„Letztlich war der Unterschied zwischen Lachen und Weinen gar nicht so groß. Sie verhielten sich zueinander wie Weggehen und Heimkommen – auch dafür brauchte es lediglich ein Haus.“
Inhalt
Eva kehrt nach vielen Jahren in ihren kleinen Heimatort zurück, nachdem sie eine Einladung von ihrem ehemaligen Klassenkameraden Pim erhalten hat. In Bovenmeer einer beschaulichen belgischen Gemeinde, in der jeder Jeden kennt und man sich über nachbarschaftliche Lebensläufe unterhält, ruht Evas Vergangenheit mit all ihren dunklen Geheimnissen. Doch diesmal kommt die junge Frau nicht nur zur Gedenkfeierstunde anlässlich des Geburtstages eines längst verstorbenen Schulfreundes, sondern sie kommt ein letztes Mal, um aufzuräumen, was geblieben ist, um wahr zu machen, was einst ein Rätsel war und um endlich einen Schlussstrich unter all die Verfehlungen ihrer Jugend zu ziehen. Dazu hat sie sich einen riesigen Eisblock in den Kofferraum gelegt, der hoffentlich bis zum Zielort seine Form behält und damit seinen Zweck erfüllt.
Meinung
Aufmerksam geworden bin ich auf diesen Roman durch die vielen eindrücklichen Rezensionen, die mich wirklich neugierig gemacht haben, was es denn nun mit diesem Eisblock auf sich hat. Aber mir war auch von Anfang an klar, dass die Lesermeinungen hier sehr weit auseinanderdriften, insbesondere was die Thematik und Bedeutsamkeit der Erzählung anbelangt. So habe ich eine ambivalente Stimmung erwartet und war in gewisser Weise „vorgewarnt“ – dieser Roman begeistert die einen, während er die anderen enttäuscht. Und nach der Lektüre kann ich nur so viel sagen: Lize Spit will schockieren, sie fordert den Leser heraus und konfrontiert ihn mit menschlichen Abgründen. Dieses Buch eignet sich hervorragend für Diskussionsrunden, weil es unheimlich schwer ist, bei dem Gelesenen eine neutrale Haltung zu bewahren. Ich glaube man liebt es, oder man schüttelt nur noch den Kopf – lesen sollte man es aber auf jeden Fall.
In ihrem Debütroman sticht die junge belgische Autorin unmittelbar in ein Wespennest und scheut vor Dramatik, Abscheu und Ekel nicht zurück. Sie forciert Grenzen regelrecht und überschreitet sie stellenweise auch. Was wie ein normaler Sommer mehrerer Jugendlicher beginnt, entwickelt sich zu einem Schreckensszenario, welchem der Leser erst nach und nach auf die Spur kommt. Eine Zufallsfreundschaft, geboren aus der räumlichen Nähe und den fehlenden Alternativen führt Eva und ihre beiden Freunde Pim und Laurens zusammen. Gemeinsam beschließen sie ihren Alltag mit einem Spiel zu bereichern und ebenso wie die berühmten Musketiere zusammenzuhalten, egal was passiert. Doch wie so oft im Leben ist es nicht diese Momentaufnahme, die Veränderungen bringt, sondern viele, kleine Risse im zwischenmenschlichen Bereich, die schließlich zur fatalen Wende führen.
Erzählt wird einzig aus Sicht der Hauptprotagonistin, was dazu führt, dass alle anderen Charaktere im Hintergrund bleiben und nur die eingeschränkte Sichtweise eines verstörten, tief verletzten jungen Mädchens zur Sprache kommt. Sichtbar wird zwar das Fehlverhalten aller Beteiligten, doch als Leser gelingt es nicht, die wahren Beweggründe zu erforschen. Diese bewusst gewählte Einseitigkeit hat mich etwas gestört und konnte auch nicht über die beiden Zeitebenen hinwegtrösten, die sehr gut gewählt wurden. Denn nicht nur der Sommer 2002 ist Handlungsschwerpunkt, sondern auch die Gegenwart, die durch die Präsenz des Eisblocks für den nötigen Unterhaltungswert sorgt. Denn eines kann man diesem Buch nicht absprechen: es fesselt ungemein und lässt den Leser nicht mehr los, solange bis man alle Schichten der Wahrheit aufgedeckt hat.
Sehr intensiv und ausdauernd beschreibt Lize Spit ein Verlorensein, eine zerrüttete Familiensituation, eine dörfliche Gemeinschaft, die zwar funktioniert aber keinen Platz für wahre Nähe zulässt. Menschen, deren Desinteresse so stark ist, dass sie nie nachfragen, sich nie erkundigen und eigentlich für immer Fremde bleiben, die sich eher zufällig den gleichen Lebensraum teilen und nun gezwungen sind, oberflächlich miteinander auszukommen. Aber auch die zentralen Themen der Jugend, die zwischen dem Wunsch nach Zugehörigkeit und der Chance auf Abgrenzung basieren, kommen zur Sprache, wenn auch beides in gewisser Weise unbefriedigt bleibt.
Fazit
Leider kann ich für diesen ungewöhnlichen Roman nur 2 Lesesterne vergeben, weil mir die inneren Beweggründe aller Beteiligten so wahnsinnig fremd geblieben sind, weil die Autorin einen kalten, distanzierten Erzählton wählt und dadurch weder mein Verständnis noch eine innere Beteiligung wecken konnte. Streckenweise ist der Text sehr langatmig und verweilt bei unrelevanten Dingen, während die wichtigen Ereignisse zwar detailliert dargestellt werden jedoch ohne die notwendige Beurteilung. Am meisten frustriert hat mich die Tatsache, dass die Protagonistin so stillschweigend, so passiv bleibt und sich nicht wehrt, keine Selbstreflexion vornimmt und sich auf eine fragwürdige Zukunft einlässt, bei der man schon ahnt, wie fragil sie sein wird. Dieser Roman bleibt mir sicherlich in Erinnerung allerdings befremdet mich das Gesamtkonzept im Wesentlichen, so dass ich nur wenig Gesagtes in die Realität mitnehmen werde.