Ben ist sehr interessant. Auch er hat große Probleme, die aber in denen von Lucas komplett untergehen, was ihn authentisch mitleiden lässt.
Alle Charaktere sind also wirklich super herausgearbeitet und glaubwürdiger dargestellt, als man das bei so wenigen Seiten und einem solch schwierigen Thema erwarten würde!


"Wenn ich könnte, würde ich all die Bilder und Gedankenfetzen, die mich an den Unfall erinnern, gegen etwas eintauschen, was ... ich weiß nicht... anders schlimm ist. Gegen die Schmerzattacken vom Anfang zum Beispiel. Gegen drei weitere Jahre mit Krücken. Oder gegen eine fette Tracht Prügel. Aber so läuft das nicht. Stattdessen blitzen mehr Erinnerungen auf, wechseln sich im Takt meines Herzschlags ab.
Badumm - badumm - badumm.
Rücklicht - Fiat - Kreuzung.
Badumm - badumm - badumm.
Ampel - dunkel - Schmerz."



An manchen Stellen bemerkt man die Kürze dann aber doch, so sind einige Szenen ein wenig sprunghaft und zwischendrin fehlt ein kleines bisschen Substanz, weshalb ich auch keine vollen 5 Sterne vergeben werde. Trotzdem bin ich rundum begeistert von diesem kleinen Meisterwerk.

Wer also typische Liebesgeschichte erwartet, wird zwangsläufig enttäuscht werden, viel mehr haben die Protagonisten damit zu kämpfen, mit dem schlimmen Unfall und seinen Folgen klarzukommen, sich ihre Schuld einzugestehen, einander verzeihen zu können und so damit abzuschließen.
Das Ende ist recht offen gehalten, was in dem Fall genau richtig gewählt ist. Alle wichtigen Fragen sind geklärt und der Grundkonflikt hat sein Ende gefunden, wie genau sich die Dinge aber noch entwickeln werden, wird offen gelassen, sodass wir Lucas und Fey alleine den Rest ihres Wegs gehen lassen.


Fazit:

Dieser wundervolle Roman zeichnet das Bild eine unglaublich zerbrechliche Liebe, die am Abgrund aus Gefühlen, Schuld und Verletzungen wandelt, immer in Gefahr abzustürzen und zeigt auf, wie schwierig der Prozess der Heilung nach einem schweren Unfall sein kann und wie wichtig es ist, einander und vor allem sich selbst verzeihen zu können.
Grandios!

Veröffentlicht am 29.10.2017

Eine zerbrechliche Liebe am Abgrund

Viel näher als zu nah
0

Allgemeines:

Titel: Viel näher als zu nah
Autor: Angela Kirchner
Verlag: Dressler (25. September 2017)
Genre: Roman
ISBN-10: 3791500570
ISBN-13: 978-3791500577
ASIN: B071NPMSXV
Seitenzahl: 256 Seiten
Vom ...

Allgemeines:

Titel: Viel näher als zu nah
Autor: Angela Kirchner
Verlag: Dressler (25. September 2017)
Genre: Roman
ISBN-10: 3791500570
ISBN-13: 978-3791500577
ASIN: B071NPMSXV
Seitenzahl: 256 Seiten
Vom Hersteller empfohlenes Alter: 13 - 16 Jahre
Preis: 11,99€ (Kindle-Edition)
16,99€ (Gebundene Ausgabe)




Inhalt:

Am Anfang war der Knall. Es ist diese Nacht, diese Party, die alles verändert im Leben von Fey und Lucas. Fey und ihre Freundin wollen eigentlich nur nach Hause und geraten mitten rein in das Motorradrennen von Lucas und Ben, mitten rein in den Unfall. Mitten rein in ein neues Leben. Und dann treffen Fey und Lucas sich wieder. Obwohl sie sich hassen sollten, sprüht es Funken, und nicht nur vor Wut!


Bewertung:

Auf diesen Roman aufmerksam geworden bin ich über die Verlagsseite der Verlags-Gruppe Oetinger. Der Name der Autorin hat mir erst nicht gesagt, doch als ich mitten im Lesen war ist mir aufgefallen, dass ich schon das Debüt von Angela Kirchner "Über den Dächern wir zwei" mit Begeisterung gelesen habe. Und auch diese ungewöhnliche Liebesgeschichte, eindringlich und wunderbar zart erzählt, ist etwas ganz Besonderes!

