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Veröffentlicht am 19.01.2018

Die schöne Nord-Ostsee Küste. Viele tolle Fotos und Wissenswertes dazu!

Die Küste
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Klappentext beschreibt den Inhalt sehr treffend: „Wo Land und Meer direkt aufeinanderprallen, haben sich einige der schönsten und faszinierendsten Naturräume der Erde herausgebildet. Neben einer einzigartigen ...

Klappentext beschreibt den Inhalt sehr treffend: „Wo Land und Meer direkt aufeinanderprallen, haben sich einige der schönsten und faszinierendsten Naturräume der Erde herausgebildet. Neben einer einzigartigen Flora und Fauna entstehen im Wechselspiel von Wind und Wellen, von Wasser und Land sich stetig verändernde Landschaften. Obwohl sie nur einen schmalen Saum am Rande der Kontinente bilden, gehören unsere Küsten zu den spannendsten und dynamischsten Gebieten auf der Welt. Ob feinsandiger Strand oder felsiges Kliff, von den Gezeiten geprägtes Watt oder windgepeitschte Dünen: Alle Küsten bieten eine atemberaubende Natur zum Entdecken, Erfahren und Erleben. Bruno P. Kremer und Fritz Gosselck nehmen Sie mit auf mitreißende Dünenwanderungen, erklimmen steile Klippen und tauchen mit Ihnen in geheimnisvolle Gezeitentümpel ein. In diesem eindrucksvoll bebilderten Band lernen Sie unsere Küstenlandschaften von Nord- und Ostsee von ihren spannendsten Seiten kennen und erfahren viel Besonderes über die hier beheimatete Pflanzen- und Tierwelt.“

Auf 192 Seiten, mithilfe von 244 Farbabbildungen und 10 Tabellen, bringen die Autoren die Küste von Nord- und Ostsee ihren Lesern nahe.

Mit viel Liebe ist dieser Band gemacht worden. Man sieht die Begeisterung für die Küste und ihre Bewohner den Ausführungen an. Auch das pädagogische Wissen und Können kommt nicht zu kurz.

Zu den Autoren laut der Verlagsseite:

„Dr. Bruno P. Kremer, Studium der Biologie, Chemie und Geologie, bis 2012 Hochschullehrer an der Universität zu Köln. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu Themen der Umweltbildung, Naturerlebnispädagogik und Regionalwissenschaften (bislang ca. 170 Titel, übersetzt in 14 Sprachen).“

„Fritz Gosselck studierte an der Universität Rostock Biologie und spezialisierte sich auf das Fach Meeresbiologie. Dabei beschäftigen ihn die spezielle Fauna und Flora des Brackwassers sowie die Probleme, die der erhöhte Nährstoffeintrag, die Rohstoffgewinnung und Zerstörungen durch Bebauungen mit sich bringen. Meeresnaturschutz, speziell in Nord- und Ostsee sind weiterhin seine wichtigsten Betätigungsfelder.“

Es ist wie ein Kurzurlaub, wenn man im Buch blättert und den einen oder den anderen Text liest. Viele wunderschöne Fotos schaffen die Atmosphäre der Küste. Man genießt sie nicht nur, man lernt auch etwas dazu.
Die Texte sind meist kurz: mal eine, mal zwei, mal eine halbe Seite. Viel Wissenswertes über die Küste wird darin vermittelt: über ihre Flora und Fauna, über ihre Entstehung, weitere Entwicklung, Geschichte, Geologie, etc. Mit manchem weit verbreiteten „Falschwissen“ wird auch aufgeräumt, z.B. die Pflanzenbezeichnungen werden richtig gestellt, Einzelheiten zum Leben mancher Tiere erläutert, uvm.

Und natürlich ist man beim Lesen dieses Buches gleich dazu verleitet, an die Küste zu fahren, um das alles mit eigenen Augen zu sehen, im Watt zu wandern, die schöne Luft einzuatmen und die im Buch beschriebenen Naturphänomene zu beobachten.
Das Buch ist sehr gut zum Lesen mit Kindern geeignet, denn all die vielen bunten Naturbilder ziehen sogleich Aufmerksamkeit an sich. Das Wissen ist so zugänglich und bildhaft, anhand von Graphiken, Tabellen und Fotos vermittelt, dass es sich leicht einprägt, mehr Verständnis für die Vorgänge in der Natur entwickelt, sowie das Auge fürs Detail, auch für die Schönheit der Küste und ihrer Bewohner schult.

