Ein Kunstwerk
NachtgästeSarajevo 1992
Maja ist achtzehn. Sie sitzt im Keller des Museums, in dem ihr Vater Direktor ist. Der ganze Unfug, der sie in diesem Gebäude hat landen lassen, begann offiziell am vierten April. In Dobrinja, ...
Sarajevo 1992
Maja ist achtzehn. Sie sitzt im Keller des Museums, in dem ihr Vater Direktor ist. Der ganze Unfug, der sie in diesem Gebäude hat landen lassen, begann offiziell am vierten April. In Dobrinja, wo sie wohnten, wurden die Häuser beschossen und ihre Wohnung ging in Flammen auf. Ihr Stadtteil wurde abgesperrt, einen Teil beanspruchten die Serben und dort ist auch ihr Literaturprofessor verschwunden. Majas Mama und deren Mutter flüchteten in das Viertel, in dem das Museum steht. Dort trafen sie auf Dávor, Majas Halbbruder, Sanja seine Gattin, deren Dalmatiner Sniffy und zwei gealterte Partisanen aus dem letzten Krieg. Im April wurden noch Menschen mit Militärflugzeugen aus Sarajevo herausgeflogen, aber die Gattin wollte nicht. Sie vertraute ihre Schwangerschaft lieber den hiesigen Ärzten an, konnte sich nicht trennen, aber die hiesigen Ärzte trennten sich von ihr.
Der Krieg, sie weiß nicht, ob sie das richtig verstanden hat, keiner weiß das, begann damit, dass die orthodoxen Serben Serbien hatten, die katholischen Kroaten sich Bosnien jedoch mit den Muslimen teilten. Die Serben beanspruchten den bosnischen Teil der Muslime und das gefiel weder den Kroaten noch den Muslimen. So, und deswegen fliegen ihnen jetzt die Granaten um die Ohren. Ihr Papa, der Muslim, rettet die Ikonen vor den Serben, die sie zerstören wollen, um sie vor den Muslimen zu schützen. Dávor glaubt, dass der Strom ständig ausfällt, weil die Mafia den woanders hin verkauft, sein Stiefvater, der Herr Direktor, bezweifelt das.
Die Europäer schicken braune Päckchen in der Größe eines Buches mit Tütensaft, Käse, Bohnen, Schweinefleischkonserven, Kaffee, Kondensmilch, einem Erfrischungstuch und Toilettenpapier. Die gealterten Partisanen aus dem letzten Krieg glauben, dass die Europäer das schicken, weil sie es selbst nicht wollen, also entsorgen wollen. Und dann die Cowboys:
Dieses Amerika benimmt sich wie ein betrunkener Standesbeamter. Er will ein Paar trauen, obwohl nur ein Partner die Ehe eingehen will. S. 24
Fazit:
„Das ist das beste Buch über Krieg, das ich gelesen habe.“ Sasa Stanisic.
Ich muss meine Begeisterung in die Welt hinausschreien. Was für ein Kunstwerk! Nenad Velickovic ist ein wahrhafter Erzähler. Nie wurde mir ein reales Kriegsszenario besser nahegebracht als mit diesem Buch. Die junge Protagonistin beschreibt ihre Eindrücke über die Notgemeinschaft und die Unzumutbarkeiten, denen sie ausgesetzt sind. Sie ziseliert den ganzen Irrsinn des Krieges und durchleuchtet die Verrücktheiten der Erwachsenen auf so positive und humorvolle Art, dass man ihr immer weiter zuhören muss. Sie ist umgeben von Menschen, die sich, so gut es geht, ihre Pfründe sichern wollen und auch vor Gaunereien nicht zurückschrecken, die nicht erst der Krieg in ihnen ausgelöst hat. Maja bagatellisiert nicht das Unrecht oder die großen und kleineren Katastrophen und sie schönt auch nichts.
Ich lebe im Museum wie unter einer Glasglocke. Über die Granaten schreibe ich wie über einen Theatereffekt, während sie überall ringsum Menschen zerfetzen. S. 99
Es ist einfach die Erzählstimme, die mich fesselt. Ich bin sehr froh, dass dieses Buch nach nun dreißig Jahren, dank dem Verlag Jung und Jung, eine erneute Auflage erfahren hat.