Doch zuerst einige Worte zum Cover und der äußerlichen Gestaltung. Ich muss zugeben, dass ich das Cover auf den ersten Blick nicht besonders ansprechend fand. Die rosa, glänzende Schrift mit den verlaufenden Blumen erschienen mir zu aufdringlich, der türkisblaue Stoffstreifen über dem Buchrücken zu kontrastreich und der kartonierte Hintergrund zu schlicht. Auch von der Einbandart, mit festem Karton anstatt einem normalen Buchdecken, hat mich zuerst verwundert. Doch jetzt im Nachhinein muss ich sagen, dass mir die Art, wie sich das Buch von Einband und Titel her von der Masse abhebt, sehr gut gefällt. Sowohl der pinke Titel, der wunderschön glänzt, wenn man ihn ins Licht dreht, als auch der aufdringlich große Titel passen wunderbar zur Handlung und spiegeln die Grundatmosphäre wider: einerseits blumig, zart und schön, anderseits aufdringlich, seltsam und scharfkantig. Einfach wundervoll! Gut gefallen hat mir auch, dass die Schriftart sich mit der Perspektive ändert, so erhalten die Passagen aus Feys Sicht eine größere, rundere Schrift, als die kleingedruckten, eckigen Passagen aus Lucas´ Sicht, sodass man die beiden wunderbar unterscheiden kann und die Perspektivwechsel nicht in Verwirrung ausarten.


Erster Satz: "Ich kann das"


Nach einem recht verwirrenden und abrupt beginnenden Prolog werden wir in eine der wohl ungewöhnlichsten Liebensgeschichten des Jahrhundert eingeführt: zwei verletzte Menschen, die das Schicksal grausam zusammen finden lassen hat und sie dann immer wieder durch zufällige Begegnungen im Alltag konfrontiert. Ein grausames Spiel oder eine Möglichkeit auf Heilung für sie beide?


"Atmen, ich muss atmen.
Es geht nicht. Alles steht in Flammen.
Niemals.
Niemals zuvor.
Niemals zuvor hatte ich solche Schmerzen."



Das ist der Schlüsselmoment der alles verändert: Durch Lucas Svensson sind drei Menschen schwer verletzt worden, als er nach einer Party mit seinem Freund Ben ein Motorradrennen veranstaltet. Schwer verletzt wird er durch sein Gewissen gequält, unfähig aus seinem Loch wieder hinauszuklettern. Als er dann noch erfährt, dass er eines der Mädchen kennt, deren Leben er zerstört hat, reißt es ihm den Boden unter den Füßen weg. Ausgerechnet Fey, der er auf der Party näher gekommen war und die ihm mit ihren pinken Haaren sofort aufgefallen und ihn mit ihrer sarkastischen, lockeren Art fasziniert hat. Als Lucas sie daraufhin aufsucht, um sich zu entschuldigen und sie unglaublich wütend und verletzt wiederfindet, ist es ein Schock für sie beide. Dass sie ihn nun hasst ist verständlich, doch als sich ihre Wege immer wieder kreuzen und obwohl sich beide dagegen wehren, können sie es dennoch nicht verhindern, dass sie sich voneinander angezogen fühlen...


"Ich habe ständig das Bild vor Augen, wie sich rotes Blut mit dem Pink ihrer Haare vermischt. Inzwischen sind ihre Haare blau. Die Farbe wird von Mal zu Mal dunkler, wenn wir uns über den Weg laufen. Das ist ein Stimmungsbarometer für meine Laune, je dunkler ihre Haare, desto schlechter meine... mein... mein Gewissen."



Ich habe die atmosphärische Diskrepanz eben schon angesprochen: das Buch vereint eine unglaublich zerbrechliche Liebe, die am Abgrund aus Gefühlen, Schuld und Verletzungen wandelt, immer in Gefahr abzustürzen. Diesen stetigen Drahtseilakt zwischen Hass und Liebe, Schuld und Vergebung, Täter und Opfer, Licht und Dunkelheit, Lachen und Weinen authentisch darzustellen, erfordert unglaublich viel Fingerspitzengefühl, doch Angela Kirchner meistert das ganz wunderbar. Mit ihrer vorsichtigen, zurückhaltenden Art, Szenen zu konstruieren und ihrem flüssigen Schreibstil, lässt sie die knapp 250 Seiten wie im Fluge vergehen und hält eine knisternde Spannung aufrecht, die durch die leise Tragik der beiden Protagonisten entsteht, während wir Leser hoffen, dass sie die Schwierigkeiten, die ihr Schicksal ihnen in den Weg gelegt haben, zusammen überwinden können und zueinander finden.


Lucas:

"Fey lächelt. Ganz langsam senke ich meinen Kopf. Wie schon heute Nachmittag verändert sich ihr Gesicht auf eine Weise, die ich für die Ewigkeit konservieren möchte. Ich sollte Tesa über den Moment kleben, einen Film darüber drehen, was dieses Lächeln mit ich macht, oder sie einfach darum bitten, mindestens einmal am Tag so zu lächeln. Für den Rest ihres Lebens."