Das Buch ist hochwertig gestaltet: Festeinband in Tiefblau, Schutzumschlag. Weiterführende Literatur ca. 82 Titel, Register zum besseren Navigieren, Abbildungsverzeichnis gibt es hinten. Es ist recht groß: 23 x29,5 x2cm und wiegt 1151gr.

Fazit: Ein schöner Bildband mit viel Wissenswertem über die Nord-Ostsee Küste. Für Naturliebhaber und diejenigen, die es werden wollen. Prima als Geschenk und zum Lesen mit Kindern.

Veröffentlicht am 10.01.2018

Ein sehr lesenswertes Buch über die Forschung der Neurowissenschaftler bei Wachkommapatienten.

Zwischenwelten
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Zwischenwelten von Adrian Owen habe ich gern gelesen und kann das Buch auch gut weiterempfehlen.
Klappentext beschreibt den Inhalt sehr treffend.
Man bekommt Einblicke in die Arbeit der Neurowissenschaftler ...

Zwischenwelten von Adrian Owen habe ich gern gelesen und kann das Buch auch gut weiterempfehlen.
Klappentext beschreibt den Inhalt sehr treffend.
Man bekommt Einblicke in die Arbeit der Neurowissenschaftler mit den Wachkomapatienten, die an schweren Hirntraumata leiden. Entgegen der weit verbreiteten Meinung, dass Komapatienten nicht wahrnehmungsfähig sind, beschreibt Owen Fälle aus seiner Praxis basierend auf über 20 Jahren Erfahrung, dass oft gerade das Gegenteil den Tatsachen entspricht. Solche Patienten können durchaus bei Bewusstsein sein, sie können sich aber nicht auf die übliche Weise mitteilen. Owen berichtet von seinen Experimenten und Lösungen, die es ihm und seinem Team ermöglicht haben, mit Wachkomapatienten zu kommunizieren.
In seltenen Fällen konnten sie sich auch soweit erholen, dass sie ein fast normales Leben wieder führen konnten. Sie erzählten, wie sie sich fühlten, als sie im Wachkomazustand verweilten, was sie von der Welt um sie wahrnehmen konnten, wie schrecklich es bei manchen zuging, da sie fälschlicherweise für hirntot gehalten wurden, da sie den üblichen Händedrucktest nicht bestanden haben. Sie konnten aber alles verstehen, was um sie herum geschah, v.a. belastend war es für sie, dass sie wie ein Stück Fleisch behandelt wurden, dass niemand mit ihnen sprach, nur eben schnell die Pflege zukommen ließ und verschwand. Es gab auch andere Fälle, bei denen die Wachkomapatienten sehr liebevoll von ihren Partnern gepflegt wurden und mit ihnen kommunizieren konnten. Bloß wissenschaftlich konnte man das nicht nachweisen. Solchen Menschen wollte der Autor u.a. ihre Stimme geben und das ist ihm sehr wohl gelungen. Er erzählt über sie, dessen Leben sich von einer Minute auf die andere schlagartig veränderte. Diese Schicksale können einen einfach nicht gleichgültig zurücklassen.
All diese Dinge sind schön erzählt. Der Ton ist prima getroffen: Sachlich, aber auch sehr menschlich und warmherzig. Das Verhältnis zwischen dem wissenschaftlichen Part und der Unterhaltung ist wohl ausgewogen.
Das letzte Kapitel mit dem Ausblick finde ich sehr spannend. Owen spricht von dem, was bisher erreicht werden konnte und von den neuen Forschungsmöglichkeiten und Anwendungsgebieten, z.B. bei Alzheimer. Er spricht auch von neuen Technologien, die es ermöglichen werden, die Impulse im Gehirn der Wachkomapatienten in die jeweilige Sprache zu übertragen, so könnten solche Menschen ihren Willen mitteilen und den Umgang mit ihnen besser zu gestalten.
Paar Zitate:
„Winifred und Leonard haben uns gezeigt, wie menschliches Bewusstsein gleichsam auf das Leben eines anderen übergreift. Selten können wir und vollständig beschreiben oder verstehen, ohne unsere Beziehungen und unseren Einfluss auf unsere Umgebung einzubeziehen. Was den einzelnen Menschen ausmacht, ist nicht nur sein Gehirn, es sind auch seine Erinnerungen, Gefühle, Haltungen und Meinungen, die auf andere abfärben. Und selbst nach dem Tod kann ein Mensch das Leben seiner Hinterbliebenen weiterhin prägen und beflügeln.“ S. 297.
„.. die Arbeit mit Wachkommapatienten hat mir klargemacht, dass wir eines nicht vergessen dürfen: Allein durch das Sein trägt jeder von uns zum Entstehen des Ganzen bei.“ S. 300.
Das Buch ist schön gestaltet: Festeinband in sehr hellem Grau, Umschlagblatt passt sehr gut zum Inhalt. Die Schrift ist leserfreundlich: nicht zu klein. Inhaltsverzeichnis vorn hilft beim Navigieren im Buch. Hinten gibt es Anmerkungen/Quellen, auf Kapitel unterteilt, enthalten nicht nur Bücher, sondern auch Dokus, Spielfilme, Serien und Webseiten.

Fazit: Ein sehr lesenswertes Buch, das die Forschung der Neurowissenschaftler in Sachen Wachkommapatienten auf sachliche, aber auch warmherzige und unterhaltsame Weise den Lesern nahebringt, dabei einiges über die Kraft der menschlichen Psyche verrät und manche Geheimnisse unseres Bewusstseins lüftet.

Veröffentlicht am 10.01.2018

Ein sehr beeindruckender Bericht!

Selbst das Heimweh war heimatlos
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Moritz Scheyers Bericht über seine Flucht aus Wien und sein Leben und Leiden in Frankreich während des zweiten Weltkrieges und weiter bis 1949 ist ein sehr beeindruckendes Werk, das man gelesen haben sollte. ...

Moritz Scheyers Bericht über seine Flucht aus Wien und sein Leben und Leiden in Frankreich während des zweiten Weltkrieges und weiter bis 1949 ist ein sehr beeindruckendes Werk, das man gelesen haben sollte. Es ist ein Leseerlebnis der besonderen Art, das noch lange nachklingt, nachdem die letzte Seite umgeblättert worden ist.

„Moritz Scheyer (1886-1949) war ein rumänischstämmiger jüdischer Schriftsteller und Journalist, der in Wien aufwuchs. Seit 1914 arbeitete er als Theater-, Literatur- und Musikkritiker für das „Neue Wiener Tagblatt“. Scheyer vröffentlichte zahlreiche Bücher. Im August 1938 flüchtete er nach Frankreich, wo er 1949 in Belvés (Dordogne) starb.“ So Klappentext.

Der Bericht fängt mit der Beschreibung von Wien kurz vor dem „Anschluss“ Österreichs in 1938 an Hitler Deutschland an, fährt mit den Zuständen während dieser Zeit fort, dann folgt Paris, da Scheyer Wien verlassen musste und letztlich Südfrankreich. Diese bedrohliche Atmosphäre in Wien und die der befremdlichen Frivolität und Nonchalance der Pariser Gesellschaft, die breitwillige Geschäftemache mit der neuen Macht während des „Sitzkrieges“, die Versuche, den Unfug schön zu reden, die chaotischen Zustände während der Flucht aus Paris in Richtung Süden uvm. All die Geschehnisse sind so unmittelbar und zum Greifen nah geschildert worden, dass man voll darin versinkt und den Eindruck hat, man wäre selbst dort zusammen mit dem Autor dabei: Man sieht all den Wahnsinn der Nazis, man geht mit Scheyer zusammen in KZ in Südfrankreich und erlebt all das mit, was er in seinen Aufzeichnungen so bildhaft und eindringlich schildert. Scheyer beschreibt auch den sozialen Abstieg, diese rasche Entwicklung der Abwärtsspirale entlang: Da war man ein angesehener Literat und Journalist in Wien, schon muss man fliehen, wird wie ein Unmensch behandelt, als ob man Schlimmes getan hätte, dabei der einzige Grund, dass er Jude war.
Die Kapitel sind kurz, was stets dazu verleitet, immer weiter zu lesen und noch ein nächstes und übernächstes Kapitel aufzuschlagen. Da braucht man keine frei erfundenen Thriller. Hier ist alles dabei: Spannung, Horror, Morde uvm, aber auch Familienleben, Familienzusammenhalt, die Güte einiger Menschen trotz allem, etc.