Das wirklich besondere an diesem Buch sind die Charaktere und vor allem deren Verbindungen. Obwohl sich Lucas und Fey die Erzählperspektive teilen, ist er eindeutig der Hauptprotagonist der Geschichte. Als solcher ist er sowas von antiklischeehaft und gespalten, dass er sich unsere Sympathie erst erkämpfen muss. Wir lernen ihn zuerst als gewissenlosen Aufreißer und coolen Typen kennen, dem nichts wichtiger ist als sein Ruf, sein Motorrad und ein wenig Spaß zu haben. Doch nach dem Unfall ändert sich das alles. Seine Schuld drückt ihn in ein tiefes Loch, aus dem ihm weder seine Eltern, noch sein bester Freund Ben heraushelfen können, da er blind vor Verzweiflung jede Hilfe ablehnt und sich nur auf sich selbst konzentriert. Das gerade das Mädchen, dass er durch seine Schuld ebenfalls in einen Abgrund gestoßen hat, ihm dabei helfen wird, den Weg hinaus zu finden, ist eine kranke Fügung des Schicksals, die er niemals erwartet hätte, eben so wenig wie Fey selbst. Im Laufe des Buches wird Lucas immer sympathischer, auch wenn er immer wieder Fehler macht. Er ist sich bewusst, dass er großen Mist gebaut hat und versucht, alles wieder geradezubiegen, wobei er weder auf seine Gesundheit noch auf seine eigenen Gefühlen Rücksicht nimmt. Es ist wirklich beeindruckend, wie er immer wieder aufsteht, sich aufrafft und sich schmerzhaften Dingen stellt und so versucht, seine Schuld abzuarbeiten.


Fey:

"Hey wow! Vorsicht!", sage ich, und ein nervöses Lächeln rutscht mir über die Lippen. Das hier ist viel näher als zu nah. Meine Hände liegen noch auf seiner Brust, ich muss sie wegnehmen, damit seine Wärme mich nicht einfangen kann. Gleich nehme ich sie weg.
Gleich..."



Auch Fey, eigentlich Felicitas Lippkes, ist ein recht zwiespältiger Charakter, den man ebenfalls weder einfach durchschauen noch so schnell ins Herz schließen kann. Trotz der kleinen Passagen aus ihrer Sicht ist sie sehr schwer einzuschätzen, was sie sowohl in Lucas´ als auch in den Augen des Leser sehr interessant macht. Sie versucht zuerst, Lucas für seine Verantwortung zu hassen, man sieht sie dabei aber immer mehr scheitern. Da wir eine wichtige Information über sie erst ganz am Ende erfahren, wirken ihre wechselnden Launen sprunghaft und überraschend, sind aber nur reiner Selbstschutz. Ansonsten ist sie ein erstaunlich lebensfrohes und aufrichtiges Mädchen, wenn man bedenkt, was sie alles hinter sich hat. Sie lässt sich so einfach nicht unterkriegen und beeindruckt so genau wie Lucas mit innerer Stärke.
Gerade die spannende Wendung am Ende reißt die Handlung in eine ganz neue Richtung und man versteht endlich ihr Handeln und die volle Tragik des ganzen. Mich hat es sehr berührt.

Auch Lucas´ Beziehung zu seinem besten Freund Ben ist sehr interessant. Auch er hat große Probleme, die aber in denen von Lucas komplett untergehen, was ihn authentisch mitleiden lässt.
Alle Charaktere sind also wirklich super herausgearbeitet und glaubwürdiger dargestellt, als man das bei so wenigen Seiten und einem solch schwierigen Thema erwarten würde!


"Wenn ich könnte, würde ich all die Bilder und Gedankenfetzen, die mich an den Unfall erinnern, gegen etwas eintauschen, was ... ich weiß nicht... anders schlimm ist. Gegen die Schmerzattacken vom Anfang zum Beispiel. Gegen drei weitere Jahre mit Krücken. Oder gegen eine fette Tracht Prügel. Aber so läuft das nicht. Stattdessen blitzen mehr Erinnerungen auf, wechseln sich im Takt meines Herzschlags ab.
Badumm - badumm - badumm.
Rücklicht - Fiat - Kreuzung.
Badumm - badumm - badumm.
Ampel - dunkel - Schmerz."



An manchen Stellen bemerkt man die Kürze dann aber doch, so sind einige Szenen ein wenig sprunghaft und zwischendrin fehlt ein kleines bisschen Substanz, weshalb ich auch keine vollen 5 Sterne vergeben werde. Trotzdem bin ich rundum begeistert von diesem kleinen Meisterwerk.

Wer also typische Liebesgeschichte erwartet, wird zwangsläufig enttäuscht werden, viel mehr haben die Protagonisten damit zu kämpfen, mit dem schlimmen Unfall und seinen Folgen klarzukommen, sich ihre Schuld einzugestehen, einander verzeihen zu können und so damit abzuschließen.
Das Ende ist recht offen gehalten, was in dem Fall genau richtig gewählt ist. Alle wichtigen Fragen sind geklärt und der Grundkonflikt hat sein Ende gefunden, wie genau sich die Dinge aber noch entwickeln werden, wird offen gelassen, sodass wir Lucas und Fey alleine den Rest ihres Wegs gehen lassen.


Fazit:

Dieser wundervolle Roman zeichnet das Bild eine unglaublich zerbrechliche Liebe, die am Abgrund aus Gefühlen, Schuld und Verletzungen wandelt, immer in Gefahr abzustürzen und zeigt auf, wie schwierig der Prozess der Heilung nach einem schweren Unfall sein kann und wie wichtig es ist, einander und vor allem sich selbst verzeihen zu können.
Grandios!