Es ist toll geschrieben: gekonnt wie talentiert mit guter Prise schwarzen Humors, denn ohne könnte man all dies nicht ertragen. Blankes Überleben war die erste Priorität. Ach Scheyers scharfsinnige Analysen der Situation, des menschlichen Verhaltens ggü der neuen Macht, sein Blick auf die Politiker in oberen Machtetagen, er hat sie prima aufs Korn genommen, beeindrucken genauso wie seine unter die Haut gehenden Schilderungen der Zustände dieser Jahre.
Das Manuskript war lange Zeit verschollen. Erst in 2015 wurde die Kopie im Nachlass von Stiefenkel Scheyers Peter N. Singer entdeckt. „… doch wächst sein Bericht über das dokumentarische Zeugnis hinaus, wird zum Werk eines feinfühligen Literaten…“, sagt der Klappentext. So sehe ich es auch. Es ist ein ganz besonderes Leseerlebnis.

Das Nachwort von Peter N. Singer auf etwa 50 Seiten ist auch sehr lesenswert. Singer erzählt die Geschichte Scheyers aus seiner Perspektive. So erfährt man u.a., was nach dem Tod Scheyers passierte und warum sein Werk so lange auf die Veröffentlichung warten musste.

Das Buch ist sehr schön gestaltet, perfekt als Geschenk: Festeinband in Dunkelrot, Lesebändchen in Hellgrau, passend zur Grundfarbe des Umschlagblattes. Vorn und hinten gibt es farbige geographische Karte, die Frankreich 1942 mit all den Besatzungs- und anderen Zonen abbildet und die Fluchtroute und den Aufenthaltsort Scheyers gut nachvollziehen lässt. Es gibt auch viele schwarz-weiß Fotos, die Scheyer, seine Frau, andere Personen, die im Manuskript auftauchen, abbilden und so das Ganze noch nähr erleben lassen.

Fazit: Ein tolles, sehr lesenswertes Werk! 5 Sterne!

Veröffentlicht am 22.12.2017

Diese Geschichten gehen unter die Haut. Unbedingt lesen.

Kein Dach über dem Leben
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Eine beeindruckende Biographie des Obdachlosen Richard Brox, gekonnt geschrieben von Albrecht Kieser, gründlich recherchiert von Dirk Kästel.
Dirk Kästel ist Journalist und Vorsitzender des Vereins kunst ...

Eine beeindruckende Biographie des Obdachlosen Richard Brox, gekonnt geschrieben von Albrecht Kieser, gründlich recherchiert von Dirk Kästel.
Dirk Kästel ist Journalist und Vorsitzender des Vereins kunst hilft geben für Arme und Wohnungslose in Köln e.V. Er schreibt: „Was Richard mit erzählte, war so unfassbar, dass ich schon früh dachte, diese Lebensgeschichte müsste eigentlich in Buchform festgehalten werden. Um anderen Menschen auf der Straße Mut zu machen und in der Gesellschaft Vorurteile wie ‚Obdachlose sind doch selber schuld‘ abzubauen.“ S. 266.
Mit diesem Buch ist es sehr gut gelungen. Geschichten aus dem Leben von Richard Brox gehen unter die Haut. Sie sind nicht nur mutig, ehrlich und authentisch, sie zeigen einen hochintelligenten Mann, der sich treu geblieben, seinen Weg auf den Straßen Deutschlands gegangen war.
Richard Brox hat 30 Jahre auf der Straße verbracht. Mit 21 wurde er nach dem Tod seiner Mutter obdachlos. Dem Sozialamt war die zweieinhalb Zimmer Wohnung zu groß für einen Alleinstehenden. Gerichtsvollzieher, mithilfe von Polizei und Räummännern, schmiss ihn aus der elterlichen Wohnung. So fing sein Weg ohne Dach über dem Leben, wie Titel es so treffend zum Ausdruck bringt.
Richard gibt zu, er war schon mit dreizehn „ein Flüchtender“: oft auf der Straße, schlief, wo es gerade möglich war. Keine Freundschaften, keine emotionale Bindung. So wurde bald kokainabhängig. Mit 28 wurde er wieder clean. Diese Geschichte, auf nur paar Seiten erzählt, ist sehr beeindruckend. „..ich hatte gelernt, auf eigenen Füßen zu stehen. Ohne Halt an Kokain und Alkohol zu suchen. Was für ein großartiger Erfolg.“ S. 52.
Richard hatte durchaus andere Probleme, die ihn fest im Griff hatten und ihn weder sesshaft noch ein guter Vater werden ließen, weder für eigene noch für Kinder der Frauen, mit denen er mal paar Wochen zusammengelebt hatte, denn er selbst hatte kein besonders positives Vorbild aus eigener Kindheit mitnehmen können. Er war nicht imstande, das zu geben, was ihm selbst als Kind kaum gegeben wurde.
Viele Aushilfsjobs hatte er im Laufe seines Lebens erledigt: „Das gehört zu den schönen Seiten des Berberlebens: Du kommst nicht nur in Regionen, in die du als Sesshafter nie gelangen würdest, du setzt dich auch Situationen aus, in die du sonst nie geraten wärst.“ S. 83.
Es gab auch viele Begegnungen anderer Art: Ungerechtigkeit, Willkür der Beamten, Gefahr, Gewalt, Tod. Alles war dabei.
Sein Schachspiel beeindruckte viele. Einige gute Schachspieler konnte er schlagen.
Sein Lebensprojekt, der online-Ratgeber für Menschen, die auf der Straße leben (müssen), das eine große Anzahl an Obdachloseneinrichtungen beschreibt und auf deren Vorzüge und Nachteile eingeht, ist eine große Hilfe für die Menschen in Not und erfreut sich großer Beliebtheit.

Die Geschichten aus dem Leben von Richard Brox zeigen auch deutlich, dass es auch an dieser Gesellschaft, v.a. ihrer neoliberalen wirtschaftspolitischen Ordnung liegt, dass es immer mehr Obdachlose gibt, alle Bildungsschichten und Berufsstände sind dabei vertreten, schätzungsweise 335.000, mit dem Sprung von 2012 bis 2014 auf 18%, so Günter Wallraff im Vorwort.

In der Hinsicht ist es auch ein gesellschaftskritisches Buch, dem ich auch viele Leserinnen und Leser wünsche. 5 wohl verdiente Sterne und eine klare Leseempfehlung. Dieses Buch ist eine wahre Bereicherung. Unbedingt lesen.

Veröffentlicht am 11.12.2017

Außergewöhnlich, beeindruckend, anspruchsvoll. Lesenswert!

Lévi-Strauss
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Diese Biographie (Bio) habe ich gern gelesen. Sie ist etwas Besonderes. Nicht nur weil es um einen außerordentlichen Wissenschaftler geht. Auch die Art, wie sie geschrieben wurde, ist auf jeden Fall bemerkenswert. ...

Diese Biographie (Bio) habe ich gern gelesen. Sie ist etwas Besonderes. Nicht nur weil es um einen außerordentlichen Wissenschaftler geht. Auch die Art, wie sie geschrieben wurde, ist auf jeden Fall bemerkenswert. Emmanuelle Loyer ist sehr gut gelungen, das Wesen von Claude Lévi-Strauss (CLS), seine Art, seinen Gedankengut, seine Arbeit, seine Bücher, uvm. den Lesern näher zu bringen.
Diese Biographie weist ein recht hohes Niveau auf. Passt zu CLS. Im Wesentlichen ist diese Bio chronologisch aufgebaut, aber insb. zum Schluss eher nach Themen, sodass man mal in den Zeiten springt. Aber das ist gerechtfertigt.
An folgende Zeilen des Klappentextes musste ich oft denken, da sie so toll den Inhalt beschreiben: „Wissenschaftler, Schriftsteller, Melancholiker, Ästhet – Claude Lévi-Strauss (1908-2009) hat nicht nur Wissenschaftsgeschichte geschrieben, sondern auch unseren Blick auf uns selbst und auf die Welt verändert. In ihrer preisgekrönten Biographie durchmisst die Historikerin Emmanuelle Loyer das Leben und den intellektuellen Werdegang des weltberühmten Anthropologen.“
Dieser Werdegang ist faszinierend, weit davon entfernt, gradlinig und von Kindesbeinen an auf nur ein vordefiniertes Ziel ausgerichtet zu sein. Sein Vater ist Künstler, Maler. Claude wuchs entspr. nach dem humanistischem Vorbild auf, studierte zunächst Philosophie und unterrichtete diese. Dann reiste er nach Brasilien und besuchte auf mehreren Expeditionen die indigenen Völker. Dies hat ihn dazu bewegt, Anthropologe zu werden, der sich und der Welt diese Menschen, die Vielfalt ihrer Kulturen, ihre Eigenart, etc. mithilfe von Strukturalismus zu erklären suchte. Nach der Epoche des Strukturalismus, die paar Jahrzehnte gedauert hatte, wendete er sich der Mythologie der Völker und versuchte auf diesem Gebiet, gemeinsame Nenner zu finden und diese zu erklären. Danach widmete er sich der Ästhetik, bereiste Japan und lernte die eigenartige Kultur dort kennen. Insb. in der zweiten Hälfte seines Lebens und zum Schluss erwies er sich recht unkonventionell, oft kontrovers zur öffentlich angenommenen Meinung in seinen Urteilen und offenherzig in seinen Äußerungen. Dies hat ihm noch mehr Aufmerksamkeit gebracht, aber da er hatte schon längst den Status einer Kultfigur im In- und Ausland erreicht.
Es gibt viele Zitate aus seinen Werken, aus seiner Korrespondenz, auch der seiner Gefährten und u.a. Kontrahenten und schlicht anderen Denkern, die stets wunderbar das Gesagte beleuchteten.
Die Quellen wurden in den Fußnoten angegeben. Passt ganz gut, ist recht leserfreundlich, da man alles gleich vor Augen hat und nicht hin- und her blättern muss. Allerdings gibt es die Quellen im Anhang nicht nochmals in Form einer Auflistung.
Die Vielfalt an Themen und Blickwinkeln der Betrachtung ist schier überwältigend. Man lernt nicht nur CLS, sondern seine Kollegen und Weggefährten kennen, u.a. was LAS war, wie dort gearbeitet wurde, welche persönlichen Beziehungen seine Mitarbeiter untereiander pflegten, Werdegang und Rolle seiner Mitarbeiter bei der Arbeit der LAS, welche Rolle CLS selbst dabei spielte, wie er sich um seine Leute kümmerte, welche Bücher er z.Zt. schrieb, uvm.
Auch die Höhen und Tiefen seiner Karriere, wie auch seines Privatlebens, sind eingehend beleuchtet worden, z.B. dass er oft nicht verstanden und gar verklärt wurde, da er nicht viel reden mochte. Eine klassische Uni-Karriere schien anfangs unmöglich, die zweite Frau weg. Er ging aber unbeirrt seinen Weg und hinterließ trotz aller Widrigkeiten ein beachtliches Erbe, das die Wissenschaft und das Selbstverständnis der Menschen noch heute prägt.
CLS schrieb gern Bücher: 22 Titel sind im Anhang aufgelistet, die sich zwar kaum an breites Publikum richten, da recht anspruchsvoll, wurden aber stets gut verkauft, auch im Ausland, und in diverse Sprachen übersetzt.
Es gibt auch Fotos, manche sehr ausdrucksstark: nach Teil II, die CLS in seinen jungen Jahren, seine Mutter, seine zweite Frau mit Sohn Laurent als Baby zeigen, und nach Teil III. Dort bilden die Fotos CLS in seinen reifen Jahren ab, auch seine vier Masken aus Britisch Columbia sind dabei, alles in schwarz-weiß, auf dem gleichen Papier wie der Text.
Das Buch wiegt gut ein Kilo. Eine gute Übung für die Arme, wenn man es länger vor Augen hält.

Fazit: Eine außergewöhnliche, beeindruckende, anspruchsvolle Biographie von Claude Lévi-Strauss, eines herausragenden Wissenschaftlers, Schriftstellers, Humanisten, Ästheten.

Wenn man eine spannende Persönlichkeit auf diesem Wege kennenlernen möchte, ist man hier an der richtigen Adresse. Gut möglich, dass man dann auch den Wunsch verspürt, die Werke von CLS zu lesen. Die gibt es auch auf Deutsch.